Juli 252011
 

In einer schwierigen Lage sind weltweit alle jene muslimischen Menschen, die sich offen vom islamischen Glauben lossagen. In den arabischen Ländern ist dies ohnehin nur in ganz wenigen Ausnahmefällen zulässig. Du kannst nicht aus dem Islam austreten wie aus einer christlichen Kirche! In Deutschland wird der guten staatlichen Ordnung halber stillschweigend (jedoch zu Unrecht) angenommen, alle Menschen, die aus „islamischen Ländern“ zu uns kämen, seien Muslime. Kein türkisch- oder arabischstämmiger deutscher Politiker hat es etwa meines Wissens bisher gewagt, sich in Deutschland öffentlich vom Islam loszusagen. Er würde sich unabsehbare Schwierigkeiten einhandeln, gegen die die Pfiffe gegen den deutschen Nationalspieler Mesut Özil nur ein Kinderspiel darstellten.

Über den aus Marokko stammenden, jetzt Schweizer Islamkritiker Kacem El Ghazzali berichtet heute Rainer Wandler auf S. 18 der taz:

Bloggender Religionskritiker: Einmal Muslim, immer Muslim – taz.de
Als er zu schreiben begann, war er „eher Agnostiker als Atheist“. Er stellte philosophische Überlegungen an. Kritisierte Auswüchse der Scharia im Iran und anderen Ländern. Das reichte schon. Nach nur einem Jahr bedrohte ihn jemand auf seiner eigenen Facebookseite. „Ich weiß bis heute nicht, wie sie auf meine wahre Identität gekommen sind“, sagt er. Er trat die Flucht nach vorn an und bekannte sich mit vollem Namen zum Blog.

„Nach kurzer Zeit wusste alle über mich Bescheid. Die Lehrer auf dem Gymnasium begannen gegen mich zu hetzen.“ Sie brachten ihn mit den Mohammed-Karikaturen in Zusammenhang, nannten ihn wahlweise „Ungläubiger“, „Jude“, „Feind des Islams und von König Mohamed VI.“, der per Verfassung „Führer aller Gläubigen“ ist.

Eines Tages eskalierte die Situation. Der Direktor schlug ihn. Mitschüler bewarfen ihn mit Steinen.

Ist die taz islamfeindlich, wenn sie solche Meldungen bringt? Denn hier erscheint der arabisch geprägte Islam genau so, wie ihn die europäischen Rechtspopulisten immer wieder darstellen: als intelorant, diktatorisch, auf Unterwerfung der Einzelmenschen bedacht.

Ich glaube, der Vorwurf der Islamophobie gegen die taz wäre verfehlt. Nicht jede Befassung mit der Praxis der innigen Verquickung von Religion und politischer Macht in islamischen Ländern ist verwerflich! Und vergessen wir nicht: Im europäischen Mittelalter war es auch nur schwer möglich, den christlichen Glauben abzulegen. Also: Bei uns war es vor 600 Jahren auch nicht besser.

Das europäische Mittelalter entrichtete gewissermaßen den „Preis des Monotheismus“ für diesen Absolutheitsanspruch, mit dem die großen monotheistischen Religionen häufig aufgetreten sind. So nannte dies Jan Assmann.

Denselben Preis entrichten bis zum heutigen Tag die arabischen Länder. Und sie verknüpfen den Absolutheitsanspruch der Religion mit dem Anspruch der muslimischen Herrscher auf politische Unterwerfung der Untertanen bzw. der Bürgerinnen.

Hoffen wir, dass die arabischen Länder allmählich – in weniger als 600 Jahren – den mühseligen, schmerzhaften Weg zur Religionsfreiheit finden!

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Arabische Vielfalt erkennen – arabische Freiheit wertschätzen!

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Nov. 272010
 

Immer wieder erkundige ich mich bei aus Libanon zugewanderten Berlinerinnen und Berlinern nach der neuesten Lage in Libanon. Gesamteindruck: Die etwa 10 wichtigen ethnischen und religiösen Gruppen leben recht und schlecht nebeneinander her, man geht sich weitgehend aus dem Weg, ebenso wie auch in Kreuzberg etwa.

Der autoritär-paternalistisch geführte Staat ist in der Hand der wenigen regierenden Dynastien, die Lage der Palästinenser und der Kurden bleibt zutiefst prekär und unwürdig, die Bedeutung der Christen nimmt ab, jedoch ist ihre soziale Stellung noch weitgehend gesichert, auch wenn viele Christen in europäische Länder oder in die USA auswandern – oder auswandern möchten.

Dass der Libanon jemals wieder wie bis in die 70er Jahre zur „Schweiz des Nahen Ostens“ werden möchte, ist ein frommer Wunsch, der wohl unerhört bleiben wird.

