Mai 052009
 

Ich habe meine gesamte Kindheit und Jugend in Bayern verbracht. Wie oft stritt ich mich damals in den 80-er Jahren mit meinem Vater und dessen Altersgenossen! „Halte dich von den Grünen fern – die sind alle kommunistisch unterwandert!“, so versuchten mich „die Väter“ immer wieder davon abzuhalten, eigene Wege zu suchen. Ich hielt das damals alles für üble Verleumdung. Selbstverständlich war ich widerborstig, selbstverständlich war ich ein Produkt meiner Erziehung. Zur CSU ging „man“ in meinen Kreisen nicht, die war nach dem fast einhelligen Urteil meiner Altersgruppe rückwärtsgewandt, konservativ-verstockt, machtversessen und obendrein kommunistenfresserisch veranlagt. „Man“ wählte die Grünen. Ich zog während des Studiums nach Kreuzberg. Das Bild blieb ähnlich: allerdings war das Feindbild hier nicht die CSU, sondern eine zuverlässig als Feindbild dienende Altparteienkoalition aus SPD, CDU und FDP. Aber selbst diese Parteien waren nicht verlässlich genug: Man wusste damals in den 80-er Jahren nicht, wann der nächste Bestechungs- oder Bauskandal hochging. „Man“ war in meinen Kreisen fest überzeugt: „Hier in Berlin kann man eigentlich nur die AL, also die Grünen, wählen.“ Alle anderen Parteien galten als Klientelparteien, die in hohem Maße korrumpierbar erschienen.

Eine unschöne Alternative tat sich auf. Hier: kommunistisch unterwandert! Dort: eine korrupte Betonkopfriege!

Was war dran an den Vorwürfen der Gegenseite, dass die Bundesrepublik kommunistisch unterwandert sei? Heute wird von einem Besuch der Bundeskanzlerin im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen berichtet:

Merkel: „Auch in der Freiheit braucht man Mut“
Der kultur- und medienpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Christoph Waitz, hatte Merkel im Vorfeld aufgefordert, „endlich auch die Stasi-Vergangenheit des Deutschen Bundestages und aller Ministerien“ erforschen zu lassen. Inoffizielle Mitarbeiter seien nicht nur ein ostdeutsches Phänomen gewesen. Waitz rief die Kanzlerin in einer Mitteilung dazu auf, ein Forschungsprojekt anzuschieben, das die Verstrickung westdeutscher Politiker zwischen 1949 und 1990 untersucht.

„Auch in der Freiheit braucht man Mut“ – dieser Satz gefällt mir. Hier kann jeder sich fragen, ob er heute, jetzt, genug Mut aufbringt, auch einmal tapfer gegen die Mehrheitsmeinung zu stehen! Innerhalb seiner Partei, innerhalb der Gruppe seiner Altersgenossen, innerhalb der Öffentlichkeit, innerhalb seines ganz privaten Umfeldes. Der Konformitätsdruck ist auch in einer freien Gesellschaft wie unserer stark – ihm zu widerstehen ist schwer. Leicht ist es, über andere zu urteilen. Die Frage: „Wie hätte ich gehandelt?“ ist nur hypothetisch.

Schwieriger ist es, sich die echte Frage zu stellen: „Wie handle ich jetzt? Was ist das Richtige jetzt, in diesem Augenblick, für mich und für die Menschen, für die ich Verantwortung trage?“

Wie stark war die Stasi damals in der BRD vertreten? Ich lernte in den achtziger Jahren tatsächlich einmal zufällig einen DDR-Agenten kennen. Er vertraute mir an, dass er für die Auslandsaufklärung der DDR arbeite. Systematisch sammle er Material, liefere Informationen an die Zentrale. „Und so wie mich gibt es Tausende, überall in den Institutionen, den Behörden und Schulen. Wir arbeiten an der Zerstörung der Bundesrepublik von innen her. Auspacken, uns anvertrauen dürfen wir nicht. Wer auspackt, spielt mit seinem Leben. Der wird umgelegt. Ich sitze in der Falle. Ein Autounfall ist schnell ins Werk gesetzt.“ Ich vergaß diese Episode nahezu, hielt sie für übertrieben. Sie passte nicht in mein Weltbild. Ich konnte damals nicht zugeben, dass die Väter mit ihren lästigen und, wie ich fand, dummen Warnungen vor einer kommunistischen Unterwanderung des Staates Bundesrepublik Deutschland vielleicht doch nicht ganz unrecht hatten.

In Kreuzberg begegnete ich damals immer wieder dem mittlerweile verstorbenen Bundestagsabgeordneten Dirk Schneider. Ich erlebte ihn als machtbewussten Redner in Versammlungen, begegnete ihm, wie er seinen Einkaufskorb trug, bei Kaiser’s Ecke Großbeerenstraße. Ein nicht unfreundlicher Mann, der aus seinen Sympathien für den anderen, den – wie er meinte – besseren deutschen Staat kein Hehl machte. Nach dem Mauerfall kam heraus: Auch er stand im Sold des MfS.

Es ergibt sich für mich aus allem, was ich weiß, folgendes Bild: Die Bundesrepublik Deutschland war bis 1989 in der Tat durch ein Netz von aktiven Mitarbeitern des MfS durchzogen, von denen die meisten nach der Vereinigung unbehelligt weiterlebten. Sie wirkten für die Zersetzung der Bundesrepublik von innen heraus. Das böse Wort „Unterwanderung“ traf in weiten Teilen für die Bundesrepublik vermutlich zu.

Wie viel Wahrheit verträgt unsere bundesdeutsche Gesellschaft?  Soll man alles auspacken und anpacken – wie die SPD so hübsch formuliert?

