„Das gibt es bei uns auch!“ Fatih Akin „Auf der anderen Seite“

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Okt. 032007
 

Die Nacht vom 2. auf den 3. Oktober sahen wir uns im Yorck-Kino den Film „Auf der anderen Seite“ an. Neben uns ein biertrinkender Single Mitte dreißig, hinter uns kichernde Mädchen. Bequeme Sessel mit verschiebbarer Sitzfläche, Popcorngerüche. Wir fläzen uns hin. Beste „Voraus-Setzungen“ für einen guten Kinoabend. Wunderbare anrührende Geschichte: zwei Familien, ausgespannt zwischen Bremen und Istanbul. Vater-Sohn, Mutter-Tochter, unvollständige Bruchstücke von Familienromanen. Von Schmunzeln über Schluchzen, vom hellen Auflachen bis zum beklommenen Schweigen spielt dieser Regisseur auf der Klaviatur meiner Gefühle. Auch in den Nebenfiguren zeigt Akin stets lebende Gesichter, offene Blicke. Seine Kamera verleiht allen Menschen Würde. Mir fällt auf: Die türkischen Gefängniswärterinnen – übrigens gespielt von echten türkischen Gefängniswärterinnen – werden ohne Häme, mit derselben Einfühlung gezeigt wie die Hauptfiguren, also die rebellische Ayten, die verzweifelte Charlotte. Er zeigt die beiden Länder Deutschland und Türkei ohne Verzerrungen, ohne Anklage, aber doch mit dem untrüglichen Blick für das Wesentliche und auch das Komische.

Ich schlage, zuhause angekommen, die Gestalten des Ismael im Koran und in der hebräischen Bibel nach. Das islamische Bayram-Fest bildet ja den Hintergrund für die letzte große Erzählbewegung des Films, in welcher der Sohn zum verlorenen Vater, die Mutter zur verlorenen Tochter zurückfindet. Im Islam war es Ismael, den Abram opfern sollte, nicht Isaak, den Zweitgeborenen, wie es in der hebräischen und der christlichen Überlieferung steht. Doch Gott erbarmte sich Abrams und sandte ein Opfertier. Hierin folgen sowohl Islam wie Christentum der Leitkultur des alten Israel. Sowohl Christentum als auch Islam haben den gütigen, sich erbarmenden, liebenden Gott vom alten Judentum übernommen. Die Umkehr, die Wende steht also nicht nur dem Menschen, sondern auch Gott jederzeit offen! Deswegen bleiben jüdische Bibel, Koran und christliche Bibel eine gemeinsame Schatzkammer, zu denen drei Pforten bereit stehen. Akins Film öffnet diese Pforten weit! Bezeichnend der Satz, den Charlottes Mutter beim Betrachten der Bayram-Gläubigen sagt: „Das gibt es bei uns auch!“ All jenen, die von einer unüberwindlichen Kluft zwischen Morgenland und Abendland reden, sei Sure III, 78 entgegengehalten: „Wir glauben an das, was auf uns herabgekommen ist und was herabgekommen ist auf Abram, Ismael, Isaak, Jakob und die Stämme, und an das, was Moses gegeben wurde und Jesus und den Propheten von ihrem Herrn; wir treffen keinerlei Unterscheidung zwischen ihnen, und wir sind ihm ergeben.“

Am Tag der deutschen Einheit empfinde ich große, nachhaltige Freude über den Deutschtürken Fatih Akin. Er hat etwas geschaffen, was ich bisher in dieser Deutlichkeit vor allem von Goethes West-östlichem Divan kannte: eine Versenkung und Verklammerung von zwei Schwesterkulturen im Geist der Liebe zu den einzelnen Menschen, der Liebe zwischen den Menschen.

Fühlst du nicht an meinen Liedern,

dass ich eins und doppelt bin?

Und der Regisseur fühlt sich – eigenem Bekenntnis nach – in unserem Deutschland sehr wohl und tief verwurzelt. Großartig, so etwas macht unser Land schöner!

