Apr. 102009
 

„Die politische Klasse hat unser Wahlsystem in eigener Sache derart pervertiert, dass die Abgeordneten gar nicht mehr vom Volk gewählt werden, wie es das Grundgesetz verlangt. Wen die Parteien auf sichere Plätze setzen – und das ist oft die große Mehrheit der Abgeordneten -, der ist lange vor der Wahl praktisch schon „gewählt“, bloß eben nicht von den Bürgern“ (S. 42).

Mit diesen Worten zitierten wir am 02.07.2008 den Juristen Hans Herbert von Arnim. Bundespräsident Köhler hat in seiner Paulskirchenrede ebenfalls Änderungen im Wahlrecht gefordert. Thomas de Maizière wiederum sprach treffend von der „Feigheit“ der Politiker, nennt unser heutiges föderales System gerne ein System der organisierten Verantwortungslosigkeit. (Dieses Blog berichtete am 31.03.2009). Ihr seht: Die Meinungsfreiheit steht in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur auf dem Papier. Jede und jeder darf seine Kritik öffentlich aussprechen – auch jene, die selbst führend am Funktionieren des Systems beteiligt sind. Das ist schön!

Aber kaum jemand führt eine derart offene Sprache wie Peter Gauweiler: „Wir haben vor Feigheit gestunken„, wird er in Spiegel online zitiert. Mit diesem Diktum fasst er seine Beobachtungen über das Verhalten der Bundestagsabgeordneten, deren einer er selbst ist, zusammen.

Er habe den Eindruck, „dass Abgeordnete, die eigenständig über das eigene Land reden wollen, nicht mehr erwünscht sind“, so der Bundestagsabgeordnete.  „Was mich beunruhigt, ist, dass das Funktionieren im System so kritiklos hingenommen wird. Das gefährdet die Demokratie.“

„Das Funktionieren im System wird kritiklos hingenommen.“ Gauweiler beklagte insbesondere, dass die Fraktionsführung der Union bei wichtigen Themen, etwa der Abstimmung über die Erbschaftsteuerreform, massiv Druck auf Abweichler ausgeübt habe. „Da wurden bis zum Schluss Abgeordnete, die ihr abweichendes Votum bereits angekündigt hatten, in einer Weise geknetet und gedreht, dass es einem schlecht werden konnte.“

Duckmäusertum, Stromlinienförmigkeit, Bequemlichkeit – diese Haltungen seien vorherrschend. Eine Kontrollfunktion übe das Parlament nur unzureichend aus. Er schlägt deshalb – wie dieses Blog am 27.03.2009 – eine Stärkung der Direktkandidaturen vor, ja der bajuwarische Rebell möchte die Listenwahl ganz abschaffen.

Ich meine dazu: Wir brauchen dringend eine Rückbesinnung auf die klassische Gewaltenteilung. Das Parlament als Gesetzgeber, die Regierung als ausführende Gewalt, die Justiz als richtende Gewalt: das sind die „drei Gewalten“, die voneinander weitgehend unabhängig handlungsfähig sein müssen. Der deutsche Bundestag ist jedoch in der Tat über weite Strecken zu einem Akklamationsorgan, zu einer Mehrheitsbeschaffungsmaschine für die Regierung verkommen. Allein die Zahl der Gesetzesinitiativen des Bundestags ist in der laufenden Legislatur im freien Fall begriffen, alle wesentlichen Vorlagen kommen von der Regierung. Die Fraktionen haben fast keine Kraft, eigene Vorstellungen streitig durchzusetzen. Insofern gebe ich Kritikern wie Gauweiler, von Arnim oder de Maizière recht.

Mein Eindruck ist: Die Parteien sind insgesamt in der Bundesrepublik Deutschland viel zu mächtig geworden. Die verfassungsmäßige Gewalt der Legislative ist mittlerweile insgesamt viel zu schwach, weil sie mit der Regierung über die weit stärkeren Parteien verkoppelt ist.

Woran liegt das? Wie lässt es sich ändern?

