„Die Kunst immer zu borgen und nie zu bezahlen“

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Mrz 012015
 

Fahrrad 20150301_124746

Einen vollkommen ernüchterten und gleichwohl hinreißenden Blick auf das römische Altertum warf der große deutsche Prosaschriftsteller Theodor Mommsen. Von der stillen Bewunderung, dem erhabenen Ah und Oh der Glyptotheken und der früheren Rom-Pilger war er meilenweit entfernt. Mit Blick auf das heutige Problem der überbordenden öffentlichen Verschuldung mag insbesondere folgendes feine, geradezu kupferstichartig ins Papier schraffierte Porträt des allmächtig-ohnmächtigen Diktators C. Julius Caesar (100-44 v. Chr.) eine Vorstellung von Mommsens meisterhaftem deutschem Stil bieten – wir zitieren das Prosa-Kabinettstück aus Bd. 3 der Römischen Geschichte:

„Auch er“, schreibt Mommsen und meint damit Caesar, „hatte von dem Becher des Modelebens den Schaum wie die Hefen gekostet, hatte recitirt und declamirt, auf dem Faulbett Litteratur getrieben und Verse gemacht, Liebeshändel jeder Gattung abgespielt und sich einweihen lassen in alle Rasir-, Frisir- und Manschettenmysterien der damaligen Toilettenweisheit, so wie in die noch weit geheimnißvollere Kunst immer zu borgen und nie zu bezahlen. Aber der biegsame Stahl dieser Natur widerstand selbst diesem zerfahrenen und windigen Treiben; Caesar blieb sowohl die körperliche Frische ungeschwächt wie die Spannkraft des Geistes und des Herzens.“

Man lese sich den Abschnitt ruhig einmal halblaut murmelnd vor! Das klingt und singt! Dieses Deutsch hat Biss, es tanzt, es lächelt, es hat Rhythmus und Stil, es erkennt Größe und Jämmerlichkeit in wenigen Sekunden als Nachbarn an. Man wird erkennen, dass Mommsen hier sein geistvolles Spiel mit historischer Größe treibt; seine wissenschaftliche Prosa ist mehr als nur objektivierende Wiedergabe des Geschehenen, sie ist auch und in einem damit Kunst; hier bekennt sich Geschichtswissenschaft dazu, dass sie niemals gegenständliche Wahrheit ein für allemal wird festhalten können, sondern in der Form der Darstellung, die dem Inhalt keineswegs nur äußerlich ist, eine Art Kupferstich dessen, „was gewesen ist“, oder vielmehr dessen, „wie es gewesen sein könnte“, liefert.

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig 1856, hier S. 428

Bild:
Ein klassisches Fahrrad, abgestellt auf der Großbeerenbrücke, aufgenommen heute um 13 Uhr im Kreuzberger Sprühregen

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zu Ferrari, le principe, page 7 und Plutarch, De Pythiae oraculis, stephpage 404e

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Feb 212015
 

Baum_20150221_070720
„Le maître dont l’oracle est à Delphes ne dit rien, ne cache rien – mais il fait signe.“
So zitiert es der 1968 n. Chr. in Paris geborene Schriftsteller Jérôme Ferrari im Anfang seines Buches „Le principe“, das im März 2015 in Paris erscheinen wird. Wir übersetzen aus dem Französischen ins Deutsche: „Der Herr, dem das Orakel in Delphi gehört, sagt nichts, verbirgt nichts – sondern er gibt ein Zeichen.“
Gestern hörten wir der Vorstellung des Buches in der Französischen Botschaft am Pariser Platz zu Berlin zu.
Was ist damit gemeint? Was bedeutet das?
Offenbar zitiert Ferrari hier eine Übersetzung einer Äußerung des etwa 525 v. Chr. geborenen Schriftstellers Heraklit von Ephesos, wie sie in der griechisch verfassten Schrift „De Pythiae oraculis“ des wahrscheinlich 45 n. Chr. in Chaironeia geborenen Schriftstellers Plutarch zitiert wird.

Wir schlagen heute den entsprechenden Abschnitt in Plutarchs Schrift auf, um dem rätselhaften Spruch Heraklits über das delphische Orakel auf die Spur zu kommen, und zitieren aus der im Internet bequem einsehbaren Ausgabe von Bernardakis, die 1891 bei Teubner in Leipzig erschien (Steph. p. 404e):

οἶμαι δὲ σὲ γιγνώσκειν τὸ παρ᾽ Ἡρακλείτῳ 2 λεγόμενον ὡς ‘ὁ ἄναξ, οὗ τὸ μαντεῖόν ἐστι τὸ ἐν Δελφοῖς, οὔτε λέγει οὔτε κρύπτει ἀλλὰ σημαίνει.’ πρόσλαβε δὲ τούτοις εὖ λεγομένοις καὶ νόησον τὸν ἐνταῦθα θεὸν χρώμενον τῇ Πυθίᾳ πρὸς ἀκοήν, καθὼς ἥλιος χρῆται σελήνῃ πρὸς ὄψιν.

Wir übersetzen aus dem Griechischen ins Deutsche! Plutarch schreibt hier in etwa:
Ich glaube, du kennst den bei Heraklit zitierten Ausspruch, dass „der Herrscher, dem das Orakel in Delphi gehört, weder sagt noch verbirgt, sondern bedeutet„. Nimm nun zu diesen treffenden Aussagen hinzu und bedenke, dass der hiesige Gott über die Pythia in Orakeln zum Gehörsinn spricht ebenso wie die Sonne über den Mond zum Sehsinn in Orakeln spricht.

Bild: Tief aus der Erde wächst ein hoch aufragender winterlicher Baum! Darunter ein kleines gelbes Haus. Schöneberg, Aufnahme vom 22.02.2015

Quellenangaben:
Jérôme Ferrari, Le principe. Roman. Actes Sud, Paris, mars 2015, Seite 7
Plutarch, De Pythiae oraculis 404e:
via Plutarch, De Pythiae oraculis, stephpage 404e.

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Lass deine Stimme laut erschallen …

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Nov 112014
 

Theater Pamukkale 2013-07-23 12.49.30

[…] denn du sprichst und singst ja gern in Gärten, in Sälen, in Hallen, in Tempeln und Theatern ohne Mikrophon; gegen den Wind, mit dem Wind, gegen das Meeresrauschen, mit dem Meeresrauschen, mit und ohne Murmeln im Mund. So hast du  vor einem Jahr im Sommer im jahrtausendealten Theater von Hierapolis in Kappadokien einige griechische Verse von Sophokles laut ins Rund hinab rezitiert, und in diesem Jahr im Sommer sangest du  im Garten eines Kreuzberger Pflege- und Altenheims in der Wilhelmstraße vor den Alten, den Uralten ein deutsches Volkslied von Felix Mendelssohn Bartholdy laut und tönend   – ohne Mikrophon, ohne technische Hilfsmittel, ohne Subwoofer und Bass-Booster, gehört von allen, die dies hören wollten, gestützt allein auf die Kraft des Leibes, des Atems, der Stimme.

Die freie Stimme, die singende Stimme, die nur durch Atem, Leib und Wind getragene Stimme – welche Freiheit, o welche Lust!

Lass deine Stimme laut erschallen!

Bild: ein Blick in das Theater der antiken griechischen Stadt Hierapolis im heute türkischen Pamukkale, August 2013

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Wir aber sind frei, mögen sie auch ihr geliebtes Geld hätscheln und hedgen!

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Okt 132014
 

Schafe 20141004_182733

 

 

 

 

 

 

Mögen sie doch ihr geliebtes Geld hätscheln und hedgen!

Gutes, erquickendes Losschütteln der Sorgen ums Geld, das ich am Wochenende feierte! Das „Lied vom unfruchtbaren Weinberg“ aus dem Buch Jesaja wies mir den Weg!  Jesaja erkannte, dass Recht und Gerechtigkeit, dass Barmherzigkeit und Vergebung, dass Freiheit und Wahrheit über dem Willen der Fürsten und Mächtigen thronen. Das wahre Wort ist wichtiger als das Geld, das freie Wort zählt mehr als die Währung.

