„Wir haben den Appetit auf die Europäische Union verloren“

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Juli 242013
 

2013-07-23 12.51.57

Selbstverständlich lasse ich auch die politischen Themen in all den Gesprächen mit den Türken durchaus zu. Warum auch nicht? Das Leben in der Türkei besteht nicht nur aus den Themen Moschee, Kinder, Küche und Kultur! In dem Land, das einen Herodot hervorgebracht hat, liegt doch nichts näher, als die unterschiedlichsten Meinungen und Geschichten auf sich wirken zu lassen, ohne blindlings den Gerüchten und dem Hörensagen zu vertrauen.

„Lesen Sie denn auch die westliche Presse? Was halten Sie denn von dem, was in unseren Zeitungen über Ihr Land berichtet wird?,“ fragten wir gestern einen türkischen Volkswirt und Historiker, mit dem wir ein längeres Gespräch führten. Seine Antwort: Ja, er lese die englischen, französischen und russischen  Zeitungen selbstverständlich. Das meiste sei aber –  aus der türkischen Binnensicht gesehen – verzerrt, vereinfacht und teilweise auch grob irreführend, was von der europäischen Presse über die aktuellen Entwicklungen berichtet werde. Es wimmle geradezu von Schreckgespenstern, aufgebauschten Sensationshaschereien. Die Normalität des türkischen Alltags jenseits der Politik werde überhaupt nicht abgebildet. Es fehle den meisten Journalisten, die über die Türkei schrieben,  an vertieften Sprach- und Landeskenntnissen.

Und wie sieht die türkische Bevölkerung den EU-Beitritt?

„Wir haben den Appetit verloren. Nach Jahren des Hingehaltenwerdens haben wir jetzt das Gefühl, nicht gewollt zu werden, wobei der Hauptgrund in unseren Augen ist, dass man ein islamisch geprägtes Land nicht in den Kreis aufnehmen will, während man bei Bulgarien und Rumänien beseipielsweise alle Augen fest zugedrückt hat, als es um die Erfüllung der Beitrittskriterien ging.“

Meine Bewertung dieser Frage aufgrund meiner reichen Eindrücke, die ich im Lande wieder einmal sammeln konnte:

In der Tat sind die Darstellungen türkischer Entwicklungen in den deutschen Medien – auch in den Qualitätszeitungen, auch in den öffentlich-rechtlichen Medien – oft  verzerrt, einseitig, ungerecht bis hin zur Böswilligkeit gegenüber der Türkei. Die Liebesgeschichte zwischen der Europäischen Union und der Türkei neigt sich auch aus diesem Grunde dem Ende entgegen, sofern es je eine war. Die Türkei orientiert sich fundamental um. Sie besinnt sich auf die eigene Stärke, die eigenen Qualitäten, zumal angesichts des schlechten Bildes, das die EU in der tiefen Krise des Währungsverbundes derzeit abgibt, ein EU-Beitritt nicht einmal mehr im materiellen Interesse der Türkei liegen dürfte. Das Bestreben der Türkei scheint sich nunmehr darauf zu richten, die eigene Volkswirtschaft weiterzuentwickeln, mehr kulturelle Vielfalt zuzulassen, das Einheitsgefühl der türkischen Nation, die sich aus den unterschiedlichsten Gruppen zusammensetzt, zu stärken, und den eigenen Einfluss und die eigene Macht im unmittelbaren Umfeld zu mehren.

Als neuer wichtiger Partner in Handel und Wirtschaft scheint Russland nunmehr geradezu prädestiniert.

Den Schaden, auch den kulturellen Schaden einer drohenden Abwendung der Türkei von der EU tragen vor allem die europäischen Länder. Das Gebiet der heutigen Türkei  ist immerhin ein Kernland der abendländischen Geistesgeschichte. Das Christentum erblühte als neue Religion in Kleinasien zuerst. Hier im Osten war jahrhundertelang das Zentrum des spätrömischen Reiches, das Griechisch, Lateinisch und Aramäisch sprach.

