… fanden wir gestern auf einem herrlichen Radausflug von Schülern, Eltern und Lehrern in Strausberg! Der Ausflug hätte unter dem Leitwort stehen können: „Eltern als Teil der Schulgemeinschaft“.
In der Tat: Wenn alle Familien einer Schule jeden Sonntag etwas gemeinsam unternähmen, entstünde eine echte Schulgemeinde, die Kinder fänden zusammen, all die vielbeschrieenen Nöte flögen fort, als wären sie ein staatlich subventionierter Dauer-Albtraum misslingender Integration!
Da würden sich aber meine bevorzugten Mitstreiterinnen in der Friedrichshain-Kreuzberger Schulpolitik gefreut haben. Wer mag das wohl sein? Ratet!
Aber ist es richtig gutes Deutsch, was ich auf der Stadtmauer der Stadt Strausberg las: „Das besterhaltendste Teilstück der Stadtmauer …“ Was hätte Karl Kraus dazu gesagt?
Vor den Schwierigkeiten der deutschen Sprache sollte man nicht den Kopf in den Sand stecken. Das wäre eine Vogel-Strauß-Politik, die uns nicht weiterhülfe.
Übrigens:
Das besterhaltene Teilstück der Berliner Mauer befindet sich in unserem Doppelbezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Das trotz gelegentlicher Beschmierungen sorgfältig zu erhaltende Teilstück findet man längs der Mühlenstraße.
Möge es weiterhin ein gut erhaltenes, ja wohl das besterhaltene Teilstück der Berliner Mauer bleiben!
Der taz widmete ich mich bei schönstem Sonnenschein an diesem Wochenende, während ich mit meinem Sohn durch das Museum für Verkehr und Technik streunte und das neue Nokia E 72 mit seinem vortrefflichen Navigationssystem auf Herz und Nieren erprobte. Die Akademiker-Boulevardzeitung erweist sich wieder einmal als außerordentliche Fundgrube an klugen Irrtümern, erlesenen Torheiten und scharfsinnigen Fehlnavigationen.
Ein echter Coup: ein Diktat eines Neuntklässlers als Aufmacher! Es ist gespickt mit Fehlern. Endlich wird einmal der Sprachstand dokumentiert, wie ich ihn aus zahlreichen Alltagsbegegnungen mit typischen Jugendlichen in Berlin kenne! Dafür gebührt der guten taz Lob und Ehr!
Christian Füller, der eigentlich früher auch viele kluge Bemerkungen über die Schule gebracht hat, schreibt den miserablen Sprachstand der Berliner Jugendlichen dem ineffizienten, ungerechten und undemokratischen Schulsystem – auch der Pisa-Sieger – zu. „Es liegt am Auslesedruck der gegliederten Schule.“ Ei der Daus. Diesen Unsinn hören wir schon seit vielen Jahren.
„Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen“ – unter dem Schutzschirm dieser Behauptung wird wieder und wieder die alleinige Schuld auf das Schulsystem, auf die gescholtenen Lehrer, auf die fälschlich unterstellte Unterfinanzierung der Schule geschoben.
Ich für mein Teil schiebe mindestens einen Teil der Schuld an den niederschmetternd niedrigen Sprachkenntnissen auf die Familien, auf die chronisch überfinanzierte soziale Sicherung, auf mangelnden Erwerbsdruck, auf mediale Übersättigung, auf Bequemlichkeit und Lernunlust. Ich stelle bei Schülern und Eltern in Berlin eine alle Grenzen sprengende Verwöhnungserwartung fest:
„Wir Familien sind bezahlte Gäste im Hotel Schule. Nun mach mal! Wo sind die Luftballons? Wo ist das Gratiseis?“
Ich spreche wirklich aus Erfahrung. Bei einer Befragung von Eltern, wie ihnen denn die Schulfeier gefallen habe, hörte ich fast nur Kritik: „Das Eis hat nicht für alle Kinder gereicht. Die Luftballons haben nicht für alle Kinder gereicht. Der Saal war zu klein.“
Das ist die Haltung, welche das Hotel Deutschland über die Jahrzehnte herangezüchtet hat. Mit dieser Haltung kommen die Kinder dann ins Hotel Schule.
