Singt freudig euch empor!

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Jul 032017
 

Aus der Gemeinde von St. Norbert erreichte mein Smartphone gestern beim Warten in Paris am Flughafen Charles de Gaulles der folgende Bericht, den wir hier einrücken. Auch heute abend erwartet uns ja wieder eine Chorprobe, auf die wir uns schon freuen.

Viel zu lächeln und zu lachen gibt es gibt es immer, wenn wir am Montag abends buchstäblich den Staub des Alltags abschütteln, den Körper in gute Form klopfen, Stimme und Atem geschmeidig lockern. Jede Chorprobe mit Chorleiterin Ute Rosenbach beginnt mit einer Einstimmung von Körper, Stimme und Geist. Darauf folgen einfache Tonübungen, Summen, Singen, Sprechen: die ganze bunte Palette der unentdeckten Möglichkeiten wird geboten.

Ein schönes Aufatmungs-Erlebnis war in genau diesem Sinn das Chorwochenende in der Musikakademie Rheinsberg. Hier widmeten wir uns Ende März vor allem der Musik für die Gottesdienste zu Karfreitag und zu Ostern. Wo einst Kronprinz Friedrich seinen Quantz studierte, probten wir die Johannespassion von Thomas Mancinus: ein derbes, schonungsloses Theater, das vor allem die Gerichtsszenen des Evangeliums ohne jede Beschönigung entfaltet! Dieses schreiend ungerechte Drama stand dann im Mittelpunkt unseres Beitrages zum Karfreitag. Wir verkündeten erneut in St. Norbert das Leiden Jesu Christi, ebenso schroff wie dies um 1600 Thomas Mancinus, der Wolfenbütteler Hofmusiker getan hat.

Aber auch die strahlend schöne Klage des Tomás Luis de Victoria „Popule meus, quid feci tibi – Mein Volk, was hab ich Dir denn angetan?“ begeisterte uns. Sie trug uns fliegend durch die stillen Lande hin. Der Katholik Tomás de Victoria komponierte diesen Gesang in denselben Jahren wie der Lutheraner Thomas Mancinus!

Zu Ostern priesen wir dann endlich befreit die Auferstehung zusammen mit einem fulminanten Blechbläserquartett in zeitgenössischen Sätzen. Wir waren also zu Ostern wieder im 21. Jahrhundert angekommen. Ein großer Erfolg! Eine Auferstehung!

Schwingt freudig euch empor! Neue Menschen und neue Stimmen sind uns immer willkommen. Wir treffen uns regelmäßig am Montag um 19.30 Uhr im Pfarrsaal von St. Norbert, Dominicusstr. 19 B, 10823 Berlin. Dann geht’s aber richtig los! Jede Chorprobe mit Ute Rosenbach bietet als Zusatzgewinn kostenlosen Gesangs- und Stimmunterricht vom feinsten. Der eigentliche Sinn des Chorgesanges, das Lob Gottes, verschmilzt also mit der Kräftigung und Stärkung von Körper, Stimme und Geist im Singen. Menschendienst wird durch den Chor Teil des Gottesdienstes.

Ein Mal im Monat bieten wir nach Ansage zusätzlich am Sonntag um 10 Uhr als „Generalprobenchor“ das vorsichtige Reinschnuppern für Neugierige an, als würde man erst einmal vorsichtig den Fuß ins kalte Wasser stecken, ehe man sich uns Schwimmbad stürzt. Dort nehmen wir Neugierige und Neulinge unter die Fittiche und führen die geprobten Lieder und Sätze gleich anschließend im Gottesdienst auf. Das belebt, erfrischt und macht Freude.
Gottesdienst ist Menschendienst. Kommt, hört, singt!

Quelle:
miteinander. Pfarrnachrichten der katholischen Gemeinde St. Norbert – Berlin. Juli / August / September 2017, S. 18-19

Foto: Blick auf das Floß des Odysseus. Holzfiguren des Künstlers Tony Torrilhon. Aufgenommen am Ufer des Grienericksees bei Schloss Rheinsberg während des Chorwochenendes am 24. März 2017.

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Vom Glück des Singens

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Apr 292017
 

O Du schmetternder kleiner Sänger, wie lieblich, wie stark, wie süß ist Deine Stimme! Wie strahlend, wie kraftvoll verkündest Du Deine Wahrheit! Du purzelnder Knecht, Du leuchtender König, Du tanzender Tenor!  Du singst für Dich, für mich, für alle, für Deine Einzige, für Deine Auserwählte! Wisse, Du wirst gehört. Dir hör ich zu!

