Aug. 172008
 

Der Urlaub im türkischen Kadikalesi nahe Bodrum brachte wunderbare Begegnungen, Entspannung, Spaß, Freude mit meinen russischen Schwiegereltern, aber leider auch den furchtbaren Schatten des Kaukasuskrieges, der sich über die letzte Woche legte. Wir kennen viele Georgier, die Georgier gelten in Russland als lustiges, lebensfrohes Völkchen, über das endlose Anekdoten kursieren. Und dann das! Längere Sitzungen am Internet waren unvermeidlich. Meine Türkischkenntnisse besserten sich rapide – jede Woche ein neues Wort! Unsterbliche Dialoge entspannen sich – auf russisch und türkisch gemischt, da ich als Russe galt und am „Russentisch“ saß, wie das Gevatter Thomas Mann genannt hätte. Einen dieser Dialoge will und darf ich euch nicht vorenthalten:

Türkischer Kellner Achmed: „Mozhna?“ (Das ist russisch, zu deutsch: „Darf ich den Teller abräumen, den Sie da eben so unordentlich leergegessen haben?“) Ich: „Evet!“ (Das ist türkisch, zu deutsch: „Ja, sehr freundlich von Ihnen und nehmen Sie doch bitte auch die Gabel mit.“) So leicht ist Türkisch!

Aber insgesamt waren die Türken sehr belustigt und erfreut, dass sich jemand mit ihrer Sprache Mühe gab. Ich glaube, das hatten sie noch nicht erlebt. Mein Sohn Wanja schwamm lange Strecken, baute Muskelmasse auf, und forderte alle möglichen Jungs zum Kräftemessen heraus. Sein Spitzname: Klitschko, Liebling der Türken. Als Klitschkos Vater hatte ich ebenfalls einen Stein im Brett. Im Hotel weilten ansonsten 50% türkische Gäste, 20% Russen und 30% Litauer und Letten. Was für eine Mischung – das ist das neue Europa!

Wir gaben auch zwei Zimmerkonzerte, Wanja und ich mit meiner Frau, denn wir Männer hatten unsere Geigen mitgenommen, sie ihre Stimme sowieso. Ich wage zu behaupten, dass ich der erste Mensch war, der Bachs g-moll-Solosonate in Kadikalesi spielte, und zwar zum Rufe des Muezzin, mein Sohn spielte „Hänschen klein“, wohl auch als Erstaufführung.

Kleinasien – das ist ja auch die Geburtsstätte Europas. Wir sind alle Kultur-Schuldner Asiens. Die herrliche europäische Leitkultur ist samt und sonders in Kleinasien entsprungen: Homer stammt von hier, Herodot sowieso, ionische Naturphilosophen Kleinasiens stellten die ersten Fragen nach dem Woher und Wozu. Erst später trat Athen in diese durch Asien gebahnten Denk- und Dichtwege.

Ein Ausflug führte uns nach Ephesus, das heutige Efes. Paulus, der eigentliche Schöpfer des Christentums, hatte sich hier auf den Marktplatz gestellt und den staunenden Bewohnern verkündet: „Ich bringe euch den unbekannten Gott!“ Sie glaubten ihm nicht. Aber – ich stellte mich unter den Tausenden von Touristen ebenfalls in die Überreste des antiken Bouleuterions, des Gerichts- und Versammlungstheaters, in dem Volksversammlungen, Gerichtsverhandlungen und künstlerische Darbietungen erfolgten. Was für ein Gefühl! 1200 Menschen passten hier hinein. Ich erprobe den Ruf, ein Satz fliegt mir zu – etwa von Göttin Diana? – ich spreche ihn laut aus in die sengende Hitze, und er klingt zurück von den steinernen Rängen, klar, vernehmlich, verstärkt. Er lautet:

„Wenn wir alle zusammenstehen, dann wird es gelingen!“ Das Foto zeigt mich in Ephesus, während ich eben diesen Satz ausspreche.

