„Wir Deutsche fühlen uns fremd im eigenen Land“

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Aug. 082011
 

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„Wir Deutsche fühlen uns fremd im eigenen Land.“ So schilderte es mir bei meinem Bayern-Aufenthalt letzte Woche eine junge Augsburgerin mit frischem Berufsschulabschluss, die in Augsburg-Oberhausen aufgewachsen ist. „Es gibt zu viele Ausländer in den Schulen, das ist das größte Problem.“ Selbst den Augsburger Türken sind es zu viele „Ausländer“, wie man in Augsburg ganz ungeniert sagt, obwohl die „Ausländerkinder“ bereits hier in Bayern geboren und aufgewachsen sind. Allerdings kommen auch ständig wieder Ehepartner in die durch die Verwandten arrangierten Ehen nach Deutschland, die weder Deutschkenntnisse noch Schulabschluss mitbringen. So verstetigen sich die Probleme, ganze Stadtviertel wandeln ihr Gesicht, die deutsche Bevölkerung mit Kindern zieht fort.

Augsburg ist bundesweit die Stadt mit dem vierthöchsten Migrantenanteil.  Bei den Schilderungen der Augsburger fällt mir auf, dass die zunehmenden Probleme vergleichbar mit den zunehmenden Problemen in den West-Berliner Innenstadtbezirken sind. Allerdings gibt es in Bayern eine geringere Arbeitslosigkeit, weshalb die Desintegration noch nicht so weit fortgeschritten wie in Berlin ist. Es gibt in Bayern sozusagen immer wieder eine Chance, die Integration durch die Arbeit zu schaffen.

Es gibt wie in Kreuzberg auch in Augsburg einen immer deutlicheren Trend zur ethnischen Entmischung der Schüler. Viele deutsche Kinder fliehen auf die privaten Schulen. Selbst Mittelschulen werden bereits als Privatschulen angeboten. Die wichtigste Voraussetzung für die Aufnahme in die Privatschulen: gute Deutschkenntnisse, gute Noten in den Zeugnissen. Man zahlt 50.- Euro Schulgeld, hat aber dann die Garantie, dass alle Kinder ausreichend Deutsch können, um dem Unterricht zu folgen. Auch vergleichsweise arme Familien zahlen lieber die 50 Euro als ihr Kind in einer fremden Umgebung zu isolieren.

Wieder und wieder bemerke ich bei meinen Gesprächen in Bussen&Bahnen, in Friseursalons&Einkaufszentren, in Schulen und an Stammtischen, dass es stark entfaltete Empfindungen und Ängste gibt, die weder in der veröffentlichten Meinung noch in der Politik Deutschlands ihren Niederschlag finden.

Denn es gilt das eherne Gesetz der politischen Anständigkeit: „Du darfst keine Überfremdungsangst haben! Das ist böse!“ Als ob Ängste böse wären.

Das töricht-opportunistische Verschweigen und moralische Stigmatisieren dieser höchst leibhaftig empfundenen Überfremdungsängste bereitet den rechten Strömungen und auch dem leider bedrohlich anwachsenden Rechtsradikalismus fruchtbaren Boden.

Multikulti-Viertel: Oberhausen: Fremdes Augsburg – Nachrichten Augsburg – Augsburger Allgemeine

Bild: Volksschule in Augsburg-Firnhaberau, Hubertusplatz, aufgenommen vergangene Woche. Ich selbst besuchte diese staatliche Volksschule mit gutem Erfolg.

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März 082011
 

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Wir müssen uns auch  mit spießigen Themen wie Hundekot im Hauseingang, blutige Drogenspritzen auf Spielplätzen, Vermüllung des Görlitzer Parks, Graffitis wie „Deutschland verrecke!“, Kotze auf dem Bürgersteig und Pisse an Polizeiautos beschäftigen! So oder so ähnlich etwa summte und brummte es am Wochenende bei der Programmdebatte einer bekannten unspießig-bürgerlichen Partei in Berlin, deren Spitzenkandidatin sich dabei als durchaus lernfähig, aber auch durchsetzungsstark erwies.

Drogenbesteck, Kotze, Kacke, Pisse, Graffiti, Vermüllung  – diese Probleme haben alle Weltstädte von Istanbul über New York bis hin zu Berlin und Augsburg.

