Aug 232011
 

Als rassistisch gelten heute oftmals nicht nur Diskurse, die Menschen nach angeblichen genetisch bedingten „Rassen“ einteilen, sondern auch alle sonstigen Überlegungen, die Gesellschaften in Gruppen einteilen, die individuelles Verhalten aus kollektiven Dispositionen zu erklären versuchen, die Erfolg oder Misserfolg anhand eines Rasters zu erklären versuchen. „Juden in Deutschland sind um 1900 viel erfolgreicher als Christen in Deutschland gewesen, sie haben dank der rechtlichen Gleichstellung den Aufstieg durch Bildung geschafft„, wäre ein typischer Satz, der eine gewisse Höherberwertung der Juden zum Ausdruck zu bringen scheint, – folglich eine Abwertung der Christen. Man könnte diesem Satz den Vorwurf der Diskriminierung der Christen machen, und sicher gibt es Leute, die solche Sätze als rassistisch verwerfen.

Hören wir also einen solchen „rassistischen Diskurs“, diesmal aus der Feder des Historikers Götz Aly:

Ich mach dann mal Pause : Textarchiv : Berliner Zeitung Archiv
Juden machten um 1900 in Berlin zehn Mal so oft Abitur wie Christen, sie zahlten in Frankfurt am Main vier Mal so viel Steuern wie ein protestantischer Steuerpflichtiger und acht Mal so viel Steuern wie ein katholischer.

Es sind genau solche Sätze, die man bei der Linken als rassistisch bewertet, sobald man ähnliche Aussagen über Zuwanderer, über Ausländer, über Muslime macht – etwa: „Die Sozialhilfequote, die Schulabbrecherquote, die Kriminalitätsrate ist in der Gruppe xy 3 Mal höher als bei der Gruppe pq.“

„Protestanten zahlen doppelt soviel Steuern wie Katholiken!“ – dies ist, so meine ich, ein zulässiger Satz. „Katholiken sind dümmer und fauler als Protestanten.“ Das wäre zweifellos ein diskriminierendes Vorurteil.

Dieser letzte Satz ist  – so meine ich – unzulässig. Der Satz „Protestanten zahlten um 1900 doppelt so viele Steuern wie Katholiken“ ist hingegen eine statistische Aussage, die als solche nicht zu beanstanden ist. Sozialwissenschaftler und Historiker müssen solche Aussagen machen, um gesellschaftliche Prozesse erklären zu können. „Je mehr Katholiken, desto ärmer war eine Gegend.“ Dieser Satz ist hinnehmbar, denn er stellt eine statistisch nachweisbare Korrelation her.

Entscheidend bleibt die Erklärung! Wie deutet der Soziologe den Zusammenhang zwischen Religion und Bildungserfolg, zwischen Religion und Wohlstand?

Einem Götz Aly Rassismus zu unterstellen, wäre genauso verkehrt wie wenn man Thilo Sarrazin einen Rassisten nennen wollte.

Götz Aly ist kein Rassist. Er wertet zunächst einmal Zahlen aus. Aly zieht darüber hinaus umfangreiche zeitgenössische Quellen heran, um das diskriminierende Vorurteil gegenüber Juden begreiflich zu machen.

Außerdem bemüht sich Aly, aus ökonomischen Faktoren das Entstehen eines machtvollen, schließlich mörderischen Vorurteils zu erklären:

In dieser sozialen Spannung entstanden massenhaft der kleine böse Neid, die Missgunst und die Schadenfreude, wenn irgendjemand den insgesamt Erfolgreicheren eins auswischte. Folglich konzentrierten sich die deutschen Antisemiten auf die Forderung „Bitte etwas mehr Gleichheit!“ für die lahme christliche Mehrheit.

In der Forderung nach Gleichheit erblickt Aly gewissermaßen das Ressentiment des Zukurzgekommenen. Eine höchst bedenkenswerte These!

Unbedingt lesenswert: das neue Buch von Götz Aly.

Götz Aly: „Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800-1933“, S. Fischer Verlag, Frankfurt 2011, 352 Seiten

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