Derartige Sprüche habe ich in diesen Tagen recht häufig in der von unserer Bezirks-Obrigkeit verhätschelten alternativen Szene Kreuzbergs gehört und gelesen, z.B. im vom globalen Kapitalismus befreiten Teil des Bethanien, aber auch bei Diskussionsveranstaltungen zum Kotti. Dieses Blog berichtete in Wort und Bild. Auch die zahlreichen abgefackelten PKW in Friedrichshain-Kreuzberg sprechen diese Sprache. Die Grundeinstellung ist immer dieselbe: „Wir sind hier die Stärkeren, und wer uns nicht passt, den schmeißen wir raus.“
Man sieht: Das Thema Vertreibung erfreut sich bei der Kreuzberger autonomen Szene größter Beliebtheit. Sie knüpfen an eine uralte europäische Tradition an: Die Blutspur der Vertreibungen zieht sich durch die gesamte europäische Geschichte, selbst der von mir eigentlich sonst eher geschätzte Kaiser Karl IV. sah tatenlos zu, als unter seiner Regentschaft 1348 die Juden aus vielen Städten des Reiches teils vertrieben, teil ermordet und ausgeplündert wurden. Ich habe ihn übrigens – als ich dies erfuhr – aus der Liste meiner Vorbilder gestrichen, schade! Er war eins der wenigen gekrönten Häupter darin.
Auch Anne Wills Plauderrunde konnte da gestern abend nicht zurückstehen und nahm sich des Themas an. Einige Diskutanten trafen den Ton äußerster Empörung sehr gut: „Ich lebe in Warschau an einem Ort, da haben die Deutschen im 2. Weltkrieg 50 katholische Priester erschossen. Und deshalb darf Frau Steinbach nicht in den Stiftungsrat gelangen.“ So oder so ähnlich äußerte sich ein Komödiant. Die Logik blieb auf der Strecke. Auf diesem und einem noch niedrigeren Niveau bewegten sich die Gründe, weshalb man dem Ansinnen der Polen, über die Zusammensetzung des deutschen Stiftungsbeirates zu entscheiden, unbedingt nachgeben müsse.
Trotzdem trafen die Teilnehmer auch viel Richtiges: Sowohl der Komödiant Möller als auch der Historiker Baring hatten recht in ihrer Einschätzung, Erika Steinbach sei eigentlich eine Projektionsfläche für verdrängte Ängste und Komplexe der Polen. Mit realen Argumenten und Fakten habe der ganze hysterische Wirbel nichts zu tun. Dem kann ich nur zustimmen. Die Polen müssen ihre Vergangenheit aufarbeiten, wie wir die unsere. Die Deutschen und auch die Polen haben weitere Leichen im eigenen Keller, die man unter dem Pulverdampf dieser grotesken Scharmützel gerne verstecken möchte.
Noch stärker hervorheben hätte man können, dass das Thema Vertreibung der Deutschen über Jahrzehnte hin in der tschechischen und polnischen Öffentlichkeit, und ebenso auch in der DDR vermieden und unterdrückt wurde. Ich habe selbst mit vielen jungen Tschechen und Polen gesprochen, die zwar wussten, dass an diesen Orten einmal Deutsche gelebt hatten, aber dass es nach dem 2. Weltkrieg zu gewaltsamen Austreibungen gekommen war, hatte ihnen niemand gesagt. Das war amtlich alles nur ein Bevölkerungstransfer – Odsun.
Die anwesende Bekenntnisgrüne überzeugte erneut mit gut gespielter bebender moralischer Entrüstung. Das kann sie einfach unwiderstehlich. Was tut’s, dass man gegen Frau Steinbach keinen echten Grund anführen kann, weshalb sie nicht in den Stiftungsrat sollte. Die polnische Presse hat sich nun einmal darauf geeinigt, dass sie die Böse ist. Und ein Teil der deutschen Presse ebenfalls. Als Folge dieser Einigkeit entstehen Sprüche wie: „Steinbach raus!“.
Am besten gefiel mir Wolf von Lojewski, der irgendwie bekümmert wirkte ob dieser von einigen lächerlich aufgeplusterten Entrüstungs-Show. Er sprach die Worte, die mich am ehesten rührten: Die Vertriebenen hätten Trost und Anerkennung gebraucht.
Das sichtbare Zeichen gegen Vertreibungen wird hoffentlich bald kommen. Wir brauchen es. Die Anne-Will-Sendung war ein weiterer Beleg.
Sprüche wie „Steinbach raus!“ finde ich ebenso falsch und grundverkehrt wie „Ströbele raus!“, „Deutsche raus!“, „Yuppies raus aus Kreuzberg!“, „Junkies raus aus unserem Kiez!“.
Ich werde gerne jederzeit gegen derartige Signale der Vertreibung meine Stimme erheben. Was damals passiert ist, lässt sich heute nicht mehr ändern. Aber man kann dafür arbeiten, dass es nicht mehr so kommt.
Polen-Debatte bei Anne Will: Ein Gespräch über die abwesende Frau St. – Debatten – Feuilleton – FAZ.NET
Zum Stichwort Entschädigung passte der Auftritt Rudi Pawelkas, der im BdV der schlesischen Landsmannschaft vorsteht und an der Spitze der Firma Preußische Treuhand vergeblich Entschädigungen von Polen einzuklagen versuchte – ein Ziel, an dem er ganz selbstverständlich bis heute festhält. Pawelka, so stellte auch der BdV-freundliche Baring fest, ist freilich nur eine Randfigur, und als solche wurde er bei Anne Will auch hingestellt: ans Pult, fernab von der Sofarunde. Auch Erika Steinbach hat sich wiederholt von der Preußischen Treuhand distanziert, was in Polen nicht viele interessiert. Schließlich symbolisiert sie, wie der seit fünfzehn Jahren in Warschau lebende Möller konstatierte, alles, was man an offenen und auch an geheimen Ängsten gegenüber den Deutschen hat – eine Projektionsfläche, meinte Baring, auch weil sie blond und eine Frau sei.
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