In zahlreichen Begegnungen zwischen Menschen von hüben und drüben kann es gelingen, den weitgehend verlorenen Wurzelgrund der europäischen Kulturen und Religionen, namentlich des Judentums, des Christentums und des Islams wieder fruchtbar zu machen.

Um so wichtiger ist es, den Türken mit derselben Achtung und Offenheit zu begegnen, die sie auch uns als Menschen unverändert entgegenbringen. Jeder halbwegs freundliche Gruß, den ich einem Türken entbiete, wird mir doppelter Freundlichkeit erwidert.

Bild: Blick in das Theater in der antiken griechischen Stadt Hieropolis Phrygica in Anatolien, nahe dem heutigen Pamukkale. Aufnahme vom gestrigen Tage.

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„Das Geld des Dorfes dem Dorfe!“, oder: Die Vereinigten Regionen Europas gelingen nur mit mehr Subsidiarität in der Finanzverfassung!

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Juli 022013
 

2013-07-01 13.49.23

Eine wirklich gute, vorbildliche Regelung für das vielbeschworene Europa der Regionen hat der Nationalstaat Italien für Südtirol geschaffen: Die mehrheitlich deutsche Provinz Südtirol („Obere Etsch“, wie sie auf Italienisch genannt wird) hat hohe Autonomierechte, und dieser Autonomiestatus drückt sich auch in der Finanzverfassung aus: 90% des Steueraufkommens verbleiben in der Provinz. Folge der finanzpolitischen Eigenständigkeit: Südtirol erwirtschaftet deutlich mehr als der Durchschnitt  des italienischen Nationalstaates, und ein Großteil des selbst erwirtschafteten Geldes verbleibt satzungsgemäß in der Provinz. Die Südtiroler haben weitgehende Gewissheit, dass sie nicht irgendwelche Schwerindustriefabriken, die berüchtigten „Kathedralen in der Wüste“  bei Taranto finanzieren, sondern Straßen, Schulen, Krankenhäuser in der eigenen Provinz. Das Geld der Provinz der Provinz! Nur 10% wird an die Zentrale in Rom abgeführt. Die Provinz genießt ein Höchstmaß an finanzpolitischer Eigenverantwortung und schaffte so innerhalb weniger Jahrzehnte, von einem agrarisch bestimmte Armenhaus zu einem reichen Powerhaus der EU zu werden. Der separatistische Gedanke ist gottlob weitgehend verschwunden.

Nicht Separatismus der Regionen („Weg vom Nationalstaat!“), sondern stärkere finanzpolitische Eigenverantwortung für die Regionen und Bundesländer sind der Weg, auf dem die Europäische Union gesunden kann.

Die Bundesländer bzw. die Regionen wie etwa Katalonien oder Schottland brauchen mehr subsidiäre Verantwortung bei der Verwaltung ihrer Mittel! Ich bin von folgender Zielvorstellung überzeugt: Nur ein festgelegter Anteil des Steueraufkommens sollte in der EU an die jeweils nächsthöhere Ebene abgeführt werden. Dahin müssen wir in den nächsten Jahrzehnten mit der EU kommen.

Das Rezept wirkt, denn es hat schon oft in der Weltgeschichte gewirkt. Falsch ist eine Stärkung der zentralwirtschaftlichen Umverteilung von oben herab, wie es derzeit die EU und leider auch die deutsche Bundesregierung durch zahlreiche politische Maßnahmen vertreten. Beispiele für das verkehrte zentralistische Umsteuern liegen auf der Hand: Die Bankenrettungspolitik, die Schuldenmacherei dank der Euro-Rettungsmechanismen, die national- und zentralstaatliche Energiewende, die ständigen Eingriffe der EU-Kommission in Bereiche, die unbedingt der unteren Ebene vorbehalten bleiben sollten: so etwa Saatgutauswahl, Bestimmungen über die öffentliche Daseinsvorsorge, Abgaswerte für PKW usw.