Die Frage, so meine ich, hat die bundesdeutsche Gesellschaft bisher so beantwortet: Ungefähres andeuten, dunkles Raunen – ja. Aber systematische Aufarbeitung – nein.

Um so wichtiger sind Besuche in Hohenschönhausen und anderen Orten. Um so wichtiger ist es, jederzeit im eigenen Umfeld dafür einzutreten, dass eine derartige Unterhöhlung des Vertrauens, ein derartiger Zerstörungsversuch der Institutionen nicht wieder Platz greift. Mit dem Mut, der Freiheit möglich macht.

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„Sozialistische Einheitsschule“ oder demokratische Vielfaltsschule?

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Mai 052009
 

Vor mir liegt sie, die bunte Din-4-Broschüre der Hamburger Senatorin für Schule und Berufsbildung Christa Goetsch: „Eine kluge Stadt braucht alle Talente„, Stand April 2009. Insgesamt herausragend gut gemacht ist diese Erklärung eines neuen Schulmodells. Stichworte: Eine neue Lernkultur und eine neue Schulstruktur, längeres gemeinsames Lernen, zwei Wege zum Abitur. Auf S. 6 wird alles schön übersichtlich dargestellt. Das Gymnasium bleibt ab Klasse 7 erhalten und führt nach Klasse 12 zum Abitur, aber daneben treten die Stadtteilschulen ab Klasse 7, die nach 13 Jahren zum Abitur führen.

Was mir sofort kritisch auffällt, und was auch nach genauem Studium der Broschüre als Eindruck bestehen bleibt, ist folgendes:

1. Das Nebeneinander von Stadtteilschule und Gymnasium, die beide zum Abitur führen sollen, ist eine unnötige Verdoppelung: Verdoppelung bedeutet erheblichen bürokratischen Mehraufwand. Der Regelungsbedarf im überregulierten System Schule wird noch einmal zunehmen. Hier hätte man meines Erachtens unbedingt eine formale Zusammenlegung von Stadtteilschule und Gymnasium herbeiführen müssen. Wie man das Kind nennt, ist zweitrangig. Damit die bildungserpichten Eltern keine Revolution anzetteln, schlage ich vor, man greife zum alten griechischen Wort für Fitness-Freiluft-Studio, also gymnasion. Das Gymnasium ist das Fitness-Studio unserer Jugend – wer dort übt, wird sich auf der Ringbahn des Lebens behaupten können.

2. Es fehlt ein starker Akzent auf dem Mittleren Schulabschluss nach 10 Jahren. Der Schulabschluss nach 10 Jahren ist europaweit die meistgewählte Schuldauer. Der 10-jährige Schulbesuch  muss so gestaltet werden, dass er einen vollwertigen ersten Schulabschluss sichert. Damit kämen wir endlich auch in eine Vergleichbarkeit mit den Schulsystemen der anderen europäischen Länder.

Was brauchen  wir in Berlin?

Mehr Einheit, mehr Vielfalt, mehr Vergleichbarkeit! Man muss den gordischen Knoten durchhauen, den das geradezu bizarr zersplitterte Berliner Schulwesen geschürzt hat.

Wir brauchen einen formalen Schulabschluss nach Sekundarstufe I, und einen formalen Schulabschluss nach Sekundarstufe II. Jeder Schüler sollte ertüchtigt werden, die Sekundarstufe I abzuschließen. Innerhalb dieser formal und administrativ einheitlichen Sekundarstufen I und II ist die breiteste Vielfalt denkbar und wünschenswert!

Formale Gleichstellung aller bestehenden Schulen, die zur Sekundarstufe I und II führen – aber innerhalb dieser administrativ vereinheitlichten Strukturen eine größtmögliche Fülle an Möglichkeiten für selbstgesteuertes,  zur Freiheit erziehendes Lernen. Die Schulen brauchen unter diesem einheitlichen Dach mehr Selbständigkeit, um sich ein unverwechselbares Profil zu geben. Dafür trete ich ein. Ich nenne diese Schule die „Demokratische Vielfaltsschule“.

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Mai 042009
 

Wenig Freude erlebt der hier bloggende Kreuzberger Vater  beim Blick in die früher despektierlich Mottenpost genannte Gazette. Die im echten Leben Morgenpost genannte Zeitung schreibt heute:

Bildung – Größere Klassen für Berliner Schulanfänger – Berlin – Berliner Morgenpost
Erst vor wenigen Monaten wehrten sich die Schulleiter des Bezirks Mitte in einem öffentlichen Brandbrief gegen zu große Klassen. Doch offenbar verhallte der Hilferuf: Die Bildungsverwaltung hat entschieden, den Anteil von Kindern aus Migranten-Familien an Brennpunkt-Schulen heraufzusetzen und die Klassenstärken zu erhöhen.

A propos despektierlich:  Unsere Bildungsstadträtin Monika Herrmann nimmt kein Blatt vor den Mund. In ungewohnter Deutlichkeit kämpft sie gegen die ihr vorgeschaltete Obrigkeit und für die Beibehaltung der niedrigeren  Schülerzahlen. Das finde ich erfrischend! „Wir bleiben widerborstig“, würde Jürgen Trittin wohl lobend zu seiner Parteifreundin sagen. Morgenpost berichtet:

Monika Herrmann, Bildungsstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg, wird noch deutlicher. „Die Anweisung ist idiotisch“, sagt die Grünen-Politikerin. Das sei ein klares Signal zur Lehrereinsparung. Ein „katastrophales Vorgehen“, so Herrmann. Dabei habe sich die Regelung vom vergangenen Jahr bewährt. Offenbar würden die Lehrerstunden an anderer Stelle benötigt, sagt Herrmann.

Die Bildungsverwaltung weist den Sparvorwurf zurück. Die Vorschrift sei schlicht nicht mehr nötig, da es an Brennpunktschulen ohnehin nicht zu viele Bewerber gebe, sagt Erhard Laube, zuständiger Referent in der Bildungsverwaltung. „Wir gehen davon aus, dass sich die Frequenzen dadurch nicht erhöhen werden“, sagt Laube. Und wenn doch mehr als 24 Kinder in einer Klasse säßen, gebe es dafür zusätzliche Teilungsstunden.

Was meint der hier bloggende Kreuzberger Vater? Nun, als ältlich-konservativer Knochen, der ich nun mal bin, befleißige ich mich in aller Regel einer zurückhaltenderen Wortwahl. Ich verwende kaum – und wenn, dann nur in Zitaten –  „Ausdrücke“, wie es im Schulprogramm meiner Vorzugsschule so schön heißt.

Ich kenne die Dienstanweisung nicht. Unabhängig davon meine ich: Dienstanweisungen sollten klar, nachvollziehbar und zielführend sein. Wenn bereits die Vertreterin einer nachgeordneten Behörde sich öffentlich gegen sie ausspricht, kann etwas nicht stimmen. Dann sollte man ehrlich und unumwunden Ross und Reiter nennen und sagen: „Tut uns leid, Jungs. War gut gemeint. Aber das Geld ist alle.“

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Chancengerechtigkeit fördern – hin zur einheitlichen Vielfaltsschule!

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Mai 042009
 

Das Gymnasium schlägt zurück

Unter diesem Titel erscheint heute ein weiterer Beitrag im Tagesspiegel. Ich, auch nicht faul, suche inständig nach Formulierungen, wäge jedes Wort und setze dann folgenden Kommentar in die Online-Ausgabe des Tagesspiegels: 

„Vor allem beim Lesen und dem Textverständnis, so die Studie, spreche viel dafür, dass der Entwicklungsprozess von den Vorleistungen der Schüler und des Elternhauses lebt. Die grundständigen Gymnasien könnten davon profitieren, ohne diese Entwicklung selbst aktiv zu fördern.“ So berichtet die Süddeutsche Zeitung am 04.05.2009. Das Gymnasium sahnt also ab. Familien, die Aufmerksamkeit, Lernen, Sprachfertigkeiten bei den Kindern fördern, neigen dazu, ihre Kinder aufs grundständige Gymnasium zu schicken. Es ist doch klar, dass Gymnasien bei einer solchen Vorsortierung durchschnittlich bessere Lernergebnisse erzielen als Haupt- und Realschulen. Die Familien, nicht die Schulen, sind also im derzeitigen gegliederten Schulsystem die entscheidenden Faktoren, die den Bildungserfolg für das gesamte spätere Leben beeinflussen. Wer mehr Chancengerechtigkeit für Kinder herstellen will, muss zuerst die Familien, also die Eltern und Kinder, beeinflussen. In einem zweiten Schritt müssen die Grenzanlagen zwischen den Schultypen abgebaut werden. Die Stolperdrähte müssen durchgezwickt werden. In einem dritten Schritt muss die Gleichrangigkeit aller Schulformen hergestellt werden. Am Schluss sollte dann eine einheitliche, demokratische Vielfaltsschule stehen, die nach 9, 10, 12 oder 13 Jahren mannigfaltige, gleichrangige und miteinander vergleichbare Abschlüsse ermöglicht.

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„Seht ihr! Ich hab’s euch gesagt!“

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Mai 042009
 

12102008001.jpg Genau dieser besserwisserische Gedanke zuckt mir soeben durch den Kopf, als ich heute in der Süddeutschen Zeitung auf S. 38 weitere Vorabberichte über die geheimnisumwitterte neue Studie des Bildungsforschers Jürgen Baumert lese (dieses Blog berichtete am 02.05.2009). Schon seit Monaten tippe ich mir die Finger wund, um einen Gedanken unters Volk zu streuen, den offenbar nur wenige haben: „An die Eltern müssen wir ran! Die Familien – also die Eltern und die Kinder – sind viel entscheidender als die Schulen für den Bildungserfolg der Schüler. Wer Schulkarrieren beeinflussen will, muss vor allem Familien beeinflussen.“

Na, und was soll ich euch sagen? Endlich lese ich etwas Ähnliches auch in der neuen Auswertung der unter Leitung von Rainer Lehmann durchgeführten Element-Studie.  Ich bekomme sozusagen Munition für meine Redeschlachten! Zitat gefällig? Hier kommt sie, Süddeutsche von heute, S. 38:

Die auf sechs Jahre ausgedehnte Grundschulzeit muss demnach keineswegs zu Lasten besonders leistungsstarker Schüler gehen, wie das viele Eltern befürchten. Vor allem beim Lesen und dem Textverständnis, so die Studie, spreche viel dafür, dass der Entwicklungsprozess „von den Vorleistungen der Schüler und des Elternhauses lebt“. Die grundständigen Gymnasien könnten davon profitieren, ohne diese Entwicklung selbst aktiv zu fördern. „Generell ist fraglich, ob die Gymnasien die Förderung der Lesekompetenz als akademische Aufgabe aller Fächer bislang überhaupt entdeckt haben.“

Na bitte! Manche Familien fördern Aufmerksamkeit, Lesen, Konzentrationsfähigkeit, gute Sprachfähigkeiten bei ihren Kindern von Anfang an stärker als andere. Diese fördernden Familien neigen dazu, ihre Kinder dann ins grundständige Gymnasium zu schicken. Das Gymnasium nimmt diese Vorauswahl dankend entgegen und leitet seine Überlegenheitsansprüche von der Vorleistung der Eltern und der Kinder ab. Und jetzt kommt der springende Punkt: Werden diese von den Familien stärker geförderten Kinder eher gebremst oder gefördert, wenn sie mit allen anderen Kindern zusammen lernen? Darüber herrscht keine Einigkeit.

Was tun? Letztlich werden uns die Bildungsforscher keinerlei politische Entscheidungen abnehmen können! Sie können nur Hinweise geben. Die Ziele politischen Handelns müssen wir Bürger untereinander ausmachen. Wir müssen uns fragen: Wollen wir die De-facto-Apartheid der Schülerpopulationen weiter verstärken oder wollen wir sie abbauen? Wie jener ungarische Oberst Novaki, den wir vorgestern zitierten, stehen wir vor Alternativen: Wollen wir weiter in Grenzbefestigungen investieren, oder wollen wir die Grenzen abbauen?

Meine Überlegungen gehen in folgende Richtung:

Wir brauchen eine Schule, die allen Schülern jederzeit den Grenzübertritt ermöglicht.  Wie im Unterricht selbst, so muss auch in den Bildungsgängen ein hohes Maß an individuellem Lernen möglich sein. Die Sortierung in „höhere“ und „niedrigere“ Schulformen sollte aufhören. Es darf nicht sein, dass eine Schulform ohne eigene Leistung alle besser geförderten Kinder abzieht und die verbleibenden Kinder an Restschulen delegiert.

 Posted by at 09:19
Mai 032009
 

Hertha spielte heute 1:1 in Hamburg. Ein mageres Pünktchen. Dass Raffael in der 38. Minute nicht auf den freistehenden Pantelic abgibt, sondern es selber versucht und dann vergibt – war das spielentscheidend? Ich glaube: Eher nein. Egal – nach dem Spiel ist nach dem Spiel. Gestern ist gestern. Und als Zuschauer ist man immer schlauer. Trotzdem – Favre hat das Team toll aufgebaut und dahin geführt, wo man die Hertha vor Saisonbeginn nicht vermutet hätte.

Eine Partie, die ich leider versäumt habe, bleibt immerhin im Spielbericht durch Alan Posener für mich nacherlebbar. Im Wedding wurde das Projekt Sprint vorgestellt. Dabei geht es darum, dass angehende Lehrer Deutsch als Zweitsprache unterrichten. Die deutsche Sprache ist das A und O bei der Integration von hier geborenen und aufwachsenden Kindern. Diese Einsicht schien am 29.04. niemand in Frage zu stellen. Gut so! Anschließend wurde fleißig diskutiert, aber offenbar wenig gestritten. Diese Kinder gehören zu uns, sie bereichern uns – das hat Vera Lengsfeld gesagt. Und das erlebe ich persönlich Tag um Tag als Vater eines Sohnes, der immerhin zur Hälfte zur NDH ist.

NDH steht übrigens für Nichtdeutscher Herkunft. Es klingt irgendwie noch kälter, noch etikettenhafter, noch schneidender als „mit Migrationshintergund“.

Anschließend wurde mit Vertretern von Parteien diskutiert. Launischer, aber sehr treffender Kommentar von Alan Posener, den ihr lesen solltet, indem ihr auf den Link klickt!

Vera Lengsfeld hat erkannt, was die Menschen bewegt, woran unser Land arbeiten muss. Gestern ist gestern. Das Morgen liegt in unserer Hand.

Die Achse des Guten: Gestern abend im Wedding
Die CDU, die eigentlich gegen plebiszitäre Elemente ist (wie ich finde, zu Recht), hat nun mit zwei Scheindebatten – Pro Tempelhof und Pro Reli – die Berliner davon abgehalten, über die für ihre Stadt wichtigen Dinge zu reden. Dabei machte sie, wie mir ein prominenter Bundes-CDUler sagte, bei Tempelhof die Erfahrung, dass die Berliner automatisch mit Ablehnung reagieren, wenn sie das Gefühl haben, dahinter stecke die Union. Deshalb hat sie bei ProReli ihre Unterstützung zu verstecken versucht. Verrückte Welt. Aber vielleicht steckt darin eine Lehre für die CDU Berlin, die einmal – unter Eberhard Diepgen – eine (vielleicht korrupte, aber hey, das hier ist Berlin!) Volkspartei war. Weniger Demagogie. Weniger 68er Guerillataktik. Mehr Sacharbeit. Bessere Gesichter. Dann kann sie in Berlin vielleicht wieder zur politischen Kraft werden. Die Integration ist DAS Thema einer Stadt, in der die Hälfte der Schulkinder (sorry, Herr Fritsch) NDH sind. Mit der weltoffenen Einstellung, die Frau Lengsfeld gestern im Wedding an den Tag legte, könnte die CDU punkten, wenn sie sich des Themas ernsthaft annehmen wollte. Freilich war Frau Lengsfeld nur deshalb auf dem Weddinger Podium (sie kandidiert eigentlich in Kreuzberg für den Bundestag), weil kein Bildungspolitiker der CDU Zeit hatte.

 Posted by at 18:38

SED bekam nichts mit, als der Eiserne Vorhang riss

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Mai 022009
 

20042009011.jpg Eine der besten Reden, die ich seit langem lese, entnehme ich wörtlich der Süddeutschen Zeitung von heute:

„Mit den Grenzbefestigungen haben wir drei Möglichkeiten: Die verrotteten Anlagen zu reparieren, das kostet viel Geld. Die Sperranlagen zu erneuern, das ist noch teurer. Oder das politische System zu ändern und die Grenze abzureißen.“

So sprach Oberst Halazs Novaki – und leitet damit herrlich ironisch eine weltpolitische Wende mit ein. Bravo! Hätten wir heute doch ebensoviel Mut wie die Ungarn damals vor 20 Jahren, am 2. Mai 1989! Es war 12.27 Uhr. Ort: Hegyeshalom.

Die Welt erläutert:

Geschichte: SED bekam nichts mit, als der Eiserne Vorhang riss – Nachrichten Politik – WELT ONLINE
Knapp 90 Kilometer von Hegyeshalom entfernt sitzt Oberst István Frankó in der Soproner Kaserne mit Vertretern der Sicherheitsdirektion des Burgenlandes zusammen und informiert seine österreichischen Gäste ebenfalls über den geplanten Abbau. Den Abbau des Signalzauns begründen die Offiziere mit pragmatischen Erwägungen. Der Zaun sei stark verrostet. Da Moskau aber keinen Ersatz liefern würde, habe man drei Möglichkeiten: die Anlagen selbst zu reparieren oder neue zu bauen – beides würde aber wertvolle Devisen kosten. Die dritte Möglichkeit, und nun wird es hoch politisch: Ungarn reißt die Anlagen ab und gestaltet die Grenze nach „humanen und kultivierten Gepflogenheiten“. Man habe sich dafür entschieden.

Bild: Blick von der Monumentenbrücke in Berlin auf Gleisgelände.

 Posted by at 23:34

Und wieder eine Studie über Berlins Schulen …

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Mai 022009
 

30042009.jpg Das Schulwesen gehört zu den überforschtesten Feldern überhaupt. Wieder einmal kommt eine neue Studie auf den Meinungsmarkt. Und wieder einmal werden alle Seiten sich nach Belieben bedienen. Wieder einmal wird sich die Debatte über Schulformen aufschaukeln. Lest selbst im neuesten Tagesspiegel:

Experte lobt Berlins Grundschulen
Auf Berlin kommt eine neue Diskussion über den Nutzen eines vorzeitigen Übergangs auf die Gymnasien zu. In einer aktuellen Untersuchung, die dem Tagesspiegel vorliegt, widerspricht der renommierte Bildungswissenschaftler Jürgen Baumert der Annahme, dass die grundständigen Gymnasien in den Klassen fünf und sechs bei besonders leistungsfähigen Schülern generell eine bessere Förderung der Lesefähigkeit und des mathematischen Verständnisses der Schüler erreichen als die Grundschulen. Damit widerspricht er seinem Kollegen Rainer Lehmann, der nach der Auswertung seiner „Element-Studie“ vor einem Jahr behauptet hatte, es gebe solche Fördereffekte. […]

Sofort nach Bekanntwerden der Lehmann-Thesen hatten sich Zweifler gemeldet und warfen ihm vor, die erhobenen Daten falsch interpretiert zu haben. Insbesondere rief Lehmann alle Befürworter der sechsjährigen Grundschule auf den Plan, die nun fürchteten, es würden noch mehr Eltern versuchen, ihre Kinder frühzeitig auf die Gymnasien zu bringen. Daraufhin bat die Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) den für die erste „Pisa-Studie“ verantwortlichen Baumert um eine „Reanalyse“ der Lehmann-Daten. Diese liegt jetzt vor und erscheint in der nächsten Ausgabe der „Zeitschrift für Erziehungswissenschaft“. Ob der 27-seitige Aufsatz allerdings dazu angetan ist, die Elternentscheidungen beim Übergang zum Gymnasien zu beeinflussen, bleibt fraglich: Für sie zählt, dass sie in den grundständigen Klassen insgesamt ein höheres Lernniveau und eine sozial ausgewählte Schülerschaft erwarten.

Ich meine: Ein besseres Lernen ist jederzeit und überall möglich. Vor allem dann, wenn man die Kinder vom ersten Lebenstag an in die deutsche Sprache hineinwachsen lässt. Die politischen Entscheidungen werden uns die Bildungsforscher nicht abnehmen. An die Familien müssen wir herantreten.

 Posted by at 23:17

Ist ganz Deutschland ein riesiges Gefängnis?

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Mai 022009
 

01052009002.jpg Genau diese Meinung scheint die Frau Ditfurth zu hegen. Sie wurde gestern mit dem Satz zitiert: „Die soziale Ordnung in Deutschland bleibt eine Gefängnisordnung.“ Gnä‘ Frau, ich hege den Verdacht, dass gnä‘ Frau sich irren!

Aber fragen wir uns im Ernst: Wie schaut es in deutschen Gefängnissen aus? Fragen wir doch – den Häftling Heribert!  Häftling Heribert ist nicht auf den Mund gefallen, er berichtet für uns im Magazin der Süddeutschen Zeitung von gestern aus dem Inneren jener Gefängnisordnung, von der Frau Jutta so vollmundig behauptet, sie wisse, wie es darin zugeht. Heribert hat etwas Tolles gemacht: Er hat sich umgehört – wie schaut’s in anderen Gefängnissen aus? Was sagt zum Beispiel Dimitri? „Dimitri hat internationale Knasterfahrung, er kennt die russischen Gefängnisse von innen. In der JVA Oldenburg sitzt er, weil er ohne Ticket gefahren ist.“ Wie schneiden unsere deutschen Gefängnisse im internationalen Vergleich ab? Fragt Russen wie Dimitri! Sie schneiden nämlich sehr schlecht ab! Schockierend: Dimitri scheint den Knast nicht für voll zu nehmen. „Kein Vergleich“, sagt er, „eher Sport hier.“ Ich meine: Ein klarer Fall für amnesty international!

Und sonst? Der Bericht des Häftlings Heribert erinnert mich in vielem an den Bericht des taz-Redakteurs Christian Füller  über die gute Schule. Gute Schule ist möglich. Guter Knast ist möglich. Die JVA Oldenburg ist ein gutes Gefängnis! Denn sie stärkt die Eigenverantwortung der Insassen, sie ist liberal und konsequent zugleich, sie behandelt die Gefangenen als „Staatsbürger hinter Gittern.“ Vorbildlich! Nebenbei: Nach gesicherten Erkenntnissen werden etwa 50% aller jungen Männer im Laufe ihres Lebens bis zum Alter 25 Jahren straffällig – das heißt, sie begehen eine Straftat, die dann irgendwie aktenkundig wird. Selbstverständlich landen nicht alle dieser Straffälligen vor den Schranken eines Gerichts, aber Straftaten begangen werden von der Hälfte aller jungen Männer in Deutschland. Kriminalität entspringt also aus der Mitte der Gesellschaft. Wie wir damit umgehen, ist ein Gradmesser unserer Kultur.

Zitieren wir SZ-Häftling Heribert mit seinen sehr schönen Schlussworten! Bitte mehr davon!

Im Gefängnis arbeiten keine Wärter, sondern Leute mit souveräner Leidenschaft und hoher Frustrationsschwelle. Leute, für die ein Tag gut ist, weil der renitente Gefangene sich endlich ein »guten Morgen« abquetscht. Hier im Gefängnis findet man einen Direktor, der begeistert ist, wenn er Häftlinge vom geschlossenen in den offenen Vollzug übergeben kann. Gerd Koop ist ein Haft-Manager (kein Jurist, sondern Sozialarbeiter mit Management-Ausbildung), der das Gefängnis als »Brücke ins Leben« betrachtet. Auf dieser Brücke steht er wie ein kleiner Franz von Assisi und spricht mit missionarischer Inbrunst. Er ersteigert eine Augenarztpraxis bei Ebay und staffiert eine Arrestzelle damit aus (die Gefangenen brauchen dann nicht in die Stadt »ausgeführt« zu werden, das ist riskant und teuer); er baut für eine Million eine neue Tischlereihalle (die Gefängnisprodukte sollen auf dem Markt bestehen können); er macht aus dem offenen Vollzug
der Gefängnisaußenstelle Wilhelmshaven ein Resozialisierungs-Schmuckstück. Das alles funktioniert auch deswegen, weil die Gefängnisse in Niedersachsen »budgetiert« sind; das heißt: Sie können finanziell weitgehend selbstständig arbeiten. Das beflügelt, das bringt einen neuen Geist in die Gefängnisse.

Wenn Vollzugsbeamte gut sind, behandeln sie die Häftlinge als Staatsbürger hinter Gittern. Die allermeisten Gefangenen bleiben nicht ewig Gefangene. Morgen sind sie wieder unsere Nachbarn. Diese Erkenntnis kann Gefängnisse verändern.

Wer immer von Gefängnisordnungen faselt und schwafelt, dem sei ein Besuch in russischen Gefängnissen wärmstens ans Herz gelegt – und anschließend ein Sozialisierungsaufenhalt in der JVA Oldenburg. Aber lest selbst:

Süddeutsche Zeitung Magazin – Gesellschaft/Leben: Die Welt als Zelle und Vorstellung

Das Bild zeigt einen Blick in unser Sozialgefängnis – gestern, Oranienstraße, Kreuzberg. Wir waren drin!

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Zeit zum Abtauchen. Unverbindlich.

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Mai 012009
 

01052009005.jpg Heute nachmittag trieben wir über das Myfest in der Oranienstraße hin. Die Menschen stehen in dichten Trauben. Mein Sohn Wanja zieht mich furchtlos durch die Menge. Es herrscht ausgelassene Feststimmung, buntes Treiben, die Atmosphäre ist vollkommen locker. Gegenüber der Blindenanstalt treffe ich Kurt Wansner, lachend, unversehrt an Leib und Leben. Wir plaudern ein paar Worte. Ein solches Fest erlaubt es dir abzutauchen. Dennoch herrscht eine gewisse Unverbindlichkeit. Es könnte alles so sein – oder auch anders. Es kommt nicht darauf an.

Und genau diese Unverbindlichkeit steckt auch in den Auseinandersetzungen zwischen Randalierern und Polizei, von denen ich jetzt nur noch in den Medien erfahre. Die Parolen, die da skandiert werden, sind sinnleer, austauschbar. Jutta Ditfurth sagte laut Tagesspiegel: „Die soziale Ordnung in Deutschland bleibt eine Gefängnisordnung.“ Im Verlauf der Wirtschaftskrise seien in Deutschland  100.000 Leiharbeiter „geräuschlos entsorgt“ worden. „Ulrike Meinhof hat Bambule empfohlen  – wir auch!“ „Wäre die Bastille gefallen – nur durch Lichterketten? Wäre die Befreiung vom Faschistenpack denkbar – als Loveparade?“ Eine grandiose Selbstüberschätzung der Rednerin, erklärbar nur durch völlige Verblendung. Ein Bezug zur Realität ist in solchen Worthülsen nicht mehr erkennbar.

Die Jungs im schwarzen Block, das sind unsere verlorenen Söhne, die sich da in die Austauschbarkeit maskieren, abtauchen in die Anonymität. Sie haben erkennbar nichts von der Welt gesehen, waren nie in Weißrussland oder in Kenia, haben nie mit Menschen aus den KZs oder aus dem GULAG geredet. Sie kennen keinen Hunger, keine Not. Ihnen fehlen jede Maßstäbe. Sie wollen zeigen: Schaut her, wir sind auch noch da. Eine maßlose Gier nach Aufmerksamkeit liegt in diesen Steinwürfen. Eine Gier, die keine anderen Mittel findet als eben diese Ausbrüche und Katz-und-Maus-Spiele. Erbärmlich.

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Anschwellende Glockentöne

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Mai 012009
 

30042009002.jpg Laue, herrliche Frühlingsabende bezaubern Berlin!

Gestern besuchten wir das Konzert des Russisch-belarussichen Jugend-Symphonieorchesters in der Heilig-Kreuz-Kirche. Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren spielen auf. Sie beginnen mit Mozarts Ouvertüre zur Hochzeit des Figaro. Hohes technisches Können, Hingabe, Ernst. Die Kirche ist gut gefüllt, es herrscht jene gesammelte Erwartung, wie sie sich nur dann einstellt, wenn Besucher und Musiker sich schon vorher verbunden fühlen.

In den Polowetzer Tänzen von Borodin werden Geschichten erzählt, vor meinem Auge ziehen Bilder auf. Überhaupt zeichnet das Spiele der jungen Musiker aus, dass sie eine Geschichte haben, es wird nicht nur ein Text heruntergespielt, nein, man spürt, wie sie etwas von sich zeigen, wie sie mitgehen. Wie mag das Leben der jungen Leute aussehen? Wahrscheinlich konzentrieren sie sich auf die Musik, sie haben Ziele. Wenn ich dagegen deutsche Jugendorchester oder Orchester von Musikhochschulen höre, drängt sich mir oft der Gedanke auf: Fein – aber die Musiker spielen so, als hätten sie noch was anderes vor. Nicht so gestern abend! Die jungen Russen und Weißrussen spielten mit Leidenschaft, mit Notwendigkeit spann sich ein Ton an den nächsten. Besonders stark bei Pjotr Tschaikowskijs „Festlicher Ouvertüre 1812“: Hier wird die Auseinadersetzung zwischen Russland und Frankreich geschildert. Kanondonner und Märsche ertönen, man hört die Marseillaise. Doch gegen Ende setzt sich sieghaft Russland durch, wir hören die Melodie von „Gott schütze den Zaren“.

Hier spielte das Orchester so, dass eindeutig erkennbar wurde: Mit dieser Musik meldet sich Russland als geistige Macht auf der europäischen Bühne zurück. „Wir sind wieder da – wir sind stärker als der Westen.“ Ich hörte dies heraus aus der musikalischen Interpretation. Es war wie ein Sog. In den letzten Takten erklingen hartnäckig, ohrenbetäubend anschwellend die Glocken einer orthodoxen Kirche. Sie schlagen dir etwas ins Gehör hinein. Eine überwältigende Erfahrung der inneren Gewißheit, der wir im Westen nichts entgegenzusetzen haben.

Mich bewegten Gedanken, weshalb unsere westliche Jugend im Gegensatz zu diesen Russen und Weißrussen oft so planlos, so unbeschäftigt, so satt auf mich wirkt. Wahrscheinlich haben sie zu viele Dinge, zu viel Zeit. Sie habe zu wenige Widrigkeiten zu überwinden. Deshalb bleiben viele Talente ungenutzt. Die Musik Tschaikowskijs oder Schtschedrins vermittelt schockartig ein Gefühl für die Kostbarkeit der Zeit: Denn all diese Momente, sie kommen nicht zurück. Auch jetzt, während du dies liest, erlebst du einen Augenblick, der nicht wiederkehren wird.

 Posted by at 22:48

Tu was – fahr Rad!

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Mai 012009
 

30042009001.jpg Laut Süddeutscher Zeitung vom 29.04.2009 stieg der Meeresspiegel klimabedingt von 1993 bis 2003 um durchschnittlich 3,3 Millimeter im Jahr. Die Zahl der sehr heißen Sommertage hat sich binnen 60 Jahren verdoppelt. Vor allem Ballungsräume wie Frankfurt und Berlin  werden sich auf sehr viel mehr heiße Tage einstellen müssen. Dies alles stimmt mich nachdenklich – dennoch fahren die Leute wie eh und je Auto in Berlin.

Tun sie das? Nein. Die Zahl der Autos nimmt in Berlin jährlich etwa ebenso stark ab, wie die Zahl der heißen Tage zunimmt. Besteht da ein Zusammenhang? Wir wissen es nicht exakt! Fast alles spricht dafür, dass die Zunahme der heißen Tage nicht mit der Abnahme des Autofahrens in Berlin erklärt werden kann, sondern mit der Beschleunigung des Klimawandels. Das Klima heizt sich seit Jahren etwas stärker auf, als die Berechnungen der Forscher im IPPC erwarten ließen. Haben wir Gewißheit, dass der Klimawandel tatsächlich durch ein kompliziertes, vom Menschen ausgelöstes Wechselspiel verursacht worden ist, bei dem die CO2-Konzentration ein Hauptfaktor ist? Die überwältigende Mehrheit der Naturwissenschaftler vertritt diese Meinung. Es gibt auch Zweifler. Letzte Gewißheit gibt es nicht – ich entscheide mich für die „80%-Gewißheit“. Und das bedeutet für mein eigenes Verhalten: Ich bin bestrebt, den eigenen schädlichen Einfluss auf das Klima möglichst gering zu halten.

Was kann der Einzelne tun, um das Stadtklima erträglicher zu gestalten? Viel! Mit jedem Kilometer, den ich mit dem Rad oder zu Fuß statt mit dem Auto  zurücklege, senke ich die klimaschädlichen Emissionen, vermindere ich die Feinstaubbelastung, verringere ich den gesundheitsschädlichen Lärm, verringere ich die Gefahr schwerer Unfälle für andere. Ich leiste einen kleinen, aber wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und tue obendrein etwas für meine Gesundheit.