Du schämst Dich nicht, Dir gefällt Dein eigener Gesang, Du weißt, was Du kannst, Du achtest nicht auf Lohn und Wohnung. Was kümmern Dich die andern. Du singst ohne Nebenabsichten. Du singst, weil Du singst und singen willst, und alles, Berg und Tal und Turm, Busch und Wiese und Gras, sie tönen wider von Deinen Liedern!

Sing, Sänger, singe weiter!

 

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Schroff. Schreiend. Kahl: Golgatha.

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Apr 082017
 
Zerrissenes Holz reckt sich empor in einen blauen, tiefen, antwortlosen Himmel, schrundige Auskehlungen zerfurchen den Baum auf dem Dorfanger von Lübars, gesehen am vergangenen Samstag bei einer Radtour durch das Tegeler Fließ. Soviel Schmerz, soviel Leiden!
Geduldiges Einhören, gemeinschaftliches Einsingen im Kirchenchor, Nachlesen in den alten Darstellungen und Anweisungen der geistlichen Musik früherer Jahrhunderte! Der gregorianische Passionston in der Johannespassion des Thomas Mancinus, die wir derzeit einstudieren, verlangt einen freien Vortrag, eine Verlebendigung im Gesang. Die rhombische Notenform – punctum inclinatum – dient nur als Stütze des in Freiheit erklingenden Wortes; Mancinus hebt sehr bewusst durch Klauseln und Floskeln die sinntragenden Worte hervor; die kraftvolle, sehr gesangliche Übersetzung Martin Luthers – sie bleibt ein poetisches Meisterwerk deutscher Sprache – übernimmt er dabei Silbe für Silbe, Elision für Elision unverändert.
Clamore et cum asperitate, so sollen die leidenschaftlichen Aufwallungen der Turba-Chöre gehalten sein. Mit Geschrei, schroff, unverbunden! Das sind die Anweisungen, die sich aus den damaligen Traktaten erschließen lassen.
Mancinus war übrigens Leiter der herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel; sein unmittelbarer Nachfolger in diesem Amt war Michael Prätorius, dessen Syntagma Musicum 1619 erschien, also ein Jahr vor dem Erstdruck der Passionsmusik des Thomas Mancinus.  Welch glückliche Koinzidenz! Wir können aus den Traktaten, Abhandlungen und Lehrbüchern der Jahrhundertwende durchaus ein Stilideal abnehmen, wir können mit Sicherheit sagen, dass die menschliche Stimme, nicht das dingliche Instrument damals noch das Vorbild jeder Musikausübung war; es unterliegt keinem Zweifel, dass die Musik, zumal die geistliche Musik damals als affektgeladene Klangrede, als Verkündigung aufgefasst wurde, nicht als Sinnesbetörung, nicht als autonomes, in Schönheit strahlendes Klangspiel.
Der Gottesdienst in der Sterbestunde Jesu beginnt in St. Norbert am Karfreitag, 14. April 2017, um 15 Uhr. Dort werden wir die Johannespassion des Mancinus zu Gehör bringen. Alle, die hören wollen, sind eingeladen. Die Tür ist offen.
Kirche St. Norbert, Dominicusstr. 17, 10823 Berlin-Schöneberg 
Bibliographischer Hinweis:
Die Johannespassion des Thomas Mancinus ist Teil des Werkes Musica Divina Signatur S 368.4° Helmst., das bereits in digitalisierter Form vorliegt. Man findet im Internetauftritt der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel den diplomatisch genauen Scan  ab Seite 277 unter folgendem Link: 
http://diglib.hab.de/wdb.php?pointer=176&dir=drucke%2Fs-368-4f-helmst
Eine moderne Aufbereitung, in welcher der ursprüngliche Wortlaut des Komponisten Mancinus durch den Text der früheren, im Jahr 1987 verwendeten Einheitsübersetzung ausgetauscht worden,  ist im Carus Verlag erschienen. Das Vorwort des Herausgebers verdient besondere Beachtung!
Thomas Mancinus: Johannespassion für Einzelstimmen und gemischten Chor SATB. Herausgegeben von Willli Schulze. Partitur. Carus Verlag 40.088, Stuttgart 1987
Einen guten, reich mit Quellen (darunter Prätorius) ausgestatteten Einstieg in die Musizierpraxis des 15. bis 17. Jahrhunderts bot mir folgendes Werk:
Ulrike Engelke: Musik und Sprache. Interpretation der Frühen Musik nach überlieferten Regeln. Agenda Verlag, Münster 2012
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Auf ins Konzert zu den malenden Kindern in Böhmisch Rixdorf, Sonntag 18 Uhr!