„Das Geld, das geliebte Geld ist stärker als Recht und Gerechtigkeit, die Währung ist wichtiger als das gegebene Wort!“

So sprechen die Heuchler und Krämerseelen.
Sie haben das gute C ihres Namens in ein € verwandelt.
Auf dem € singen sie, auf das € schwören sie,
wie sie sich früher auf das C beriefen. So sprachen sie:

„Jeder, der angreift das hohe, das zweigestrichene €,
ist eine Schande für unsere Heimat. Eine Schande für Deutschland!
Ihn treffe der Bannfluch.
Denn das € ist heilig. Mit dem schändlichen Zweifler
setzen wir uns an keinen Tisch.  Alles dürft ihr bezweifeln,
am zweigestrichenen €, das aus dem tiefen C hervorging,
dürft ihr nicht zweifeln. Von dieser Frucht dürft ihr nicht nicht essen!
Esst – oder ihr werdet gestopft! Ein Greuel sind uns all jene,
die das Geld nicht zum obersten Wert erklären.
Scheitert das zweigestrichene €, so scheitert der Kontinent.“

Also verehrten sie das Geld, das Geld ward ihnen zum Maß aller Dinge.
Ihm unterjochten sie alle Völker. Eine eiserne Hecke umschlang den Weinberg,
gefangen waren die Menschen im Weinberg wie irrende Schafe.
Was half ihnen all das Jammern und Zagen, das Pochen und Feilen am zweigestrichenen €?

Dieser Weinberg verfiel dennoch, im Süden des Weinbergs verdorrten die Böden,
im Norden des Weinbergs blähten sich Hoffahrt und Stolz. Geiz und Habsucht,
Zank und Hader verkehrten die einen gegen die andern,
wandten das Herz des Südens gegen das Herz des Nordens.

„Il attendait le droit et voici l’iniquité, la justice et voici les cris.“

Statt Gerechtigkeit – Schlechtigkeit, statt Barmherzigkeit
herrschte  Schmächtigkeit im Weinberg!

Bitter wurde der Wein, sauer wurden die Trauben,
von denen sich die Trinker betranken.
Den Trinkern und den Töchtern und Söhnen der Trinker
wurden die Zähne stumpf.

Da ertönte die Stimme – und von denen, die sie hörten, wußte später  niemand mehr,
ob sie von innen oder von oben kam:

„And now I will tell you
What I will do to my vinyard:
I will remove its hedge —“

Das ist zu Deutsch: Ich werde die Hecke des Weinbergs einreißen,
den Schafen werde ich die Freiheit zurückgeben,
sie sollen sich tummeln auf grüner Au!

Und wieder ertönte die Stimme:

„Ich sag‘ es euch: ein Kerl, der auf den € spekuliert,
Ist wie ein Tier, auf dürrer Heide
Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt;
Und rings umher liegt schöne grüne Weide.“

Auf, ihr Kerls, hängt euer Herz nicht länger ans Geld, ringsherum ist grüne Weide.
Lasst euch nicht einzwängen, lasst euch nicht hätscheln, lasst euch nicht hedgen!

Atmet frei! Sprengt eure Fesseln!

Geht! Atmet! Dehnt euch, streckt euch.

Ihr könnt! Glaubt! Ihr seid frei!

 

Quellen Europas:
Le chant de la vigne, in: Le livre d’Isaïe. In: La Bible de Jérusalem. Les éditions du cerf, Paris 1998, Seite 1234, hier: Kapitel 5, Vers 7
The Book of Isaiah, in: The Holy Bible. Revised Standard Version. CollinsBible, Stonehill Green 1952, Seite 603, hier Kapitel 5 Vers 5
Johann Wolfgang Goethe. Faust. Texte. Herausgegeben von Albrecht Schöne. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt 1999, S. 80, hier: Vers 1830

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Europa neu erzählen: Preis sei und Dank der seidenhaarigen Conchita!

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Mai 122014
 

Heilige Bekümmernis 04032010(010)

 

 

 

 

 

 

 

Einen triumphalen Empfang bereitete am Wochenende  des feiernde Europa einigen uralten Mythen und Sagen der asiatischen und später mediterran-europäischen Welt. Der Europäische Sangeswettstreit erweist sich als als Indikator für die unglaubliche Überlebenskraft eines ganzen Füllhorns uralter und ältester mythologischer Erzählungen.

Rise like a phoenix – erhebe dich wie ein Phönix, so die helltönende Botschaft des am Schlagerhimmel aufsteigenden Sterns Conchita Wurst aus Österreich.

Wer ist Phönix? Ein sagenhafter Vogel, der sich alle 500 Jahre aus der Asche erhebt. Von Phönix bericht Publius Ovidius Naso im 15. Buch seiner Metamorphosen  bereits in der Zeit des Kaisers Augustus als einer uralten Sage – denn die Assyrer waren schon damals ein uraltes Volk der Frühzeit, deren Sagen später in den griechischen, später dann in den römischen Geschichtenkreis einwanderten:
una est, quae reparet seque ipsa reseminet, ales:
Assyrii phoenica vocant; non fruge neque herbis,
sed turis lacrimis et suco vivit amomi.

Wir übersetzen:
Eine Art Flügelvieh gibt es, die sich heilt und selbst wieder aussät:
Assyrer nennen ihn Phoenix; weder von Frucht noch Kräutern,
sondern von Weihrauchtropfen und Saft des sei-
denhaarigen Hartriegels nähret er sich.

Wir haben uns den Auftritt Conchita Wursts angesehen. Dem bannenden Reiz dieser hermaphroditisch schillernden Figur konnten und mochten auch wir uns nicht entziehen. Do weards oam glei zwoaraloa, wie man auf Bairisch sagen würde.

Ergebnis: Keineswegs aus moralischen, noch weniger aus politischen Gründen, sondern einzig und allein wegen des stimmigen mythologisch-ästhetischen Gesamtauftrittes hätten auch wir vom Kreuzberger Blog beim European Song Contest für die Österreicherin Conchita Wurst gestimmt.

Conchita Wurst – das ist ein Hermaphroditos alive: ein Wanderer zwischen den Welten von Mann und Frau, eine uralte sagenhafte Gestalt, die von Ovid im 4. Buch der Metamorphosen ebenfalls besungen wird:

iam non voce virili
Hermaphroditus ait „nato date munera vestro,
Et pater et genetrix, amborum nomen habenti.“

Und noch ein Motiv der Legende fällt einem sofort ein – die bärtige Frau. Eine wunderschöne Frau mit Bart?  – Man mag dies für einen supercoolen, abgefahrenen Einfall Conchitas halten – doch nein:

Auch hier geschieht, was längst geschah,
Die hl. Kümmernis war schon da.

In der Heinrich-Heine-Stadt Düsseldorf stieß nämlich der Kreuzberger Wanderer vor einigen Jahren in der Lambertus-Kirche auf ein gemaltes Bild einer gegürteten und gekreuzigten Frau mit Bart – eine Darstellung der Hl. Kümmernis, von der uns die Brüder Grimm in ihren Kinder- und Hausmärchen unter dem Titel „Die heilige Frau Kümmernis“ beredtes Zeugnis ablegen:

Es war einmal eine fromme Jungfrau, die gelobte Gott, nicht zu heirathen, und war wunderschön, so daß es ihr Vater nicht zugeben und sie gern zur Ehe zwingen wollte. In dieser Noth flehte sie Gott an, daß er ihr einen Bart wachsen lassen sollte, welches alsogleich geschah; aber der König ergrimmte und ließ sie an’s Kreutz schlagen, da ward sie eine Heilige.

Nun geschah’ es, daß ein gar armer Spielmann in die Kirche kam, wo ihr Bildniß stand, kniete davor nieder, da freute es die Heilige, daß dieser zuerst ihre Unschuld anerkannte, und das Bild, das mit güldnen Pantoffeln angethan war, ließ einen davon los- und herunterfallen, damit er dem Pilgrim zu gut käme. Der neigte sich dankbar und nahm die Gabe […]

Der verdiente Sieg Conchita Wursts im ESC ist als ein europäisches Bekenntnis zu den eigenen Ursprüngen im Mythos zu werten, als ein schlagender Beweis für die Verwandlungs- und Überlebenskraft der alten europäischen Gründungserzählungen, aus denen letztlich auch – wenn wir diesen Wunsch äußern dürfen – so etwas wie das Ideal der europäischen Humanitas, das sittliche Gebot  der Toleranz und der Liebe hervorfließen möge.

Conchita lebe hoch – ad multos annos!