Mit besonderem Gewinn las ich kürzlich das Buch von Joumana Haddad: „Wie ich Scheherazade tötete. Bekenntnisse einer zornigen arabischen Frau.“ Ich empfehle dieses Buch allen, die sich für Libanon und Libanon-Flüchtlinge interessieren.

Vor allem wird man lernen, dass „die Araber“ in sich eine enorme ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt bieten. Es gibt auch christliche Araber. Aus einer katholischen Familie stammt etwa Joumana Haddad. Die reichhaltig bestückte Bibliothek ihres Vaters bot ihr von früher Kindheit an Gelegenheit, ihre Selbständigkeit als eigenwilliges Mädchen zu entfalten, ihr Recht auf selbstbestimmte Sexualität durchzusetzen.

Damit einhergehend, fordert sie die Freiheitsrechte, die sich selbst genommen hat, auch  für alle anderen arabischen Frauen ein. Zitat:

„Ja, ich bin ein Frau, bin es in aller Selbstverständlichkeit, mit Stolz, ohne Einschränkungen und in höchstem Maße. Aber in Gottes Namen, schafft mir endlich dieses Rosa samt allen zugehörigen Klischees aus den Augen! Ich weiß noch, wie ich einmal mit einem Onkel aneinandergeriet, der es gewagt hatte, mir zum Geburtstag eine Miniaturküche, komplett mit Waschmaschine und Bügeleisen zu schenken.“

Nun, betroffen schweige ich. — Ich habe leider keine Töchter.

Meinen Söhnen habe ich (wie ich gestehen muss) niemals eine Miniaturküche oder Puppen geschenkt. Sie haben stets nach Autos, LKWs und Zügen verlangt. Wir besitzen foglich eine satte Sammlung an Spielzeug-Autos, -LKWs und -Zügen.  Und zwar auf ausdrücklichen Wunsch der beteiligten Männer. Was ist ein typischer Mann?

Heute radelte ich zum Brandenburger Tor, um dem Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel meine Aufwartung zu entbieten. Ein so sympathischer junger Mann! Vorbildlich! Aber er spielt halt nur mit Autos! Ist er unfrei, weil er nicht mit Puppenküchen spielt? Nein! Ich sah das Sebastian-Vettel-Video auf der Großbild-Leinwand und muss sagen: Er kocht auch! In echt! Er kann auch Italienisch! Der perfekte Mann – kann autofahren, kann kochen – und kann sogar Fremdsprachen! Befreite Frauen, was wollt ihr mehr vom Manne?

Eifert ihm nach!

Quelle: Joumana Haddad: Wie ich Scheherazade tötete. Bekenntnisse einer zornigen arabischen Frau. Aus dem Englischen übersetzt von Michael Hörmann. Verlag Hans Schiler, Berlin 2010, hier: S. 84

Joumana Haddad Official Web Site

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Mai 292008
 

Recht vollmundig hatten wir in diesem Blog verkündet, wir wollten das Wahlverhalten in vier ausgewählten europäischen Großstädten betrachten. London wurde am 12.05.08 bereits in diesem Blog umfassend abgehakt. Jetzt ist Augsburg dran. Was geschah in der Stichwahl am 16. März 2008?

Die Augsburger wählten den beliebten Oberbürgermeister Paul Wengert aus dem Amt und stimmten mehrheitlich für den parteilosen Kurt Gribl. Der Mann, ein promovierter Jurist, konnte keinerlei politische Vorerfahrung vorweisen. Er war nicht einmal Mitglied einer Partei. Die CSU machte ihn zu ihrem Kandidaten. „Wir haben keinen Besseren“, hört man oft in solchen Fällen. Was sprach für ihn?

1) Er ist das Gegenteil eines Politikers der alten Garde, sondern trat als kundiger Vermittler der Bürgerinteressen an. 2) Er versprach, unbeliebte Großprojekte des Amtsinhabers zu kippen, so etwa den ÖPNV-freundlichen kompletten Umbau der Friedberger Straße. 3) Er spielte den „Ich-bin-einer-von-euch“-Trumpf aus. Der waschechte Augsburger schlägt den Berufspolitiker von auswärts. 4) Er präsentierte sich als moderner Internet- und Popfan. Er hat ein Profil auf Myspace und Xing. 5) Er hat ein Ohr für die kleinen pragmatischen Anliegen. In seinem Hundert-Punkte-Programm nimmt er zahlreiche Forderungen von Betroffenen auf, kümmert sich höchstpersönlich um kommunalpolitische Kleinstprojekte, wie etwa Fahrradabstellbügel und Popkonzerte. Die Botschaft ist klar: „Ich kann zuhören, ich wälze euch kein Programm zur Weltverbesserung auf.“ 6) Er formulierte alle seine Anliegen positiv, nach vorne gewandt. Er stellte ein positives Leitbild für seine Vaterstadt auf, gestützt auf Werte wie Selbstvertrauen, Zukunft, Selbstbewusstsein. 7) Er griff nicht den beliebten Amtsinhaber an, sondern überging ihn weitgehend einfach mit Schweigen. Kein Zank, kein Gezetere. Was blieb ihm auch übrig?