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Mrz 172017
 

Sonntag, 19. März 2017, 18 Uhr
Konzert der Neuköllner Serenade
Gemeindesaal der Brüdergemeine Rixdorf
Böhmisch Rixdorf
Kirchgasse 14
12043 Berlin

Hochgewölbte Blätterkronen,
Baldachine von Smaragd,
Kinder ihr aus fernen Zonen,
Saget mir, warum ihr klagt?

Schweigend neiget ihr die Zweige,
Malet Zeichen in die Luft,
Und der Leiden stummer Zeuge
Steiget aufwärts, süßer Duft.

Vorfreude erfasst meine Geige und mich in meiner slawophilen Seele, denn in das alte böhmische Rixdorf führt uns übermorgen, am Sonntag, der Weg der Neuköllner Serenade, des bekannten Berliner Kammerorchesters, in den Gemeindesaal der Böhmischen Brüder, nicht weit vom Garten des Jan Amos Comenius, des böhmischen Pädagogen, der mit seinem Orbis pictus in so vieler Hinsicht Vorbild für unser zusammenwachsendes Europa ist. Jan Amos Komenský, ein Lehrmeister für Europens Kinder aus fernen Zonen, wie sie Mathilde Wesendonck so beredt ansprach und werbend anlockte!

Weit in sehnendem Verlangen
Breitet ihr die Arme aus,
Und umschlinget wahnbefangen
Öder Leere nicht’gen Graus.

Wohl, ich weiß es, arme Pflanze;
Ein Geschicke teilen wir,
Ob umstrahlt von Licht und Glanze,
Unsre Heimat ist nicht hier!

 

Der Eintritt in das Konzert der Neuköllner Serenade ist frei. Das ist unser Programm:

Richard Wagner: Wesendonck-Lieder
Carl Reinecke: Streicherserenade

Und wie froh die Sonne scheidet
Von des Tages leerem Schein,
Hüllet der, der wahrhaft leidet,
Sich in Schweigens Dunkel ein.

Das sind die Ausführenden:

Die Neuköllner Serenade
Silvia Hauer, Mezzosopran
Martin Dehli, Leitung

 

Stille wird’s, ein säuselnd Weben
Füllet bang den dunklen Raum:
Schwere Tropfen seh ich schweben
An der Blätter grünem Saum.

Wir freuen uns auf unser Publikum.

Text in kursiv:
Mathilde Wesendonck: Im Treibhaus, aus: Mathilde Wesendonck: 5 Lieder

Foto:

Eintritt in den Comeniusgarten in Böhmisch Rixdorf, Neukölln, Berlin, Aufnahme vom Mai 2013

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Ich habe genug

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Jan 122017
 

 

 

 

 

 

Am Sonntag, dem letzten Tag der Weihnachtszeit, hörte ich vormittags eine Radiosendung mit Musik im rbb Kulturradio:
So 08.01.2017 | 09:04 | Gott und die Welt. Drehtür Glauben. Wenn Menschen zur Kirche zurückfinden. Von Matthias Bertsch

Der Autor hat das Thema Kirchenaustritt und Wiederannäherung auf gewundenen Pfaden, so meine ich, in vier ausgewählten Stimmen in den wesentlichen Aspekten glaubwürdig eingefangen. Die Musik Johann Sebastian Bachs aus der Kantate „Ich habe genug“ entfaltete dazwischen  ihre überwältigende Kraft geradezu „gnadenlos“ – wieder einmal! So ist er halt, unser Bach. Unwiderstehlich. Er ist einer der Brückenbauer für verirrte Schafe, für Wege zurück.

Die leuchtende schöne Weihnachtszeit klang  mit einem abendlichen Konzert und Chören und einem kleinen Orchester und strahlenden Kinderaugen in der Kirche St. Bonifatius aus. Ich selbst fiedelte am Pult der Bratsche, das Instrument unters Kinn geklemmt, das Bach mit Vorliebe im Orchester spielte.