Bild: Die Hl. Kümmernis, Aufnahme des Wanderers aus der Lambertikirche in Düsseldorf, 04.03.2010

 

 

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Εἰρήνη ὑμῖν – Мир вам! Ist es Griechisch? Ist es Ukrainisch? Ist es Russisch?

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Apr 282014
 

Noch heute höre ich in Kreuzberg immer wieder den uralten, den ewig neuen Friedensgruß, der zugleich auch ein Alltagsgruß geworden ist: Мир вам, wie der Ukrainer sagt, oder auch Мир вам, wie der Russe sagt, oder auch  Salam aleikum, wie die Moslems im Späti am Kotti um die Ecke sagen, oder auch Scholem aleichem wie die Juden sagen, oder auch der Friede sei mit Euch, wie Jesus nach seiner Auferstehung nach dem Zeugnis des Johannes dreifach zu den Jüngern sagte.

Es ist erstaunlich, dass im Evangelium des Johannes Jesus nur an dieser Stelle die Jünger ausdrücklich mit diesem so alltäglichen, drei Mal wiederholten Friedensgruß anredet. Der Evangelist verknappt die Begrüßung Jesu an seine Jünger ins Dichteste, Alltäglichste. So wie er den Judas mit „Freund“ anredete, so redet er jetzt die Jünger mit „Der Friede sei mit euch“ an.

Im griechischen Neuen Testament lautet das bei Johannes so:

ἦλθεν ὁ Ἰησοῦς καὶ ἔστη εἰς τὸ μέσον, καὶ λέγει αὐτοῖς· Εἰρήνη ὑμῖν.

Auf Ukrainisch lautet das so:

увіходить Ісус, став посередині та й каже їм: «Мир вам!»

Auf Russisch lautet das in der eigenwilligen russisch-jüdischen Übersetzung des Neuen Testaments, die David Stern vorgelegt hat, so:

пришёл Йешуа, встал посередине и сказал: „Шалом алейхем!“

Dies zu begreifen ist gar nicht so schwer. Kann man Russisch, wird man das Neue Testament auch auf Ukrainisch lesen können. Kann man Ukrainisch, wird man das Neue Testament mit seiner Friedensbotschaft auch auf Russisch lesen und verstehen können.

 

http://kifa.kz/bible/stern/stern_yohanan_20.php

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Brauchen wir eine gesetzlich vorgeschriebene Mütterquote?

 Antike, Donna moderna, Familie, Frau und Mann, Gouvernance économique, Mutterschaft, Platon, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Brauchen wir eine gesetzlich vorgeschriebene Mütterquote?
Nov 182013
 

Die beiden großen sozialdemokratischen Parteien Deutschlands haben sich also in ihren Koalitionsverhandlungen auf eine gesetzlich vorgeschriebene 30%-Frauenquote für Aufsichtsräte börsennotierter Untenehmen geeinigt.

Hola, que tal?! Warum so mutlos in der Selbstermächtigung der Politik? Warum nur eine staatlich erzwungene FRAUENQUOTE von 30 oder 40 Prozent?

Ich meine: Nur eine politisch vorgeschriebene MÜTTERQUOTE wäre wirklich ein mutiger Schritt zur Schaffung des von der Politik angestrebten neuen Menschentums, in dem jeder wesentliche, gleichsam naturgegebene Unterschied zwischen Frauen und Männern, zwischen Mütter- und Väterrolle konsequent beseitigt würde! Erst dann bräche das geschlechtergerechte Paradies auf Erden aus. Ihr springt zu kurz, SPD und CDU!

Nötig wäre mathematisch betrachtet eine 66-Prozent-Quote für Frauen. Es lauert nämlich immer als Versuchung der Frau die „Straftat der Mutterschaft“, „le délit de maternité“, wie das jenseits des Rheins genannt wird. Es besteht immer die Gefahr, dass Frauen, sobald sie Mütter zu werden drohen, ihre Karriere den Bedürfnissen des kleinen, des kleinsten Menschen unterordnen – im Gegensatz zu den Männern, für die Vaterschaft seit Jahrtausenden stets der Ansporn zu beruflichem Erfolg gewesen ist und bleiben wird, sofern die Politik in einem Akt der Selbstermächtigung nicht einen biologisch transformierten Mann heranzüchten will – worauf im Moment einiges hindeutet.

„Es war mir wichtiger, für das Kind da zu sein als meinen politischen Spitzenposten erneut zu bekleiden.“ „Einer musste für unsere kleinen Kinder zuhause bleiben!“ „In Vollzeit berufstätig und gleichzeitig Mutter kleiner Kinder? Das zerreißt dich als Frau!“ „Als ich erstmals Mutter wurde, das war der schönste Augenblick meines ganzen Lebens! Dafür würde ich alles andere aufgeben!“ Solche Aussagen höre und lese ich immer wieder. Sie sind in gewisser Weise bezeichnend für die Frauen, wie sie seit Jahrtausenden ihre Mutterrolle sehen. Typisch Mutter. Mit solchen Frauen ist buchstäblich kein Staat zu machen. Denn die Frauen ordnen immer wieder ihre maximal mögliche berufliche Karriere dem Wohlergehen der Kinder unter. Sie versündigen sich damit am Wohle der Volkswirtschaft, bremsen den konjunkturellen Aufschwung, schädigen die Erfolgsaussichten der DAX-Unternehmen. Sie entziehen einen Teil ihrer humanen Ressourcen dem dringenden Einsatz für Wachstum und Wohlstand, für Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung, für Aufschwung und Einhaltung der Maastricht-Kriterien!

Die Politik schickt sich nunmehr in einem Akt der Selbstermächtigung an, den Frauen diese Flausen auszutreiben! Jedoch wird es noch jahrzehntelanger totaler Umerziehung der Frauen durch die Politik bedürfen, ehe die Mütter endlich dem maximalen eigenen beruflichen Erfolg Vorrang vor dem Wohl des Kindes einräumen. PLATO hat eine derartige Umerziehung der Frauen erstmals im 4. Jh. vor Chr. bis ins Detail hinein beschrieben und gefordert und darin unter anderem ein System der Leihmütterschaft, der staatlichen Ammen, der staatlichen Geburtenkontrolle und der totalen Gleichstellung von Mann und Frau bei Sport und Erziehung, in Kampf und Krieg entworfen. Die Familie als Keimzelle der Gesellschaft wird bei PLATO ausgemerzt.

Dann wäre dennoch – und genau aus diesen Gründen –  die Mütterquote wichtiger als die Frauenquote!  Denn etwa 30% der Frauen jedes Jahrgangs werden aus verschiedenen Gründen in ihrem Leben nicht Mütter; diese Frauen könnten nach dieser Einigung der SPD/CDU dann statistisch betrachtet alle diese 30%-Quotensitze abgreifen. Die Mütter mit minderjährigen Kindern können nämlich nie und nimmer mit den kinderlosen Frauen um die Spitzenjobs in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft konkurrieren, das ist ausgeschlossen. Die Mütter (etwa 70% aller erwachsenen Frauen) blieben mit der mickrigen 30%-Quote erneut an Teilzeitarbeit, an Kochtopf und an Wickeltisch gebannt. Bereits heute findet die Diskriminierung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt fast nur gegenüber den Müttern oder potenziellen Müttern mit Kindern unter 18 Jahren statt, nicht gegenüber kinderlosen Frauen.

Um also wirklich eine Gleichstellung der Mütter und der Nichtmütter herzustellen, muss die Frauenquote durch eine Mütterquote überwölbt werden. Dabei muss den Frauen selbstverständlich das Recht gewährt werden, zugunsten der Kinder auf das weitere Bekleiden der ihnen zustehenden Spitzenposten zu verzichten. Der Risikofaktor Schwangerschaft und Mutterschaft muss in die Mütterquote  eingepreist werden! Deshalb benötigen wir einen statistischen Puffer für diejenigen Mütter, die der Verführung durch die herkömmliche Mutterrolle nachgeben und den Spitzenposten in der Wirtschaft und der Politik zugunsten der Mutterschaft zurückstellen, wie es Tausende und Abertausende von Frauen gemacht haben.

Der springende Punkt ist bei der politischen Umerziehung des Menschentums durch SPD/CDU die totale Assimilation von Mutterschaft und Vaterschaft aneinander, die Unterordnung der Bedürfnisse der Säuglinge und kleinsten Kinder unter die Bedarfsdeckung der planmäßig eingeleiteten Geschlechtergerechtigkeit.

