Mai 132011
 

affe-in-waldsieversdorf-001.jpg Groß ist das Jammern und Klagen in diesen Tagen über den VERA-Vergleichstest! „Zu schwer“, „die Kinder kennen kaum 700 Wörter und sollen jetzt den Test schreiben?“, stöhnen die Lehrer. Nun, ich kenne die Tests, mein vorwiegend russisch erzogener Mit-Migrationshintergrund-Sohn schreibt ihn dieses Jahr zum zweiten Mal mit.

Mein Gesamteindruck von VERA: der Test für die dritte Jahrgangsstufe orientiert sich an dem, was die Generation der heutigen Lehrer und Kultusbeamten in ihrer eigenen Schulzeit etwa am Ende der ersten Klasse beherrschte. Im Test wird also vorausgesetzt oder erwartet, dass die Berliner Kinder heute in der dritten Jahrgangsstufe etwa so gut Deutsch können wie vor 20 oder 30 Jahren die Lehrer am Ende der ersten Klasse. Eine fromme Hoffnung! Eine wortreich beschwiegene, von den Berliner Parteien nicht einmal ansatzweise erkannte Tatsache der Berliner Schulwelt ist: Große Teile der nachwachsenden Generation lernen bis zum Ende der Schulzeit nicht mehr richtig Deutsch. Wer das nicht anerkennt, kennt Kreuzberg, Wedding, Schöneberg, Spandau, Lichtenberg, Tiergarten, Neukölln nicht. Lest einen beliebigen Abschnitt aus einer beliebigen Jammerarie:

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Marion Hein, Deutschlehrerin an der Sonnen-Grundschule, findet den Text zu anspruchsvoll für ihre Schüler. „Sie müssen nicht nur die verschiedenen Vogelarten bis zur Lerche kennen, sondern auch noch verstehen, dass den Tieren in der Fabel menschliche Eigenschaften zugeschrieben werden“, sagt sie. Diese Übertragung schaffen die Kinder noch nicht, meint sie. Zudem sei ihre Erfahrungswelt in der Natur oft sehr begrenzt. Als sie mit ihrer Klasse zum ersten Mal im Zoo war, dachten einige Kinder, die Affen seien große Eichhörnchen, erzählt die Lehrerin. Die meisten Eltern seien arbeitslos. Nur selten kämen die Kinder aus dem Neubaugebiet am Dammweg heraus.

Also, wir halten fest: Die Berliner Kinder kennen am Ende der dritten Klasse keine Fabeln. Sie wissen nicht mehr, worum es in einer der bekannten Tierfabeln geht, wie sie in den europäischen und orientalischen Kulturen seit etwa 2 Jahrtausenden gang und gäbe waren. Obwohl Tiere auch im heutigen Leben der Stadtkinder allgegenwärtig sind – etwa in Gestalt von Hunden und Katzen, aber zunehmend auch in Gestalt von Füchsen, Mardern, Eichhörnchen, Tauben, Ratten, Fischen, Spatzen, ja sogar Wildschweinen, lernen die Kinder nicht mehr, dass wir Menschen uns seit Jahrtausenden in den Tieren widerspiegeln und ihnen menschliche Eigenschaften zuschreiben.

Der „böse“ Wolf, das „sanfte“ Lamm, der „stolze“ Adler. Wolf, Lamm, Adler: unwillkürlich erscheinen uns diese Tiere als böse, sanft, stolz. Die Berliner Kinder heute kennen am Ende der dritten Jahrgangsstufe das Wort böse sicherlich noch, aber „sanft“ und „stolz“ sind ihnen meist schon spanische Dörfer. Redet mit ihnen!

Ich bedaure es sehr, dass die Berliner Parteien nicht zu erkennen geben, dass sie sich des Problems  der mangelhaften Deutschkenntnisse der Mehrheit der Berliner Kinder überhaupt bewusst sind. Außer einer  Testeritis frenetica fällt ihnen wenig ein. Es fehlt in Berlin und Brandenburg an jedem tauglichen Modell zur Unterrichtung in Deutsch als Zweitsprache!

Die Grundschullehrer sind sich selbst überlassen. Der Test VERA – oder vielmehr die Klagen der Lehrer über VERA – decken dies schonungslos auf.

Hier stehen wir deutschkundigen Eltern in der Verantwortung. Wir müssen die Berliner Parteien aufrütteln und kräftig durchschütteln! Ich persönlich habe dies vor einer Woche im Hotel Estrel mit schwachen Kräften versucht. Das Echo war mau, oder sagen wir: sanft.

Bild: ein Affe in Waldsieversdorf

 Posted by at 10:43

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