Jul 222009
 

Jeder erinnert sich immer wieder an seine Jugend. Viele fragen: Wie war das damals? Wie war das bei mir? Welche politischen Einstellungen waren zum Zeitpunkt des Abiturs herangereift? Darauf finde ich folgende Antwort: Das Gymnasium habe ich in Augsburg besucht. Als normales Produkt unseres  staatlichen Unterrichts verließ ich 1978 die Schule als leicht widerborstiger Feuerkopf, und wenn nicht als Fundamental-Ökologe, so doch mit der Überzeugung, dass Umweltschutz eines der obersten Staatsziele, ja vielleicht sogar das wichtigste aller politischen Ziele sei.  Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat, Meinungsfreiheit, Schulbildung für alle, Menschenrechte, Wohlstand – all dies nahm ich als naturwüchsige Gegebenheiten hin, die sich von selbst trügen und keiner weiteren Pflege bedürften.

Und heute? Heute sehe ich es fast umgekehrt. Zwar halte ich Umweltschutz weiterhinfür ein wichtiges Ziel der Politik, aber es ist für mich nur ein Teilziel, das alle anderen Bereiche mit durchdringen sollte. Umweltschutz ist für mich kein übergeordnetes Ziel, dem sich alle anderen Ziele im Konfliktfall unterzuordnen hätten. Demokratie, Menschenrechte, Freiheit, Pflege und Erhaltung der Gerechtigkeit innerhalb unseres Rechtsstaates, Verantwortung des einzelnen, Stützung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes – das sind in meinen Augen heute die übergeordneten Ziele. Ihnen muss sich Umweltschutz einfügen. Ihnen muss sich auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik unterordnen. Meine Überzeugung ist: Mehrung und Sicherung des Wohlstands ist ein untergeordnetes Ziel der Politik, das keinesfalls über Werte wie Freiheit und Recht gestellt werden darf.

Auf dem Kongress „30 Jahre taz – Tu was“ wohnte ich  April dieses Jahres einer Unterhaltung zwischen Innenminister Schäuble und Grünen-Bundeschef Trittin bei. Ehrerbietig ward Trittin vom Moderator als „der Bismarck der Grünen“ angeredet. Trittin lächelte versonnen. Recht artig und schonend gingen die beiden vermeintlichen, jahrzehntelang erprobten Gegner miteinander um. Gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion hatte ich mich hinter eines der Mikrophone gestellt. Ich wusste zwar nicht, was ich sagen wollte, aber dass ich etwas sagen musste, war klar. Ich meldete mich zu Wort, zitierte frech den ersten Satz aus Bismarcks Autobiographie und stellte die Grünen als „normales Produkt der staatlichen Erziehung“ hin. Es sei an der Zeit, dass die „Partei der Töchter und Söhne“, also die Partei Trittins,  sich mit der „Partei der Mütter und Väter“, also der Partei Schäubles, versöhne.

Heute lese ich in der Presse ein Wetterleuchten dieser Versöhnung – wie sie mir damals bereits vorschwebte:

Kiel beflügelt Jamaika-Träume – Berliner Zeitung
Die Union strebt im Bund offiziell ein Bündnis mit der FDP an. Intern wird aber eingeräumt, dass eine Zusammenarbeit mit den Grünen großen Charme habe. Ein Spitzenpolitiker der Union sagte der Berliner Zeitung sogar: „Die Kanzlerin würde Schwarz-Grün gegenüber Schwarz-Gelb bevorzugen.“ Offiziell hat Angela Merkel erst am Wochenende wieder die FDP als Wunschpartner genannt. Die Union will so verhindern, dass zu viele ihrer Wähler zur FDP abwandern. Als einer der höchstrangigen CDU-Politiker hat sich Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble dazu bekannt, die Grünen als Bündnispartner nicht auszuschließen, falls eine christlich-liberale Regierung nicht zustande kommt.

Ich brauche euch nicht zu sagen, dass ich diese Versöhnung von Herzen begrüßen würde.  Es würde eine wunderbare Ordnung in meine keineswegs geradlinige Parteienbiographie bringen. Denn ich war in den achtziger Jahren als normales Produkt einer normalen bürgerlichen Sozialisation einige Monate lang Mitglied der Kreuzberger Grünen (der damaligen AL), verließ die Partei aber bald, da sie mir zu autoritär war. Ich hatte das Gefühl, dass da etwas anderes auf der Tagesordnung stand. Dass ich nichts beizusteuern hatte. Erst nach dem Mauerfall begriff ich, was gemeint sein konnte und was wohl die Ursache meines Unbehagens war: Der Spitzenmann der Kreuzberger Grünen, Dirk Schneider MdB, war ein Stasi-Spitzel. Die Kreuzberger Grünen waren mehr oder minder vom Osten her, von der SED her unterwandert. So erklärte sich auch die auffallende Geschlossenheit.

Hätte ich irgendwann bei den Grünen wieder eintreten sollen? Nein. Die Grünen haben sich als Partei meiner Meinung nach noch nicht eindeutig in ein affirmatives Verhältnis zu diesem Staat gesetzt. Sie sind mir immer noch zu sehr „widerborstig“ um der Widerborstigkeit willen. Sie sehen sich mindestens in Teilen weiterhin als linke, diesen Staat ablehnende Partei. Ich vermisse ein klares, eindeutiges Bekenntnis zum Gewaltmonopol des Staates. Ich vermisse eine klare Veurteilung jeglicher politisch motivierter Gewalttätigkeit. Ich vermisse einen Protest gegen die zunehmende Zahl der Gewalttätigkeiten gegenüber Polizisten. Ich konstatiere eine stillschweigende Begünstigung von Rechtsbruch und Randale. Und das passt mir nicht. Ein Grüner in diesem Sinne war ich nie und kann ich nicht sein.

Das verhindert nicht, dass ich für viele Grüne Sympathie empfinde.  Darf ich einmal positiv petzen? Das war vor etwa einem Jahr vor der Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg. Mir kam da eines Nachmittags der Berliner Fraktionsvorsitzende der Grünen, Volker Ratzmann, in seinem offenen Saab, dieser Auto-Ikone der Linken, seitlich entgegen, während ich mit meinem Tandem, den Filius auf dem Sozius, dahinzockelte und nach links abbiegen wollte. Er hatte Vorfahrt in seinem Auto, ich wartete pflichtschuldigst am Haltepunkt mit meinem Fahrrad. Und was soll ich euch sagen: Er wartete, gewährte uns mit einem freundlichen Handzeichen Vorfahrt. So läuft es! Wenn die Autofahrer nicht auf ihre Rechte pochen, sondern auf die Schwächeren Rücksicht nehmen und links einbiegen lassen. Toll!

Hallo Partner, danke schön! Wir brauchen mehr derartige Autofahrer!

Das Foto zeigt einen Schnappschuss von der erwähnten Podiumsdiskussion auf dem taz-Kongress. Am Pult in T-Shirt: der Parteienforscher Franz Walter.

 Posted by at 12:28

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