Übrigens: Augsburg hat mit großer Mühe die gesamte Innenstadt für den Fußwanderer begehbar und für den Radfahrer erfahrbar gemacht. Klare, deutliche, überall sichtbare Wegweisungen leiten den Touristen ökologisch und sanft zu verschiedenen Plätzen wie etwa dem Bert-Brecht-Haus. Man fühlt sich geleitet und behütet. Die Stadt ist sauber und blitzt überall.

So etwas brauchen wir in Kreuzberg auch! Ach hätten wir so etwas in Kreuzberg doch auch!

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Wäre Wolfgang Amadeus Mozart je erfolgreicher Komponist geworden … …

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Jan. 032011
 

31122010224.jpg … wenn sein Urgroßvater Franz Mozart nach dem heutigen Hartz-IV-System versorgt worden wäre? Der aktuelle SPIEGEL bringt ab Seite 16 ein schönes Kontrastmittel zu unserer gestern entwickelten Röntgenaufnahme der Fuggerei in Augsburg, in deren bergende Arme sich unbescholtene katholische Bürger der Stadt samt Familie begeben konnten, ehe sie wieder auf eigenen Füßen standen.

Das Verhältnis des Sozialhilfeempfängers und des Stifters der Fuggerei nutzte und frommte beiden, es erwies sich als vertraglich festgelegte, kündbare Vereinbarung.

Demgegenüber ist das Verhältnis des heutigen Sozialhilfeempfängers zum Staate ein gesetzlich verbriefter Anspruch,  über dessen konkrete Ausgestaltung sich der Staat und der Leistungsempfänger sehr oft vor Gericht auseinandersetzen. Der Staat ist der „Anspruchsgegner“ des Fürsorge-Mündels, der möglichst weit in die Haftung für das Glück des Mündels genommen wird.

Politische Parteien treten als Dritte im Streit der beiden Seiten hinzu.  Eine umfangreiche Hartz-Industrie lebt von der Verstetigung der Notlage. Die linken Parteien arbeiten systematisch daran, das Leben in Hartz IV so angenehm und so erträglich wie möglich zu gestalten.  Dabei legen sie es darauf an, der Bundesregierung nachzuweisen, dass sie bei den Berechnungen der Regelsätze unsauber oder fehlerhaft gearbeitet habe. Und selbstverständlich lässt es sich in Hunderttausenden Fällen nachweisen, dass die Sätze nicht bedarfsdeckend sind. Man braucht nur einen findigen Anwalt.

Das heute bestehende System lädt zu Missbrauch und Betrug ein. Das System der Fugger hingegen beruhte auf Redlichkeit und auch auf scharfer sozialer Kontrolle innerhalb einer überschaubaren Gemeinde. Zu Fuggers Zeiten drohte echte Armut, echter sozialer Abstieg, echte Obdachlosigkeit. So ergriffen viele Verarmte den rettenden Strohhalm der mildtätigen Stiftung.

Heute dagegen muss in Deutschland niemand hungern, niemand ist von Obdachlosigkeit bedroht, niemand ist von den grundlegenden Versorgungssystemen ausgeschlossen nur weil er keinem Erwerb nachgeht. Es fehlt das Schreckgespenst echter Armut, wie es sich beispielsweise in Libanon, Ägypten, Côte d’Ivoire, in der Türkei, in China, in Russland oder selbst in den USA findet.

Es fehlt in Deutschland der Anreiz, das Hartz-IV-System zu verlassen. Gestritten wird meist über die unterschiedliche Ausgestaltung von Ansprüchen.

Ich bin überzeugt: Franz Mozart hätte den Weg aus der Fuggerei heraus nicht mehr geschafft, wenn damals das SGB gegolten hätte. Sein Urenkel Wolfgang hätte sich nicht die Finger krummgeschrieben, um den Lebensunterhalt durch Musik zu bestreiten. Die Zauberflöte wäre nicht geschrieben worden. All diese ach so „unsterblichen“ Werke sind ja aus der Not entstanden, aus der Nötigung, durch irgendetwas Geld zu verdienen.

Wir müssen uns die Mozarts trotz fehlender sozialstaatlicher Absicherung als glückliche Menschen vorstellen.