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An der Wiege Europas

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Aug. 022008
 

09082008006.jpg Ich melde mich aus Bodrum in der Tuerkei. Das Meer, die Sonne, die Menschen lassen echte Urlaubslaune aufkommen. Als geistige Wegzehrung mitgenommen: der obligatorische tuerkische Sprachkurs, und Herodots Historie. Der stammt naemlich auch von hier. Das antike Halikarnassos liegt hier in Sichtweite. Wenn die Winde auffrischen. Soeben ertoent die Stimme des Muezzin. Erste Gespraeche fuehrte ich ueber Hamid Altintop, Bastuerk und … Mustafa Kemal.

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Soll ein Türke deutscher Bundespräsident werden? Die Presseschau

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Juli 142008
 

hurriyet14072008.jpg Die Hürriyet macht heute in ihrer Kioskausgabe mit einem Wunsch auf: Ein Türke kann ruhig auch einmal deutscher Bundespräsident werden! So übersetzt mir ein Zeitungshändler die Äußerungen des deutschen Botschafters in der Türkei, Dr. Eckart Cuntz. Ich gerate unversehens in eine Diskussion zwischen deutschen und türkischen Kunden: „Das wäre nicht recht, denn dann würde eine Minderheit über die Mehrheit bestimmen!“, sagt eine Deutsche. „Aber beim Einbürgerungstest konnten viele Deutsche die Fragen nicht richtig beantworten!“, erwidert ein Türke. „Oder wissen Sie, wer die deutsche Nationalhymne gedichtet hat?“ Der Türke schaut uns triumphierend an. Vielleicht will er sagen: Beweist erst einmal, dass ihr richtige Deutsche seid! Jetzt schalte ich mich ein – ich beweise, dass es doch zu etwas gut war, dass meine Eltern mich 13 Jahre zur Schule geschickt haben: „Hoffmann von Fallersleben, 1841 auf Helgoland dichtete er Einigkeit und Recht und Freiheit!“ Meine Wort fallen glasklar – ich fahre Punkte ein, der Türke nickt anerkennend: „Sie würden wahrscheinlich den Einbürgerungstest bestehen!“

Im Ernst: Soll ein Türke Bundespräsident werden? Ich meine: Jede und jeder kann deutsche Bundespräsidentin werden. Voraussetzungen: Sie oder er müsste das Wahlrecht zum deutschen Bundestag besitzen, die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen – und mindestens 40 Jahre alt sein. So steht es im Grundgesetz. Dass sie oder er einer Minderheit angehört, dies kann kein Hinderungsgrund sein. Der sächsische Ministerpräsident etwa ist Sorbe, gehört selbst einer winzigen ethnischen Minderheit an. Die Türken sind viel mehr als die Sorben! Und gehörten bisher nicht alle Bundespräsidenten der einen oder anderen Minderheit an? Waren sie nicht alle Mitglieder einer politischen Partei? Damit gehörten sie zu einer verschwindenden Minderheit der Deutschen, nämlich zur politischen Machtelite. Wären sie ohne Parteizugehörigkeit gewählt worden? Nein. Die Zugehörigkeit zu einer Minderheit ist also kein Grund dagegen, zum Bundespräsidenten gewählt zu werden. Also: Wer mitmacht, wer sich um Chancen und Ämter bemüht und sich in Staat und Gesellschaft einbringt, dem stehen alle Ämter offen. Nur zu! Die Hürryiet hat recht!

In der heute der Süddeutschen Zeitung beigelegten New York Times beklagt Maggie Jackson auf S. 6 den Verlust an grundlegenden Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit: „By fragmenting and diffusing our powers of attention, we are undermining our capacity to thrive in a complex, ever-shifting world.“ Sie erhebt leidenschaftlich ihre Stimme für eine neue Kultur der Achtsamkeit und des Aufmerkens: „What’s needed is a renaissance of attention – a revaluing and cultivating of the art of attention, to help us achieve depth of thought and relations in this complex, high-tech time.“ Ich stimme zu! Das Erlernen eines Musikinstruments, sportliche Betätigung, Tanzen, Wanderungen in Wald und Wiese, jedes einfache Tun, mit Hingabe ausgeführt, diese so einfachen wie erprobten Mittel scheinen mir tauglich, um Erwachsene und Kinder wieder an diese unerlässlichen Fähigkeiten heranzuführen.