Die Chöre der Gemeinde haben mich nachhaltig inspiriert, und ich wünsche ihnen weiterhin diesen Eifer und diese von oben herabströmende Begeisterung. Ihnen steht die Gewalt der Hl. Cäcilie zu Gebote, die die wilden Tiere an den Streicherpulten mühelos bändigt!

Ich habe genug!
Ein Dankeschön den Chören

Bin nur ein armer Spielmann, kaum beacht,
meist mild belächelt, oft verlacht,
die Zahl der Noten, die ich spiel,
ist recht gering, drum hör ich viel,
denn ich hab Ohren groß und weit,
zum Zuhören sind sie bereit,
was andre spielen, andre singen,
das bringt in mir das Herz zum Klingen,
drum dank ich euch, Ihr Sängerinnen,
Ihr Sänger, die ihr singt im Geistesbraus,
die Töne in mir weiterschwingen,
sie leuchten, stärken, machen klug,
Ich packe ein und geh nachhaus.

Ich habe genug.

Bild: ein Schneemann, gestern Abend am Gasometer in Schöneberg

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„Ecco l’altare!“ Don’t sing – speak!

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Okt 082016
 

 

Geniale Einsicht des Dirigenten Antonio Pappano! „Don’t sing – speak!“ Er sagt der Sängerin Eva-Maria Westbroek, sie solle sprechen, reden, vom Sprechen zum Singen kommen. Nicht umgekehrt!

Speak in the rhythm of Italian!“ Zweite geniale Einsicht! Das gute Singen lässt sich vollkommen auf die jeweilige natürliche Sprache ein – sei es nun Tschechisch, Italienisch, Lateinisch, Deutsch, Russisch, Italienisch. Und deswegen ist die wenigstens anfängliche Bekanntschaft der Sänger mit den Sprachen, in denen sie singen, so unerlässlich!

Und das ist der „Altar“ des Sinns! Der Altar des Singens! In diesem gelingenden, über alle Alltäglichkeit hinausreichenden Verschmelzen von Singen und Sprechen, von Rhythmus und Melodie, von Reden und Schweigen, von Natur und Kunst wird tatsächlich eine Art Heiligtum enthüllt. Ecco l’altare!

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Dal tuo stellato soglio. Ein Abendlied

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Sep 082016
 

Ein Lied des Johann Baptist Semaforo, gesungen in der süditalienischen Grecía

Abend ist es. Nun reden lauter alle Quellen. Seefeuer flackern noch auf, hinten am Horizont versinken die letzten Streifen körnigen, streifigen Lichts. Eisiges Weltall verschlingt die letzten Funken der Seefeuer. Zischende Leuchtfeuer verglimmen, salzige Gischt spritzt auf.

Abend ist. Nacht wird. Nun schimmert das Licht herab, nun reden lauter alle singenden Quellen. Und von oben träufelt herab das singende Licht.

Abend ist es. Dunkelheit lastet auf uns. Nun kommt ein Bus heran, nun kommen die Menschen näher an unsere Herzen. Und auch dieser Abend ist ein pochendes Herz. Nun kommen die Menschen heran, nun kommt das Volk heran. Das Volk, welches Volk? Dein Volk, dein Volk kommt heran.

Nun öffnen sich Türen, nun kommen sie hervor aus dem Bus, der den Namen Misericordie trägt. Bleiche Taumler, stinkend von Benzin, vom Werg der Taue umschlungen. Fetzen hängen herab statt Kleidern. Knochen, Gerippe, Knöchelchen, sind das noch Menschen?

Nun öffnest du deine Hände, nun reichst du ihnen das Brot. Du nimmst ihnen den Puls ab, die fertigst die ersten Röntgenbilder.

Von deinem sternenbesäten Thron, Herr, tritt herab! Nun tritt der Gequälte hervor, nun breitet er die Arme aus, nun bittet er, nun dankt er. Niederkniet er, dem die Arme so oft ermatteten. Er kniet nieder, Ihm, dem da, dem großen Unsichtbaren  auf dem sternenbesäten Thron zu danken. Nun haben sie es geschafft.

Abend ist. Nun komm herab, du gute, warme, lauschende Nacht. Sterne, träufelt herab euer Licht. Und du, auf deinem sternenbesäten Thron, beug dich herab, noch ein bisschen mehr. Zeig uns, dass du da bist. Jetzt, ja, jetzt darf es Nacht werden.

Nacht ist es geworden. Nun tönen lauter alle Quellen des Lichts, der Sternengesang schwillt an. Nun öffnen sich alle pochenden Herzen. Und auch die Erde, sie ist ein pochendes Herz.