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Jan. 022011
 

Freiheit und Fürsorge – mein Willkommen gilt jedem Menschen.

Unter dem Eindruck meiner Begegnungen mit Kranken, Alten und Armen in Augsburg fand ich gestern in der Kirche Maria Birnbaum die Worte, die ich als meine persönliche Jahreslosung darbringe und an der ich mich messen lasse.

Fürsorge, das heißt Für-Sorge. Sorge für jemanden Bestimmten, Sorge für etwas Bestimmtes, nicht Versorgung, nicht Entsorgung eines Problemfalles. Fürsorge verstehe ich personal als Akt der Zuwendung zum Nächsten, der Ermächtigung des anderen, des Vertrauens in die Kräfte des anderen.

Der Baumeister Franz Mozart, ein Urgroßvater von Wolfgang Amadeus Mozart, verbrachte einen Teil seines Lebens in Armut und Not. Er zog in die älteste bestehende Sozialsiedlung der Welt, in die Augsburger Fuggerei ein. Er war ein echter „Sozialfall“ geworden. Er zahlte einen holländischen Gulden Jahresmiete (heute etwa 0,88 Euro) und verpflichtete sich, einen anständigen Lebenswandel zu führen und täglich drei Gebete für den Stifter Jakob Fugger und seine Familie zu sprechen.

Ein ausführlicher Besuch führte uns vorgestern durch diese Anlage. Wie lohnend ist ein Vergleich mit heute bestehenden Sozialsiedlungen, etwa den IBA-Bauten im Fanny-Hensel-Kiez, den Sozialbauten am Kotti in Kreuzberg, den riesigen Sozialquartieren in Neukölln oder im Märkischen Viertel.

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Die gesamte Außendarstellung der Fuggerei hat sich seit meinem Volksschulunterricht im Fach Heimatkunde sehr gewandelt – zum Besseren. Spannend, spannend! Es gelingt den äußerst geschickten Kuratoren, die gesamte Sozialstaatsdebatte unsere Tage in der Beschreibung dieses Schmuckkästchens einfließen zu lassen! Ich fasse die Neuigkeiten, die ich bei unserem Besuch der Fuggerei las und hörte,  wie folgte zusammen:

1. Fordern und Fördern. Es wurde erwartet, dass die Bewohner der Stiftung  sich bemühten, einen auskömmlichen Lebensunterhalt zu erzielen und die Siedlung dann wieder zu verlassen. Dies gelang auch sehr oft. Franz Mozarts Nachkommen lebten und wohnten schon wieder auf dem freien Wohnungsmarkt. Sie „bissen sich durch“. Einer der Enkel wurde Musikus und wanderte aus nach Salzburg, da er in Augsburg für seine Kunst nicht genug Entfaltungsmöglichkeiten sah.

2. Leistung und Gegenleistung! Die Bewohner verpflichteten und verpflichten sich vertraglich beim Einzug, jeden Tag drei Gebete für die Stifter zu sprechen. Sie erbrachten und erbringen also für die Sozialhilfe eine wertvolle kulturelle Gegenleistung. Ob wir heute das noch als echte messbare Gegenleistung empfinden, ist völlig unerheblich. Dass Beten zum Seelenheil hilft, war damals, 1521, als die Stifung gegründet wurde, eine allgemein geteilte Ansicht. Das Sozialmodell der Fugger war also zum wechselseitigen Nutzen angelegt.

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3. Sittliche Pflichten. Alle Bewohner verpflichteten sich vertraglich, einen sittlich einwandfreien Lebenswandel zu führen. Grobes Fehlverhalten konnte nach einer einzigen Abmahnung jederzeit zur Ausweisung aus der Sozialsiedlung führen. Dies galt bis ins 20. Jahrhundert, wie eine ausgestellte Hausordnung aus dem Jahr 1955 belegt. Das Recht, in der Siedlung zu leben, hing von Gesetzestreue und Anständigkeit ab.

Was folgt für uns daraus? Was folgt für die große Hartz-IV-Debatte am 7. Januar im Deutschen Bundestag? Ich meine folgendes:

1. Sozialhilfe sollte wie bei der Fuggerei grundsätzlich als befristete Lösung gesehen werden. Grundsätzlich sollen die Familien ihren Lebensunterhalt durch legale Erwerbsarbeit bestreiten.