In der Berliner Zeitung berichtet Christian Esch heute auf Seite 8 aus seinem Alltag als Radfahrer in Moskau:

Dass Fahrradfahrer nicht ernst genommen werden, hat Vor- und Nachteile. Die Nachteile sind offensichtlich: Eine Gesellschaft, die schon ihre Fußgänger ständig auf lange Umwege und in dunkle Unterführungen zwingt, hat für die Rechte von Fahrradfahrern auch nichts übrig. Für die rücksichtslosen Autofahrer ist ein Radfahrer so etwas wie ein verirrter Fußgänger mit Sperrgepäck zwischen den Beinen. Radwege gibt es nicht, außer in Parks, wo Räder als Spielzeug hingehören.

Auch hier kann ich nur zustimmen: Ich fahre immer wieder nach Moskau – und Radfahrer habe ich dort fast nirgends gesehen. Dennoch spreche ich immer wieder mit Russen, die schon einmal ein Fahrrad in Aktion gesehen haben, z.B. bei Auslandsbesuchen, in Bilderbüchern oder bei Besuchen in der Provinz. Bitte durchhalten, Herr Esch! In Rom, Paris oder London ist es nur um ein weniges besser als in Moskau. Und: Freuen Sie sich auf Berlin!

Damit schließen wir die heutige Presseschau – im Gefühl der Genugtuung: Wir haben nur Meinungen gelesen und aufgegriffen, denen wir zustimmen konnten.

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Apr. 232008
 

grillverbot-23042008.jpg Das war gestern, am 22. April. Mit meinem 5-jährigen Sohn zusammen betrachte ich, wie ein Elternpaar mit seinem Kind zusammen einen Drachen steigen lässt. Der Kreuzberg zeigt sich bei frischem Wind und hellem Sonnenschein in bester Frühlingserwartung. Mein Sohn lernt gerne unbekannte Menschen kennen, so wie ich ja auch, und sucht oft das fachkundige Gespräch mit anderen Jungs. „Wie lange ist diese Schnur? Wie schnell ist der Wind?“ fragt er die Drachenbesitzer und mich. „30 Meter ist die Schnur, der Wind ist so schnell wie ein Fahrrad oder ein langsamfahrendes Auto, also etwa 20 km/h.“ So die Antwort von uns Vätern. Ich stelle mich bei dem Vater vor, wir geraten ins lockere Plaudern. „Du stammst aber nicht aus Berlin, oder?“, fragt er mich. „Richtig, ich bin aus Bayern zugewandert und lebe erst seit 15 Jahren in Berlin. Und du, du bist sicher ein echter Berliner und in Kreuzberg aufgewachsen …?“ frage ich zurück. Richtig, in genau diesem Kreuzberger Viertel ist er geboren und großgeworden. Er spricht mit einem leichten Berliner Zungenschlag. Einige Verwandte leben über die Türkei verstreut, und die besucht er auch gerne im Sommer, andere leben wie er mit Familie in Berlin.

Da sehen wir, wie etwa ein Dutzend Jugendlicher mit großer Begeisterung einen Grill aufbauen, Koteletts, Grillgut und Getränkekartons heranschaffen, hier oben 5 Meter von dem Kreuz, nach dem der Kreuzberg seinen Namen hat. Die Stimmung ist ausgelassen-fröhlich. Es sind alles junge, durchtrainierte, wohlgenährte Männer. Sie tragen alle modische weiße Sportschuhe, sind alle sportlich, tragen gepflegte Sportklamotten und haben alle den schneidigen neuesten Haarschnitt am Kopf: oben knapp-kraus, unten glattgeschoren. Ich höre ein paar deutsche, ein paar türkische Wörter. „Das Grillen ist im ganzen Park aber eigentlich verboten!“, gibt mir der türkische Vater zu bedenken. „Ich weiß … aber ich werde mich jetzt mit denen nicht anlegen …“ erwidere ich. Ich habe keine Lust, als Ordnungshüter aufzutreten, in all meinem glorreichen Gutmenschentum. „Da kriegt man doch nur ein paar feindselige Bemerkungen an den Kopf geschleudert …!“, sage ich. Sollen diese Jugendlichen doch ihr Gemeinschaftserlebnis haben, denke ich mir. Und DIE DA sind mehr. Und DIE DA sind stark, die verströmem ein unbezwingbares Gruppengefühl. Und schon durchzieht der unverkennbare Geruch von angefachter Holzkohle die ganze Gegend.