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Die Wahrheit über den Gesang des Raben

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Jun 052016
 

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Weithin bekannt ist die Fassung der alten Sage vom „Schlauen Fuchs und dem dummen Raben“, wonach der Fuchs den Raben herausgefordert habe: „Wenn du ebenso schön sängest, wie Deine Federn glänzen, wäre kein Vogel dir überlegen.“ In der überlieferten ältesten Fassung – aus der wir hier übersetzen – heißt es so: „Se tu avessi una bella voce, nessun ucello sarebbe superiore a te.“

Eine allzu glatte, allzu eilfertig, ohne Sinn und Verstand wiederholte Wiedergabe eines Streitgesprächs, das zweifellos einmal stattgefunden hat! Niemand, auch nicht der erbittertste  Fabelleugner und Verspotter unserer Geschichtenerzähler, zieht ja in Zweifel, dass es dieses Gespräch einmal gegeben hat oder mindestens gegeben haben muss. Der Sinnkern dieser historisch gesicherten Tatsache ist unleugbar. Wie sonst hätte es seine vielfältige Überlieferung in die Sprachen unseres Kontinents finden können?

Die Überlieferung ist allerdings sehr selbstherrlich mit dem erstmals aus dem in den Bergamasker Alpen gelegenen, bereits frühsteinzeitlich von Menschen besiedelten Tal des Brembo überlieferten, viele Jahrhunderte später von Äsop aufgegriffenen, leider bereits von Anfang an verfälschten Vorfall umgegangen. Der Grund dafür ergibt sich zwingend aus folgenden Umständen:

Wie hätte der Rabe, der doch nicht zu Unrecht schon damals als der klügste Vogel galt und auch heute noch als der klügste aller Luftbewohner gilt, auf die plumpe, bereits damals ebenso wie heute von jedem Schulbub durchschaute Täuschung hereinfallen sollen? Und weiter: Wie hätte der Rabe nicht durchschaut, dass einem Fuchs selbstverständlich kein Urteil über die Sangeskunst eines Vogels zusteht, dass folglich kein Fuchs auch nur im mindesten auch nur auf den Gedanken käme, die Sangeskünste eines Raben in Zweifel zu ziehen? Dies alles durchschaute der Rabe selbstverständlich.

Und dennoch fand der Rabe im Fuchs seinen Meister. Statt nämlich die Kunstfertigkeit des Raben in Zweifel zu ziehen, pries der Fuchs den Raben in Worten über alle Maßen: „Du bist der beste aller Sänger, ach, könnte ich doch nur ein Zehntel so gut singen wie Du! Ach, was sage ich da: Würde mir doch ein Hundertstel deiner Stimmgewalt zuteil!“ Der Fuchs fing daraufhin selbst zu singen an, obwohl doch nur ein heiseres Bellen, irgendein Zwischenlaut aus Bellen und Knurren aus seinem viel zu engen, obendrein von einer langen Hungerzeit viel zu trockenen Schlund hervorkam.

Für den Raben stellte dieser kläglich scheiternde Singeversuch des Fuchses den Großangriff dar, gegen den es für ihn keinen Schutz gab. Einem Vogel ist es ja unmöglich, die Ohren zu verschließen, ständig achtet ein Vogel auf mögliche Angriffe, auf das sprichwörtliche Rascheln im Gezweig, auf das Anschleichen der Feinde. Die Sprache der Raben ist ebenso wie die der anderen Singvögel geradezu gespickt mit Redewendungen, die die Unmöglichkeit, das eigene Gehör zu verstopfen, als Quelle tiefen Unglücks ausweisen. So sagt man etwa bei den Raben in der Tiefebene „der unerträgliche Lärm der falschen Sänger hat ihn wahnsinnig gemacht“, „der Krach der Säugetiere ist zum Federnverlieren“,  „eine schlechte Sängerin entlaubt einen ganzen Wald“, oder auch: „dieser brennende Lärm  ist  schlimmer als ein Feuersturm“. Diese Liste ließe sich beliebig verlängern, doch dürfte das Gemeinte auch aus diesen wenigen, wahllos herausgegriffenen Beispielen überdeutlich hervortreten.

Der Fuchs hatte tatsächlich im Gesang – aber darf man diese abgründig mißlungene Knurren und Fauchen Gesang nennen? – den einzigen Weg, ja gewissermaßen das Trojanische Pferd gefunden, um den Raben zu überlisten. Vielmehr – er überlistete ihn nicht, er zwang den Raben dazu, sich vor dem unerträglichen Gewinsel und Gejaul des Fuchses zu schützen.

