Jul 222010
 

19072010005.jpg Als Kreuzberger Vater zweier Söhne, der öffentliche Schwimmbäder, staatliche Schulen von innen kennt, der sich für sein Umfeld interessiert und auch ehrenamtlich tätig ist, gerate ich selbstverständlich immer wieder in Kontakt mit Kindern und Jugendlichen, die es mit dem Gesetz nicht so genau nehmen. Ich kenne privat die eine oder andere Familie von Intensivtätern, denn keineswegs beschränkt sich deren Wirkungsfeld auf das medial überbelichtete Neukölln. Unvergesslich ist mir der Dialog mit einem etwa 5-jährigen Kind, mit dem mein Sohn im Sandkasten spielte: „Was baust du da aus Sand?“ „Ich baue ein Gefängnis.“ Und später sah ich dann die Brüder des Jungen im schicken BMW vorfahren.

Wenn ich mir die Altersstufen vom Schulanfänger bis zum voll strafmündigen Erwachsenen anschaue, so kann ich geradezu eine Skala der Verfehlungen und der entsprechenden Rechtfertigungslegenden aufbauen: Es fängt an mit Zäuneüberklettern, Türaufreißen, Schabernack à la Max& Moritz im Alter von 6 Jahren, Spucken ins Gesicht, Schlagen in die Weichteile des Gegners im Alter von 7-8 Jahren, ersten Diebstählen, Verkehrsverstößen, In-den-Schrank-Einsperren, Faustschlägen ins Gesicht  … bis hin zu den größeren Geschichten, über die dann die Presse berichtet.

Was mir im direkten Gespräch mit den jungen Menschen auffällt: Die Kinder haben gelernt, dass es für sie keine unübersteigbare Grenze gibt. Sie erlauben sich alles. Stellt man sie zur Rede, so sagen sie oft: „Das war ich nicht. Das war DER da.“ Hier darf man nicht locker lassen. Man muss die Kinder einbinden, sich „zur Brust nehmen“: „Aber ich habe dich gesehen! Du warst es.“

Besonders gut funktioniert die Zielvereinbarung: „Ich will, dass du das nicht mehr machst. Versprichst du mir das?“ Meistens weichen sie dann noch aus. Sie versprechen es nicht. Dann darf man nicht locker lassen!

Man muss zu einer Vereinbarung von Mann zu Mann kommen – und zwar besiegelt durch einen Handschlag und mit Nennung des Namens beider Kontrahenten.

Auf diese Weise ist es uns fast wider Erwarten gelungen, so manchen Konflikt mit arabischstämmigen Kindern beizulegen. Für wie lange? Das weiß ich nicht. Es ist „ein weites Feld“, wie der alte Briest in Fontanes Effi Briest zu sagen pflegte. Das Allerbeste ist: Die Missetäter in die eigene Familie einladen, gemeinsam einen Nachmittag verbringen.

Wenn die Familien, also die deutschen und die türkischen, die deutschen und die arabischen sich gegenseitig kennenlernen, einander erst einmal für eine Stunde, dann länger die Kinder anvertrauen, dann ist damit mehr zur Prävention geleistet als durch 100 Stunden Sozialarbeit. Dann lässt sich auch die Unterbringung in geschlossenen Heimen vielleicht noch vermeiden.

Und noch einmal: Die feste männliche Autorität ist unendlich wichtig für die jungen Max&Moritze, die sonst nach und nach zu Intensivtätern werden.

Ich empfehle nachdrücklich das Morgenpost-Interview mit Jugendrichter Räcke zum Nachlesen, dessen Aussagen ich aus Kreuzberger/Neuköllner Sicht teilweise leider bestätigen muss, ferner auch die Vorabauszüge aus dem Buch von Kirsten Heisig, die der aktuelle SPIEGEL bringt.

Titelzitat: Angst ist ein schlechter Ratgeber. Einblicke in die Parallelgesellschaft Neuköllns. Von Kirsten Heisig. Der SPIEGEL 29/19.07.2010, S. 126-129, hier S. 128

Bild: Idyllischer Blick über das Tempelhofer Feld gen Neukölln.

Kinder als Drogendealer – Jugendrichter will Dealer-Kinder nicht bestrafen – Berlin Aktuell – Berliner Morgenpost
Aber was mir wirklich Sorgen macht, ist, dass in Berlin eine ganze Generation von Kindern aufwächst, die es zu nichts bringen wird. Die haben nichts gelernt. Gar nichts. Die werden ihr ganzes Leben lang auf staatliche Transferleistungen angewiesen sein, weil sie kaum lesen und schreiben können. Die wissen gar nicht, wie sich das anfühlt, sich für etwas anzustrengen, richtig reinzuhängen, und darauf dann stolz zu sein.

Morgenpost Online: Klingt hoffnungslos.

Räcke: Ja. Das ist es auch. Den Jugendlichen ist einfach langweilig. Irgendwann fangen die dann an zu saufen, Drogen zu nehmen und werden zu kriminell.

 Posted by at 14:39

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