Mit dem Kreuzberger Vater plaudere ich weiter, über dies und das, über Kappadokien und die türkische Südküste, über den sozialen Brennpunkt am Kottbusser Tor, über die Perspektivlosigkeit der türkischen und arabischen Schulabbrecher. „Was glaubst du, ist das Hauptproblem dieser Jugendlichen?“ Er sagt: „Keine Erziehung, die Väter arbeiten nicht, die kümmern sich um nichts, lassen alles die Frauen machen.“ Er schäme sich oft für seine türkischen Landsleute.

Mittlerweile haben die beiden Jungs den Drachen zum Fliegen gebracht, mindestens 10 Meter hoch, der Wind bläst etwas kräftiger. Die jungen Männer neben uns haben das Feuerchen lustig zum Brennen gebracht. Die beiden fünfjährigen Jungs haben ihre Freude, die Gruppe der jungen Männer auch. Wir verabschieden uns herzlich mit Handschlag und wir sind sicher, wir werden uns hier am Kreuzberg bald wiedersehen.

Auf der Suche nach guten Fotomotiven für dieses Blog kehre ich heute an diese Stelle zurück. Und siehe da: Der ganze Platz neben dem Kreuz ist locker übersät mit den Überresten des gestrigen Grillfestes: leere Kartons, der verkohlte Grillrost, ein „Barbecue“-Zünder, leere Flaschen von nichtalkoholischen Getränken, Papier, leere Plastikverpackungen von Würsten und Koteletts.

Was hätte ich gestern machen sollen? Bin ich feige? Oder hätte ich zusammen mit dem türkischen Vater hingehen sollen und auf das Grillverbot hinweisen sollen, in türkischer und deutscher Sprache?

Ich beschließe: Das nächste Mal werde ich zusammen mit anderen Erwachsenen hingehen und was sagen, völlig ungerührt. Habt ihr mit meiner Haltung ein Problem? Empfehle auch einen guten Hintergrundbericht im Tagesspiegel von heute: „Wenig Bildungschancen für Migrantenkinder“.

Und noch ein Bekenntnis: Ich bin dafür, die Regeln für ein ziviles Zusammenleben einzuhalten. Ich wünsche mir, dass die Radfahrer bei Rot an der Ampel halten. Ich wünsche mir, dass die Autofahrer sich an Höchstgeschwindigkeiten halten und – bitte bitte – den vorgeschriebenen Mindestabstand von 1,50 Meter einhalten, wenn sie uns Fahrradfahrer überholen. Und ich wünsche mir, dass der Viktoriapark sauber gehalten wird, dass jeder seinen Müll mitnimmt und niemand die Gebäude und Statuen mit Graffiti besprüht. Es ist unser aller Park! Ist das alles so schwer? Bin ich ein hoffnungsloser deutscher Spießbürger?

Unsere Fotos zeigen die Stätte des glorreichen Grillfestes von gestern nachmittag, so wie sie heute um 9.00 Uhr war, und ein Hinweisschild am Viktoriapark in Kreuzberg.

grillfest_23042008.jpg

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Apr. 052008
 

Was für eine freudige Überraschung – unser heimisch-vertrauter Stadtbezirk Kreuzberg wird gleich mehrfach erwähnt in einem Wochenblatt, das wirklich die ganze Welt liest, Minister, Bankiers, Präsidenten, Journalisten, nämlich dem britischen Economist. Unter dem Titel „Two unamalgamated worlds“ beschreibt die aktuelle Ausgabe (April 5th -11th 2008, S. 29-31) die Misere unseres Nebeneinander-Herlebens in recht ungeschminkter Sprache:

Heavily Turkish Kreuzberg, once on the periphery of West Berlin and now at the centre of the united city, feels more like Greenwich Village than the South Bronx, and even Neukölln “rocks”, according to the cover of a Berlin entertainment magazine. But migrants and Germans lead largely separate lives: when German children reach school age their parents flee (along with middle-class Turks), leaving poorer migrants alone together. “The education system transmits inequality among parents extremely strongly to the successor generation,” says Frank Kalter, a sociologist at the University of Leipzig.