Mit Bedacht und in Abwägung aller Umstände ersann der Rabe das einzige Mittel, um den Fuchs zum Verstummen zu bewegen: er ließ den Käse fallen, den er im Schnabel hielt.

Der Fuchs stellte das Singen sofort ein und packte den Käse, um damit vor den anderen Tieren zu prahlen. Dieser – wie man es wohl nennen muss – doppelte Schurkenstreich, den der Fuchs gegen den Raben ins Werk gesetzt hat, beschädigt den Ruf des Raben bis zum heutigen Tage. Er gilt als stolz und eingebildet, obgleich er doch ganz zu recht von den Biologen als Singvogel geführt wird und im Reich der Vögel von den urteilsfähigen Vögeln selbst einhellig als der stärkste und gefragteste Sänger gerühmt und gefürchtet wird, während es den zum Gesang völlig unbegabten Füchsen – ganz zu schweigen von den Menschen – zweifellos nicht zusteht, irgend ein Urteil über die Sangeskunst des Raben zu fällen.

Ein einziges Mal war der Rabe, der unbestreitbar größte unter den Singvögeln, das bei weitem klügste Tier, das je die Lüfte bevölkert hat, in die Enge getrieben worden – und auf Jahrtausende hinaus wurde dadurch sein Ruf zerstört.

Der Fuchs hingegen, dessen wahre Geisteskräfte noch hinter seinen musikalischen Fertigkeiten zurückfallen, hat einen einzigen Geistesblitz dazu genutzt, um sich unsterblichen Ruhm zu erschleichen. Eine tiefe Ungerechtigkeit, die zu durchschauen den Menschen wiederum aufgrund eigener musikalischer und sonstiger Beschränktheit nicht möglich ist.  Dieser Irrtum ist nicht wieder gutzumachen. Von daher erklärt sich das bis heute unter uns Raben geläufige, von tiefer Bitterkeit zeugende  Sprichwort: „Käse verloren – alles verloren!“

Quellenangabe:

La volpe saggia, in: Gianni Molinari: Storie e leggende dell’alta Valle Brembana,Verlag Corponove, Bergamo 2014, S. 36-38, Zitat hier S. 36

Foto:

Ein Fuchs, gesehen heute vor der Sternwarte  am Insulaner, Berlin-Schöneberg

 Posted by at 21:33

Hi-ne Adam. Tja. So ist er. Ecce homo

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Mrz 242016
 
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Morgen erwartet uns in der Karfreitagsliturgie eine einzigartige musikalische Erfahrung!  Wir führen in St. Norbert mit dem Kirchenchor die Johannes-Passion des Komponisten Hermann Schroeder (1904-1984) auf, eine ungewohnt schroffe, spröd-körnige, spannungsreiche Umsetzung der Passionsgeschichte nach dem Evangelisten Johannes.
Besonders anspruchsvoll fällt das Alleinsprecher- oder „Soliloquenten“-Rollenbündel des Petrus, des Pilatus, des Knechts und des Dieners aus. So fällt in diesem Bündel oder Gewirr widersprüchlicher Regungen auch das großartige „Seht welch ein Mensch / Ecce homo / Hi-ne Adam“ dem Soliloquenten in den Schoß!
Die Tonsprache der Rezitative wirkt nur vordergründig arm, sie beschränkt sich auf einen bescheidenen Vorrat an Tönen und Wendungen und ermöglicht gerade dadurch das Hervorstechen und Heraustreten dramatischer Zwischenfälle! Die Chöre hingegen sind wild, sind leidenschaftlich aufgewühlt, sie gleichen einer aufgepeitschten rauhen See.
Besonders spannungsreich gestaltet sich die Rolle des alleinsprechenden, zuletzt völlig vereinsamten Pilatus. Er „kommt zwar irgendwie erstaunlich gut weg“, aber er hat keine Chance gegen das Volk. Er wird zerrieben. Er scheitert und wird aus der Geschichte „hinausgeschrieben“ und hinausgesungen.
Hermann Schroeder: Johannes-Passion in deutscher Sprache. Für Solosänger und vierstimmigen gemischten Chor a capella. Schwann Verlag, Düsseldorf 1964
Die Liturgie in der Sterbestunde Jesu beginnt morgen um 15 Uhr. Alle, die hören wollen, sind eingeladen. Die Tür ist offen.
St. Norbert 
Dominicusstr. 17, 10823 Berlin 
zu erreichen mit Bus (M46, M48, M85, 104, 187, 248), 
U-Bahn Linie 4 (Rathaus Schöneberg), 
S-Bahn Linien 1, 41, 42, 46 (Schöneberg)
Foto: erstes zartes Grün auf dem Naturpark Südgelände, aufgenommen gestern
 Posted by at 23:01

Danke für das Singendürfen!

