Feb 042009
 

Immer wieder diese Rechtsanwältinnen! Zwei Rechtsanwältinnen – zwei Meinungen! Immer wieder lässt sich dies in den Zivilprozessen beobachten, wenn zwei Parteien sich partout nicht außergerichtlich einigen wollen. Aber sogar außerhalb des Gerichtssaales herrscht keineswegs Einigkeit zwischen den Vertreterinnen dieses Berufsstandes. Nehmen wir doch nur etwa die Bewertung der gegenwärtigen Hartz-IV-Regelsätze. Die Berliner Rechtsanwältin Halina Wawzyniak, die wir am 29.01.2009 in diesem Blog zitierten, hält sie für „entwürdigend“, und sie insinuiert in ihrem beigezogenen diesbezüglichen Votum, die gegenwärtigen Hartz-IV-Regelsätze könnten grundgesetzwidrig sein.

Zu einem völlig abweichenden Urteil gelangt hingegen die Berliner Rechtsanwältin Seyran Ateş. In ihrem Buch Der Multikulti-Irrtum schreibt sie auf Seite 32 (Hervorhebung vom Verfasser dieses Blogs):

Die oft ausweglose Sozialhilfekarriere der Eltern hat sicherlich einen großen Teil dazu beigetragen, dass die Deutschländer der dritten Generation heute als die absoluten Verlierer dastehen. Die Kinder wachsen mit der Einstellung auf, dass sie in Deutschland weder erwünscht noch gebraucht werden und, egal wie sie sich anstrengen, auf dem Arbeitsmarkt sowieso keine Chance haben. Außerdem lernen sie, wie viele urdeutsche Kinder auch, dass man einigermaßen gut von Sozialhilfe leben kann. Wenn Kinder, auf ihren Berufswunsch angesprochen, sagen: >>Ich will Hartz IV werden<<, dann haben wir ein riesengroßes gesellschaftliches und wirtschaftliches Problem – ein ethnisches ist es erst in zweiter Linie. Wir müssen diesen Kindern andere Perspektiven bieten.

„Entwürdigend“ oder „einigermaßen gut“? Was gilt nun? Hierzu ein paar Beobachtungen: Meine deutschländische Frau geht gerne auf dem türkischen Wochenmarkt einkaufen. Sie kommt immer begeistert mit vollbepacktem Fahrrad zurück und strahlt: „Die Preise liegen um 50 bis 70% unter ALDI – toll, toll, toll!“ Ein türkischer Kaufmann, Inhaber eines Tante-Emma-Ladens sagte mir: „Zu mir kommen fast nur Deutsche – für die türkischen Familien sind unsere Läden eigentlich zu teuer. Die gehen auf den Markt.“

Ist es entwürdigend, wenn bei Hartz IV für die Babynahrung nur 1,09 Euro/Tag bereitgestellt wird, ein Gläschen Hipp oder Alete aber schon 0,89 Euro kostet? Immer wieder hört man derartige simple Rechenexempel. Müssen die Babys also verhungern, weil Hartz IV ihnen nur 1,09 Euro zubilligt? Das wäre entwürdigend! Aber so eine rein rechnerische Größe ergibt sich eben nur in der kurzsichtigen Berechnungsgrundlage der Statistik. Das wirkliche Leben sieht anders aus.

Alle Familien sind gehalten, wirtschaftlich und sparsam einzukaufen. Und da sehe ich eben in meinem  Umfeld unter jenen, die Hartz IV beziehen, ausschließlich Familien und Freunde, die es bei sinnvollem Ausgabeverhalten ganz gut schaffen. Die einigermaßen über die Runden kommen. Es ist ein himmelweiter Unterschied zur Situation in anderen Ländern wie etwa Russland oder Türkei! Selbst die Sozialhilfeempfänger in einem EU-Land wie Italien stehen finanziell schlechter als hier in Deutschland.

Ich gelange deshalb – in meinem eigenen Namen – zu folgendem

 Urteil:

Die Klage der Klägerin RA Wawzyniak e.al., Hartz IV sei entwürdigend und grundgesetzwidrig, wird abgewiesen. Die Auslassungen der Anspruchsgegnerin Ateş konnten durch Zeugenaussagen und eigene Nachforschungen erhärtet werden.

Der Bezug von Leistungen gemäß Hartz IV ist in der jetzigen Form weder grundgesetzwidrig noch entwürdigend. Es konnte auch kein Verstoß gegen das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes erkannt werden.

Insoweit ist den Einlassungen von RA Ateş vorbehaltlos zuzustimmen.

Wir alle haben jedoch bereits jetzt ein Problem, wenn wir als Gesellschaft nicht an neue Perspektiven glauben für all jene, deren Ehrgeiz und Selbstvertrauen nicht mehr über Hartz IV hinausreichen. Da sind wir gefordert! Hepimiz insanız.

 Posted by at 16:17

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