 Posted by at 20:48
Sep. 292007
 

Lese einen aufschlussreichen Bericht vom deutschen Orientalistentag in der Süddeutschen Zeitung vom 29.09.2007. Verfasser ist Stefan Weidner, dessen Übersetzungen des Lyrikers Adonis mir sehr beim Eintreten in die orientalische Welt geholfen haben. Die islamistische Bedrohung habe das ganze Fach mittlerweile wachgerüttelt, freilich auf Kosten der Künste und der Literatur. Weidner referiert den Festvortrag von Patricia Crone: „Der Islam, darf man Crone deuten, ist in einem Teufelskreis gefangen: Ohne Säkularisierung kein Bruch mit dem tradierten Religionsverständnis; ohne Bruch mit dem traditionellen Verständnis keine Vereinbarkeit des Islams mit der säkularen Gesellschaft. Hoffnungsträger sind deshalb die Muslime, die im säkularisierten Westen leben; sie allein können ungefährdet aus diesem Kreis herausspringen.“ Darüber hinaus berichtet Weidner von einem Theologen, der die kühne These aufstellt, der frühe Islam sei eine christliche Sekte gewesen. „Mohammed (der Gepriesene) sei kein Eigenname, sondern bezeichne Jesus Christus.[…] Koranische Aussagen über die Einheit Gottes im Vergleich mit dem Deuteronomium und dem Nicaenischen Glaubensbekenntnis entpuppten sich als bewusster Gegenentwurf zu den christlich jüdischen Vorbildern.“ Ein sehr lesenswerter Artikel!

Diese drei aus Vorderasien stammenden Religionen, also zuerst das Judentum, daraus das Christentum und zuletzt der Islam, der beide zu überbieten versucht, gehören weiterhin zu den maßgeblichen Leitkulturen für riesige Gebiete der Erde, darunter unser Europa, der Nahe und Mittlere Osten, Nord- und Südamerika, Australien, Teile Südostasiens.

Spricht man mit Muslimen oder steckt man die Nase in den Koran, dann treten die Ähnlichkeiten und Abhängigkeiten zwischen jüdischen, christlichen und islamischen Aussagen sehr deutlich hervor.

Ich werde weiterhin das Gespräch mit Muslimen in Kreuzberg pflegen. Wir sind hier im Vergleich zu den Orientalisten unvergleichlich privilegiert, weil wir tagtäglich zum Nulltarif das Eigene im Anderen entdecken können – und das alles obendrein in Sichtweite des Jüdischen Museums, in das in sechs Jahren 4 Millionen Besucher aus aller Welt geströmt sind. Kreuzberg ist ein großartiger Platz – ich bin dankbar, dass ich hier lebe!

 Posted by at 13:53
Sep. 262007
 

Gestern besuchte ich die Vorführung des Films „Hamburger Lektionen“ von Romuald Karmakar. Manfred Zapatka liest mit einer betörend eindringlichen Stimme und sprechendem Mienenspiel die deutsche Übersetzung von zwei Predigten des Hamburger Imams Mohammed Fazazi. Eine großartig-einprägsame Darstellung eines bestürzenden Texts! Die deutsche Übersetzung arbeitet immer wieder den gemeinsamen Wortschatz und die ähnlichen Redehaltungen bei Christentum, Islam und Judentum heraus. Ich fühle mich anheimelnd berührt durch die Anreden und die hin und her erwägenden Antworten, die ich so aus den paulinischen Briefen und aus dem Talmud kenne. „Soll ich, wenn ich den Ramadan in Marokko beginne und dann nach Deutschland fliege, den marokkanischen Ramadan-Kalender befolgen oder den deutschen? – Antwort: Befolge den deutschen. Denn es heißt: Fastet, wenn die Leute fasten. Brecht das Fasten, wenn die Leute das Fasten brechen.“

In der anschließenden Diskussion werden Gemeinsamkeiten zwischen dem geschlossenen Weltbild dieses islamistischen Predigers und den europäischen Hexenverfolgungen oder Kreuzzugspredigten herausgehoben. Zapatka gesteht, dass er manches auch gut finde an den Reden des Predigers, etwa seine sorgfältige Erörterung der ihm vorgelegten Fragen. Mehrere Menschen im Publikum hoben das Dialogische, Unabgeschlossene der Predigt-Situation hervor.

Leider fehlte in der Volksbühne völlig die Stimme der deutschen Muslime. Kein einziger Berliner Moslem erhob sich um zu sagen: „Das ist nicht unser Islam.“ Hätte man eine Kamera auf die Debatte gehalten und dann einem Islamisten vorgeführt, hätte er sich wohl ebenso befremdet gefühlt wie das Volksbühnen-Publikum. „Das sind die Ungläubigen in ihrem geschlossenen Weltbild“, würde er wohl sagen. Die beiden Welten reden also viel übereinander, aber sehr selten miteinander. Schade. Berlin ist doch eine durch Muslime mitgeprägte Stadt. Trotz der erschütternden fanatischen Haltung des Predigers ein großer Abend, der noch lange in mir nachklingt! Ein mutiger, bewundernswerter Film. Kam erst um Mitternacht nachhause.

 Posted by at 21:46