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Mrz 082016
 

20160305_121547[1]
Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt,
daraus ein schönes Brünnlein quillt,
die brüderliche Lieb genannt,
daran ein Christ recht wird erkannt.

Dieses Lied erhob sich schutzsuchend, leicht bebend, flaumfederweich aus dem Munde eines Touristen, der links zu Füßen der Kanzel stand in jener Kirche, in der Johannes Bugenhagen und Martin Luther damals sicherlich mehrere hundert Male predigten.
Ich lauschte dem Gesang, der nur wenige Sekunden nachhallte. Ein anderer Tourist hatte dem Sänger zugesprochen: „Sing!“ Und der erste Tourist fasste den Mut, ohne Erlaubnis und amtliche Genehmigung zu singen. Einfach so, barhäuptig. Was würde geschehen? Das Lied „Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt“ störte den geregelten Ablauf der Führungen für deutsche und amerikanische Touristen doch erheblich. Es war nicht angemeldet! Und es geschah — nichts. Und so sang der Tourist dann noch „Nun danket alle Gott„. Er sang es in der früheren, der besseren Fassung mit dem doppelt so langen Nun, das Nu wird länger gehalten, die Geistkraft sammelt sich unter dem langen Nu an und bricht hervor wie ein schönes Brünnlein in dieses: Nun danket alle Gott mit Herzen Mund und Händen. Der Sänger dankte offenkundig mit dem zweiten Lied dafür, dass er das erste hatte singen dürfen. Dies war jedenfalls mein Eindruck.

Bilanz: Das Singen dieser beiden Gedichte, dieser Lieder aus dem aktuellen Evangelischen Gesangbuch der Kirchenprovinz Sachsen (Nr. 321 und Nr. 413) mochte zwar den geregelten Ablauf der Kirchenführungen beeinträchtigen, doch war es zu unerheblich, als dass es eines förmlichen Verweises bedurft hätte. Bereits wenige Minuten später ertönte das historisch belehrte Gemurmel und Dozieren der damit beauftragten Kirchenführungen wieder in deutscher und englischer Sprache.

Quellenangabe:
„413. 1. Korinter 13. Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt“, enthalten in „NÄCHSTEN- UND FEINDESLIEBE“ (Nr. 412-420) enthalten in „GLAUBE-LIEBE-HOFFNUNG“, enthalten in Evangelisches Gesangbuch, Berlin 1995

„321. Sirach 50, 24-26. Nun danket alle Gott“, enthalten in „LOBEN UND DANKEN“ (Nr. 316-340), enthalten in „GLAUBE-LIEBE-HOFFNUNG“, enthalten in Evangelisches Gesangbuch, Berlin 1995

Inschrift an der Empore der Stadtkirche Wittenberg:
„und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern / und singet dem Herrn in eurem Herzen“, Aufnahme des Touristen vom 05.03.2016

 Posted by at 09:56

„aber die Liebe ist die größte unter ihnen…“ – μείζων δὲ τούτων ἡ ἀγάπη.

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Feb 132016
 

„aber die Liebe ist die größte unter ihnen…“
μείζων δὲ τούτων ἡ ἀγάπη.

Der Beethoven-Elternchor ruft, da muss ich hin! Und da werde ich auch hin!

Abendgottesdienst zum Valentinstag
am 14.02.2016 um 18 Uhr

in der Dorfkirche Lankwitz
(Alt-Lankwitz (Dorfaue) 12247 Berlin)

Ein Gottesdienst bei Kerzenschein
mit besonderer Musik für alle,
die mit uns nachdenken möchten
über ihre junge oder alte Liebe,
über das Verliebtsein
und über die Sehnsucht des Menschen
nach Liebe.

