Juni 222016
 

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Mancher Wortklauber hat schon die harte Nuss zu knacken versucht, wie man das neue deutsche Modewort Empowerment älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit älteren deutschen Worten erklären könne, die schon vor dem Jahr 2000 in Gebrauch waren.

Stets geht es bei Empowerment darum, Menschen, die in einer gewissen Lage sich nicht selbst zu helfen wissen oder nicht mehr weiter wissen, zu befähigen, selbständiger zu werden und mehr für sich in eigener Verantwortung zu bewirken.

Empowerment, das bedeutet die Stärkung der Eigenverantwortung, das heißt Stärken stärken, Selbstbewusstsein verleihen, Eigenkräfte fördern, Perspektiven öffnen, schlummernde Kräfte wecken, Selbstlähmung aufsprengen durch das lösende, befreiende, ermunternde Wort. Selbstfesselungen heilen!

„Hey Alter, nimm dein Bett, steh auf und geh!“ Wer mag, der kann dabei, bei diesem Empowerment, an die Heilung des Gelähmten am Sabbat in Jerusalem denken.

Johannes, dessen höchst eigenwilliges, ja eigenmächtiges Evangelium, das sogenannte „Vierte Evangelium“ wahrscheinlich das wichtigste Meister-Narrativ überhaupt, mutmaßlich die wichtigste Großerzählung, den bedeutendsten Grand récit  der gesamten europäischen Literaturgeschichte darstellt, erzählt die Geschichte in seinem Buch in Kap. 5, 1-18.  Der Evangelist Markus wiederum, der Mann mit dem Löwen, der Meister der Kleinerzählung, erzählt die Geschichte so ähnlich in seinem alltagsnäheren Jesus-Narrativ, dem sogenannten Markusevangelium, in deutlich bescheidenerer Form, nicht so gespannt, nicht so hochfliegend wie dies Johannes, der Mann mit dem Adler, später tun wird.

Markus 2,1-12 und Johannes 5,1-18 sind herrlich tönende Weckrufe. Sie erinnern – bildlich gesprochen – an Weckrufe von edlen Waldhörnern in der Halle der schlafenden Lokomotiven: „Auf auf, ihr schlafenden Lokomotiven, bewegt euch! Ihr habt noch was vor!“  Die Erzählungen von Markus und Johannes sind eine gute Erläuterung dessen, was das neue deutsche Wort Empowerment meint. Und diese Geschichte von der Heilung eines Gelähmten wurde schon vor 2000 Jahren erzählt, und sie wird auch noch in 2000 Jahren erzählt werden, wie ich zuversichtlich hoffe und fest glaube.

Bild: Vier Musiker der Staatskapelle Berlin, vier Waldhörner spielen mit fröhlichem Schall in der „Halle der schlafenden Lokomotiven“. Lokhalle, Natur-Park Südgelände, Schöneberg. Festliche Eröffnung des Langen Tages der Stadtnatur. Berlin, Samstag, 18. Juni 2016, 16 Uhr

 

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Arkadische Melodie. Südgelände, Schöneberg

 Antiker Form sich nähernd, Eigene Gedichte, Natur-Park Schöneberger Südgelände, Opel  Kommentare deaktiviert für Arkadische Melodie. Südgelände, Schöneberg
Juni 042016
 

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Schon verloren die Guteschafe
die Hälfte des wolligen Kleides,
während auf sicher gebauetem Steg
der selberernannte Schäfer

Quendel und Quecke nicht achtend
stumm summend auf unhörbarer Flöte
zärtlich lockend die Zicklein heranruft,
die seiner nicht achten, nein:

Eifrig nicken die Köpfchen, zupfen
am Thymian und an Wegwarte
Blatt um Blatt, Halm um Halm,
eifrige Rasenstutzer im Dienste

des unbekannten, des unerkannten Gottes.
Die Sprayer werkeln und schütteln die Döschen,
träge rummen die Interregios vorüber;
ein uralter Opel-Schornstein qualmt unsichtbar weiter.

hic in reducta valle caniculae vitabis
vitabis aestus, die Fräulein Grimms erzählen indes
dein leichtes, dein sanft plätscherndes Leben,
dein Leben: das war, das ward, das wird und das sein wird.