Manche Daten, die die deutschen Blätter eher schamhaft verschweigen, bringt der Economist frank und frei, zumal die Ziffern der arbeitslosen Jugendlichen, der „negativen Auslese“ an Hauptschulen und dergleichen weder auf das deutsche Schulwesen noch auf die türkische Gemeinde ein gutes Licht werfen.

Insgesamt, so meine ich, ist der Artikel gut recherchiert, der Wachschutz an Neuköllner Schulen wird ebenso erwähnt wie die berühmt-berüchtigte Kölner Rede des türkischen Ministerpräsidenten. Der Economist kritisiert übrigens beides: mangelnde Leistungsbereitschaft, mangelnde Bildungsanstrengungen bei den Deutsch-Türken, negative Vorurteile und ein vollkommen überholtes, auf blutsmäßiger Herkunft gestütztes Identitätsgefühl bei den Deutsch-Deutschen:

Even six decades after Hitler, Germany has not sloughed off the idea that Germanness is a matter of blood rather than of culture or allegiance. However high they rise, however good their German, Turks are not allowed to forget that they are foreigners. “I employ 100 people and still I’m not seen as German,” says Mr Sorgec.

Welchen Ausweg schlägt das Blatt vor? Bessere Integration, so der Economist, muss ein zweigleisiges Unterfangen sein:

So integration must now proceed along two tracks: guiding Turks into the social and economic mainstream and Muslims toward allegiance to the Rechtsstaat, the state conditioned by the rule of law.

Am besten jedoch gefällt mir bei der ganzen Abhandlung der Schluss. Es gibt nämlich eine wachsende Schar deutsch-türkischer Jugendlicher und junger Erwachsener, denen das ganze Gejammer nicht mehr genügt. Ich vermute sogar: Sie können es nicht mehr hören. Sie sehen sich nicht als Objekte der Sozialarbeit, sondern als Menschen, die ihr Leben in die eigene Hand nehmen. Sie zeigen: Wir wollen etwas erreichen, wir können etwas zustande bringen! Einige von ihnen haben sich in der DeuKischen Generation zusammengeschlossen. Sie setzen die Zeichen der Zuversicht, sie sind selbstbewusst, mutig, aktiv. Sie sehen sich nicht als die ewigen Opfer des Systems, sondern als Beweger und Veränderer.

Ich habe übrigens vor wenigen Tagen erst mein Gesuch auf Aufnahme als „förderndes Mitglied“ bei der DeuKischen Generation eingereicht – Vollmitglied kann ich nicht werden, da ich viel zu alt bin (die Altersgrenze liegt bei 29).

Der Economist enthüllt diese Woche auch gleich den Namen unserer wahrscheinlichen nächsten Kanzlerin:

Refashioning identity is likely to be a collaborative process, enlisting people like Aylin Selcuk, a dental student from Berlin who grew weary of being asked where she came from and whether she spoke German. She started DeuKische Generation to persuade Germans that Turks could be as German as anyone, and to push Turks to embrace the language and norms of their adoptive country. “Germans think we’ll leave, but I’m mainly German,” she insists in Hochdeutsch as mellifluous as anyone’s. Astonishingly poised for a 19-year-old, she might just become the first German chancellor to boast a Turkish name.

Mit diesem optimistischen Schlenker endet der Artikel des Economist. – Tja, wo stehe ich? Erstens, ich spreche gerne und regelmäßig mit den Türken in meiner Gegend. Das ist doch schon was, wenn ich auch noch nie die Moschee besucht habe, die genau gegenüber meinem Wohnhaus liegt. Das würde mich mal interessieren. Ich glaube zweitens an die Einsichten der DeuKischen Generation, ich glaube, dass unsere Gesellschaft durch noch mehr starke, selbstbewusste, in beiden Welten gut ausgebildete und verfassungstreue Deutschtürken großen Nutzen und zusätzlichen Schwung erhalten wird. Ich glaube drittens, mit einer Wendung, deren korrekte Aussprache ich mir persönlich von einigen Vertretern der DeuKischen Generation von Angesicht zu Angesicht beibringen ließ: Hepimiz insaniz! Wir sind doch alle Menschen, begabt mit Sprache und Vernunft. Und wir haben das Glück, in einem Staat zu leben, in dem jeder ungehindert an seinem Glück arbeiten kann.

