Jan. 062009
 

Eine Kunst, die weitgehend verlorengegangen ist, konnte ich letzte Woche ausgiebig in der Tretjakow-Galerie bestaunen: die Portraitmalerei. Niemand behauptet, dass die gemalten Portraits realistische Abbilder der Dargestellten wären – viel besser! Sie zeigen die Personen so, wie sie der Maler sah, oder wie sie sich selbst zu sehen wünschten, oder wie andere, etwa die Auftraggeber sie sahen. Umgekehrt sollten diese Bildnisse auf die Wahrnehmung der Zeitgenossen zurückwirken. Besonders fesselnd fand ich das Dostojewski-Bildnis von Perow – und das hier zu sehende Portrait Katharinas II. von Fedor Rokotov.

Rokotov zeigt die Zarin auf eine Art, wie sie für Herrscherbildnisse der damaligen Zeit eher ungewöhnlich war: nicht erhaben, statuarisch, wuchtig-gedrängt, nicht in starrer Herrscherpose, sondern als nach außen gewandte, buchstäblich auf Augenhöhe wirkende, klug anweisende Gebieterin. Das Bild strahlt Weltzugewandtheit, ja sogar Sympathie aus. War Katharina II. so? Vermutlich werden mindestens die Polen einhellig sagen: „So war sie nicht, sie hat unser Land bedenkenlos drei Mal aufteilen lassen! Sie war eine Machtpolitikerin, die Allianzen zu ihrem eigenen Vorteil schmiedete.“

Dem ist zu erwidern: Solche Portraits zeigen Machthaber in einer unlösbaren Verquickung zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen Schein und Sein.

Und heute? Heute liefern die Fotografen ähnlich kalkulierte, auf Wirkung berechnete Portraits. Aus tausenden von möglichen Bildnissen wählen Auftraggeber und Dargestellte die wenigen Aufnahmen aus, in denen sie sich am vorteilhaftesten dargestellt glauben. Dabei bleibt nichts dem Zufall überlassen.

Und dies bringt mich zu meinem heutigen Buchtipp! Ich empfehle den neuen Fotoband über Wladimir Putin den Kommunikationsabteilungen aller Politiker. Ich fand das Buch in einem der Moskauer Buchläden, die ich in müßigen Stunden durchstreifte.

Der ehemalige Staatspräsident wird hier ebenfalls „auf Augenhöhe“ abgelichtet. Das Buch ist damit Lichtjahre entfernt von dem distanzierten, auf Würde und Respekt ausgerichteten Stil der Herrscherportraits früherer Jahrzehnte. Klickt auf das Foto, um es genauer zu betrachten.

Wir sehen Putin mal versonnen, mal lächelnd, mal entschlossen, – doch stets in gewinnender Haltung dargestellt.

Auch die Bildtitel und die gesamte Aufmachung haben es in sich: Die Macher haben den Band nämlich wie eine Art privates Fotoalbum angelegt, mit eingelegten Zwischenrahmen, die auf die Fortsetzung und Aufdeckung des ganzen Fotos neugierig machen sollen. Auch haben sie nicht versäumt, kleine, gleichsam hingetuschte Kommentare einzufügen, so wie es Privatmenschen gerne in ihren Familienalben machen. Die Wirkungsabsicht ist klar: „Schaut her, mit mir kann man reden, ich höre zu, ich habe Humor!“

Besonders beachtlich: dieses Doppelportrait mit der deutschen Kanzlerin.

Der Text lautet übrigens: „Angela Merkel gefällt es, etwas AUF RUSSISCH zu erklären. Nur manchmal noch – mithilfe von Gesten.“ Ein klares Signal geht von diesem Foto aus: Lasst uns miteinander reden – wenn es sein muss, auch mit Händen und Füßen.