2. Soziale Leistungen, ob von einer mildtätigen Stiftung oder vom Staat erbracht, sollten stets unter der Auflage kultureller oder gemeinnütziger  Gegenleistungen erbracht werden. Die Fürsorge der Fugger wurde als kündbares Vertragsverhältnis auf Gegenseitigkeit ausgestaltet! Genau dies wird im jetzigen SGB immer noch sträflich vernachlässigt. Folge: Der Empfänger wird entmündigt, zum passiven Objekt herabgewürdigt. Er wird „befürsorgt“ statt „ermächtigt“, wie dies Joachim Gauck vor wenigen Minuten so treffend in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ bemerkte.

3. Die Grundeinheit der sozialen Sicherung ist die Familie, nicht der Staat! Die Familien, also die „Bedarfsgemeinschaften“, wie sie heute heißen, sind das Gewebe der sozialen Sicherheit, das die Gesellschaft als ganzes zusammenhält und dem Einzelnen in Kindheit und Greisenalter ein würdiges Leben sichert. Der Staat tritt nur dann ein, wenn und solange die Familien als ganze nicht das Fortkommen aller Mitglieder sichern können.

4. Soziale Hilfe sollte den Empfänger mit der klaren Erwartung konfrontieren: „Lebe anständig. Schummle nicht.“

5. Aber am allerwichtigsten scheint  mir die Botschaft an die Familien mit arbeitsfähigen Menschen zu sein: „Wir glauben, dass ihr es schaffen könnt, die Sozialsiedlung wieder zu verlassen. Wollt den Wandel! Hartz IV ist ein Übergang, kein Dauerzustand.“

In einer trefflichen Formulierung Bert Brechts, die ich ebenfalls vorgestern in Augsburg las:

Wenn das so bleibt was ist
seid ihr verloren.
Euer Freund ist der Wandel.

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Aug. 112009
 

Den dreißigsten Juli, früh neun Uhr stahl ich mich aus dem heimischen Berlin weg, weil das Gefühl einer unauflöslichen Verknüpfung mich sonst nicht fortgelassen hätte. Manche Tage blieb dieses Blog verwaist. Doch werde ich nunmehr, soeben nach Berlin zurückgekehrt, den bislang vernachlässigten Berichtspflichten eifrig nachkommen und euch durch allerlei Denk- und Merkwürdiges zu unterhalten suchen. Das flache Land um Berlin herum, welches dem Auge erst beim näheren Hinsehen manche Anregungen bietet – hier ein aufsteigender Habicht, dort ein stillgelegtes Mühlenwerk -, ließen wir bald hinter uns. Brandenburg, Sachsen, Thüringen stiegen nach und nach ins Bewaldet-Bergichte auf. Wir durchquerten das Land rasch von Nord nach Süd.

Unsere erste Etappe war Augsburg. Nach längerem Fortbleiben bot sich die Vaterstadt dem Auge des Heimkehrers mit manchen überraschenden Einzelheiten dar.

NEMO OTIOSUS las ich auf dem Deckenmedaillon des Goldenen Saales im Rathaus: „Niemand sei müßig!“. Der Goldene Saal bietet eine deutliche Bildersprache dessen an, was die bürgerliche Gesellschaft dieser Stadt einst zusammenhielt: Ein Kanon an Grundhaltungen, das Gefühl einer unleugbaren Zusammengehörigkeit und das unausgesetzte Bemühen, an einem gemeinsamen Werk zu schaffen. Klare, einprägsame Botschaften, allegorisch verschlüsselt, aber eben darum auch über das Individuum hinausgreifend.

„Niemand gebe sich dem Müßiggang hin!“ Diese unbedingte Hochschätzung der Vita activa scheint  mir ein Grundzug der erfolgreichen Handelsstädte der frühen Neuzeit zu sein: Venedig, Augsburg, Antwerpen, Brügge, Krakau: Mit allen stand Augsburg in regem Austausch, diente als Umschlagplatz und Börse.

Wenn es keine Arbeit gab, dann wanderte man aus oder man suchte sich welche. Man bewegte sich!

Und genau unter diesem Motto stand auch die Aktion „Deutschland bewegt sich“.  Dieses Foto entstand bei den Aufbauarbeiten, die ich am 31. Juli beobachtete.