Man stelle sich vor, jemand strebte in das Parlament, der genau dies zu seinem Programm erhöbe: Stärkung der drei voneinander unabhängigen Gewalten, Machteindämmung der Parteien, Ertüchtigung der Legislative, stärkere Kontrolle der Regierung durch das Parlament, insbesondere mit dem heiligen Recht jedes Parlaments, nämlich dem Budgetrecht! Würde so ein Kandidat Erfolg haben? Er müsste ja bei einer Partei anklopfen und sagen:

„Bitte stellt mich auf! Denn ich habe etwas Schönes vor: Ich möchte die Vormachtstellung der Parteien auf ihren grundgesetzlich vorgesehenen Mitwirkungscharakter einschränken! Ich möchte, dass die Abgeordneten – wie im Grundgesetz vorgesehen – ausschließlich den Interessen des Volkes und dem eigenen Gewissen verpflichtet sind, und ich werde deshalb in allen wesentlichen Fragen keine Anweisungen von euch  annehmen. Ich will dich, die Partei, und die anderen Parteien, zu guten, also zu schwächeren Parteien machen. Bitte stellt mich auf!“

Wie wird die Partei auf so etwas reagieren? Antwort: Sie wird es vermutlich gar nicht so weit kommen lassen. Ein solcher Kandidat wird es nicht einmal bis zum Anklopfen schaffen. Überall haben in den oberen Führungsgremien der Parteien die loyalen, altgedienten Parteisoldaten das Sagen. Die Hauptfrage lautet für die Parteien zumeist: Wie erringen wir mehr Macht für uns? Auf wen können wir uns dabei verlassen?

Fundamentalkritiker wie Peter Gauweiler, Thomas de Maizière, Horst Köhler oder Hans Herbert von Arnim mögen gut reden – aber stets im Nachhinein. Sie haben eine Fülle von Beobachtungen gesammelt und können es sich aus der errungenen Stellung heraus leisten, auch recht hart mit ihren Standesgenossen ins Gericht zu gehen. Hätten sie Ähnliches bereits zu Beginn ihrer Karriere vom Stapel gelassen, sie wären gar nicht erst so weit gekommen. Schade für das Ganze!

Wird Peter Gauweiler noch je einmal in ein Parlament kommen in diesem Leben? Ich bezweifle es. Würde ich eines Besseren belehrt – dann machte ich einen Luftsprung.

Trotzdem gut, dass es noch tapfere, aufrechte Menschen wie ihn gibt.

Ich selbst habe übrigens in diesem Blog etwas eingeführt, was euch merkwürdig anmuten mag: Ich nenne bei Politikern fast nie die Parteizugehörigkeit. Ist es euch aufgefallen? Denn jeder Politiker muss für das einstehen, was er sagt. Verantwortung ist immer persönlich.

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„Kopf aus. Motor an. Geld her.“ Oder: Die Abwrackung der Vernunft

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März 312009
 

Bei der heutigen Aktion Kopf an. Motor aus. stand auch das Bundesumweltministerium als Pate auf den Pappschildern, die ich lächelnd in die Kameras hielt. Ich machte also irgendwie Werbung für – die Bundesregierung! Hier seht ihr den schreibenden Blogger in der grünen Jacke:

Die Bundesregierung fordert die Bürger auf, das Auto bei Kurzstrecken stehenzulassen und lieber zu Fuß zu gehen oder mit dem Rad zu fahren. Ein guter Ratschlag, denn jeder weiß: Kurzstrecken verschlingen besonders viel Kraftstoff, sie tragen besonders viel zur Belastung der Atmosphäre bei. Außerdem verringern häufige Kaltstarts die Lebensdauer eines Motors.  Wer nachhaltig wirtschaftet und auch auf die Umwelt achtet, wird sein Auto nicht für Kurzstrecken verwenden. Dann hält es länger bis zur Abwrackung.

Womit wir beim Thema wären: Denn  zeitgleich mit dem Aufruf: „Lasst das Auto stehen!“ fordert uns die Bundesregierung auf: „Kauft Autos, zerstört mittelalte Autos, wir schenken euch den Gegenwert eines etwa 10 Jahre alten Autos – ohne Bedingungen.“

Thomas de Maizière, Fritz Kuhn und einige wenige Politiker, die noch ihre fünf Sinne beisammen haben, und obendrein der einhellige Chor der Wirtschafts- und Finanz-Fachleute bezeichnen die Abwrackprämie öffentlich als Unfug (Der Spiegel, 14/2009, 30.03.2009, S. 61). Fällt der CDU und der SPD wirklich nichts Gescheiteres mehr ein?