 

 

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„Pecore matte“?, oder: Sind Schafe immer „lammfromm“ oder „gut“?

 Dante, Natur-Park Schöneberger Südgelände  Kommentare deaktiviert für „Pecore matte“?, oder: Sind Schafe immer „lammfromm“ oder „gut“?
Mai 302016
 

Eine unerschöpfliche Quelle von Beobachtungen bieten die Hornschafe im Natur-Park Schöneberger Südgelände! So manche gute Stunde habe ich damit verbracht, sie anzuschauen. Und so heißt diese Rasse ja denn auch: „Guteschaf“, wobei „Gute-“ sich auf die Herkunft dieser Spielart bezieht, nämlich Gotland in Schweden. Die Widder tragen spiralförmige prachtvolle Hörner, die Hörner der Auen sind krumm wie eben die Krummhörner.

Hier eine Aufnahme vom 26. Mai 2016. Erstaunlich sind die schnellen Läufe einzelner Tiere, das spielerische Rangeln und Raufen, das heftige Aufeinanderprallen kämpfender Widder. Zu Beginn ist eine niesende Aue zu hören und zu sehen. Das gesamte Sozialverhalten der geselligen Tiere weicht stark von dem der üblichen Hausschafe ab. Die Herde zeigt starke selbstregulatorische Verhaltensmuster: Ruhen, Äsen, Spielen, Kämpfen, Fellwechsel scheinen sich von selbst in dieser Lebensgemeinschaft „einzuspielen“. Als ich sie heute erneut besuchte, war der Fellwechsel vollzogen. Der dicke Winterpelz, den einige Tiere noch vor wenigen Tagen zeigten, hat sich in großflächigen Abschnitten abgelöst.

Von der angeblichen „Schafsgeduld“ konnte ich wenig entdecken. Im Gegenteil! Die Herde wirkt außerordentlich aktiv, sie gestaltet ein geselliges Leben, sie gestaltet verändernd auch das eigene Lebensumfeld. Die einzelnen Tiere zeigen Neugierde, Anlehnungsbedürfnis, Geselligkeit, Rivalität, Aggression und Gemeinschaftssinn.

Die Antwort auf unserer heutige Frage lautet also: Schafe sind keineswegs nur lammfromm. Dante hatte einst gedichtet: „Siate uomini e non pecore matte – Seid Männer, nicht tumbe Schafe!“ Ich meine, er würde seine vorgeprägte Meinung über Schafe ändern, wenn er sähe, wie ausgelassen Schafe tollen, wie tapfer und mannhaft sie kämpfen können!

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Der Wolf im Schöneberger Südgelände

 Natur-Park Schöneberger Südgelände, Schöneberg  Kommentare deaktiviert für Der Wolf im Schöneberger Südgelände
März 062016
 

20160306_170338Der Wolf im Südgelände. Ach, könnte ich doch heute ein seltenes Tier sehen! So sagte ich, als wir den Natur-Park Schöneberger Südgelände betraten. Schon näherten wir uns dem südlichen Ausgang, da verzagte ich schon. War mein Wünschen töricht? Nein! Fräulein Brehms Tierleben lockte. Es gab in der alten Schmiede in der Lokhalle eine Vorführung über Canis lupus, den Wolf, und hier konnten wir nun alles erfahren beim Flackern eines knisternden Holzfeuers. Der Wolf ist wieder da, in der Lausitz hat er sich ein ortsfestes Revier begründet. Die ersten Jungwölfe sind bereits auf Wanderschaft gegangen, und es besteht Hoffnung, dass sich nach und nach Wolfsbestände bis hin zu den Artgenossen in der Schweiz, Norditalien, Österreich bilden. Die Vorführung war sehr anschaulich. Es begann mit dem gepflegten, wohlklingenden, leicht professoral angehauchten Deutsch aus Alfred Brehms Tierleben, wurde ergänzt durch Fortführungen bis in unsere Gegenwart hinein. Die Schauspielerin bot uns wirklich alles. Sogar den artgerechten Würgebiss des Wolfes, ehe er das Tier sterben lässt, ohne es lange leiden zu lassen. Ich spürte das Wolfsgebiss an der eigenen Kehle und konnte mich einer aufsteigenden Angst nicht erwehren. Da war sie, jene instinktiv verankerte Angst vor dem räuberischen Wolf, welcher ja beispielsweise im Hobbes’schen Losungswort homo homini lupus seinen Niederschlag fand. Wir durften auch die Losung eines Wolfes prüfend in den Händen wiegen und beschnuppern. Besonders beeindruckte uns der geschnürte Trab des Wolfes, bei dem er eine Pfote in den Abdruck der anderen setzt, um wertvolle Energie zu sparen.

