Apr 182009
 

18042009007.jpg Heißes Wasser über die Köpfe der Gegner – so kennzeichnet der Prophet in Sure 22 die Grundhaltung des Streits.

Von Streit und unversöhnlichen Gegensätzen war die Podiumsdiskussion zwischen Necla Kelek und Tariq Ramadan auf dem heutigen taz-Kongress 2009 „30 Jahre taz“  gekennzeichnet.

Tariq Ramadan malte mit kräftigem Strich seine  Vorstellung eines aufgeklärten, fragenden, weltoffenen Islam. Überall in Europa bewegten sich die Muslime zu neuen Ufern hin. Ein neues Schriftverständnis breche sich Bahn, der Koran werde als etwas gesehen, was kontextualisiert werden müsse.

Ich fand, Tariq Ramadan zeichnete eine freundliche Vision, wie sich ein aufgeklärter Islam in Europa entwickeln könnte. Aber ich glaube: Vorerst sind davon keine echten Anzeichen zu erkennen, wie wir hier in Berlin eingestehen müssen. Ramadan glaubt an die Gestaltungskraft von Sozialpolitik. Allerdings kann er nicht erklären, weshalb die deutschen Familien Reißaus vor den türkischen und arabischen Schulkindern nehmen, wenn doch die Türken und Araber sich so bereitwillig als aufgeklärte Europäer sehen, wie er wähnt. Er glaubt an den Wandel.

Necla Kelek ging von der Beharrungskraft des im Grunde zutiefst konservativen Islam aus. Sie nahm den Ist-Zustand auf, und der sei nun einmal hier in Deutschland durch eine sich abschottende türkische und arabische Gemeinde gekennzeichnet. Besonders die Migrantenverbände seien letztlich von muslimischen Ländern aus gesteuert und finanziert. Die deutsche Gesellschaft werde durch einen kämpferischen, missionarischen Islam zielgerichtet unterwandert, bereits jetzt stünden den Muslimen genauso viele Moscheeräume zur Verfügung wie es Kirchen gebe. Im Islam sei individuelle Freiheit nicht möglich. Dies zeige sich daran, dass die Eltern es nie zuließen, wenn sich ein Kind vom Islam lossagen wolle.

Kelek und Ramadan bezichtigten einander wechselseitig der bewussten Entstellung, der bewussten Propaganda. Hier vermisste ich eine Grundhaltung des gegenseitigen Wohlwollens, wie sie doch angeblich für den Islam kennzeichnend sein soll.  Ein echtes Gespräch war unter diesen entgegengesetzten Vorzeichen nicht möglich, und die Moderatoren sahen ihre Aufgabe nicht darin, die beiden auf mögliche Gemeinsamkeiten hinzuführen. Ganz abgesehen davon, dass natürlich die Deutschen im Saal erkennbar kaum Erfahrungen mit Muslimen hatten und haben – wie sollten sie auch? Die Muslime leben in Deutschland weitgehend in ihrer eigenen, von außen nicht durchschaubaren Welt.

Die Fragen des Publikums waren ebenfalls emotional aufgewühlt: Eine deutsche Muslima beschuldigte beispielsweise Kelek, mit groben Falschaussagen ein verzerrtes Bild des Islam zu zeichnen. Ich selbst versuchte, die Wogen zu glätten, indem ich fragte: „Ich erlebe sich immer stärker abschottende Familien. Die muslimische Kindermehrheit und die wenigen deutschen Kinder driften immer mehr auseinander. Wie kann man das ändern?“Ramadan antwortete: „Da ist die Sozialpolitik gefragt.“ Nachher plauderte ich noch mit ihm. Ich bedankte mich für die Antwort, fügte aber offen hinzu: „Es wäre schön, wenn die Schüler sich mischen würden. Aber ich habe den Glauben an die Sozialpolitik nicht mehr. Wir brauchen einen neuen Geist.“

Es war eine Veranstaltung, in der die Luft flirrte und die Köpfe heiß liefen. Meine wichtigste Beobachtung: Die Deutschen haben eigentlich keine Ahnung von dem, was Islam bedeutet, und deshalb sind wir kaum imstande, den Wahrheitsgehalt von Keleks und Ramadans Äußerungen zu überprüfen. Wir sind auf das angewiesen, was einige wenige Muslime sagen und was wir beobachten. Wir tappen im Dunkeln. Schaut auf das Bild: Dort seht ihr eine große weiße unbeschriebene Leinwand. Das ist unser Bild vom Islam.

 Posted by at 23:30

  2 Responses to “Heißes Wasser wird über die Köpfe gegossen – der Kongress tazt (2)”

  1. Mit dieser Formulierung bezog ich mich beispielsweise auf die offizielle Stellungnahme der muslimischen Verbände zur Initiative Pro Reli. „FÜR GEGENSEITIGES VERSTÄNDNIS UND GEGENSEITIGE ANERKENNUNG“, so die offizielle Überschrift. Der Koran befiehlt immer wieder Eintracht und Harmonie zwischen allen Muslimen, also zwischen allen Rechtgläubigen. Hier saßen zwei Muslime auf dem Podium – und von Eintracht keine Spur.

  2. Zur “ … Grundhaltung des gegenseitigen Wohlwollens, wie sie doch angeblich für den Islam kennzeichnend sein soll.“,
    da hilft ein Blick in den Koran, insb. auf gültige medinische Verse.

    Sure 98:6 „Die Ungläubigen unter den Leuten des Buches (Juden und Christen):
    Sie sind von allen Wesen am abscheulichsten“.

    Sure 9,29: „Kämpft mit Waffen gegen diejenigen, die nicht an Allah glauben, noch an den jüngsten Tag glauben, und die nicht für verboten erklären, was Allah und sein Gesandter Mohammed für verboten erklärt haben, und die sich nicht nach der rechten Religion (dem Islam) richten – von denen, die die Schrift erhalten haben (d. h. Juden und Christen) – kämpft mit der Waffe gegen diese, bis sie die Minderheitensteuer abgeben als Erniedrigte!“

    Sure 54,17: „Der Koran soll leicht verständlich und für jedermann zu begreifen sein.“

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