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Mai 222008
 

Jeder Mensch fragt sich wohl immer wieder: Wie möchte ich sein? Wie sehen mich andere? Wie möchte ich gesehen werden? Manchmal gelingt es, diese Fragen in einem Bild zu beantworten. So etwas geschah mir gestern. Frau Steffan vom Zürcher Ammann Verlag sandte mir ein Bild von einer Veranstaltung mit Letizia Battaglia und Leoluca Orlando zu. Letzte Woche aufgenommen, im Willy-Brandt-Haus, Berlin-Kreuzberg. Zwei lachende Menschen sehe ich da, – eben Letizia Battaglia, die Photographin, daneben ich -, die beiden Menschen strahlen irgend jemandem entgegen, belustigt, fast augenzwinkernd. Sie scheinen einer Meinung zu sein. Im Hintergrund sieht man Fotos von einigen Verbrechen und Verbrechensopfern. Aber auch so etwas wie eine weiße Taube. Palermo, ihr wisst schon … Letizia selbst hat sie aufgenommen. Derzeit läuft noch die Fotoausstellung im Willy-Brandt-Haus.
Ihr fragt: Darf man lachen, wenn man über schwierige, traurige Themen spricht? Ich frage euch: Wem hülfe es, wenn wir nicht lachten? Würde dadurch auch nur eines der Opfer wieder lebendig?
Beim Betrachten des Fotos kommt mir der Gedanke: Ja, so möchte ich immer sein! Im Einverständnis mit anderen, nach außen offen, gesprächsbereit, optimistisch. Niemand leugnet das Böse auf diesem Foto, aber es gibt eine Kraft, die auf Dauer stärker ist als das Böse: die Gemeinschaft im Jetzt, das Lachen, die Sympathie.

Foto: Letizia Battaglia, Johannes Hampel. Willy-Brandt-Haus Berlin-Kreuzberg, Mai 2008.  Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Ulla Steffan, Zürich

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Flanieren zur Deutschen Guggenheim

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Mai 052008
 

Bin schon gespannt auf den Vortrag von Adachiara Zevi über „Wendepunkte in der italienischen Gegenwartskunst“ in der Deutschen Guggenheim, morgen, Dienstag, um 19 Uhr, Unter den Linden 13. In diesen Maiwochen lohnt sich das Flanieren auf Berlins Prachtmeile mehr noch als sonst! Wenn dann noch ein geistiger Genuss hinzukommt, steht einem gelungenen Abend nichts im Wege.
Deutsche Guggenheim

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Unter Sachsen ein Bild Europas finden

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Mai 042008
 

europa04052008013.jpg Das Wochenende führte uns durch Sachsen. Am Freitag erlebten wir eine Aufführung der Cavalleria Rusticana von Mascagni am Theater in Görlitz, am Samstag sah ich das Drei-Personen-Stück Watte des jungen britischen Dramatikers Ali Taylor im neuBAULABOR am Schauspielhaus Dresden. Zwei junge Männer auf der Schwelle zum Erwachsenenwerden suchen den Geist ihrer Mutter und finden eine junge Frau, die sich erst zwischen sie stellt und sie letztlich doch wieder miteinander versöhnt. Eine Versöhnung, die einen Abschied bedeutet, Abschied vom Geist der Mutter, Aufbruch zum Neuen, zu unbekannten Ufern. Großartig gespielt von Seán McDonagh, René Erler und Nele Jung in der hervorragenden Übersetzung von Michael Raab, die sich wie eine originale deutsche Arbeit anhörte.

Bei prachtvollem Maiwetter besichtigten wir heute den Barockgarten Großsedlitz. August der Starke ließ diese prunkvolle Anlage ab 1723 für den polnischen Weißen Adlerorden anlegen und schuf ein grandioses Gartenkunstwerk. Unter den Skulpturen fielen mir besonders die Personifikationen der vier Erdteile auf, die heute allgemein als Werke des Johann Christian Kirchner aus den Jahren 1720-1730 gelten. Eine sachkundige Broschüre vermerkt dazu:

Stillschweigend ging man von der Vorrangstellung Europas aus, nur der Erdteil Asien, der schon lange bekannt war und als Ursprung des Reichtums und zahlreicher Gewürze Respekt genoss, wurde ebenso „zivilisiert“ wie Europa dargestellt, während Afrika und Amerika als „Wilde“ erschienen. Der Erdteil Australien fehlt, er war zwar schon entdeckt worden, jedoch noch wenig bekannt. (aus: Der Königliche Lustgarten zu Großsedlitz. Die Skulpturen, Barockgarten Großsedlitz, 2004, S. 37)