Was lernen wir daraus? Ich würde sagen: Das Kleine 1 mal 1 der politischen Kommunikation in diesem ersten Jahrzehnt:

1) Die alten Parteien sind (fast) abgeschrieben, Personen zählen mehr. 2) Fahrrad schlägt Straßenbahn! Kleinstprojekte kommen besser an als Großbaustellen. 3) Zeig, dass du zuhören kannst. Rede weniger, höre mehr zu. 4) Spalte nicht, beleidige nicht, lärme nicht rum. Polarisiere nicht. Lass die Welt eher so, wie sie ist. 5) Blicke nach vorn, nicht in die Vergangenheit. 6) Zeige ein klares Leitbild auf! Wo siehst du deine Stadt in 5 oder 10 Jahren? 7) Kopple dich von der veralteten Rhetorik der Volksparteien CSU/CDU und SPD ab. Präsentiere dich als Außenseiter, Quereinsteiger, Querdenker, als Fachmann/Fachfrau oder Moderator oder was auch immer, eher denn als Berufspolitiker. 8) Sei keine Trantüte, sondern zeige, dass du dein Leben genießt. 9) Such dir die richtige Unterstützerin. Lade Angela Merkel in dein 264.000-Seelen-Dorf ein. Die Frau segelt weiterhin auf herausragenden Zustimmungswerten. Segle auch du mit den Erfolgreichen. 10) Mach dein Schicksal nicht vom Ausgang dieser einen Wahl abhängig!

Zum Nachlesen auf der Homepage des neuen Augsburger Oberbürgermeisters hier klicken.

Unser Foto zeigt heute einen Blick auf die Lechauen im Stadtteil Hochzoll-Nord, nur einen Steinwurf von der Friedberger Straße entfernt. Übrigens: Dies war in meiner Jugend ein Teil meines täglichen Schulwegs.

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März 252008
 

Erneut stoße ich auf einige Aussagen zum Gegensatz zwischen dem alten Perserreich und dem „Rest der Welt“, aus europäischer Sicht also den griechischen Stadtstaaten. Gebräuchlich seit etwa 2.500 Jahren und bis in die neueste Zeit hinein weiterverwendet ist die Entgegensetzung: dort „orientalisches Großreich mit despotischer Willkürherrschaft“, hier „europäisch-westliches freies Gemeinwesen mit starker Bürgerbeteiligung“. Perikles, Aischylos, Herodot, das Buch Ester der Bibel – sie gehören zu den frühen Belegen für diese schroffe Behauptung eines unversöhnlichen West-Ost-Gegensatzes; die neueren Begründungen für Aktionen gegen die jeweiligen Machthaber im Mittleren Osten reihen sich nahtlos in diese Deutungskette ein. Dies gilt übrigens auch für die Protestaktionen gegen das „blutige Schah-Regime“, deren amtliche Niederprügelung ja am 2. Juni 1967 einer der Auslöser der Studentenbewegung wurden, aber es gilt auch für die jüngsten militärischen Unternehmungen gegen die Nachfolgerstaaten des antiken Persien, also insbesondere die heutigen Staaten Iran, Irak und Afghanistan. Aber auch gegenüber der heutigen Türkei werden immer wieder ähnliche Vorbehalte geäußert, die letztlich in einer Linie mit der Ablehnung der orientalischen Staatsformen überhaupt liegen. Der britische Historiker Anthony Pagden hat in seinem neuen Buch „Worlds at War: The 2,500-Year Struggle Between East and West“ ganz offenbar noch einmal dieses Deutungsmuster als Konstante der europäisch-asiatischen Geschichte aufgearbeitet und im wesentlichen als zutreffend verteidigt, jedenfalls laut Rezension im Economist, (March 22nd-28 2008, p.87-88):

„It is hardly a coincidence, he [i.e., Pagden] suggests, that ancient Athens found itself doing battle with the Persian tyranny of Xerxes, while the modern Western world faces a stand-off with the mullahs‘ Iran. In his view of history, these are simply related chapters in a single narrative: the contest between liberal and enlightened societies whose locus is Europe (or at least European culture) and different forms of Oriental theocracy and authoritarianism.