Die EU sollte sich bemühen, die wenigen Kernaufgaben, die ihr sinnvollerweise zukommen, einigermaßen anständig und vertretbar zu bewältigen: vernünftige, abgestimmte Währungs- und Außenpolitik, gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht, Freizügigkeit der Unionsbürger, Niederlassungs- und Gewerbefreiheit, Schutz der Freiheits- und Bürgerrechte. In allen diesen Punkten ist die EU nicht gut genug, mehr noch: sie versagt weithin.

Falsch war es meines Erachtens, eine feste Schuldenbremse in die Verfassungen bzw. ins Grundgesetz zu schreiben. Denn selbstverständlich müssen die Regionen oder Bundesländer vorübergehend auch einmal gesetzliche Schuldenbremsen „reißen“ dürfen, ohne gleich als Verfassungsfeinde dazustehen! Die von oben her durchgesetzte Aufnahme der numerisch festgelegten Schuldenbremse in die Verfassungen war für mich ein Kipp-Erlebnis, das mir die Verkehrtheit des Hauptstroms der heutigen Finanzpolitik vor Augen führte!

Das Geld des Dorfes dem Dorfe!“ So formulierte einst Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der hochverdiente Gründervater der deutschen Selbsthilfe- und Sparkassengenossenschaften diesen Grundsatz der finanzpolitischen Eigenverantwortung. Während die Europäische Union seit Jahren im wesentlichen nur noch über zentrale Umverteilungsmechanismen streitet und zu diesem Zweck sogar numerische Schuldengrenzen in die Verfassungen der Nationalstaaten hineinschreibt, liefern die wirtschaftlich erfolgreichen Regionen der EU, etwa Südtirol, Bayern oder Baden-Württemberg eine Art Blaupause dafür, wie die EU vielleicht trotz des unseligen derzeitigen Euro-Regimes noch einen Weg zur finanzpolitischen Vernunft finden kann – unter Beibehaltung des Euros!

Wie sagte Johannes? „Denkt um und tut Buße!“ Wie kann der Euro gerettet werden? Antwort: Durch Umdenken, durch Umsteuern, durch „Buße“, also durch das Eingeständnis eigener Fehler und die Zusage, „es in Zukunft besser zu machen“. Dabei gilt die Grundeinsicht: Die Subsidiarität in der Finanzverfassung – nicht die „immer engere Union“ –  ist der Kerngedanke einer Währungsunion, die vielleicht noch eine Chance auf längeren Zusammenhalt wahren will.

Dabei hilft es nicht, ganze Kübel von Verachtung über irische Banker auszuschütten. Die irischen Banker haben 7 Mrd. Bedarf angemeldet und 40 Mrd. Euro erhalten. Die irischen Banker haben also ebenso wie die griechischen Reeder und Politiker das gemacht, wozu das herrschende Euro-Regime sie angestiftet hat: Möglichst viel von den riesigen Umverteilungssummen der EU in die eigene Tasche bzw. die Taschen der eigenen Klientel  zu wirtschaften. Das ist de facto das Grundprinzip der EU-Finanzpolitik.

Den irischen Bankern, die im Suff  buchstäblich „gesungen“ und die Wahrheit ausgeplaudert haben, sollte nicht unsere Verachtung, sondern unsere Dankbarkeit für die schonungslose Offenlegung der EU-Ausplünderungsmechanismen gebühren. Ein irischer Banker bittet uns Deutsche als guter Ire (irischer Katholik?)  für sein eigenes Fehlverhalten um Verzeihung. Wir Deutsche sollen ihm die Verzeihung gewähren und ihn preisen und ihn ermuntern, noch mehr zu singen, noch mehr Wahrheiten zu verraten.

Das Geld des Dorfes dem Dorfe! Das Geld der Region der Region! Das Geld des Bundeslandes dem Bundesland!

