Apr 092014
 

2014-04-03 17.56.08„… eine rechte Last von zierlich-weißen runden Ballen …“

Beim Rückblick auf den kurzen Hamburger Aufenthalt von vergangener Woche erinnere ich mich noch des schimmernden, blühenden Kirschbaumes, den ich zu später Stunde vom Hotelzimmer aus im Garten erblickte. Woran erinnerte er mich? Am nächsten Morgen fiel’s mir wieder ein: Es war ein Gedicht des Hamburger Dichters Barthold Heinrich Brockes (gesprochen Brooks), das mir aus meinen Augsburger Jugendtagen noch gut im Gedächtnis haftet, von damals her, wenn ich spät abends von Lechhausen mit dem Bus Nr. 29 zuhause eintraf.

Im schimmernden Licht der fliegenumschwirrten Straßenlampen traten die Farben der Kirschbäume oft mit Falschfarben hervor. Der Farbton des Gedichtes von Brockes wollte sich nicht völlig einstellen. Das reine Weiß dieser Kirschenblüte stellte sich nur in der Einbildung her. Guter Brockes, dein Name hat einen guten Klang! Neben der nachdenklichen, metallischen Härte Hannelies Taschaus und dem kecken Aufbegehren Wolf Biermanns ist Brockes der dritte in Hamburg geborene Dichter, dem wir in diesem Kranz an Gedanken und Besinnungen, diesem bescheidenen Blog eine kleine Reverenz erweisen wollen, indem wir sein Gedicht über den nächtlichen blühenden Kirschbaum ganz wiedergeben.

Unser Bild zeigt einen Blick auf die Außenalster, vom Schwanenwik aus gesehen, am 03. April 2014, 17.58 Uhr.

Kirſch-Bluͤhte bey der Nacht.

Jch ſahe mit betrachtendem Gemuͤte
Juͤngſt einen Kirſch-Baum, welcher bluͤh’te,
Jn kuͤler Nacht beym Monden-Schein;
Jch glaubt’, es koͤnne nichts von groͤſſ’rer Weiſſe ſeyn.
Es ſchien, ob waͤr’ ein Schnee gefallen.
Ein jeder, auch der klein’ſte, Aſt
Trug gleichſam eine rechte Laſt
Von zierlich-weiſſen runden Ballen.
Es iſt kein Schwan ſo weiß, da nemlich jedes Blat,
Jndem daſelbſt des Mondes ſanftes Licht
Selbſt durch die zarten Blaͤtter bricht,
So gar den Schatten weiß und ſonder Schwaͤrze hat.
Unmoͤglich, dacht’ ich, kann auf Erden
Was weiſſers ausgefunden werden.
Jndem ich nun bald hin bald her
Jm Schatten dieſes Baumes gehe:
Sah’ ich von ungefehr
Durch alle Bluhmen in die Hoͤhe
Und ward noch einen weiſſern Schein,
Der tauſend mal ſo weiß, der tauſend mal ſo klar,
Faſt halb darob erſtaunt, gewahr.
Der Bluͤhte Schnee ſchien ſchwarz zu ſeyn
Bey dieſem weiſſen Glanz. Es fiel mir ins Geſicht
Von einem hellen Stern ein weiſſes Licht,
Das mir recht in die Sele ſtral’te.
Wie ſehr ich mich an GOtt im Jrdiſchen ergetze,
Dacht’ ich, hat Er dennoch weit groͤſ’re Schaͤtze.
Die groͤſte Schoͤnheit dieſer Erden
Kann mit der himmliſchen doch nicht verglichen werden.

via Deutsches Textarchiv – Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727..

 

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