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Stechen von Kiel aus Jamaika-Träume in See?

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Juli 222009
 

Jeder erinnert sich immer wieder an seine Jugend. Viele fragen: Wie war das damals? Wie war das bei mir? Welche politischen Einstellungen waren zum Zeitpunkt des Abiturs herangereift? Darauf finde ich folgende Antwort: Das Gymnasium habe ich in Augsburg besucht. Als normales Produkt unseres  staatlichen Unterrichts verließ ich 1978 die Schule als leicht widerborstiger Feuerkopf, und wenn nicht als Fundamental-Ökologe, so doch mit der Überzeugung, dass Umweltschutz eines der obersten Staatsziele, ja vielleicht sogar das wichtigste aller politischen Ziele sei.  Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat, Meinungsfreiheit, Schulbildung für alle, Menschenrechte, Wohlstand – all dies nahm ich als naturwüchsige Gegebenheiten hin, die sich von selbst trügen und keiner weiteren Pflege bedürften.

Und heute? Heute sehe ich es fast umgekehrt. Zwar halte ich Umweltschutz weiterhin Continue reading »

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Juli 012009
 

Am 10.04.2009 berichtete dieses Blog bereits über eine erste Veranstaltung mit Oberschulrat Schmid, dem Augsburger „Rudi Dutschke“ aus dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg.

Morgen wird Oberschulrat Schmid in einer öffentlichen Veranstaltung über ein heißes Eisen zu vernehmen sein:

Donnerstag, 02.07.2009, 20 Uhr: Integration und Parallelgesellschaften – Grenzen der Toleranz.  Referent: Gerhard Schmid, Oberschulrat in Friedrichshain-Kreuzberg. Ort: Glashaus, Ecke Ritterstraße/Lindenstraße, Kreuzberg (leider nicht in der Rudi-Dutschke-Straße!)

Ich werde selbst unbedingt hingehen! Bin sehr gespannt. Blogger, Freunde, Ihr könnt auch kommen.

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Apr. 102009
 

Immer wieder lerne ich neue Wörter in meiner Muttersprache. So insbesondere dann, wenn ich mich, eingedenk des herannahenden Osterfestes, der religiösen Überlieferung zuwende. In der Zeitschrift FUGE. Journal für Religion & Moderne, Band 4, 2009, lese ich auf S. 28 folgende Sätze:

Die Bibel ist das meist-erforschte Buch der Welt. Vielleicht ist es auch der „überforschteste“ Gegenstand der Welt.

Gut, so sei die Bibel ein Kandidat für den Titel „Am meisten überforschter Gegenstand“. Ich schlage aber einen anderen Kandidaten vor: die Schule.  Was uns zu meinen Erlebnissen vom vergangenen Montag bringt.

Der kommunalpolitische Arbeitskreis der CDU Friedrichshain-Kreuzberg hatte ins Rathaus Kreuzberg eingeladen. Als Redner konnte gewonnen werden Oberschulrat Gerhard Schmid, der in der Schulverwaltung für unseren Bezirk zuständig ist.

Eine kleine Nachforschung im Internet ergibt: Schmid stammt aus meiner Heimatstadt Augsburg, er war damals einer der Wortführer der linken Protestbewegung, er wurde in der Augsburger Allgemeinen neulich sogar als der „Augsburger Rudi Dutschke“ bezeichnet! Er war also einer jener Aufrührer, vor denen meine Eltern mich besorgt warnten! Wir zitieren aus der Augsburger Allgemeinen vom 22.04.2008:

Im Frühjahr 1968 ist Schmid ein bekanntes Gesicht in der überschaubar kleinen linken Szene in Augsburg. Er organisiert die Ostermärsche, hält Vorträge über die Arbeiterbewegung und engagiert sich im Kritischen Seminar, einer Art Volkshochschule für Freidenker. Ein Kurs diskutiert über „Sexualökonomie und Orgasmustheorie“, ein anderer über die „sozialökonomische Struktur Südvietnams“.