Nur ein festgelegter Anteil des Steueraufkommens jedes einzelnen Bundeslandes sollte an die übergeordnete Ebene abgeführt werden müssen. Bayern sollte also einen ebenso hohen Prozentsatz des selbst erwirtschafteten Steueraufkommens an den Bund zahlen wie Berlin oder Sachsen. Ich bin sicher: In zwei oder drei Jahrzehnten wäre die Finanzverfassung der Bundesrepublik wieder im Lot. Gleiches gilt für die EU: Die Bundesrepublik Deutschland sollte einen ebenso hohen Anteil des selbst erwirtschafteten Steueraufkommens an die höhere Ebene zahlen wie Griechenland, Frankreich oder Irland. Das muss meines Erachtens die Zielvorstellung sein.

Innerhalb weniger Jahrzehnte wird die EU dann gesunden. Sie wird dann ein Vorbild für andere sein können. Die EU  wird sich dann gegenüber China und den USA als gleichstark behaupten können. Daran gebricht es uns derzeit noch in erheblichem Maße!

Bild: ein uralter babyfarbener Opel Kadett in Berlin-Kreuzberg, gesehen gestern  – Zeugnis der Gründer- und Aufbruchsjahre der Bundesrepublik!

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„Konditionalität der Hilfe“ – das Samariterdilemma

 bitte!, Europäische Union, Novum Testamentum graece, Samariter  Kommentare deaktiviert für „Konditionalität der Hilfe“ – das Samariterdilemma
Mai 222013
 

2013-03-24 10.54.58

 

Der Wirtschafts-Nobelpreisträger James M. Buchanan prägte den Begriff „Samariter-Dilemma“. Er meinte damit, dass ein Akt selbstloser Hilfe für den Beschenkten, dem aus einer Notlage geholfen wird, langfristig eher schadet als nützen kann, da der Empfänger dazu verführt wird, sich auf gewährte Hilfen mehr und mehr auszuruhen, statt auf eigenen Beinen zu stehen.

Insbesondere die derzeit den Banken und den hochverschuldeten Staaten gewährten Finanzhilfen (ESM, EFSM, SMP, SKAS-Vertrag) werden häufig als sittlich gebotener Akt der Nächstenliebe unter befreundeten Staaten, als aus dem Gebot der Solidarität erwachsende Verpflichtung der reichen Staaten gedeutet. Wer es daran fehlen lasse, handle unsolidarisch und kaltherzig.

„Ihnen ist das Schicksal der hungernden Arbeitslosen in Griechenland EGAL!“ So sinngemäß eine empörte Katrin Göring-Eckardt gegen Bernd Lucke bei Frank Plasberg in der Kombattanten-Show Hart aber fair.

Was meint Jesus mit seinem Gleichnis vom Samariter? Lies dazu noch einmal das Lukas-Evangelium 10,25-37!

Die Erzählung ist glasklar:
1) Der Samariter folgt aus freien Stücken einer Regung des Herzens und nicht aufgrund einer vertraglichen Beziehung.
2) Der Mann, der unter die Räuber fiel, ist zufällig und ohne eigenes Verschulden in die Not geraten.
3) Die Hilfe des Samariters wird ohne Auflagen gewährt. Die Samariterhilfe ist ohne „Konditionalität“.
4) Die Hilfe des Samariters erfolgt ohne die Erwartung einer Gegenleistung.
5) Sie ist einmalig und beschränkt sich auf die besondere Notlage.
6) Sie wird nicht zum Dauerzustand.
7) Es herrschte vor der Nothilfe  keine persönliche Beziehung zwischen dem Samariter und dem Opfer.

Keines der 7 Merkmale trifft auf den Euro-Rettungsfonds zu.

Für ESM, EFSM, SMP und SKS gilt:

1) Die Geberländer zahlen aus Nützlichkeitserwägungen in die verschiedenen Fonds ein.
2) Die Empfängerbanken und -Länder sind nicht zufällig, sondern vor allem durch eigenes Verschulden in die Not geraten.
3) Die Hilfe der Euro-Rettungsfonds wird mit Auflagen gewährt. Die Euro-Hilfe wird mit „Konditionalität“ gewährt.
4) Die Hilfe der Euroretter erfolgt in Erwartung einer Gegenleistung, also einer Rückzahlung.
5) Sie ist nicht einmalig und beschränkt sich nicht auf die besondere Notlage.
6) Sie wird zum jahrelang anhaltenden Dauerzustand.
7) Es herrschte bereits vor der Nothilfe eine institutionelle Beziehung zwischen dem Helferland und dem Opferland.