 Posted by at 23:23
März 022008
 

Seit ich meinen Bekannten im Kiez erzähle, dass ich jetzt beim ADFC für die Belange des Fahrradfahrens kämpfe, ernte ich viel Zustimmung, aber auch versonnenes Lächeln: Viele glauben es noch nicht ganz, dass alle Zeichen im innerstädtischen Verkehr auf „Rad“ stehen. Vor allem aber erhalte ich interessante Einblicke in das, was die Menschen bewegt. „Ich möchte von meinem Laden nachhause fahren. Das Benzin wird immer teurer, und es ist eine nette Tour. Aber ich kann nicht richtig Fahrrad fahren. Wo kann ich es lernen?“ So sprach vorgestern eine aus der Türkei stammende Bekannte, Ladeninhaberin hier in Kreuzberg. „Wir Krimtataren in der Türkei haben ein Sprichwort: Der Tüchtige weiß das Pferd ebenso wie das Schwert zu führen.“ Das Pferd, so erklärt sie mir, ist nach heutiger Deutung das Fahrzeug, also das Auto, oder eben auch das Fahrrad. Der Führerschein gehört dazu. Das Schwert sei die Fähigkeit, sich im Leben durch Erwerbsarbeit zu behaupten. Heute stehe Schwert also für abgeschlossene Berufsausbildung. Das Sprichwort gelte für Männer und Frauen gleichermaßen.

Ich weiß, dass es in Berlin solche Radfahr-Kurse für Erwachsene gibt. Mir ist bekannt, dass in vielen Ländern das Fahrradfahren nicht Teil der selbstverständlichen Grundbildung der Kinder ist, darunter auch Russland.

Da fällt mir ein: Sehr selten sehe ich Türken oder Araber auf Fahrrädern. Weder Männer noch Frauen. Fahren die alle mit tiefergelegten BMWs oder Vans? Ist es einfach uncool, mit dem Fahrrad zu fahren? Sind wir alle „Loser“, wenn wir nicht mit dem eigenen PKW unseren Status unter Beweis stellen? Gilles Duhem, Geschäftsführer des Vereins Morus 14 erzählte dies bei einer öffentlichen Anhörung im Bundestag (dieses Blog war dabei): „Für den jungen Mann, den ich als Sozialarbeiter betreut habe und der mittlerweile erfolgreich im Berufsleben integriert ist, bin ich immer noch voll Opfer, weil ich mit dem Fahrrad fahre.“

Spannend ist es auch, in Gesprächen mit einzelnen „Türken“ oder „Arabern“ ganz unterschiedliche Geschichten zu hören. Die lassen sich nicht alle über einen Kamm scheren. In der Türkei halten sich immer noch einige sehr lebendige Identitäten. Das sind Völker und Gruppen, die zwar mittlerweile Türkisch als erste Sprache übernommen haben, aber beispielsweise nicht notwendigerweise Moslems sind. Eine Zwangsassimilation wie in früheren Jahrzehnten wird von ihnen nicht mehr verlangt. Erzwungene Assimilation hat dementsprechend der türkische Ministerpräsident bei seiner Kölner Rede mit aller Schärfe als ein „Verbrechen“ abgelehnt. Offenkundig sprach er hier über innere Angelegenheiten der Türkei. Dennoch war die Aufregung in Deutschland gerade darüber groß. Mit den Leuten reden, sich erkundigen, ehe man vorschnell urteilt, hilft oft weiter in solchen Fällen.

Wir müssen uns ein klein bisschen entschleunigen, etwa durch mehr Fahrradfahren, durch häufigeres Fragen und Zuhören.

 Posted by at 14:23