Das Wohl der kleinsten Kinder muss dann der politisch vorgegebenen Planerfüllung untergeordnet werden. So wird ein Schuh draus.

Schlussfolgerung: Wenn schon, denn schon: entweder eine gesetzlich erzwungene MÜTTERQUOTE von 30% in Aufsichtsräten – oder eine staatlich verordnete FRAUENQUOTE von 66%.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/koalitionsverhandlungen-einigung-auf-frauenquote-in-aufsichtsraeten-a-934099.html

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Ist das Mittelmeer ein Teich, ein See oder eine See?

 Antike, Freiheit, Griechisches, Integration durch Kultur?, Platon, Sokrates, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Ist das Mittelmeer ein Teich, ein See oder eine See?
Aug 122013
 

Phaidon_beginning__Clarke_Plato

Der fleißige Kreuzberger Hausfreund las als guter Europäer frühmorgens schon ein kleines Häppchen Platon. Was liegt näher als das Mittelmeer – zumal nach einem so herrlichen Urlaub an der türkisch-griechischen See?

Sokrates vergleicht bekanntlich im Phaidon die Griechen mit Fröschen, die in ihren kleinen Siedlungsflecken um einen Teich säßen, der von den Säulen des Herakles (=Gibraltar) bis zum Phasis, dem Grenzfluss in Armenien reiche:

Ἔτι τοίνυν, ἔφη, πάμμεγά τι εἶναι αὐτό, καὶ ἡμᾶς οἰκεῖν  τοὺς μέχρι Ἡρακλείων στηλῶν ἀπὸ Φάσιδος ἐν σμικρῷ τινι μορίῳ, ὥσπερ περὶ τέλμα μύρμηκας ἢ βατράχους περὶ τὴν θάλατταν οἰκοῦντας, καὶ ἄλλους ἄλλοθι πολλοὺς ἐν πολλοῖσι τοιούτοις τόποις οἰκεῖν.

Also ist das Mittelmeer laut Sokrates eine Art Froschtümpel! Wichtig festzuhalten: Die Griechen verknüpften mit ihrer Besiedlung der Ränder des Mittelmeeres keinerlei universalen Machtanspruch. Die Idee eines Reiches lag ihnen sehr fern. Im Gegenteil: Die Zerstrittenheit der Griechen untereinander war legendär. Die Idee des Großreiches wurde zunächst nur im Osten der Mittelmeerwelt verkörpert, in den großen Machtverbänden der Perser, der Meder, der Ägypter. Die Großreiche der Antike entstanden zunächst im Osten, im „Orient“, wie wir heute sagen. Sie waren nicht griechischen Ursprungs. Der griechische Blick auf die bewohnte Welt hatte damals gewissermaßen kein Zentrum. „Dieser Blick erfasste die Vielzahl der Länder in ihrem Nebeneinander“ (C. Meier).

Bild: Kodex mit der ältesten erhaltenen Handschrift, dem Beginn  des platonischen Phaidon, der Codex Clarkianus aus dem späten 9. Jh.
Zitate:
Platonis Phaidon, ed. Burnet, Oxonii 1903, ed. St. 109
Christian Meier: Kultur, um der Freiheit willen. Griechische Anfänge – Anfang Europas? Siedler Verlag, München 2009, S. 34

 

 

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Duran adam – auf den sollt ihr hören

 Antike, Jesus von Nazareth, Notre-Dame de Paris, Ökologie, Philosophie  Kommentare deaktiviert für Duran adam – auf den sollt ihr hören
Jun 242013
 

2013-06-22 09.32.30

„Auf den sollt ihr hören!“ Mit dieser zeigenden Haltung prägte sich mir von frühester Kindheit an das Bild Johannes des Täufers ein, dessen Tag wir heute begehen und auf dessen Namen ich selbst auch getauft wurde. Theodor W. Adorno und Max Horkheimer dachten in einem Fragment der Dialektik der Aufklärung darüber nach, weshalb nicht Johannes der Täufer, der ältere der beiden Cousins, der ältere der beiden Milchbrüder, sondern der jüngere Jesus von Nazareth zum Urquell einer neuen Religion werden konnte. Horkheimer und Adorno bieten keine wirklich befriedigende Antwort an und gestehen dies auch offen ein. Eine Antwort könnte darin liegen: Johannes und Jesus haben es ausgehandelt, sie haben es in einem gemeinsamen Gespräch herausgefunden, indem sie beide in sich hineinhörten. Und beide wollten einander den Vortritt lassen, bis schließlich Johannes einlenkte. Matthäus schreibt: „Da gab Johannes nach“ und taufte Jesus.

Hier irren also meines Erachtens jene, die in Johannes nur den starrsinnigen Aussteiger, den kompromisslosen Rechthaber, den verrückten Öko-Aktivisten erkennen wollen; diese häufig gezeigte, oft verspottete  Kompromisslosigkeit scheint zwar ein Wesenszug Johannes des Täufers gewesen zu sein. Doch hat er sich immerhin gegenüber Jesus auf diesen einen großen, gewaltfrei ausgehandelten  Kompromiss eingelassen.  Jesus selbst wiederum scheint sich endgültig seiner Berufung erst sehr spät bewusst geworden zu sein, denn wie sonst wäre zu erklären, dass er immer wieder fragte: „Für wen halten mich die Menschen?“ Jesu Taufe am Jordan muss im Rückblick als ein Schlüsselerlebnis gedeutet worden sein.

„Auf den sollt ihr hören!“ Das ist die Zeigehaltung des Johannes, der hinter dem Jüngeren, dem später Geborenen zurücktritt und sagt: „Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war.“

Beide Milchgeschwister traten mutig, unerschrocken und vollkommen gewaltlos für das ein, woran sie glaubten. Johannes predigte den bescheidenen, von Verzicht und tätiger Hingabe geprägten Lebensstil, während Jesus vielfach den Sinnengenuss – etwa im Wein, im Brot und im Salböl – pries. Johannes, der sich von wildem Honig und Heuschrecken ernährte, kann in vielerlei Hinsicht als fortzeugender Urvater der Ökobewegung  unserer Tage gelten. Er lebte in fair erzeugter Kleidung, lebte in biodynamischer Ernährung und im gesamten Lebensstil den Gedanken der Nachhaltigkeit vor. Er war aber auch ein großer Unzeitgemäßer, denn er verlangte auch von Königen und Königinnen eheliche Treue und widersetzte sich der postmodernen Beliebigkeit seiner Tage. Während der Zeitgeist damals so wehte, dass alle Lebensformen gleichermaßen unterstützenswert und achtenswert seien, vertrat Johannes die Besinnung auf Geist und Wortlaut der zehn Gebote, die damals – vor 2000 Jahren also – offenbar bereits bei der Menge als ebenso hoffnungslos veraltet, als ebenso miefig und verzopft galten wie bei uns auch.

Beide – Johannes wie Jesus – starben eines gewaltsamen Todes, obwohl oder weil sie doch so unerschrocken die Gewaltlosigkeit, den Verzicht auf das Schwert gepredigt und vorgelebt hatten.

Für mich ist der Aufruf zur Gewaltlosigkeit, der Verzicht auf die Waffe zur Durchsetzung eigener Macht- und Besitzansprüche, das Eintreten für gewaltfreie Kommunikation fundamental. Das geht für mich bis ins Politische hinein. Nur diejenigen politischen Bewegungen halte ich für unterstützenswert, die den politischen Wandel im Inneren der Länder durch Gewaltlosigkeit, durch den Verzicht auf körperlichen Zwang und den Verzicht auf entwürdigende sprachliche Hetze bewirken.

Einen späten Reflex dieses mutigen Eintretens für Gewaltfreiheit erblicke ich im Duran Adam, wie der Türke sagt, im unerschrockenen Adam, unerschütterlichen, im gewaltfreien Adam, stummen und doch beredten Eintreten für das, woran man glaubt.