Nichts, aber auch gar nichts – am allerwenigsten Erfahrungen aus einem Land mit ungegliedertem Schulwesen wie etwa Frankreich – können die Gegner des gegliederten Schulwesens zur Stützung ihrer kühnen Behauptungen vorbringen.
Am Ende der neunten Klasse sollte man schon Deutsch können. Ist das ein unmenschlicher Leistungsdruck?
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Sep.182010
Einige gute Beiträge heute in der FAZ! Herta Müller empfindet Scham, Schmerz und Mitgefühl für Oskar Pastior, mit dem sie die Atemschaukel schrieb und der jahrelang als Spitzel der Securitate geführt wurde. Ein Buchautor wirft seinen Kritikern vor, ihn nicht gelesen zu haben (S. 31). Jemand gibt unumwunden zu, das Buch nicht gelesen zu haben, über das sich die Nation aufregt (S. 3).
Eine längere gute Unterhaltung mit sechs Kreuzberger Kindern und Jugendlichen führte ich am heutigen Ramadan-Tag! Das wichtigste Thema wird zuerst von den Kindern aufgeworfen: Sex und andere schlimme Gedanken. Dass gerade im Ramadan Porno und Sex bei den Jugendlichen und Kindern eine riesige Rolle spielt, darf nicht verwundern. Ficken, wichsen, blasen, drunter geht es nicht. Das sind eigentlich schon Standardwörter, mit denen die Kreuzberger Kinder und Jugendlichen beweisen, dass sie dazugehören, dass sie Bescheid wissen.
„Woher kennt ihr diese Ausdrücke?“, frage ich. „Aus der Schule“, lautet die Antwort. „Die Schule verdirbt uns alle. Früher war sie gut, heute verdirbt sie unsere kleinen Brüder alle!“, versichern die 14-17-Jährigen.
„Könnte es sein, dass ihr sie aus dem Internet habt?“, frage ich. „Ja, auch, aber von den Filmen im Internet kommen sie in die Schule.“
„Ist heute nicht Ramadan?“, frage ich. „Was sagt der Prophet?“, frage ich. „Hat er nicht gesagt, ihr dürft vor der Ehe keinen Sex haben und sollt auch nicht daran denken?“
„Ja, eigentlich schon. Aber die Schule verdirbt uns alle.“
„Haltet ihr den Ramadan?“ Ja, alle, auch die Kinder unter 12! „Was ist der Sinn des Ramadan?“, frage ich.
Der älteste antwortet mir: „Der Ramadan dient dazu, sich in Geduld, in Enthaltsamkeit zu üben. Der Ramadan soll den Kindern helfen, den langen Atem zu bekommen. Und außerdem sollen wir erfahren, was Armut wirklich heißt: nichts zu essen und trinken zu haben.“
„Dann dürftet ihr eigentlich solche Ausdrücke, wie ich sie gerade von euch gehört habe, am Ramadan nicht verwenden. Sonst seid ihr keine guten Moslems.“
Nun ja, dem stimmen sie zu. Es herrscht Einigkeit: „Wir dürfen am Ramadan keine Ausdrücke verwenden. Sie sind eine besonders schwere Sünde.“
Wir sprechen über Schule, über Berufsaussichten. Ich erkläre, dass sie sehr gut Arabisch und sehr gut Deutsch lernen müssen, dann können sie später vielleicht einmal als Dolmetscher arbeiten.
Ich lade sie alle zu unserem nächsten Konzert am kommenden Samstag in der Schwartzschen Villa ein.
„Und wenn wir uns morgen wiedersehen sollten, werde ich euch fragen, ob ihr gute Moslems seid! Ich werde euch fragen, ob ihr Ausdrücke verwendet habt oder ob ihr die Gebote gehalten habt“, damit verabschiede ich mich. Wir geben uns alle die Hand. Dann gehen wir nachhause.
Das Ende dese Fastens ist heute um 19.59 Uhr angesagt.
So, damit kommen wir der Sache näher: Fast niemand der Befragten aus dem Goethe-Gymnasium kannte bei der Befragung durch die hartnäckigen Hart-aber-fair-Spürhunde das Gedicht „Wanderers Nachtlied“ von Goethe.
