Ein heute weithin verkannter, fähiger Strukturpolitiker war der Fürst Potemkin. Die meisten Hochgebildeten (also etwa alle Leser dieses Blogs) werden wohl noch den Ausdruck „Potemkinsche Dörfer“ kennen. Er führte seiner Chefin auf einer Schiffsfahrt („Lower Volga Cruise“, würde man heute auf Deutsch sagen) am Unterlauf der Wolga sauber hergerichtete, wohlhabende Dörfer vor, mit denen er die Tauglichkeit seines Strukturentwicklungs-Masterplans „Untere Wolga“ beweisen wollte.
Allerdings waren die Dörfer noch nicht so weit. Vieles war aufgehübschte Fassade, hinter denen die Bauern weiterhin ein dürftiges Leben, geprägt von echtem Hunger, echter Armut, echter Unterdrückung führten. Es gab weiterhin noch echte Armut, echte Unterdrückung, echte Armut in Russland, auch wenn Potemkin und seine Chefin, die Zarin Katharina (deutschen Migrationshintergrundes, 1. Zuwanderungsgeneration) mit den richtigen Grundeinsichten mühsam und langsam die Lage gegen die Besitzstandsverwalter, die mancherley adeligen Faulenzer des weiten Lands der Reussen, zu bessern versuchten.
Ich bezeichnete den jüngsten Kiezrundgang durch migrantische Sozialkieze mit Senatorin Junge-Reyer als Fassadentheater, als „Potemkinschen Kiezrundgang“. Zu Recht?
Ich habe von Dutzenden solchen Kiezrundgängen gehört und an einigen wenigen auch teilgenommen. Seither winke ich meist ab. Denn bei diesen Kiezrundgängen geht es häufig darum, echte Armut, echte Unterdrückung, echten Hunger nachzuweisen. Es gelingt nie. Es gibt keine echte Armut, keine Diskriminierung, keine Unterversorgung der migrantischen Sozialkieze. Sie leben ganz im Gegenteil in üppiger Überversorgung.
Was tun? „Die Armut ist nicht so sichtbar!“ So beteuern dann gerne sorgsam ausgewählte Sozialarbeiter, sorgsam ausgewählte Lehrer, sorgsam ausgewählte Migrantenverbandsvertreter und mancherley Besitzstandsverwalter des neuen Sozialadels. Und verlangen mehr Geld für sich selbst und ihr Schäfchen.
Drei Mal laut gelacht, kann ich da nur sagen!
Ich stehe weiterhin zu dem Ausdruck „Potemkinsche Kiezrundgänge“ – cum grano salis jedoch! So wie Fürst Potemkin versuchte nachzuweisen, dass es keine Armut, keine Unterdrückung in Russlands Dörfern mehr gebe, bemühen sich die heutigen Günstlinge des herrschenden Geldumverteilungssystems nachzuweisen, dass es Armut, Unterdrückung und Hunger in den migrantischen Sozialquartieren gebe.
Eines der Hauptprobleme der heutigen Berliner Landespolitik ist die jahrzehntelange Überversorgung mit Ressourcen. Die Berliner Landespolitik ist bis zum heutigen Tage in der Tat über die weitesten Teile nichts anderes als eine riesige Geldumverteilungsmaschinerie. Das gilt sowohl für den Osten wie für den Westen. Bereits die Hauptstadt der DDR war unvergleichlich überversorgt im Vergleich mit dem Rest der Republik. Ob Fahrradventile, Fußbälle, Fertigbauteile, Fressalien aus dem Westen – wenn es nirgendwo in den Kaufhallen der ganzen Republik so etwas gab – in der Hauptstadt konntest du es bekommen!
Gleiches galt für den Westen Berlins! Im Dienste der Freiheit wurden hier riesige Kolonnen an Geschenke-Empfängern herangezogen. Darunter der hier Bloggende, der arme Mann aus Kreuzberg. Denn auch ich war als studentische Hilfskraft an der FU Berlin Nutznießer der „Berlin-Zulage!“ Ich erhielt wesentlich mehr Geld als meine Berufskollegen in den anderen Bundesländern – für dieselbe Arbeit!
Und ich nutzte die niedrigen Kreuzberger Mieten aus, wohnte für 70 DM pro Monat in der herrlichen Hornstraße, einer der ersten verkehrsberuhigten Zonen des Bundeslandes Berlin!
So züchtet man über Jahrzehnte seine Truppen heran. Besser: Man verwöhnt sie, um sie dann als treues Stimmvieh für eigene Zwecke einspannen zu können.
Nirgendwo finden sich in Berlin Hungernde, Arme, Unterdrückte. Was tun? Siehe oben!
Man sagt halt: „Die Armut ist nicht so sichtbar!“
Ach was. Grotesk, lächerlich, eine Komödie. Bitte Vorhang fallen lassen zu diesen langweiligen Jammerarien!
Ist man arm, wenn man die Ferien nach dem jeweils billigsten Flugangebot von Ryan Air planen muss?
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