Schmid ist so etwas wie der Augsburger APO-Chef. Dazu hat ihn zwar nie jemand gewählt, doch irgendwie, sagt er, habe er „das Ganze zusammengehalten“. Die Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze und den Krieg in Vietnam, die Schulstreiks und Sitzblockaden, die quälend langen Debatten mit Jungsozialisten und Jungdemokraten. „Heuchler und kalte Krieger“ sind sie 1968 für ihn, den Unangepassten. Wenige Wochen nach dem Happening in der Sporthalle schließt die SPD Schmid wegen „groben Verstoßes gegen die Parteigrundsätze“ aus. Heute sagt er: „Wir waren völlig verblendet.“

Was ihn aber heute nicht daran hindert, in der Schulverwaltung als Vertreter der Staatsmacht zu agieren. So sieht also der Marsch durch die Institutionen aus. Die CDU lädt einen Rudi Dutschke zu sich ein – und er stößt auf waches Interesse. So muss es sein!

Was sagt nun die Forschung zum gegenwärtigen Zustand unserer Schulen? Laut Schmid besteht keinerlei Anlass zu einer Strukturdebatte. Es gebe laut neuesten Forschungsergebnissen keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen Schulform und Lernerfolg. Ein hochgradig gegliedertes Schulsystem könne ebensowohl sehr gut als auch weit unterdurchschnittlich abschneiden, wie ein Vergleich zwischen Bayern und Berlin lehre. Die gleiche Variationsbreite herrsche bei Einheitssystemen – hier fällt mir der überlegene Stand der Schulbildung in der früheren Sowjetunion im Vergleich zu den USA ein. Entscheidend sei, fuhr Schmid fort, die Qualität des Unterrichts, nicht die Schulstruktur.

Damit stellte sich Schmid sozusagen von Anfang an windschief zu den verschiedenen Konzepten der Berliner Parteien. Die Parteien bosseln eifrig an Schulreformen und  Strukturdebatten, an Test-Ergebnissen, und üben sich in Unkenrufen. Als Mitglied der Schulverwaltung sieht Schmid hingegen seine Aufgabe eher darin, Erfahrungen  aus dem Schulalltag in Empfehlungen umzumünzen. Die Fachleute aus der Bildungsverwaltung, zu denen Schmid gehört, bereiten sich jetzt bereits darauf vor, die zu erwartenden Vorgaben der Berliner Landespolitik möglichst sinnvoll umzusetzen. Ideologie und Parteienbindung spielt dabei keine Rolle mehr. Das finde ich höchst erfreulich, denn seit meiner eigenen Schulzeit sind die Bildungseinrichtungen ein hart umkämpftes Feld für Weltverbesserer und Abendlandsretter geworden. Diese Streiterei ist ihnen insgesamt nicht gut bekommen.

Ich habe nicht den Eindruck, dass der rot-rote Senat und die drei Oppositionsparteien mit ihren Gegenentwürfen tatsächlich das angesammelte Wissen aus den Schulämtern abrufen. Mein Eindruck bestätigte sich auch an diesem Abend.

Einigkeit schien zu herrschen: Alle Schulformen, alle Schüler müssen in dem gestärkt werden, worin sie gut sind – oder gut sein können. Praktische Begabungen sollen stärker zur Geltung kommen, etwa in dem neuen geplanten P-Zweig. Schmid berichtet anschaulich und überzeugend von Planungen, wonach in den P-Zweigen (den Nachfolgern der jetzigen Hauptschulen), Werkstätten eingerichtet werden sollen, in denen die jungen Leute mit ihrer eigenen Hände Arbeit Erfolg und sogar ein kleines Einkommen erzielen sollen.

Die gesamte zweite Hälfte des Abends und die Aussprache kreisten mehr um die Menschen, die in der Schule aufeinandertreffen. Welche Haltungen sind bei Schülern und Lehrern nötig, damit Schule gelingt? Welche Rolle spielen Fleiß, Konzentrationsfähigkeit, Sprachkenntnisse, Tugenden wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Pflichtgefühl, Höflichkeit?