Thilo Sarrazin, der in der Runde saß und höchst achtbar seinen Mann stand, war sichtlich traurig darüber. Ich glaube, nichts hat ihn mehr getroffen und betrübt als diese Befragung der Schüler und Lehrer des Goethe-Gymnasiums, bei der Abiturienten und Lehrer nichts von diesem herrlichen Nachtlied wussten, das Franz Schubert so herzbewegend vertont hat.
Das also ist des Pudels Kern! Die Deutschen vergessen ihre große, ihre überragende Kultur, die weltweit in den Konzertsälen und Bibliotheken gelehrt und verehrt wird. Weltweit: außerhalb Deutschlands. Und deshalb hegen viele Deutsche die Angst, das Land könnte sich abschaffen.
Sie sind das status-unsichere Volk schlechthin! Incertitude allemande! Ich halte diese kulturelle Amnesie der Deutschen für höchst gefährlich. Denn sie kann in politische Instabilität umkippen.
Kaum etwas hat mich in den letzten Monaten stärker bewegt als unsere Elternkonzerte für die Kinder der Fanny-Hensel-Schule in Kreuzberg (Migrantenquote: 98%), als wir uns etwa über den Freischütz von C.M. von Weber unterhielten. Und eins unserer „libanesischen“ Mädchen sang den Jägerchor nach – ohne Scheu, taktsicher, mit herrlichem klaren Trallala. Es geht doch! Die muslimischen Kinder sind hungrig, sind wach, kennen keine Scheu vor der großen europäischen Kultur.
Unsere Kinder wollen und suchen das Schöne, das Wahre, das Gute. Sie haben ein Recht darauf. Sie haben ein Recht darauf, sehr früh, ab Klasse 1 mit Mozarts Zauberflöte bekanntgemacht zu werden. Sie haben ein Recht darauf, fragen zu dürfen, ob die Königin der Nacht gut oder böse ist.
Also muss die Schule ihnen diese Schätze auch bieten.
Ein Jammer, dass unsere Schulen so wenig weitergeben, weiterschenken von dem, was wir Deutsche zu bieten haben.
Nur wer gibt, kann auch nehmen.
Zum unverzichtbaren Kernbestand der deutschen Kultur rechne ich persönlich neben etwa zwei Dutzend Gedichten Goethes seinen Faust, rechne ich Musik Bachs und Mozarts, Kenntnisse über klassische deutsche Literatur, Geschichte ab etwa 1000 (nicht nur 1933-1945), Musik, Geographie. Beethoven! Brahms! Das sind Kontinente des Deutschen. Wenn unsere jungen Leute diese Kontinente nicht mehr erfahren, dann gute Nacht, Deutschland!
Man sollte wissen, wer Immanuel Kant war und was er ungefähr gewollt hat. Man sollte mit Namen wie Adenauer, Karl der Große, Hitler, Rosa Luxemburg, Freud, Marx etwas anfangen können. Und Goethe, immer wieder Goethe! Goethe mehr denn je, denn er hält uns Deutschen den Schlüssel zum Verständnis des Islams in der Hand!
Weil sie keinen Goethe, keinen Friedrich Schiller mehr kennen, sind sie taub für die Wortmusik eines Hafis oder Rumi. Und sie sind taub für Shakespeare.
Weil sie keine Bibel kennen, verstehen sie – die Deutschen – die Muslime nicht.
Weil sie Grimms Märchen nicht pflegen, sagt ihnen 1001 Nacht auch nichts mehr.
Gerade lese ich den Kinderkoran Lamya Kaddors mit großem Gewinn und großer Freude. Warum enthalten unsere Schulen den Kindern die großen Menschheitsgeschichten einer Maryam/Maria, eines Josef/Yusuf, eines Moses/Musa, eines Isa/Jesus, eines Abraham/Ibrahim vor?
Auch dieser Fehl gehört zum kulturellen Gedächtnisverlust!
Weil die Deutschen ihre eigene Herkunft nicht pflegen, interessieren sie sich auch nicht für die Herkunft der Zuwanderer. Wer in Deutschland kennt schon türkische Dichter oder arabische Philosophen?
Es herrscht Ödnis. Wüste.
Weil sie schludrig mit ihrer eigenen Sprache umgehen, wollen auch andere Menschen sie nicht lernen.
