Mai 012009
 

01052009005.jpg Heute nachmittag trieben wir über das Myfest in der Oranienstraße hin. Die Menschen stehen in dichten Trauben. Mein Sohn Wanja zieht mich furchtlos durch die Menge. Es herrscht ausgelassene Feststimmung, buntes Treiben, die Atmosphäre ist vollkommen locker. Gegenüber der Blindenanstalt treffe ich Kurt Wansner, lachend, unversehrt an Leib und Leben. Wir plaudern ein paar Worte. Ein solches Fest erlaubt es dir abzutauchen. Dennoch herrscht eine gewisse Unverbindlichkeit. Es könnte alles so sein – oder auch anders. Es kommt nicht darauf an.

Und genau diese Unverbindlichkeit steckt auch in den Auseinandersetzungen zwischen Randalierern und Polizei, von denen ich jetzt nur noch in den Medien erfahre. Die Parolen, die da skandiert werden, sind sinnleer, austauschbar. Jutta Ditfurth sagte laut Tagesspiegel: „Die soziale Ordnung in Deutschland bleibt eine Gefängnisordnung.“ Im Verlauf der Wirtschaftskrise seien in Deutschland  100.000 Leiharbeiter „geräuschlos entsorgt“ worden. „Ulrike Meinhof hat Bambule empfohlen  – wir auch!“ „Wäre die Bastille gefallen – nur durch Lichterketten? Wäre die Befreiung vom Faschistenpack denkbar – als Loveparade?“ Eine grandiose Selbstüberschätzung der Rednerin, erklärbar nur durch völlige Verblendung. Ein Bezug zur Realität ist in solchen Worthülsen nicht mehr erkennbar.

Die Jungs im schwarzen Block, das sind unsere verlorenen Söhne, die sich da in die Austauschbarkeit maskieren, abtauchen in die Anonymität. Sie haben erkennbar nichts von der Welt gesehen, waren nie in Weißrussland oder in Kenia, haben nie mit Menschen aus den KZs oder aus dem GULAG geredet. Sie kennen keinen Hunger, keine Not. Ihnen fehlen jede Maßstäbe. Sie wollen zeigen: Schaut her, wir sind auch noch da. Eine maßlose Gier nach Aufmerksamkeit liegt in diesen Steinwürfen. Eine Gier, die keine anderen Mittel findet als eben diese Ausbrüche und Katz-und-Maus-Spiele. Erbärmlich.

 Posted by at 23:08

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