Recht ketzerisch und spielverderberisch meldete ich mich zu Wort und wagte den Einwand: Wenn Fleiß, Konzentrationsfähigkeit, gute Sprachkenntnisse, Tugenden wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Pflichtgefühl, Höflichkeit zusammenkommen – könnten wir uns dann die gesamte Debatte über Schul- und Unterrichtsformen sparen? Brauchen wir nicht eine andere Grundhaltung? Brauchen wir nicht – mehr als alles andere – einen Mentalitätswandel? Sind die endlosen Berliner Diskussionen um die Bildungspolitik im Grunde Schaukämpfe, die vom eigentlichen Problem ablenken? Ich schlug vor, ganz massiv an die Eltern heranzutreten und sie mit gezielter Mentalitätsbeeinflussung zu einer lernfreundlichen Haltung umzuorientieren. Die Kinder brauchen eine Umgebung, die sie zum Lernen ermuntert. Dazu gehört eine Abrüstung beim exzessiven Medienkonsum, frühe und bevorzugte Befassung mit der deutschen Sprache, Aufbrechen des „Migranten-„Ghettos, Selbstbefreiung aus dem Gestrüpp der Vorurteile. Es regte sich – kein Widerspruch. Ich hege die Vermutung, dass ein Großteil der Versammlung dieser Ansicht zuneigte.

Beim Nachdenken über diesen hochgelungenen Abend fällt mir noch ein Bericht über Michelle Obama ein. Im Gespräch mit französischen und deutschen Schülern, das im ZDF wiedergegeben wurde, erklärte sie vor wenigen Tagen sinngemäß:

„Ich hab mir immer Mühe gegeben, etwas zu lernen. Viele schwarze Mitschüler  haben mich damals schief angekuckt und gesagt: Du redest ja wie eine Weiße! Das hab ich auf mich genommen. Ich war eine Streberin. Das war voll uncool. Ich wollte gut sein in der Schule.“

Und genau diese Haltung brauchen wir auch in Berlin. An der Art der Schule liegt es sicher nicht, wenn Bildungsgänge scheitern. Keiner ist Opfer seiner Herkunft – niemand ist durch seinen Migrationshintergrund daran gehindert, in der Schule und im Leben Erfolg zu haben. Jede und jeder kann es schaffen. Evet, we can.

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Changing Trains, Changing World, Changing Stages

 Antike, Augsburg  Kommentare deaktiviert für Changing Trains, Changing World, Changing Stages
Juni 062008
 

Gestern erlebte ich beim Umsteigen auf einem Berliner S-Bahnhof Ungewissheit als die Kraft, die zum Wandel des eigenen Selbst führt. Also galt: Changing trains – changing self. Heute fahre ich nach Augsburg zum Klassentreffen. Ich freue mich schon, die alten Schulkameraden wiederzusehen. Was ist aus ihnen geworden? Was ist aus dir geworden? Ich habe einen kleinen Festvortrag angemeldet und vom Veranstalterkomitee zuerkannt bekommen: – „Von Heulsusen und Jubelpersern – das Perserbild bei Aischylos und im biblischen Buch Ester“. Ich werde nachzuweisen suchen, dass negative Vorurteile über die Perser im besonderen und die Asiaten allgemein sich weitgehend unverändert über die Jahrtausende erhalten haben – zum Schaden beider Seiten, mit riesigen Folgekosten, deren letzte noch heute Tag um Tag gezahlt werden – mit Menschenleben, mit Billiarden Dollar an Kriegskosten, und vielen vielen zerstörten Chancen.

Edith Hall, die Klassische Philologin an der Universität London, schreibt hierzu in ihrem Kapitel „Changing world, changing stages“ unter dem Obergriff „Recasting the Barbarian“:

Aeschylus‘ Persians has played an indisputable role in the perpetuation of the ideological conflict between East and West that has recently re-erupted with such terrible violence. It has historically helped to reinforce the adoption by Christian mindset of a primary Other in the shape of Islam. The third-millenial vilification of the Arab world has a long history which cannot be dissociated from the rediscovery of ancient Greek xenophobia and prejudices against non-Greeks in the East.

Edith Hall: The Theatrical Cast of Athens. Interactions between Ancient Greek Drama and Society. Oxford University Press, 2006, hier: Seite 220

Das verspricht spannend zu werden! Wir haben uns damals redlich geplagt mit Latein und Griechisch – damals an St. Stephan noch verpflichtend vorgeschrieben für alle Schüler – neben der üblichen zweiten Fremdsprache Englisch! Ein bisschen Spaß muss auch sein – deshalb werde ich kleine Abschnitte aus Aeschylus und aus der Septuaginta, der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, austeilen – mal sehen, wie weit wir noch kommen …

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Mai 292008
 

Recht vollmundig hatten wir in diesem Blog verkündet, wir wollten das Wahlverhalten in vier ausgewählten europäischen Großstädten betrachten. London wurde am 12.05.08 bereits in diesem Blog umfassend abgehakt. Jetzt ist Augsburg dran. Was geschah in der Stichwahl am 16. März 2008?