Weil die Deutschen sich ihrer eigenen kulturellen Herkunft nicht vergewissern, haben sie Zukunftsangst. Deshalb hat Sarrazins Buch so viel Erfolg. Es rührt an die tiefe kulturelle Unsicherheit der Deutschen.
Das sehe ich in allen Schulen, das bemerke ich auf Schritt und Tritt bei Gesprächen. Sie reden über Mieten in Mallorca, über das neueste i-Phone, über die Bundesliga. Nichts gegen Mieten in Mallorca, i-Phones, Bundesliga – aber das kann nicht alles sein.
Wir können die Zuwanderer nur aufnehmen, wenn wir das Schöne und Große unserer Herkunft mit ihnen teilen lernen.
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Aug.272010
Der oben zitierte Satz ist ein Meisterwerk der Bürokratiekritik, voller poetischer Kraft. Aber ist es richtig gutes Deutsch?
Aber sicher doch! Er ist in „stabender“ Reimform geschrieben: Das häufige Zusammentreffen der S-Laute erzeugt eine rhythmische Innenspannung. Man könnte an das Klappern von Funktastaturen auf den Schreibtischen der Sachbearbeiter denken. Man hört gewissermaßen, mit welchem Überdruss die Sachbearbeiter einen Antrag nach dem anderen durchackern, auf Plausibilität prüfen und ohne zu seufzen abheften. Die Lautform des Satzes spiegelt den gemeinten Inhalt wider!
Das ist nichts anderes der Ursprung der Dichtkunst.
In vielen Sprachen greifen die Menschen für kurze, einprägsame Wendungen auf dieses Prinzip der Anlautgleichheit zurück. Bekannt sind Wendungen wie etwa Sex sells, Veni vidi vici, Waldis WM. Derartige Anlautgleichheiten nennt man „Stäbe“. Der Stabreim war die früheste Reimform in den germanischen Sprachen.
Der Endreim hingegen, der etwa ab dem 9. Jahrhundert n. Chr. einen beispiellosen Siegeszug durch alle europäischen Sprachen angetreten hat, entspringt dem Morgenland, insbesondere der besonders hoch entwickelten persischen und arabischen Dichtung.
Beispiel für einen Endreim:
Die wenigen, die was davon erkannt,
Hat man seit je gekreuzigt und verbrannt.
In Werbung, Politik, Boulevardpresse wird aber weiterhin gerne auf die beschwörende Kraft des Stabreims gesetzt.
Lesen wir abschließend die heutige stabende Spruchweisheit laut, genussvoll und angemessen betont vor:
Staatliche Sachbearbeiter schreiben stoisch ihre Bescheide.
Quellenangabe:
BILD-Bundesausgabe, 27.08.2010, S.10
Goethe, Faust, Vers 590/593
Beim Einschalten des Computers fand ich heute auf meiner Tastatur eine Nachricht. Wer steckt dahinter? Natürlich – eine Frau. Eine Sängerin. Eine Ausländerin. Ich frage, was das soll und ob ich diesen Bericht mit Absenderinnenkennung so ins Blog setzen darf. „Mach es!“, erwidert mir die Frau. Sie heißt Ira. Ira, also auf gut lateinisch Zorn. Ira Potapenko oder Irina Potapenko heißt die Urheberin des folgenden Berichts. Hier kommt die Nachricht in unveränderter Schreibung:
Mopse’s Blog
Otto’s Mops blogt.
Otto sitzt dort, guckt empört.
Mops setzt fort.
Otto holt Brot, tankt Kraft.
Mops blogt ganz brav.
Otto: Blogger sind blöd!
Mops blogt, hat nix gehört!
Otto boxt und auch blogt.
Mops nimmt Axt. Blog ist zerstört!
Mops: Dein Blog ist Schrott!
Otto: O Blog! O Blog! O Blog!
O Gott! O Gott! O Gott!
Erneut einen Riesenbonus in meinem Herzen hat soeben die Kreuzberger Fanny-Hensel-Grundschule errungen. Jeder aus der älteren Generation kennt wohl noch das Auswendiglernen von Gedichten als unangenehme Fleißaufgabe. Ganz anders, frischer, überzeugender macht es die Fanny Hensel! Heute waren 7 Balladen und lyrische Gedichte von Goethe angesagt. Die Kinder zauberten daraus eine Art 5-Akt-Theater-Aufführung. Mit Kostümen, mit bunten, selbstgemalten Bühnenbildern.