Doch belehrt uns ein Blick in die Türkei eines Besseren, sofern wir am Verstand der Politik zu zweifeln begannen: Es gelang letztes Wochenende der AKP im kurdischen Osten, mit dem Verschenken von Kühlschränken, die gleich per LKW herangekarrt worden waren, die Kommunalwahlen zu gewinnen. Wir können uns also beruhigen: Wahlgeschenke, ob sie nun als Kühlschrank oder Auto daherkommen, wirken – die Zeche zahlt die nächste Generation.

Wie passt nun die von der Bundesregierung getragene Kampagne „Kopf an. Motor aus“ zur von derselben Bundesregierung getragenen Abwrackkampagne „Kopf aus. Motor an. Geld her“?

Antwort: gar nicht. Es ist erneut ein großer Un-fug, beide Kampagnen gleichzeitig laufen zu lassen. Daraus spricht – wie de Maizière richtig erkennt – die „Feigheit“ der Politiker vor dem Volk. Ein höchst gefährliches Spiel! Es ist, als wollte man unartigen Kindern sagen: „Ich schenke Dir ein herrliches Spielzeug, damit du mich liebst. Aber spiele nicht damit. Und wisse: Deine Kinder werden dieses Spielzeug mit Zins und Zinseszins zurückzahlen.“ Das Kind wird die Eltern für verrückt halten – oder es wird selber verrückt.

Der Psychiater spricht von „Doppelbindung“ – einer in sich widersprüchlichen Haltung, mit der das Kind nicht fertigwerden kann. Diese Haltung kann auf Dauer zur emotionalen Abhängigkeit oder zur psychischen Störung führen. Man wird sehen, ob die Wähler-Kinder die Bundesregierung-Eltern von ihrem gefährlichen Irrweg abbringen.

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Apr. 232008
 

grillverbot-23042008.jpg Das war gestern, am 22. April. Mit meinem 5-jährigen Sohn zusammen betrachte ich, wie ein Elternpaar mit seinem Kind zusammen einen Drachen steigen lässt. Der Kreuzberg zeigt sich bei frischem Wind und hellem Sonnenschein in bester Frühlingserwartung. Mein Sohn lernt gerne unbekannte Menschen kennen, so wie ich ja auch, und sucht oft das fachkundige Gespräch mit anderen Jungs. „Wie lange ist diese Schnur? Wie schnell ist der Wind?“ fragt er die Drachenbesitzer und mich. „30 Meter ist die Schnur, der Wind ist so schnell wie ein Fahrrad oder ein langsamfahrendes Auto, also etwa 20 km/h.“ So die Antwort von uns Vätern. Ich stelle mich bei dem Vater vor, wir geraten ins lockere Plaudern. „Du stammst aber nicht aus Berlin, oder?“, fragt er mich. „Richtig, ich bin aus Bayern zugewandert und lebe erst seit 15 Jahren in Berlin. Und du, du bist sicher ein echter Berliner und in Kreuzberg aufgewachsen …?“ frage ich zurück. Richtig, in genau diesem Kreuzberger Viertel ist er geboren und großgeworden. Er spricht mit einem leichten Berliner Zungenschlag. Einige Verwandte leben über die Türkei verstreut, und die besucht er auch gerne im Sommer, andere leben wie er mit Familie in Berlin.