Es war insgesamt ein äußerst kurzweiliges, lehrreiches Erlebnis, gekrönt nicht zuletzt durch die Sichtung eines Wolfes in der Halle. Um Ausgang zu erhalten, stimmte ich schließlich sogar ein täuschend echtes Wolfsgeheul an, denn die Ausgangstür der Lokhalle war bereits verschlossen. Beim Zurückwandern im Park grüßten wir noch in 148 Millionen Kilometer Entfernung unser Zentralgestirn, die liebe gute Sonne, die das Leben auf unserem kleinen Eiland prägt, trägt, erhält, zerstört und verwöhnt, unserer geliebten Erde.

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www.brehms-tierleben.com

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Daß du das Leben erwählest

 Hebraica, Nachtigall, Natur-Park Schöneberger Südgelände, Russisches  Kommentare deaktiviert für Daß du das Leben erwählest
Mai 142015
 

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„Ich habe euch Leben und Tod, Segen und Fluch vorgelegt, daß du das Leben erwählest.“ So ungefähr steht es im 5. Buch Moses, XXX, 19.

Wladimir Solowjev zitiert diese Stelle am 17.4.1888.

Eine großartige Wanderung unternahm ich am Herrentag quer durch Schöneberg und Steglitz. Die Bergschuhe trugen mich mühelos Kilometer um Kilometer voran, nicht ich trug sie! Nachtigallen schmetterten ihr Lied. Schafe weideten die Langgraswiesen ab. Arkadien lachte. Im Südpark sah ich, wie die Gleise sich trennten – nach rechts ging es hinein in einen dunklen Tunnel, dessen Ausgang ungewiss war. Das war die Vernichtung. Nach links führte der Weg ins Grüne, ins Freie, ins Offene. Das ist das Leben.

Wähle das Leben!

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Leistete auch die Sowjetunion einen Beitrag zur Entfesselung des Zweiten Weltkrieges?

 Europäische Bürgerkriege 1914-????, Natur-Park Schöneberger Südgelände, Revisionismus  Kommentare deaktiviert für Leistete auch die Sowjetunion einen Beitrag zur Entfesselung des Zweiten Weltkrieges?
Apr. 042015
 

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Mit Riesenschritten naht schon die nächste Gedenkfeier heran: der 8. Mai 2015. Dieses Jahr wird also Heinrich August Winkler die zentrale Gedenkrede im Deutschen Bundestag zum Ende des Zweiten Weltkrieges halten. Zum ersten Mal wird ein Historiker und kein Politiker diese Aufgabe übernehmen!

Für den Roten Platz in Moskau dürfen wir auch für diesen 9. Mai getrost wieder eine Zurschaustellung der Macht und Größe der unvergänglichen russischen Nation und einen Aufruf zur weiteren Sammlung der russischen Erde über die bestehenden Grenzen hinaus erwarten.

In der heutigen Süddeutschen Zeitung wirft Winkler schon ein Schlaglicht auf den Tenor seiner Gedanken. Wir zitieren ihn aus der heutigen Ausgabe:

Winkler sagte der Süddeutschen Zeitung, er halte die politische Instrumentalisierung von Geschichte für erschreckend. „Besonders erschreckend ist die Rehabilitierung des Hitler-Stalin-Paktes durch den russischen Präsidenten Putin.