So nähern wir uns denn dem Bilde Europas aus jener Zeit, in der alle die Errungenschaften, die das reflektierte Selbstbild Europas bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein wesentlich bestimmten, entfaltet worden sind. Wir sehen eine gekrönte Frauengestalt mit majestätisch in die Ferne gerichtetem Blick. Helm, Schild und mehrerere Kanonenkugeln in diesem Helm, der auf einem Stapel von Büchern ruht, sollen beweisen: Europa, eine edle Schöne, ist wehrhaft, kriegstüchtig, zur Herrschaft bestimmt, gestützt auf wissenschaftlich unterlegte Kriegskunst. Weintrauben und kostbares Gewand beweisen den Reichtum des Erdteils. Zirkel und Winkelmaß symbolisieren den stürmischen Fortschritt der mathematischen Wissenschaften und die Blüte der Baukunst. Den Oberkörper umschmeichelt ein Hermelinfell, seit alters den Königen und Kaisern vorbehaltener Ausweis besonderer Würde. Die Bischofsmütze, auf welcher ein Szepter ruht, steht für das Bündnis zwischen Altar und Krone, wobei ich mich frage, ob das räumliche Darunter der Bischofsmütze auch die Unterlegenheit der Landeskirche unter dem Patronat des Königs ausdrücken soll. Wer weiß es?

Das Bild oben zeigt die beschriebene Statue der Europa am heutigen Tage.

In der heutigen Süddeutschen Zeitung erhebt Thomas Urban seine warnende Stimme. Die Europäische Union dürfe sich – sozusagen als Europa „im Griff Russlands“ – nicht durch die mächtigen Verhandlungspartner im Kreml über den Tisch ziehen lassen. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Interessen der drei baltischen Länder empfindlich beeinträchtigt würden. Hier habe die Europäische Union die gesammelte Russland-Erfahrung dieser Neumitglieder sträflich vernachlässigt, auch deshalb, weil sich der Wind unter Putin gedreht habe und eine kritische Befassung mit der Geschichte der Sowjetunion nicht mehr möglich sei:

Selbstverständlich müssen EU-Politiker dieser Stimmung an der Moskwa Rechnung tragen. Auch Esten, Letten, Litauer und Polen wollen Russland keineswegs isolieren, sondern einen Dialog führen. Es sind ja keine eifernden Nationalisten, die von Tallinn bis Warschau das Sagen haben: So gehörte der estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves, der als Sohn antikommunistischer Emigranten in den USA aufgewachsen ist, früher der sozialistischen Fraktion im Europa-Parlament an. Sein litauischer Kollege Valdas Adamkus, der einen ähnlichen Lebenslauf hat, vertritt liberalkonservative Positionen, ebenso wie Donald Tusk, der polnische Premierminister.

Diese Politiker sind alle an einer starken Europäischen Union interessiert. Doch im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen in Westeuropa glauben sie, dass man gegenüber Moskau anders auftreten müsse: durchaus verbindlich in der Form, aber härter in der Sache. Sie werfen den Regierungschefs der alten EU-Staaten vor, die imperialistischen Ziele, die der Kreml mit seiner Energiepolitik verbindet, schlicht zu ignorieren. Sie übersähen außerdem, dass Nato und EU lebenswichtig für die jungen Demokratien in Osteuropa seien.

 

Thomas Urbans Weckrufe sollten nicht ungehört verhallen, so meine ich, zumal er ja keineswegs Russland als „nicht-europäisch“ in die Ecke stellt, sondern ein gerüttelt Maß an Interessenpolitik anmahnt. Einigkeit macht stark – auch und vor allem gegenüber einem selbstbewusst auftretenden Partner, dem es nicht an neu erblühtem Selbstbewusstsein gebricht: Russland.

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Dez. 232007
 

millais-christ-in-the-house-of-his-parents.jpg Das Weihnachtsfest begehen wir bescheiden im engsten Kreis, mit einigen Besuchen und einigen Geschenken. Dieses Bild von John Everett Millais gefällt mir heute am besten: es zeigt die Mühsal des Alltags in einer Schreinerwerkstatt. Es zeigt unsere Verletzlichkeit. Wie leicht schneidet man sich an herumliegenden Messern! Die rohe Geschöpflichkeit der beiden Schafsköpfe, die der Maler sich aus einer Metzgerei bringen ließ. Mein Namenspatron steht auch da: Ganz an der Seite – so als gehörte er nicht ganz dazu. Die Mutter ist verhärmt. Sie war eben nie auf Rosen gebettet. Da unser nächster und größter Nachbar pünktlich zum Weihnachtsfest ebenfalls zum Schengen-Raum gehört, zeige ich Euch, wie gut Ihr schon Polnisch könnt – denn das versteht Ihr doch, oder?

Zdrowych, spokojnych i radosnych Świąt Bożego Narodzenia oraz wszystkiego najlepszego w nadchodzącym Nowym 2008 Roku

 Posted by at 12:46