Der Zauberlehrling, das Hexenlied aus dem Faust, der Erlkönig, das Heidenröslein, Gefunden, Glückliche Fahrt, der Fischer wurden angesagt. Es gab einen Moderator, der mit vorbereiteten Reden durch das Programm führte. Abgeschlossen wurde das Ganze durch einen aktuellen Rap in deutscher Sprache: „Wenn ich reim‘ …“
Die stolzen Eltern saßen mit hohen Augenbraunen gelassen da und freuten sich über ihre Kinder.
Der Rezensent bekennt, dass ihm an manchen Stellen ein Schauer über den Rücken rieselte, insbesondere zum Schluss, als es hieß:
halb zog sie ihn,
halb sank er hin,
und war nicht mehr gesehn.
Die Gedichte erklangen in guter, geschulter, hochdeutscher Aussprache, so dass ich jedes einzelne Wort verstehen konnte. Vorbildlich! Wenn jedes Kind in Berliner Grundschulen an solchen Aufführungen beteiligt wäre, brauchten wir uns über mangelnde Deutschkenntnisse wahrlich keine Gedanken zu machen. Die Fanny Hensel macht es vor!
Besonders spannend fand ich den letzten Beitrag – einen selbstverfertigten Rap:
„Denn immer wenn ich reim, fällt die Last von mir, und ich fühle mich auf einmal frei …“
Das war eigentlich ein Hymnus auf die weltbewegende, auf die befreiende, auf die integrierende Kraft der Dichtung. Ich meine das ernst: Alle Völker, alle Jahrtausende seit Homer, seit den Barden, seit dem Gilgamesch-Epos haben Poesie, haben die metrisch gebundene Sprache als herausragendes Merk-, Bildungs- und Wissenreservoir genutzt. Erst seit einigen Jahrzehnten geht dieses Wissen (vielleicht etwa dank der akademisch-wissenschaftlichen Didaktik und Methodik?) zunehmend verloren.
Aber die Didaktiker werden dieses uralte Wissen der Völker wiederentdecken! Sie, all die Methodiker, Kritiker, Politiker, Migrationsexperten und Kritikaster sollten zur Fanny-Hensel-Grundschule kommen und diese Aufführung betrachten, bewundern und sich verzaubern lassen.
Zum Schluss ging ich artig und dankbar auf die Leiterin der Produktion, Frau Neubert zu. „Ich bin begeistert, damit haben die Kinder und Sie einen Traum von mir wahr gemacht! Danke!“, sage ich. „Dabei haben wir alles selbst gemacht,“ bekomme ich zur Antwort. Vortrefflich gesagt!
Wir können beweisen, dass man an einer staatlichen Kreuzberger Grundschule mit 2% Anteil deutscher Kinder genauso gut und erfolgreich lernen kann wie an einem humanistischen Gymnasium mit 98% Anteil deutscher Kinder. Wir können der Welt zeigen, dass die künftige „Elite der Stadt“ und die „Elenden im Lande“ dieselben sind – und umgekehrt.
Wie?
Meine erste Idee wäre ein Wettbewerb „Jugend rezitiert“ der Schulen, angelehnt an den Wettbewerb „Jugend musiziert“. Grundgedanke dabei: Die Kinder und Jugendlichen lernen säkulare Gedichte der Tradition und der Moderne in deutscher und in anderen Sprachen auswendig und tragen diese – getrennt nach Altersklassen – in einem öffentlichen Wettstreit vor. Wie bei „Jugend musiziert“ werden Gedichte aus jeweils dem 18. Jahrhundert, aus Romantik und Moderne verlangt, also z.B. ein Gedicht von Goethe/Schiller, eines von Eichendorff und Mörike, eins von Paul Celan und Peter Rühmkorf. Dazu kommt noch ein Gedicht in der Herkunftssprache der Familien, z.B. in Kurdisch, Armenisch, Arabisch oder Russisch.
Die uralte Technik der Rezitation, der versgestützten Einprägung, wie sie über die Jahrtausende hinweg in den großen abrahamitischen Religionen gepflegt wurde, weist einen Weg zur Hinführung an gute Sprache, an den sorgsamen Umgang mit dem Wort.
Bei meinen Besuchen in Russland fiel mir immer wieder auf, mit welcher Kennerschaft und oft Liebe die Russen von bei uns in Deutschland längst schon vergessenen Menschen wie Robert Schumann, Heinrich Heine, aber auch Karl Marx (weniger Liebe bei dem, aber Kennerschaft) oder Friedrich Nietzsche sprechen. Die Bildnisse von deutschen Komponisten machen schon etwa die Hälfte der großen Komponisten-Galerie im Konzertsaal des Moskauer Konservatoriums aus. Wer kennt sie bei uns noch?
Ich meine: Das längere gemeinsame Singen sollte zu jedem Schultag in jeder Klasse in der Berliner Grundschule gehören – am besten zu Beginn und dann noch einmal mittendrin. Bitte nicht nur die Nationalhmyne – aber auch. Bitte auch alte Volkslieder, bitte auch Kinderreime, Abzählverse, Knackiges. Dann wird es gar nicht erst passieren, dass ganze Generationen an Schülern unsere Berliner Schulen verlassen, ohne auch nur einen einzigen korrekten deutschen Satz aussprechen zu können. Und ich übertreibe nicht. Geht ins Prinzenbad, fahrt mal U-Bahn bei uns in Berlin.
Lena Meyer-Landrut mit ihrem rasch hingeschmissenen Erfolg wird unseren Kindern als Vorbild hingestellt – in Russland heißt das Vorbild Anna Netrebko. Netrebko hat 15 Jahre hart an sich und an ihrer Karriere gearbeitet, und sie fährt jetzt die Ernte ein. Aber sie hörte auch schon als junges Mädle in der tiefsten Provinz die Fledermaus von Johann Strauss.
In Deutschland wird das Singen (oder Trällern?) dem raschen Lottogewinn untergeordnet. Alles muss ja schnell gehen, die schnelle Mark, der schnelle Euro, der schnelle Erfolg.
Was für ein Jammer!
Wir können doch nicht alle unsere Berliner deutschen, kurdischen, assyrischen, russischen, armenischen, tatarischen, polnischen … Kinder zur Erziehung und zum Deutschlernen nach Sibirien oder in die südrussischen Teilrepubliken schicken?! NACH SI-BI-RIEN! Zum deutschen Sprachurlaub. Ja, warum eigentlich nicht? Sibirien ist ein großes Land. Wir schaffen es bei uns in Berlin nicht, den Kindern Deutsch beizubringen, also müssen wir Eltern und Erzieher selber zur Strafe in die Verbannung nach Sibirien. Das ist nicht schrecklich, oder? Immerhin, dort in Sibirien scheint man den unvergleichlichen Wert des Singens von Liedern erkannt zu haben. Lest:
Wir singen | Статьи | Немецкие организации Сибири
Mitte März fand im Begegnungszentrum des Dorfes Nikolajewka, Deutscher Nationaler Rayon, ein Seminar für Gesang statt. Insgesamt 20 Lehrkräfte der deutschen Kulturzentren aus den Städten Rubzowsk und Barnaul und dem Deutschen Nationalen Rayon nahmen an dieser dreitägigen Veranstaltung teil.
Organisator war die deutsche Begegnungsstätte des Dorfes Nikolajewka. Dieses Seminar wurde von der Stiftung „Altai“ im Rahmen des Programms der Regierung Deutschland zugunsten der deutschen Minderheit in Russland finanziert.
Arbeit mit Liedern hat in der Tätigkeit der deutschen Zentren eine wichtige Bedeutung. Sie veranstalten oft verschiedene Feste, feierliche Unterhaltungs- und Konzertprogramme, in denen sie üblicherweise viele deutsche Lieder vorstellen. Daneben beteiligen sich die Begegnungszentren mit deutschem Gesang an verschiedenen örtlichen sowie an regionalen, föderalen und internationalen Veranstaltungen. Außerdem funktionieren in vielen Zentren verschiedene Gesangkollektive. Sogar im Deutschunterricht, den die Zentren den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen anbieten, spielen die Lieder eine große Rolle. Sie machen den Deutschunterricht noch interessanter und bereiten den Teilnehmern der Deutschkurse verschiedenen Alters Spaß. Aus diesem Anlass ist es für die Zentren immer aktuell, ihr Repertoire mit neuen deutschen Liedern zu erweitern. Deswegen war für die Zentrumsleiter dieses Seminar, das die BIZ-Multiplikatorin für Gesang aus Rubzowsk Irina Bekassowa leitete, sehr wichtig.