Da sehen wir, wie etwa ein Dutzend Jugendlicher mit großer Begeisterung einen Grill aufbauen, Koteletts, Grillgut und Getränkekartons heranschaffen, hier oben 5 Meter von dem Kreuz, nach dem der Kreuzberg seinen Namen hat. Die Stimmung ist ausgelassen-fröhlich. Es sind alles junge, durchtrainierte, wohlgenährte Männer. Sie tragen alle modische weiße Sportschuhe, sind alle sportlich, tragen gepflegte Sportklamotten und haben alle den schneidigen neuesten Haarschnitt am Kopf: oben knapp-kraus, unten glattgeschoren. Ich höre ein paar deutsche, ein paar türkische Wörter. „Das Grillen ist im ganzen Park aber eigentlich verboten!“, gibt mir der türkische Vater zu bedenken. „Ich weiß … aber ich werde mich jetzt mit denen nicht anlegen …“ erwidere ich. Ich habe keine Lust, als Ordnungshüter aufzutreten, in all meinem glorreichen Gutmenschentum. „Da kriegt man doch nur ein paar feindselige Bemerkungen an den Kopf geschleudert …!“, sage ich. Sollen diese Jugendlichen doch ihr Gemeinschaftserlebnis haben, denke ich mir. Und DIE DA sind mehr. Und DIE DA sind stark, die verströmem ein unbezwingbares Gruppengefühl. Und schon durchzieht der unverkennbare Geruch von angefachter Holzkohle die ganze Gegend.

Mit dem Kreuzberger Vater plaudere ich weiter, über dies und das, über Kappadokien und die türkische Südküste, über den sozialen Brennpunkt am Kottbusser Tor, über die Perspektivlosigkeit der türkischen und arabischen Schulabbrecher. „Was glaubst du, ist das Hauptproblem dieser Jugendlichen?“ Er sagt: „Keine Erziehung, die Väter arbeiten nicht, die kümmern sich um nichts, lassen alles die Frauen machen.“ Er schäme sich oft für seine türkischen Landsleute.

Mittlerweile haben die beiden Jungs den Drachen zum Fliegen gebracht, mindestens 10 Meter hoch, der Wind bläst etwas kräftiger. Die jungen Männer neben uns haben das Feuerchen lustig zum Brennen gebracht. Die beiden fünfjährigen Jungs haben ihre Freude, die Gruppe der jungen Männer auch. Wir verabschieden uns herzlich mit Handschlag und wir sind sicher, wir werden uns hier am Kreuzberg bald wiedersehen.

Auf der Suche nach guten Fotomotiven für dieses Blog kehre ich heute an diese Stelle zurück. Und siehe da: Der ganze Platz neben dem Kreuz ist locker übersät mit den Überresten des gestrigen Grillfestes: leere Kartons, der verkohlte Grillrost, ein „Barbecue“-Zünder, leere Flaschen von nichtalkoholischen Getränken, Papier, leere Plastikverpackungen von Würsten und Koteletts.

Was hätte ich gestern machen sollen? Bin ich feige? Oder hätte ich zusammen mit dem türkischen Vater hingehen sollen und auf das Grillverbot hinweisen sollen, in türkischer und deutscher Sprache?

Ich beschließe: Das nächste Mal werde ich zusammen mit anderen Erwachsenen hingehen und was sagen, völlig ungerührt. Habt ihr mit meiner Haltung ein Problem? Empfehle auch einen guten Hintergrundbericht im Tagesspiegel von heute: „Wenig Bildungschancen für Migrantenkinder“.

Und noch ein Bekenntnis: Ich bin dafür, die Regeln für ein ziviles Zusammenleben einzuhalten. Ich wünsche mir, dass die Radfahrer bei Rot an der Ampel halten. Ich wünsche mir, dass die Autofahrer sich an Höchstgeschwindigkeiten halten und – bitte bitte – den vorgeschriebenen Mindestabstand von 1,50 Meter einhalten, wenn sie uns Fahrradfahrer überholen. Und ich wünsche mir, dass der Viktoriapark sauber gehalten wird, dass jeder seinen Müll mitnimmt und niemand die Gebäude und Statuen mit Graffiti besprüht. Es ist unser aller Park! Ist das alles so schwer? Bin ich ein hoffnungsloser deutscher Spießbürger?

Unsere Fotos zeigen die Stätte des glorreichen Grillfestes von gestern nachmittag, so wie sie heute um 9.00 Uhr war, und ein Hinweisschild am Viktoriapark in Kreuzberg.

grillfest_23042008.jpg

 Posted by at 15:30