Jan 062008
 

In Wahlkampfzeiten wählen manche Politiker und Parteien das Thema Kriminalität oder „Innere Sicherheit“ gerne als ein Schwerpunktthema. Oft wird dabei der Ruf nach härteren Strafen laut. In diesen Tagen tut sich der gute alte Reader’s Digest (Ausgabe Deutschland, Januar 2008) mit einem äußerst lesenswerten Artikel hervor: Im Namen des Volkes. Welche Strafen halten die Deutschen für wirklich gerecht. Autorin Doris Kochanek konfrontiert die Leser mit einer Reihe von vor deutschen Gerichten tatsächlich verhandelten Fällen. Diese Fälle wurden in einer Untersuchung des Emnid-Instituts darüber hinaus einer Testgruppe vorgelegt. Ergebnis: In allen Fällen urteilten die „Laienrichter“ erheblich anders als es die Berufsrichter getan hatten – allerdings fielen die Abweichungen nicht einheitlich im Sinne härterer oder milderer Strafen aus. Jedoch urteilten die Laien meist in einer Richtung anders, nämlich milder, wenn es um die Sachdelikte ging, und einheitlich anders, wenn es um Delikte mit Eingriffen in Persönlichkeitsrechte ging, also etwa bei Körperverletzung oder Kindesvernachlässigung. Bei dieser Gruppe von Straftaten fällten die befragten Laien stets deutlich höhere Urteile als die zuständigen Gerichte es getan hatten. Zitat aus der Zeitschrift, S. 108:

„In diesem hohen Stafbedürfnis äußert sich das Bauchgefühl der Menschen. Das betrifft vor allem Delikte, die einem sehr fern und besonders unangenehm erscheinen. Bei denen man sich gleichsam sagt: „So etwas können nur Monster tun, und die muss man einsperren“, erklärt Professor Rudolf Egg, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden. „Zum Vorschein kommt hier auch die Angst, selbst zum Opfer zu werden. Und dieses Gefühl wird von der oftmals reißerischen Berichterstattung über Straftaten noch geschürt.“

Tatsache ist: Die Zahl der Schwerverbechen in Deutschland sinkt.

Soweit das Zitat! Dabei fällt mir ein: Im Anschluss an einen eigenen Vortrag diskutierte ich vor wenigen Wochen mit einer Gruppe Berliner Politiker das Thema „Innere Sicherheit“. Mir wurde vorgehalten: „Sie können nicht leugnen, dass die Verbrechen in Berlin ständig zunehmen. Alle fühlen sich ständig immer unsicherer!“ Dem erwiderte ich: „Ich erlaube mir, dies zu bestreiten. Denn die neueste Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für Berlin weist einen leichten Rückgang der Deliktzahlen insgesamt aus.“ Sofort kam der Widerspruch: „Das hat nur damit zu tun, dass es immer weniger Polizisten gibt und deshalb immer weniger Straftaten angezeigt werden!“ Ich streckte damals buchstäblich die Waffen – wer amtliche Statistiken nicht als Grundlagen für Gespräche anerkennen will, bei dem hat der Kaiser sein Recht verloren. Ein solcher Mensch wird sich durch alles, was ihm begegnet, in seinem grundsätzlichen Gefühl der Bedrohung bestätigt sehen. Passiert ihm jetzt nichts, so ist dies nur ein Beweis dafür, dass jederzeit etwas passieren kann, weil überall die Bösen lauern. Denn sonst wäre es ja schon passiert. Die warten ja nur darauf!

Ich empfehle den Artikel aus Reader’s Digest mit Nachdruck. Nebenbei: Meine verstorbene Oma war Abonnentin dieser Zeitschrift. Ich habe diese Bände als Kind bei meinen glücklichen Ferienaufenthalten in Massing im Rottal/Niederbayern geradezu verschlungen, rümpfte dann als intellektueller Schnösel eine Zeitlang die Nase ob solch mundfertig vorverdauter Kost und finde sie heute erneut wieder sehr lesenswert. Wird so der Mann wieder zum Kinde?

 Posted by at 19:49

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