Im Seminar besprachen die Teilnehmer die Probleme bei der Arbeit mit Liedern in den Kinder- und Jugendklubs, und Irina Bekassowa berichtete über ihre praktischen Erfahrungen in diesem Bereich. Dann lernten die Lehrkräfte mit den Texten der Lieder richtig arbeiten, und machten sich mit neuen vokal-aussprachlichen Übungen für Sänger bekannt. Die Seminarteilnehmer selbst sangen die neuen deutschen Lieder mit großem Vergnügen.
Immer wieder entdecke ich im Internet, dass Ideen, die ich ausbrüte und die mir zunächst ungewöhnlich und unbekannt scheinen, bereits verwirklicht sind. So schlug ich gestern – inspiriert durch die 8. Türkisch-Olympiade im heimatlichen Kreuzberger Tempodrom – einer lernfähigen Volkspartei einen „Landeswettbewerb Jugend rezitiert“ vor, ähnlich dem äußerst erfolgreichen „Jugend musiziert“.
Dabei dachte ich an den Vortrag einiger Pflichtstücke von Goethe und Schiller, daneben Pflichtstücke aus dem 19. und dem 20. Jahrhundert sowie auch eine Eigendichtung jedes Teilnehmers. Goethe und Schiller, das waren zwei großartige Männer, echte Europäer, aufsässig, oftmals widerborstig, kaum zu bändigen als junge Männer, draufgängerisch-machohaft, aber später doch recht verantwortungsbewusst. Wer Goethe und Schiller akzent- und fehlerfrei rezitieren kann, der spricht besser Deutsch als 80% unserer Bevölkerung. Das wäre doch was für unsre Ghetto-Kids!
Ich z.B. musste als 7-Jähriger bereits die erste Hälfte von Schillers Bürgschaft auswendig vortragen, und meine Oma freute sich an ihrem Geburtstag herzlich darüber. Wir fuhren zu dem Zwecke eigens nach Berchtesgaden an den Fuß des gletscherbedeckten Watzmann! Die zweite Hälfte rezitierte mein älterer Bruder. Es hat uns nicht geschadet aufzusagen:
Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich
Damon, den Dolch im Gewande;
ihn schlugen die Häscher in Bande.
„Was wolltest du mit dem Dolche, sprich!“
Es war merkwürdig: Dass jemand seinen Willen einfach mit einem Dolch durchsetzen wollte, erschien mir sehr sehr fernliegend. Heute ist es aber für einige unserer Neuköllner Jugendlichen Normalität geworden, dass unsere jungen Männer mit Macheten aufeinander losgehen. Das heißt: Schillers Erfahrungsraum ist der Lebenswelt der Neuköllner Jugendlichen, die vor Richterin Kirsten Heisig als ihre Stammkundschaft erscheinen, weit näher als uns Buben aus dem behütet-bildungsnahen Bürgertum! Was für eine Chance böten die Frühwerke Schillers für den Landeswettbewerb „Jugend rezitiert“!
Finstere Wüteriche – bereitet euch vor! Zeigt es den behüteten Bürgersöhnen!
Und genau diese Idee – Integration, sprachlich-sittliche Höherbildung unserer jungen verwöhnten Machos durch klassische Bildung – haben sie in Weimar selbst auch schon ausgeheckt und umgesetzt. Chapeau!
Jugendprojekt: Götterfunken für harte Neuköllner – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – SchulSPIEGEL
„Wir wollen die Akzeptanz bei Jugendlichen für jahrhundertealtes Kulturgut schaffen“, sagt Projektleiter Peer Wiechmann. In Neukölln oder Marzahn, wo die 16 Teilnehmer herkommen, bekämen die wenigsten einen Bezug dazu. Das Ziel ist ambitioniert. Wiechmann sieht in dem Projekt einen Weg, die Jugendlichen kulturell an der Gesellschaft teilhaben zu lassen.