Quellenangaben:

Max Horkheimer und Theodor W. Adorno: „Verwandlung der Idee in Herrschaft“. In: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1969, S.  189-192 et passim, hier bsd. S. 190

Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jerusalemer Bibel. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2007, hier bsd. S. 1381 (Mt 3,13-17) et passim

Guillaume Perrier:  Les opposants turcs choisissent l’arme de la non-violence.  Les manifestations d'“hommes immobiles“ se multiplient depuis l’évacuation de la place Taksim. Le Monde, 23-24 juin 2013, S. 3

http://www.lemonde.fr/europe/article/2013/06/22/les-opposants-turcs-choisissent-l-arme-de-la-non-violence_3434812_3214.html?xtmc=taksim&xtcr=2

Bildlegende:
Duran Adam. Stumm dastehende Zeugen der gewaltfreien Kommunikation. Ein Gruppenfoto vom linken Nebenportal der Liebfrauenkathedrale in Paris. Von links nach rechts: Maria, Jesus, Johannes der Täufer, Stefan, Genoveva, Silvester. Schnappschuss vom 23.06.2013

 

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Mann, kapier es doch endlich: „Die Hälfte des Kuchens den Frauen!“ UND: „Die Wirtschaft braucht mehr Frauen im Arbeitsmarkt!“

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Apr 162013
 

2013-04-12 18.49.27

Die Häfte des Kuchens den Frauen! Symbolisch verteilten VertreterInnen des Kreisverbandes und der Fraktion im Bezirk Bio-Kuchen und Infomaterial zum Thema. „Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind Frauen in Deutschland immer noch strukturell benachteiligt“, sagt Annika Gerold, Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses. „Sie sind deutlich häufiger Opfer häuslicher und sexueller Gewalt, sie haben ein erhöhtes Armutsrisiko, sie machen seltener Karriere und verdienen – trotz besserer Ausbildung –weniger als Männer.“  Ganze 22 Prozent liegt ihr Gehalt im Durchschnitt  unter dem ihrer männlichen Kollegen. Deutschland ist damit im EU-Vergleich trauriges Schlusslicht. In diesem Jahr war der 21. März Equal Pay Day: Der Tag, an dem Frauen das durchschnittliche Jahreseinkommen der Männer im Jahr 2012 erreicht haben.“ Fraktion und Kreisverband informierten an einem mobilen Info-Stand zum Thema Geschlechtergerechtigkeit.“

Wir zitierten aus dem Grünen Newsletter Xhain vom März 2013.  Spannend!

Eine Rückkehr zu den uralten Einsichten eines Platon (4. Jahrhundert vor Christus) verzeichnen wir in diesen Jahren bei vielen unserer politisch aktiven Frauen und Männer. Bereits Platon kam bekanntlich nach beharrlichem Nachdenken im 5. Buch seiner Politeia zu dem Schluss, dass der Unterschied zwischen Männern und Frauen schlicht auf Setzung und Satzung (wie das die Sophisten nannten), also auf der Konstruktion der Genderpolitik (wie wir heute sagen würden) beruhe. Rein philosophisch betrachtet, rein rational betrachtet konnte Platon aus der Sicht der vollkommenen Gerechtigkeit keinen Wesensunterschied zwischen Männern und Frauen anerkennen. Allerdings leugnete Platon nicht, dass Frauen im sportlichen Wettkampf grundsätzlich von Natur aus benachteiligt seien. Er hätte also sicherlich nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn Männer und Frauen in getrennten Fußball-Ligen auflaufen, wie es ja auch heute noch der Fall ist.

Folglich fordert Platon bereits im 4. Jahrhundert vor Christus  die absolute Quotierung aller Ämter für Männer und Frauen. Der Staat, die Wirtschaft und das Heer brauchen bei Platon Männer UND Frauen gleichermaßen. Frauen und Männer haben Anspruch auf den gleichen Rang, die gleichen Ämter, die gleichen Stellungen in Politik, Heer, Wirtschaft und Staat.

Das Problem der Geburt und der Kindererziehung löst Platon durch völlige Auflösung der Ehe und der Familie. An ihre Stelle treten staatlich beauftragte Leihmütter und staatlich beaufsichtigte Ammen. Der platonische Staat übernimmt im Vorgriff auf die großen staatlichen Menschenzucht-Experimente des 20. Jahrhunderts (Leninismus, Stalinismus, Hitlerismus, Maoismus) Zuchtwahl, Zeugung und Babypflege.

Warum konnte Platon sich nicht durchsetzen? Hier dürfte ein geschichtlicher Umstand bedeutsam sein: Sowohl das Imperium Romanum als auch die drei ehedem Europa prägenden Religionen – also Judentum, Christentum und Islam – sind und waren unerschütterlich in ihrem Glauben, dass Männer und Frauen nicht nur biologisch, sondern auch der „Bestimmung“ nach unterschiedlich seien. Die Römer erkannten recht bald, dass der Haushalt (also die familia, wie das lateinisch genannt wurde), dass die Familia als kleinste wirtschaftliche Einheit den ganzen komplizierten Mechanismus des öffentlichen Lebens und des Imperiums am besten stützt: insbesondere durch die Zeugung und Erziehung der Kinder, die nach fester Überzeugung der Römer in den ersten 3 oder4 Lebensjahren unbedingt im häuslichen Wirkungskreis (in der familia) betreut werden sollten, ehe sie dann zum Schulmeister geschickt werden sollten.

Jeder Staat, jede Volkswirtschaft braucht eine ausreichende Anzahl an nachwachsenden Arbeitskräften, an Kindern also, sofern man den Bedarf nicht mindestens teilweise durch importierte Sklaven befriedigt, wie das in der Antike gang und gäbe war.  Für Schwangerschaft, Geburt, Stillen und Erziehung der allerkleinsten Kinder muss also stets ein erheblicher Anteil der Lebenszeit der Frauen aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt herausgehalten werden, sofern man nicht alle Kinder von Anfang in zentralen Kinderbetreuungseinrichtungen aufziehen lässt.  Jedes einzelne Kind beansprucht dann die Mutter für mindestens 1 Jahr, und da statistisch zum Erhalt der Bevölkerung jede Frau 2,1 überlebende Kinder zur Welt bringen muss, steht aus natürlichen Gründen die Mutter dem Arbeitsmarkt nicht uneingeschränkt zur Verfügung. Sie steht übrigens auch ihrer eigenen Karriere nicht uneingeschränkt zur Verfügung.

Ganz im Gegenteil ist es immer wieder zu beklagen, dass gut ausgebildete, beruflich erfolgreiche Frauen, sobald sie Mütter geworden sind, bekennen: „Mir ist das gemeinsame Glück mit meinen Kindern und meinem Mann viel wichtiger als die eigene Karriere. Ich verzichte gern auf eine Fortsetzung meiner Karriere. Kleine Kinder habe ich nur wenige Jahre, diese 5 oder 10 Jahre will ich aber auch genießen! Mir ist es wichtiger, dass es den Kindern gut geht, als dass wir uns ein Auto oder einen Urlaub leisten können. Es ist mir auch komplett egal, ob 10% oder 50% aller Straßennamen in Friedrichshain-Kreuzberg nach Frauen oder nach männlichen Generälen benannt sind. Keine Stunde des Glücks meiner Kinder würde ich für die Straßenumbenennungs-Ausschuss-Aktivitäten opfern.“

Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung führen also genderpolitisch häufig bei Frauen zu ungeahnten Störfällen! Diese armen Frauen halten das Glück der Kinder für wichtiger als das Glück, in einer gendergerechten Gesellschaft mit angemessenen Partizipationsmöglichkeiten für alle zu leben.  Diese Mütter und diese Väter  opfern also das Ideal der perfekt durchquotierten Gesellschaft auf dem Altar der Kinder in Fleisch und Blut. Das Glück ihrer eigenen, bereits geborenen Kinder steht diesen Müttern und Vätern über dem Glück der vollkommenen Gerechtigkeit, der vollkommenen Gender-Gleichheit, welches später einmal ihren noch zu gebärenden Kindeskindern zugute kommen würde! Sie räumen dem Glück der Familie Vorrang vor der absoluten Gerechtigkeit ein! Mit solchen Männern und Frauen  ist aber der Idealstaat, wie er Platon und auch Marx, Lenin,  Stalin und Mao vorschwebte, nicht zu erringen!

Verheerend war und ist auch der Einfluss der großen Religionen! Judentum, Christentum und Islam  denken in ihren Forderungen an ein sittlich gutes, gelingendes  Leben ja bekanntlich nicht von den Bedürfnissen des Staates her, sondern von den Bedürfnissen des einzelnen Kindes, letztlich des einzelnen Menschen. Die Glückseligkeit des einzelnen Menschen setzen sie höher als das Glück des perfekten Staates, das Glück der perfekten Volkswirtschaft! Jedes kleine Kind sollte – so sagen es diese Religionen – eine tiefe, unzerstörbare  Mutter- und Vatererfahrung haben. So ist es die tiefe Überzeugung der genannten drei gesellschaftsprägenden Religionen. Diese Sichtweise vom Vorrang der Familie vor dem Staat, vom Vorrang des Menschen vor der Wirtschaft setzte sich über die Jahrtausende hinweg stets durch.

Erst in unseren Tagen – beginnend von den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts – kippt das – wie schon damals zu Platos Zeiten! Selbst in der CDU und neuerdings auch in der EU-Fraktion der Liberalen beginnt sich endlich – 2500 Jahre nach Platon! – die Einsicht durchzusetzen, dass die Politik den Unternehmen und den Familien vorzuschreiben habe, wie sie das Ideal der Gender-Gerechtigkeit umzusetzen haben – und zwar spätestens ab 2020. Wir hatten jetzt nur 2% Zuwachs der Frauenquote pro Jahr in den Aufsichtsräten DAX-notierter Unternehmen! Skandal.  Wenn die Familien und die Unternehmen so dumm sind, den Idealvorschriften  der Politik nicht bzw. viel zu langsam zu folgen, dann muss man den Familien und den Unternehmen eben auf die Finger hauen!

http://www.tagesspiegel.de/politik/kompromiss-bei-der-union-cdu-verstaendigt-sich-auf-frauenquote-nach-2020/8067888.html

Die Häfte des Kuchens den Frauen!“ Gleicher wirtschaftlicher Erfolg jeder einzelnen erwachsenen, voll arbeitsfähigen Person, perfekt quotierte Anteile für Männer und Frauen gelten nun wie schon bei Platon im 4. Jahrhundert vor Christus als der absolute Maßstab. Eine Gesellschaft, in der die Frauen nicht die Hälfte des Anteils an gesellschaftlicher Macht, an finanzieller Kraft und wirtschaftlichem Einfluss haben, gilt per se als ungerecht.

Hieraus ergibt sich: Solange die schreiende Ungerechtigkeit der ungleichen Machtverteilung zwischen Männern und Frauen nicht beseitigt ist, werden die Frauen keine Kinder in die Welt setzen können, sondern lieber demonstrieren, politisieren und für einen 50%-Anteil an den Straßennamen in Friedrichshain-Kreuzberg kämpfen.

Sehr schön auch die Herausarbeitung des demographischen Arguments bei Silvana Koch-Mehrin (FDP): Da Deutschland seit Jahren viel zu wenig Kinder hat, um den eigenen Lehrstellenmarkt zu befriedigen oder die eigenen Alten und Dementen zu pflegen, werden nicht etwa die Familien ermuntert, mehr Kinder in die Welt zu setzen, nein, es wird gerade das Gegenteil gefordert und gefördert: Noch mehr Frauen sollen möglichst unterbrechungslos in Vollzeit arbeiten, noch mehr Frauen müssen vorrangig der Wirtschaft zur Verfügung stehen! Frauen, die keine qualifizierte Arbeit haben, finden ausreichend politische Mandate, um in Aktionen, Demonstrationen und Ausschüssen für die Hälfte des Kuchens zu kämpfen.

Am Wochenende protestiert man und frau zusätzlich gegen den längst eingetretenen Tod einer möglicherweise von allen Verwandten und Freunden nicht hinreichend betreuten alten Frau, deren Tod dann in unverantwortlicher Weise den herzlosen Behörden oder gar der Gentrifizierung angelastet wird. Hier ist zu sagen: Alte, verwirrte, behinderte, schwerkranke Menschen werden nie durch Behörden oder staatliche Stellen alleine zu retten sein, sondern nur durch geduldige, liebevolle Zuwendung einzelner Menschen.

„Die Wirtschaft braucht in einer älter werdenden Gesellschaft mehr qualifizierte Frauen im Arbeitsmarkt.“

via FDP-Europapolitikerin Koch-Mehrin fordert Zustimmung zur Frauenquote – SPIEGEL ONLINE.

Für Kinder, unbesetzte Lehrstellen in Deutschland und pflegebedürftige Alte in Deutschland werden bereits jetzt ausländische Arbeitskräfte händeringend angeworben, sofern nicht die Verschickung unserer Alten in ein Rentnerparadies (Thailand, Indonesien) erwogen wird.

Alles Illusionen, wie ich meine! Die völlige Angleichung der Männer- und Frauenrollen hat schon im antiken Sparta und bei Pippi Langstrumpf – und auch in Wagners Ring des Nibelungen – nicht funktioniert, sie wird auch bei uns ins Elend und zur weiteren Aushöhlung der Familien führen, vor allem dann, wenn sie durch die Politik von oben herab durchgedrückt wird.

Was würde der oben auf dem Bild zu sehende, kürzlich vom Volk der Franzosen zum beliebtesten Franzosen gewählte Omar Sy wohl zu der ganzen heillosen genderpolitischen Verwirrung von uns Deutschen sagen?

Zitieren wir doch seine merkwürdige, seine unerhört kühne Aussage zum Sinn des Lebens: „Ich möchte vor allem ein guter Ehemann und Vater sein.“

Omar Sy erwartet also nicht, dass die Politik ihn glücklich macht, wie es neuerdings ganz offen unsere Marina Weisband fordert, sondern er verlangt von sich, dass er zunächst seine Familie glücklich macht, so wie sie ihn glücklich gemacht hat.

Omar Sy, der gläubige Mensch – ein hoffnungsloser Fall?

Nein! Ich stimme ihm zu. Er ist vorbildlich für die sittliche Grundausrichtung der Menschen. Die deutschen Politiker, wir alle können sehr viel von Menschen wie Omar Sy lernen.

http://www.tagesspiegel.de/kultur/marina-weisband-im-interview-bild-leser-koennen-auch-lesen/7948230.html

 

 

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Rassismus ist als Gesinnungsverbrechen weit schlimmer als Faschismus! Ein Rätsel

 Antike, Das Böse, Deutschstunde, Europäisches Lesebuch, Leitkulturen, Psychoanalyse, Rassismus, Tugend, Vergangenheitsbewältigung  Kommentare deaktiviert für Rassismus ist als Gesinnungsverbrechen weit schlimmer als Faschismus! Ein Rätsel
Apr 082013
 

„Rassismus tötet!“ „Rassismus schadet bereits in geringsten Mengen!“ „Rassismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“ „Der Autor N.N. ist doch bloß ein Rassist, und ich hasse alle Rassisten!“ „Kein Fußbreit für Rassisten!“

Derartige Äußerungen stimmen nachdenklich. Keinem Zweifel darf unterliegen, dass Rassismus, also die Einteilung der Menschen in biologisch begründete höher- oder tieferstehende Rassen, auf den entschiedensten Widerstand aller aufrechten Demokraten und Menschheitsfreunde stoßen muss. Viele Rechtsordnungen sehen rassistische Motivation als straferschwerend bei der Verurteilung von Straftaten an.

Aber bereits rassistische Äußerungen als solche sind in einigen Ländern strafbewehrt. Der italienische Fußballspieler Paolo di Canio etwa sagte mit Unschuldsmiene zu seiner Verteidigung, nachdem er wieder einmal durch Zeigen des Grußes mit ausgestreckter Hand höchst unangenehm aufgefallen war: „Ich bin Faschist, aber kein Rassist.“ Damit stellte er klar eine Rangordnung her: Der Vorwurf des Rassismus wiegt für ihn weit schwerer als die Selbstbezeichung des Faschisten. Die italienische Repubblica spießt den Fall di Canio auf und führt noch an: „In England kann der Vorwurf des Rassismus nicht nur zur Disqualifikation auf dem Fußballplatz, sondern geradewegs ins Gefängnis führen.

Repubblica vom 15.05.2012 im Original:
„Il Mail ricorda che Di Canio fu punito e multato dalla federcalcio italiana per avere fatto ripetutamente il saluto a mano tesa ai tifosi della Lazio quando giocava a Roma. Il giornale sottolinea che, in passato, Di Canio disse: „Io sono fascista, non razzista“. In Inghilterra l’accusa di razzismo può portare non solo alle squalifiche in campo calcistico, ma dritto in prigione.“

via Di Canio, accuse di razzismo La FA apre un’inchiesta – Repubblica.it.

Um so wichtiger ist es, Rassismus zu erkennen, zu benennen und ihn zurückzudrängen! Rassisten dürfen keinen Platz im Fußball und in der Öffentlichkeit erhalten, in England werden sie mit Fug und Recht gleich ins Gefängnis geworfen.

Wie erkennt man nun aber Rassismus? Teste dich selbst! Wie ist folgende Aussage zu bewerten:

„Schon heute vermehren sich unkultivierte Rassen und zurückgebliebene Schichten der Bevölkerung stärker als hochkultivierte.“

Hier wird mir wohl jeder zustimmen: Das ist eine eindeutig rassistische Aussage. Schlimmer geht’s fast nimmer. Es ist geradezu Rassismus pur, der hier vertreten wird. Denn der Verfasser unterteilt die Menschen in „Rassen“, die er anschließend in „unkultivierte“ und „hochkultivierte“ einteilt. Ferner werden unbewusste Ängste vor Überwältigung und „Überfremdung“ der „hochkultivierten Rassen“ durch die „zurückgebliebenen“ „Rassen“ und Schichten der Bevölkerung geschürt. Jeder wird hier zustimmen: Von dieser Aussage hin zur rassistischen Hetze ist es nur ein kleiner Schritt.

Ist also der Urheber solcher Äußerungen ein Rassist? Ja – oder doch nicht?

Ehe wir zu einem Urteil gelangen, empfiehlt es sich, den zitierten Rassisten den Gesamtzusammenhang herstellen zu lassen, indem wir das ganze Textstück des rassistischen Autors widergeben, aus dem die rassistischen Äußerungen stammen:

„Seit unvordenklichen Zeiten zieht sich über die Menschheit der Prozeß der Kulturentwicklung hin. (Ich weiß, andere heißen ihn lieber: Civilisation). Diesem Prozeß verdanken wir das beste, was wir geworden sind, und ein gut Teil von dem, woran wir leiden. Seine Anlässe und Anfänge sind dunkel, sein Ausgang ungewiß, einige seiner Charaktere leicht ersichtlich. Vielleicht führt er zum Erlöschen der Menschenart, denn er beeinträchtigt die Sexualfunktion in mehr als einer Weise, und schon heute vermehren sich unkultivierte Rassen und zurückgebliebene Schichten der Bevölkerung stärker als hochkultivierte. Vielleicht ist dieser Prozeß mit der Domestikation gewisser Tierarten vergleichbar; ohne Zweifel bringt er körperliche Veränderungen mit sich; man hat sich noch nicht mit der Vorstellung vertraut gemacht, daß die Kulturentwicklung ein solcher organischer Prozeß sei.“

Würde der Verfasser dieser rassistischen Äußerung auch nur einen Tag frei in England herumlaufen dürfen, wenn er seinen Fuß auf die Insel setzte? Zweifel sind angebracht. Nur die Tatsache, dass er seine rassistischen Äußerungen bereits vor einigen Jahren in seiner Mutter- und Arbeitssprache Deutsch zum Druck gegeben hat, würde ihn zunächst vor Verhaftung, Anklage und Gefängnisstrafe schützen. Denn zunächst müsste das Gericht die skandalösen Äußerungen des deutschsprachigen Autors ins Englische übersetzen lassen.

Quizfrage für alle: Wie lautet der Name des zitierten rassistischen Autors, der heute in England sofort bei der Einreise verhaftet und dann verurteilt würde, während in Deutschland immer noch bis zum heutigen Tage ein Literaturpreis nach ihm benannt ist:

a) Sigmund Freud
b) Georg Büchner
c) Heinrich von Kleist
d) Ernst Moritz Arndt
e) August Graf von Platen

Bitte fleißig diskutieren! Die Auflösung des kleinen Rätsels folgt am Donnerstag!

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Gekappte oder verfaulte Wurzelwerke?

 Angst, Antike, Das Böse, Natur  Kommentare deaktiviert für Gekappte oder verfaulte Wurzelwerke?
Apr 042013
 

2013-03-06 07.34.02

Gebt acht, dass euch nicht eine stürzende Bildsäule erschlage„, so hörten wir es bis vor wenigen Jahrzehnten, als das alte Europa sich noch einmal an den griechischen und römischen Wurzelwerken neu aufzurichten suchte.  Die griechisch-römische Antike meint es weder gut noch schlecht mit uns. Wir selbst müssen uns den Weg zu den Wurzelwerken bahnen.

„Gebt acht, dass euch nicht ein stürzender Baum erschlage!„, muss wohl der Warnspruch heutigentags in Kreuzberg lauten. Ein Baum, dessen Wurzelwerk zur Hälfte beschädigt ist, kann nicht stehen bleiben! Die Natur als solche meint es weder gut noch schlecht mit uns Menschen, sie sucht sich ihren Weg. Dies erfuhren wir voller Schrecken an unserer Straßenkreuzung. Eine Linde zertrümmerte das Dach eines wartenden Autos, zwei Frauen wurden schwer verletzt.

Mit einem türkischen Nachbarn besprach ich die Ursache. „Das Wurzelwerk wurde durch Bauarbeiten gekappt. Es war zur Hälfte abgestorben!“, zitierte ich aus der Presse. „Nein, du irrst! Ein Gasleck ist die Ursache. Am Wurzelwerk des Baumes führte eine undichte Gasleitung. So verfaulte das Wurzelwerk, der Baum stürzte und erschlug zwei Autos“, widersprach er mir. Er oder ich – wer hat recht? S’ist eine Glaubensfrage. Ich weiß es nicht. Ich bin auch nicht zuständig dafür.

Wer ist schuld an dem Unglück? Offenbar der Mensch. Er hat das Wurzelwerk durch Achtlosigkeit, durch einen künstlichen Eingriff in die Natur beschädigt. Der Mensch hat die Natur, hier verkörpert in einer Linde, nicht gehegt und gepflegt. Und so lebt die Natur nicht, wie der Dichter es will,

geduldig und häuslich,
pflegend und wieder gepflegt mit dem fleißigen Menschen zusammen 

sondern setzt sich schonungslos durch. Die Natur kümmert sich nicht um den Menschen und schon gar nicht um die Autos der Menschen, wenn er sich nicht um sie kümmert. Die Natur meint es mit dem Menschen weder gut noch schlecht. Die Natur ist weder gut noch böse, sie kennt auch weder gut noch böse.

Freilich, Bäume stürzen in freier Natur alle Tage um. Schädlinge setzen den Bäumen zu, Dürre kann sie verdursten lassen, Sturm und Gewitter können Bäume entwurzeln und umstürzen lassen, auch Menschen erschlagen lassen.

Diesen Naturkräften sah sich der frühe Mensch nahezu schonungslos ausgeliefert. Und so begann er irgendwann, diesen Naturkräften – den Bäumen, den Winden, den Wassern – eine übermächtige Kraft zuzusprechen. Er sah die Natur bewohnt von großen, mächtigen Wesen. Er nannte die Wesen Götter, er sah im Übermächtigen seine Götter am Werk. Ein Stein, ein Baum, eine Eiche, eine Linde, ein Tier, ein Insekt, ein Skarabäus, eine Katze  – alles konnte in der Phantasie der frühen Menschen zu etwas Göttlichem gemacht werden. Diesen Göttern sprach der Mensch seine Eigenschaften zu.

Stürzte eine Eiche um und erschlug einen Menschen, so sagte er: „Der Gott in der Eiche hat sich gerächt. Wotan hat sich gerächt. Dieser Mensch hat etwas gegen Wotan getan, dafür ist der Mensch erschlagen worden.“

„Die Natur rächt sich.“ Diesen Satz, der das mythische Bewusstsein der frühen Menschen widerspiegelt,  kann man noch heutigentags immer wieder hören, bis hinein in politische Debatten und Zeitgespräche zum Umwelt- und Klimaschutz.

Bild: Das von der stürzenden Linde zertrümmerte Auto in der Großbeerenstraße

 

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Geflochten auf das Rad der Wiederholungen: Beschneidungsdebatten, Ehrenmorde, kulturelle Assimilation, Aufruf zum Gewaltverzicht … und wieder … und wieder

 Antike, Das Böse, Einzigartigkeiten, Europäisches Lesebuch, Gedächtniskultur, Hebraica, Integration durch Kultur?, Joseph und seine Brüder  Kommentare deaktiviert für Geflochten auf das Rad der Wiederholungen: Beschneidungsdebatten, Ehrenmorde, kulturelle Assimilation, Aufruf zum Gewaltverzicht … und wieder … und wieder
Mrz 252013
 

2013-03-24 10.54.58

„Seht, ich lehre euch die ewige Wiederkehr.“ So Nietzsches Zarathustra. Was dem Zarathustra Nietzsches zweifellos immer wieder aufleuchtete, war das plötzliche Gewahrwerden des „Das hatten wir ja schon einmal!“ –

„Das hatten wir ja schon einmal!“

„Schon einmal?“ –

„Nein, viele Male!“

Dies ist der Quellpunkt im Brunnen des mythischen Bewusstseins, das uns alte, uns uralten Europäer eint: Überall entdecken wir Gewesenes, im Vorschein des Künftigen sehen wir den Widerschein des Vergangenen.

Bis in die Wortwahl hinein spiegeln beispielsweise die erregten innenpolitischen Debatten der Bundesrepublik um die Integration oder Assimilation der Zuwanderer, um Einzigartigkeit und Singularität deutscher Schuld und deutscher Scham, deutscher Schande und deutscher Strafe jene jahrtausendealten Begebenheiten und Einzigartigkeitsdebatten wider, von denen uns die alten Schriften des Buches der Bücher erzählen.

Ein paar dieser jahrtausendealten Fragen lauten: Ab wann gehören die Menschen des anderen Volkes zu uns? Wie vermischen, wie vereinigen sie sich mit uns?

Antwort im Buch Genesis: Sie gehören zu uns, sobald sie unsere Religion, also unsere Kultur durch das sichtbare Zeichen der Beschneidung annehmen. Ohne die vollständige rituelle Assimilation, ohne das sichtbare Zeichen der Beschneidung gehören sie nicht zu uns und wir nicht zu ihnen. Und genau so wird dies von namhaften Religionsgemeinschaften bis zum heutigen Tage vertreten.

Sind wir Deutschen auf alle Zeiten das Trägervolk des Bösen, da wir den Holocaust verursacht haben, der doch etwas Einzigartiges war, wie uns Deutschen wieder und wieder auf Treu und Glauben von den Deutschen und anderen Völkern versichert wird? Oder waren die mehreren Shoas des 20. Jahrhunderts, die Katastrophen, in die Völker hineingeschickt wurden,  eine vielfache Wiederkehr, eine Gischt-Brechung der Gemetzel früherer Zeiten, früherer Völker, früherer Gewalt? Fragen, Fragen!

Fromme gelehrte Juden lehnen bekanntlich den Ausdruck Holocaust wegen seiner rituellen Überhöhung ab und sprechen lieber von der jüdischen Shoah des 20. Jahrhunderts, vergleichbar etwa der jüdischen Shoah des Jahres 70 n. Chr.  Mit Blick auf die von Belgiern gemetzelten Kongo-Völker, die von Turkvölkern gemetzelten Armenier, die von Russen gemetzelten Kulaken, die von Russen und Deutschen gemetzelten Polen und Ukrainer, die von Deutschen gemetzelten Russen, die von europäischen Völkern unter Führung der Deutschen gemetzelten Juden und die vielen anderen, von anderen Völkern  gemetzelten Völker wird man von mehreren Shoas mehrerer Völker im 20. Jahrhundert sprechen können und sprechen müssen. Statt Shoah empfiehlt es sich auch, den Ausdruck Katastrophe zu verwenden. Genau diesen Ausdruck „Kata-strophe“ für Kultur-bruch, deutlichst hervorgehoben durch Zeilen-bruch und Seiten-bruch, verwendet Thomas Mann in seiner Nacherzählung des Holocausts des uralten kanaanitischen Volkes der Hiwiter. Die gezielte vollständige Vernichtung und Ausplünderung, die Shoah der Hiwiter wird von Stammvater Jakob als absoluter, als nicht zu unterbietender Tiefpunkt des Volkes Israel gedeutet, als absoluter Zivilationsbruch. Das blutrünstige Gemetzel, die Shoah der Hiwiter, die Katastrophe der Hiwiter ist also zugleich die völlige sittliche Katastrophe der Söhne Jakobs.  Sie führt zur rituellen Lossagung des Vaters von den Söhnen:

„Simon und Levi, die Brüder, Werkzeuge der Gewalt sind ihre Messer. Zu ihrem Kreis mag ich nicht gehören, mit ihrer Rotte vereinige sich nicht mein Herz. Denn in ihrem Zorn brachten sie Männer um, mutwillig lähmten sie Stiere.“

Zerstörte Vielfalt! Lesen wir etwa im Buch Bereschit/Genesis, dem 1. Buch Mose das Kapitel 34, so werden wir sogleich erkennen: Nein, die völlige Auslöschung und Ausplünderung eines benachbarten Volkes, die Forderung nach bedingungsloser Assimilation ist keineswegs neu. Keineswegs neu und keineswegs einmalig ist die Lust am Gemetzel, das Waten im Blut, das Ausplündern der zuvor Assimilierten, der Unterjochten, die Auslöschung ganzer Völker.  Frauenraub, Zwangsheiraten, Frevel, Rechtsbruch, Verrat und Hinterlist scheinen zum menschlichen Gewese aller Zeiten zu gehören. Die Möglichkeit zur Lust am Gemetzel, zur Ausplünderung und Vernichtung ganzer Städte, ganzer Völker, wie sie gerade das europäische 20. Jahrhundert in den Jahren 1914-1989 an mehreren Völkern, an mehreren Kulturen so überreich ausgeführt erlebte, gehören seit unvordenklichen Zeiten, seit den Zeiten eines Kain und Abel, eines Simeon und Levi, eines Ödipus, Eteokles, Polyneikes, einer Antigone und eines Kreon zum Kernbestand menschlicher Kultur. Zum Kern der Kultur gehört der Kulturbruch in Gewalt. Zum Kernbestand menschlicher Zivilisation, zur Menschen-Natur gehört der absolute Zivilisationsbruch.

Aber auch das erschütterte Klagen, das Zürnen und das Fluchen und Segnen der wenigen Aufrechten, die sich dem Frevel der Söhne entgegenstellen, gehören dazu! Der berühmte Jakobs-Segen des ersten Buchs Moses bietet ebenso strahlend und fast unüberbietbar die Möglichkeit, dem Bösen, das auf alle Zeiten in uns wohnt, zu widersagen. Er bietet die Handhabe zum Neubeginn nach dem absoluten Zivilisationsbruch. Es geht ja doch wieder weiter – auch nach dem völligen, dem singulären  Zivilisationsbruch! Der Segen und der Fluch des Vaters übertrifft an Wirkkraft das rein Natürliche der Menschen-Natur. Im Widersagen an das Böse befestigt sich das Wissen und die Einsicht in das, was gut für den Menschen ist. Die griechische Septuaginta, eine Frucht des Bemühens zahlreicher jüdischer Gelehrter um Übersetzung des hebräischen Urtextes der Weisung in die neue Weltsprache Griechisch, gibt die zehn Gebote völlig zutreffend im Futur wider. Auf Griechisch heißt es also nicht: „Du darfst/sollst nicht töten!“, Sondern: „Du wirst nicht töten!“

Knapp einfach und in die Zukunft hineingreifend wird dies manchmal so genannt:

Du wirst nicht töten!
Du wirst Vater und Mutter ehren!
Du wirst nicht lügen!
Du wirst nicht ehebrechen!

Wurzelquellen:
Hebräische/griechische Bibel (Torah/Septuaginta): Buch Genesis/Bereschit insgesamt, darin besonders: Kapitel 34 passim; Kapitel 49, 1-28
Thomas Mann: Joseph und seine Brüder. Erster Band: Die Geschichten Jaakobs. Drittes Hauptstück: Die Geschichte Dinas. Aufbau Verlag, Berlin und Weimar, 1972. Darin  besonders:  S. 148, letzte Zeile bis S. 149 erste Zeile; „Das Gemetzel“, S. 176-180
Aischylos: Sieben gegen Theben
Sophokles: Oidipus Tyrannos, Antigone

Bild: Ein rätselhafter Brunnen der Vergangenheit im Johannesstift Spandau, aufgenommen im harten Winter gestern. Sollte man ihn nicht unergründlich nennen?

 Posted by at 12:54