Ergebnis:

Die Eurorettungspolitik, die eine Bankenrettungspolitik und eine Staatenfinanzierungspolitik ist, erfüllt kein einziges der Merkmale, die auf den barmherzigen Samariter zutreffen. Sie ist rein pragmatisch zu sehen, sie hat keinerlei tiefere sittliche Bedeutung.

Jede Bezugnahme auf sittliche oder gar religiöse Gebote bei der aktuellen Finanzmarktstabilisierungspolitik ist fehl am Platze. Die Vorwürfe der unsolidarischen Kaltherzigkeit greifen ins Leere. Es geht für alle Beteiligten ausschließlich um Nutzenmaximierung.

 

Bild:

Ev. Johannesstift, Spandau, Samariterbrunnen.

 

 

 

Samaritan’s dilemma – Wikipedia, the free encyclopedia.

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„Ja, willst du denn den Euro nicht als das großartigste Symbol der europäischen Einigung anerkennen …?“

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Mai 082013
 

2013-04-25 07.35.07

So fragen mich immer wieder politische Wandergefährten. Darauf sage ich: „In der Tat, nein, der Euro ist nicht das großartigste Symbol der europäischen Einigung und noch weniger das Symbol der Europäischen Union. Das große, das eigentliche Symbol der Europäischen Union wie überhaupt jedes Staates ist – wie es G.W.F. Hegel dargelegt hat –  das leerste, abstrakteste Symbol überhaupt, nämlich die Flagge, näherhin bestimmt (wie es Hegel so gern in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts sagt) – also die Europa-Flagge mit den 12 gelben Sternen auf blauem Grund.“ Das oben zu sehende Bauschild aus dem ehemaligen Zisterzienserkloster Haydau zeigt dieses Sinnbild der Europäischen Union sehr sinnfällig und sehr wohltätig!

Die EWG, die EU, der Schengenraum, der Binnenmarkt, die EFRE-Hilfen für strukturschwache Gebiete und vieles mehr waren vor der Einführung des Euro unbestreitbar eine Erfolgsgeschichte, die es fortzuschreiben gilt! Es ist schon fast tragisch zu nennen, dass der Euro so Goldenes-Kalb-artig überfrachtet wird. Man möchte mit Beethovens 9. Symphonie ausrufen: Freunde, nicht diese Töne, nicht dieses Gezänke! Seht es doch mal lockerer! Über die Jahrtausende hin haben Staaten Währungen sehr oft eingeführt und sehr oft abgeschafft.  In manchen Staaten waren mehrere Währungen gleichzeitig im Umlauf (so etwa jahrzehntelang in den USA nach ihrer Gründung), andere Staaten schlossen sich zu losen Währungsverbünden zusammen, ohne dass eine politische Union auch nur ansatzweise beabsichtigt gewesen wäre – etwa in der „Lateinischen Münzunion“ -, kurz, man muss ausnahmsweise gegen Goethe, gegen Goethes Gretchen ausrufen:

Am Euro hängt,
Zum Euro drängt
Nicht alles!
Ach wir Armen!

Das große entscheidende Symbol aller staatlichen und staatsähnlichen Gebilde ist seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden stets ein abstraktes Symbol: das Bild des Kaisers, das Wappen des Herrschers, die Fahne des Staates, die Hymne der Nation usw.

Der Eid der deutschen Soldaten, den ich übrigens selbst damals als 19-jähriger Wehrpflichtiger ebenfalls in voller Überzeugung abgelegt habe, gilt nicht dem Wohlstand, den Konvergenzkriterien von Maastricht und der politischen Zentralgewalt, nicht dem Geld und nicht der Währung der Bundesregierung, sondern „dem Recht und der Freiheit“ des Volkes. