Mai 012009
 

30042009002.jpg Laue, herrliche Frühlingsabende bezaubern Berlin!

Gestern besuchten wir das Konzert des Russisch-belarussichen Jugend-Symphonieorchesters in der Heilig-Kreuz-Kirche. Jugendliche im Alter von 14 bis 19 Jahren spielen auf. Sie beginnen mit Mozarts Ouvertüre zur Hochzeit des Figaro. Hohes technisches Können, Hingabe, Ernst. Die Kirche ist gut gefüllt, es herrscht jene gesammelte Erwartung, wie sie sich nur dann einstellt, wenn Besucher und Musiker sich schon vorher verbunden fühlen.

In den Polowetzer Tänzen von Borodin werden Geschichten erzählt, vor meinem Auge ziehen Bilder auf. Überhaupt zeichnet das Spiele der jungen Musiker aus, dass sie eine Geschichte haben, es wird nicht nur ein Text heruntergespielt, nein, man spürt, wie sie etwas von sich zeigen, wie sie mitgehen. Wie mag das Leben der jungen Leute aussehen? Wahrscheinlich konzentrieren sie sich auf die Musik, sie haben Ziele. Wenn ich dagegen deutsche Jugendorchester oder Orchester von Musikhochschulen höre, drängt sich mir oft der Gedanke auf: Fein – aber die Musiker spielen so, als hätten sie noch was anderes vor. Nicht so gestern abend! Die jungen Russen und Weißrussen spielten mit Leidenschaft, mit Notwendigkeit spann sich ein Ton an den nächsten. Besonders stark bei Pjotr Tschaikowskijs „Festlicher Ouvertüre 1812“: Hier wird die Auseinadersetzung zwischen Russland und Frankreich geschildert. Kanondonner und Märsche ertönen, man hört die Marseillaise. Doch gegen Ende setzt sich sieghaft Russland durch, wir hören die Melodie von „Gott schütze den Zaren“.

Hier spielte das Orchester so, dass eindeutig erkennbar wurde: Mit dieser Musik meldet sich Russland als geistige Macht auf der europäischen Bühne zurück. „Wir sind wieder da – wir sind stärker als der Westen.“ Ich hörte dies heraus aus der musikalischen Interpretation. Es war wie ein Sog. In den letzten Takten erklingen hartnäckig, ohrenbetäubend anschwellend die Glocken einer orthodoxen Kirche. Sie schlagen dir etwas ins Gehör hinein. Eine überwältigende Erfahrung der inneren Gewißheit, der wir im Westen nichts entgegenzusetzen haben.

Mich bewegten Gedanken, weshalb unsere westliche Jugend im Gegensatz zu diesen Russen und Weißrussen oft so planlos, so unbeschäftigt, so satt auf mich wirkt. Wahrscheinlich haben sie zu viele Dinge, zu viel Zeit. Sie habe zu wenige Widrigkeiten zu überwinden. Deshalb bleiben viele Talente ungenutzt. Die Musik Tschaikowskijs oder Schtschedrins vermittelt schockartig ein Gefühl für die Kostbarkeit der Zeit: Denn all diese Momente, sie kommen nicht zurück. Auch jetzt, während du dies liest, erlebst du einen Augenblick, der nicht wiederkehren wird.

 Posted by at 22:48

Sorry, the comment form is closed at this time.