Zitatnachweis: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke. Erster Band. Gedichte. Dramen I. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 8., durchgesehene Auflage, 1987, S. 352
Das Bild zeigt einen abschmelzenden Gletscher am Fuße des heimischen Kreuzbergs, aufgenommen vor 2 Stunden. Eine Folge des Klimawandels? Wohl kaum. Eher vermute ich: Es wird Frühling.
In Kreuzberg-West sind in den letzten Monaten viele kleine Läden gestorben – darunter auch der des türkischen Gemüsehändlers um die Ecke, mit dem ich ab und zu türkische und deutsche Sprichwörter austauschte.
Beispiel: „Ich kenne deine Leber“ – was bedeutet dieses türkische Sprichwort? Antwort: „Ich kenne dich in- und auswendig.“
An die Stelle der kleinen Läden sind die großen Supermärkte getreten. Dort kann man mit dem Auto bequeme Großeinkäufe erledigen, nachdem man mit dem Auto das Kind in die Kita oder in die Grundschule gebracht hat. Platz zum Parken ist reichlich geschaffen worden.
Die deutsche Rechtschreibung sollte jeder Schulabgänger wie seine Leber kennen. Was sagt ihr, liebe Schülerinnen und Schüler, zu den Satzzeichen in folgendem amtlichem Text?
Hinweis: Sowohl nach der alten wie nach der neuen Rechtschreibung enthält die Abstimmungsfrage des Bürgerentscheides in Lichtenberg zwei, gelinde gesagt, auffällige Satzzeichen.
Zwei Mal Nein in einem Satz – Berliner Zeitung
Stimmen Sie für das Ersuchen an das Bezirksamt, in Abänderung der bisherigen Beschlusslage, das eingeleitete Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplans 11-43 nicht fortzuführen, durch welches die Ansiedlung eines Globus-SB-Warenhauses an der Landsberger Allee 360/362 verhindert wird.
Eine der merkwürdigsten Erscheinungen in unseren Berliner Grundschulen ist die von Jahr zu Jahr zunehmende Trennung der „europäisch-stämmigen“ von den türkisch- und arabischstämmigen Grundschülern. Durch die Einrichtung von „Grundschulen besonderer Prägung“, durch private Schulen und durch die stark nachgefragten Bekenntnisschulen bereits im Primarbereich wird dieser Aufsplitterung Vorschub geleistet, so dass wir mittlerweile in Wedding, Kreuzberg und Neukölln nahezu reine „Moslemschulen“ mit den türkischen und arabischen Kindern einerseits und „Christenschulen“ aus den deutschen und „europäisch-amerikanischen“ Familien andererseits haben.
Für einen grundgesetztreuen Verfechter der einheitlichen Volksschule, wie ich es nun einmal bin, ist dies schwer hinnehmbar. Aber so ist es nun einmal gekommen, alle Welt redet mit Wollust um den heißen Brei herum, aber es ist so. Wie sonst in der Integrationspolitik üblich, so wird auch hier in der Berliner Landespolitik nicht Klartext geredet.
Wie soll man nun dieses Erscheinung benennen? Ich schlage im Grundgesetz nach und finde in Artikel 7 Abs.4 folgenden bemerkenswerten Satz:
Deutscher Bundestag: I. Die Grundrechte
Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird.
„Sonderung„, das scheint mir ein gutes deutsches Wort für den Sachverhalt! Durch die zunehmende Aufsplitterung des Grundschulwesens in Berlin hat sich nunmehr sogar in den noch gemischten Wohngegenden eine deutliche Sonderung der Schüler nach den Herkunftskulturen der Eltern ergeben. Diese Sonderung wird – sofern nicht bewusst und entschieden gegengesteuert wird – von den Grundschuljahren nach und nach weiter nach oben wandern, sodass nach und nach die Sonderung auch der älteren Jahrgänge – weit über die getrennt verbrachte Schulzeit hinaus – eintreten wird.
Unser heutiges Foto zeigt die Auslage der Bundeszentrale für politische Bildung. Dort gibt es das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland jeden Tag ab 10 Uhr zum Abholen in hübschen kleinen Bändchen. Heute kam ich zu früh dort an, aber morgen wird es klappen.