Im Hitler-Stalin-Pakt hatten die beiden Diktatoren die Aufteilung Mitteleuropas in ihre Einflussbereiche besiegelt. Winkler, der aus seiner Kritik der russischen Politik gegenüber der Ukraine nie einen Hehl gemacht hat, wirft Putin vor, er rechtfertige indirekt die Annektion des damaligen Ostpolens und des Baltikums als „Gebot der sowjetischen Realpolitik“ – damit aber auch „den sowjetischen Beitrag zur Entfesselung des Zweiten Weltkrieges“.

via 70. Jahrestag zum Ende des Zweiten Weltkriegs – Politik – Süddeutsche.de.

Eher ungewohnt dürfte es sowohl in den schuldbewussten deutschen als auch den siegesstolzen russischen Ohren klingen, wenn Winkler darlegt, auch die Sowjetunion habe einen Beitrag zur „Entfesselung des Zweiten Weltkrieges geleistet“.

Diese Sicht, wonach die Sowjetunion – mit den Russen als wichtigster Nation des damaligen Vielvölkerstaates – eine Mitschuld an der Auslösung des Zweiten Weltkrieges trage, mag zutreffen oder nicht, jedenfalls wird sie keineswegs von allen westlichen Historikern und nur von wenigen Russen – wenngleich sicherlich von den meisten polnischen Historikern – geteilt; eine echte Kriegsschulddebatte, wie sie unter Historikern seit Jahrzehnten – bisher ohne Abschluss – zum Ersten Weltkrieg geführt worden ist und geführt wird, kommt zum Zweiten Weltkrieg ja gerade erst in Gang.

Im heutigen, stärker denn je nationalistischen Russland wird Winklers krude These, die Sowjetunion habe einen Beitrag zur Entfesselung des Zweiten Weltkrieges beigesteuert, als echter, ja als unerhörter, als unerträglicher Affront empfunden werden.

Man darf gespannt sein, ob Winkler den Mut haben wird, etwas Derartiges im Deutschen Bundestag vorzutragen. Winklers Behauptung einer Mitschuld der Sowjetunion an der Entfesselung des Zweiten Weltkriegs wird vielleicht in Moskau postwendend als schändlicher „Geschichtsrevisionismus“ oder „faschistischer Revanchismus“ verdammt werden.

A propos: Wann begann und endete der Zweite Weltkrieg eigentlich? Ein deutsch-russisches Kind, geboren im Mai 2002, hat den hier Schreibenden schon vor geraumer Zeit belehrt, dass der Zweite Weltkrieg nicht am Karfreitag des Jahres 1939, also mit dem Überfall Italiens auf Albanien, nicht am 1. September 1939, also mit dem Überfall Deutschlands auf Polen, nicht am 17. September 1939, also mit dem Überfall der Sowjetunion auf Polen, sondern selbstverständlich am 22. Juni 1941 mit dem Überfall Deutschlands auf „Russland“ begonnen habe.

Schon über das Datum der „Entfesselung“ des Zweiten Weltkrieges besteht also zwischen den Ländern und den Generationen keine Einigkeit!

Ebenso wenig besteht Einigkeit darüber, wann der Zweite Weltkrieg eigentlich zu Ende ging – am 7. Mai 1945 um 02.41 Uhr, als Generaloberst Jodl in Reims die Gesamtkapitulation unterzeichnete, am 9. Mai 1945 um 0.16 Uhr, als in Berlin-Karlshorst die Kapitulation wiederholt wurde, – oder vielleicht doch am 2. September 1945 um 10.30 Uhr, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation durch Außenminister Shigemitsu und Generalstabschef Umezu?

Bild:
„Ja! Woher kommst du denn?
Bei welchen Heiden weiltest du,
zu wissen nicht, daß heute
der allerheiligste Karfreitag ist?“
Natürlich: Russische Birken und deutsche verkrautete Bahngleise im Sonnenschein: Karfreitagszauber auf dem Schöneberger Südpark.
Aufnahme von gestern.
Die Verse stammen aus Richard Wagners Parsifal.

 Posted by at 11:03