Die Augsburger wählten den beliebten Oberbürgermeister Paul Wengert aus dem Amt und stimmten mehrheitlich für den parteilosen Kurt Gribl. Der Mann, ein promovierter Jurist, konnte keinerlei politische Vorerfahrung vorweisen. Er war nicht einmal Mitglied einer Partei. Die CSU machte ihn zu ihrem Kandidaten. „Wir haben keinen Besseren“, hört man oft in solchen Fällen. Was sprach für ihn?

1) Er ist das Gegenteil eines Politikers der alten Garde, sondern trat als kundiger Vermittler der Bürgerinteressen an. 2) Er versprach, unbeliebte Großprojekte des Amtsinhabers zu kippen, so etwa den ÖPNV-freundlichen kompletten Umbau der Friedberger Straße. 3) Er spielte den „Ich-bin-einer-von-euch“-Trumpf aus. Der waschechte Augsburger schlägt den Berufspolitiker von auswärts. 4) Er präsentierte sich als moderner Internet- und Popfan. Er hat ein Profil auf Myspace und Xing. 5) Er hat ein Ohr für die kleinen pragmatischen Anliegen. In seinem Hundert-Punkte-Programm nimmt er zahlreiche Forderungen von Betroffenen auf, kümmert sich höchstpersönlich um kommunalpolitische Kleinstprojekte, wie etwa Fahrradabstellbügel und Popkonzerte. Die Botschaft ist klar: „Ich kann zuhören, ich wälze euch kein Programm zur Weltverbesserung auf.“ 6) Er formulierte alle seine Anliegen positiv, nach vorne gewandt. Er stellte ein positives Leitbild für seine Vaterstadt auf, gestützt auf Werte wie Selbstvertrauen, Zukunft, Selbstbewusstsein. 7) Er griff nicht den beliebten Amtsinhaber an, sondern überging ihn weitgehend einfach mit Schweigen. Kein Zank, kein Gezetere. Was blieb ihm auch übrig?

Was lernen wir daraus? Ich würde sagen: Das Kleine 1 mal 1 der politischen Kommunikation in diesem ersten Jahrzehnt:

1) Die alten Parteien sind (fast) abgeschrieben, Personen zählen mehr. 2) Fahrrad schlägt Straßenbahn! Kleinstprojekte kommen besser an als Großbaustellen. 3) Zeig, dass du zuhören kannst. Rede weniger, höre mehr zu. 4) Spalte nicht, beleidige nicht, lärme nicht rum. Polarisiere nicht. Lass die Welt eher so, wie sie ist. 5) Blicke nach vorn, nicht in die Vergangenheit. 6) Zeige ein klares Leitbild auf! Wo siehst du deine Stadt in 5 oder 10 Jahren? 7) Kopple dich von der veralteten Rhetorik der Volksparteien CSU/CDU und SPD ab. Präsentiere dich als Außenseiter, Quereinsteiger, Querdenker, als Fachmann/Fachfrau oder Moderator oder was auch immer, eher denn als Berufspolitiker. 8) Sei keine Trantüte, sondern zeige, dass du dein Leben genießt. 9) Such dir die richtige Unterstützerin. Lade Angela Merkel in dein 264.000-Seelen-Dorf ein. Die Frau segelt weiterhin auf herausragenden Zustimmungswerten. Segle auch du mit den Erfolgreichen. 10) Mach dein Schicksal nicht vom Ausgang dieser einen Wahl abhängig!

Zum Nachlesen auf der Homepage des neuen Augsburger Oberbürgermeisters hier klicken.

Unser Foto zeigt heute einen Blick auf die Lechauen im Stadtteil Hochzoll-Nord, nur einen Steinwurf von der Friedberger Straße entfernt. Übrigens: Dies war in meiner Jugend ein Teil meines täglichen Schulwegs.

 Posted by at 21:40