Even where the enlightened West did bad things, these were aberrations from a broadly virtuous trajectory; where the tyrannical east (from Darius to Osama bin Laden) committed sins, they were no better than anybody could expect—that is what Mr Pagden implies. He broadly accepts the argument of the al-Qaeda propagandists that today’s global jihad is a continuation of the civilisational stand-off which began in the early Middle Ages and which is doomed to rage on.“

Helfen solche Vereinfachungen, die immer noch das politische Handeln und das Selbstbild des Westens leiten, weiter? Eine Schwierigkeit liegt darin begründet, dass unser Geschichtsbild der orientalischen Großreiche fast ausnahmslos aus der Außensicht „vom Westen her“ gespeist ist. Wir besitzen schlechterdings keine ausgearbeitete Geschichtsschreibung aus dem Inneren des Perserreiches, ebensowenig wie aus dem alten Ägypten. Was nun das antike Persien angeht, das sich ja im 6. Jahrhundert v.d.Z. von der Donau bis an den Indus erstreckte, also das erste, von den Zeitgenossen viel bestaunte Weltreich überhaupt darstellte, so tut man ihm offensichtlich unrecht, wenn man es einzig und allein als despotische, ungeregelte Willkürherrschaft bezeichnet. Im Gegenteil: Unter Dareios (550-486 v.Chr.) wurde eine effiziente Verwaltung aufgebaut. Der Altertumswissenschaftler Philipp Meier schreibt:

„Galt Kyros als der Begründer, so war Dareios der Ordner des Reiches. Er hat das Riesenreich bis auf den letzten Weiler hin durchorganisiert. Das Ergebnis war eine Verwaltung, die selbst nach heutigen Maßstäben als vorbildlich gelten darf. Dareios war der fähigste Organisator der alten Welt. Von diesem Erbe zehrt der Iran noch heute.“

Weit schwerer als der Vorwurf mangelnder Organisation wiegt jedoch der ständige Vorwurf mangelnder Freiheit, den wir im Westen landauf landab hören und wiederholen. Die östlichen Großreiche – ob nun das antike Perserreich oder das spätere Osmanische Reich – werden aus dem Westen meist stereotyp als Bastionen der Unfreiheit, der gesetzlosen Willkür gesehen, in denen der Einzelne und die einzelne Volksgruppe nichts, der Wille des Mannes an der Spitze alles gelte. Doch auch hier sind erhebliche Korrekturen angebracht! Ich zitiere noch einmal Philipp Meier, der die bis heute allseits umjubelten Siege der Griechen über die Perser bei Salamis und Plataiai in den Jahren 480-479 v. Chr. wie folgt kommentiert:

„Ob das allerdings für die Griechen ein Glück war, mag bezweifelt werden. Denn während die Perser eine relativ liberale Herrschaft über ihre Provinzen ausübten, versuchte Athen, die übrigen hellenischen Territorien in beträchtlich radikalere Abhängigkeit zu zwingen, die binnen 100 Jahren zum totalen Bedeutungsverlust der Stadt führten. ‚Es steht fest, dass die Staatsgewalt der griechischen Stadtstaaten über ihre Bürger in gewisser Hinsicht die des [persischen] Großkönigs über seine Untertanen überstieg. So hatten beispielsweise die den persischen Monarchen unterworfenen ionischen Städte keine andere Verpflichtung, als einen mäßigen Tribut zu zahlen, der ihnen überdies häufig erlassen wurde, während sie sich im übrigen selbst regierten.‘ (Jouveuel, S. 172) Athen dagegen versuchte, die angestrebte, aber nie verwirklichte hellenische Einheit durch eine Tyrannis durchzusetzen, die die Wehrfähigkeit der Städte derart herabsetzte, dass sie Alexander von Makedonien mit nur wenig Gegenwehr in die Hände fielen.“

(zitiert aus: Philipp Meier: Das Perserreich. In: Aischylos. Die Perser. In neuer Übersetzung mit begleitenden Essays. Regensburg: Selbstverlag des Studententheaters 2005, S. 73-86, hier S. 78 und S. 86)

Was lernen wir daraus? Ich meine dreierlei: Zunächst, die festgeprägten Urteile des Westens über den angeblich so barbarischen, unfreien Osten haben sich seit 2500 Jahren als außerordentlich hartnäckig erwiesen. Sie entbehren zweitens jedoch oft einer sachlichen Begründung und lassen sich dann durch historische Forschung widerlegen oder zumindest einschränken. Als handlungsleitende Impulse für die Beziehungen zwischen den heute bestehenden Staaten sind sie schließlich nur mit äußerster Vorsicht zu gebrauchen. Sie führen wie schon in der Vergangenheit so auch heute oft in die Irre. Das zeigt sich in dem weitgehend konzeptionslos anmutenden politischen Handeln der westlichen Staaten in den heutigen Staaten des Mittleren Ostens.

 Posted by at 13:46