Lest zum Thema Unfallgefahr beim Radfahren einen Bericht aus dem Tagesspiegel von heute:

Wo Berlin für Radfahrer am gefährlichsten ist
Berlin liegt mit nur 319 Pkw pro 1000 Einwohner weit unter dem Bundesdurchschnitt von 503. Der Stadtstaat hat damit die mit Abstand niedrigste Autodichte aller Bundesländer. Trotz niedriger Auto- und hoher Fahrradquote müssen sich Radfahrer einen schmalen Radweg teilen. Im Unterschied zur so genannten Radspur verläuft ein Radweg auf dem Gehweg, oft hinter parkenden Autos und damit außerhalb des Blickfelds von Autofahrern. „80 bis 90 Prozent der schweren und tödlichen Unfälle passieren auf diesen baulich angelegten Radwegen“, sagt Benno Koch, Fahrradbeauftragter des Berliner Senats. Radspuren, direkt auf der Straße, wie die auf der Oberbaumbrücke, würden schwere Radunfälle dagegen vermeiden helfen. […]

Die Radwege am Frankfurter Tor sind Unfallschwerpunkt

Derzeit wechseln sich benutzungspflichtige, andere und keine Radwege in Berlin immer wieder ab. Radfahrer sind so zum Beispiel auf der Gitschiner und der Skalitzer Straße gezwungen, ständig zwischen Fahrbahn und Radwegen hin und her zu wechseln. Zu dem Flickenteppich ist es gekommen, nachdem 1997 die Verwaltungsvorschriften zur StVO geändert wurden. Ein Jahr wurde den Kommunen Zeit gegeben, um ihre Radwege zu überprüfen – unter anderem auf eine Mindestbreite von 1,50 Meter. Den minimalen Anforderungen entsprechen jedoch immer noch viele ausgeschilderte Radwege nicht.

Am Frankfurter Tor gibt es beispielsweise einen Weg von unter einem Meter Breite – dieser kombinierte Rad- und Fußweg müsste nach StVO sogar mindest 2,50 Meter breit sein. In den Verwaltungsvorschriften heißt es zu dem Thema: „Ausnahmsweise und nach sorgfältiger Überprüfung kann von den Mindestmaßen dann, wenn es aufgrund der örtlichen oder verkehrlichen Verhältnisse erforderlich und verhältnismäßig ist, an kurzen Abschnitten (z. B. kurze Engstelle) unter Wahrung der Verkehrssicherheit abgewichen werden.“

Dass die Verkehrssicherheit am Frankfurter Tor – trotz oder gerade wegen der Radwege – nicht die beste ist, zeigt die Unfallstatistik der Berliner Polizei. Die Kreuzung am ehemals sozialistischen Boulevard zählt zu den Unfallschwerpunkten der Stadt. Alle Wege für Radfahrer an dem Knotenpunkt sind benutzungspflichtig.

Ich kenne diese Stellen sehr gut, bin sie häufig gefahren. Was mir immer wieder auffällt, ist, dass recht achtlos gefahren wird. Viele Radfahrer kamen mir auf den Radwegen und auf den Bürgersteigen in Gegenrichtung entgegen.  Wird ein PKW-Fahrer immer damit rechnen, dass Radfahrer in falscher Richtung den Gehweg befahren und bei Rot nicht anhalten?  Das Online-Forum zu diesem Artikel lohnt das Nachlesen! Ich greife einen Kommentar von berlinradler heraus, den ich für nachdenkenswert halte:

Sicher Radfahren

Sicherheit ist für viele Radfahrer ein Thema. Leider unterliegen sie aber oft einer falschen Gefahreneinschätzung. So beobachte ich oft mit Helm geschützte Radfahrer, wie sie falschherum auf dem Radweg oder gar auf dem Gehweg radeln. Sie schützen sich körperlich vor Unfällen, nicht aber verhaltenstechnisch.

Meine Tipps: Bürgersteigradwege und sehr enge Radstreifen meiden. Da man auf der Fahrbahn neben Radwegen oft angepöbelt oder gefährdet wird, ist die pragmatische Alternative das Suchen von Alternativrouten. Dabei kann auch www.bbbike.de helfen- ich stelle dort z.B. „nur Nebenstraßen benutzen“ und „rennradtauglich“ ein, da sonst oftmals Kopfsteinpflaster dabei ist.

Für die Frankfurter Allee und Stralauer Allee heisst meine Alternative Rüdersdorfer Straße, Singerstraße, Machlewskistraße und Revaler Straße – extrabreit und problemfrei! Manchmal fahre ich auch auf Radwegen, dabei bin ich an Ausfahrten immer bremsbereit und im Kreuzungsbereich extrem vorsichtig. Übrigens: das BGH entschied kürzlich, dass ein Radfahrer, der sich wegen einer unachtsam auf den Radweg tretenden Fußgängerin bei einer Eigengeschwindigkeit von 15 km/h verletzt hat, die volle Unfallschuld trägt. Also vorsichtig – Radwege sind nicht nur unfalltechnisch, sondern auch haftungstechnisch hochgefährlich.

Weiterer Tipp: Abstand zum rechten Fahrbahnrand halten. Zu parkenden Fahrzeugen sowieso (öffnende Türen). Aber auch sonst ist Nahüberholen sehr selten ein Thema, wenn man mit seinem Rad dort fährt, wo normalerweise der rechte Autoreifen fährt. Probierts mal aus, das hilft wirklich! Gibt es eine Fahrspur, so darf man aus psychologischen Gründen nie den Eindruck vermitteln, als würden ein Radfahrer UND ein Auto nebeneinander raufpassen.

Noch ein Tipp: An einer roten Ampel, an der nur wenige Fahrzeuge stehen, kann man sehr entspannt losfahren, wenn man hinter dem letzten Fahrzeug steht, statt sich rechts neben die bald anfahrenden Fahrzeuge zu quetschen.

 

Ich muss das Thema zur vertieften Diskussion in meine ADFC-Stadtteilgruppe einbringen! Frankfurter Tor, das ist unser Beritt.

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