Pfn. Miehe-Heger und Team
mit dem Elternchor der Beethovenoberschule
unter der Leitung von Katrin Pinkert

 Posted by at 20:21

Und wir scheinen uns nur halb beseelet: Von der absoluten Modernität bei Paulus 1 Kor 13

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Feb 052016
 

Das Liedhafte, Sangliche an dem Hohenlied der Liebe tritt bei näherem Versenken immer deutlicher hervor. Das bloße Lesen, das Vorlesen kann nicht mehr genügen. Erst im Singen reichert sich der Sinn an, wird der Sinn hineingelegt, der wohl auch hingeschrieben ist ohne sichtbar zu sein.

Nach und nach formen sich Tonfolgen. Monodisch, pentatonisch, Geröll der Jahrtausende, zurück treibt es uns hinter Gregor den Großen, ostwärts zurück hinter Ambrosius von Mailand! 1 Kor 13 ist bahnbrechend in seiner absoluten Modernität, es ist ein Lobpreis, bei dem das Mitgemeinte, der Mitgemeinte nur herauszuhören ist, aber nie genannt wird. Weder Gott wird genannt noch Jesus Christus, es werden keine Bilder der vielen Himmel ausgemalt wie etwa im oberschwäbischen Barock der Kirchen in Diessen, Weingarten, Steingaden. Es wird keine psychoanalytische Traumdeutung geboten, keine Trinitätslehre rettet das Ich.

Es fehlt in 1 Kor 13 der Tod, es fehlt hier der Teufel. Dafür finden wir jede Menge Zweifel, jede Menge Verzagtheit, Tasten durch einen Tunnel des Bewusstseins. Nihilismus, Verschwinden des Sinnhorizontes. Anonymität der Nachfolge.

„Und wir scheinen uns nur halb beseelet
Dämmernd ist um uns der hellste Tag!“

„Unsrer Liebe, unserem Erdenglücke
Wähnend selig nimmer hinzutraun!“

Ungefähr so schrieb es Goethe am 14.04.1776 in seinem Gedicht „Warum gabst du uns die Tiefen“, unlösbar änigmatisch beim rationalen Auflösen und Auflesen wie der Hymnus des Paulus unlösbar änigmatisch bleiben muss im bloßen Verharren im Nun und Itzt. Die Grundstimmung ist eine ähnliche.

Der Gesang im griechisch-orthodoxen Ritus bietet einen Abklang dieser abgründigen Suche nach Halt in der Haltlosigkeit. Anrufen, Anschreien, Hervorrufen!

Etwa ab Minute 02:40 kann man hier 1 Kor 13, den Hochgesang der Liebe des Apostels Paulus, im griechischen Text nachhören:

 Posted by at 22:31

Aussöhnung zwischen Martin und Hans – dank Frau Musika

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Jan 262016
 

Martin singt am Morgen:

Vor allen Freuden auf Erden
Kann niemand keine feiner werden,
Denn die ich geb mit meim Singen
Und mit manchem süßen Klingen.
Hie kann nicht sein ein böser Mut,
Wo da singen Gesellen gut,
Hie bleibt kein Zorn, Zank, Haß noch Neid,
Weichen muß alles Herzeleid;

Hans antwortet ihm am Abend:

Trüb‘ ist der Geist, verworren das Beginnen;
Die hehre Welt wie schwindet sie den Sinnen!

Da schwebt hervor Musik mit Engelschwingen,
Verflicht zu Millionen Tön‘ um Töne,
Des Menschen Wesen durch und durch zu dringen,
Zu überfüllen ihn mit ew’ger Schöne:
Das Auge netzt sich, fühlt im höhern Sehnen
Den Götter-Wert der Töne wie der Tränen.

Wie hätte wohl Martin Luther erneut am Morgen danach auf diese Verse Goethes geantwortet? Ich bin sicher: er hätte sie dankbar angenommen. Er hätte in Goethe einen ihm gleichartigen, einen gleich ihm beständig Strebenden erkannt. Er hätte ihn verstanden! Musik bannt böse Geister, vertreibt den Teufel in mancherlei Gestalt. Luther und Goethe, sie sind auch hierin, also in der Hochschätzung der lösenden, heilenden, versöhnenden Kraft der Musik, einander ganz nah.

Nachweise:
„Frau Musika – Vorrede auf alle guten Gesangbücher“, in: Die Lieder Martin Luthers. edition Akanthus, Spröda 2013, S. 4 (WA 35, 483f.)

„Aussöhnung“, in: Johann Wolfgang Goethe. Gedichte 1800-1832. Herausgegeben von Karl Eibl, Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt 1998, S. 462

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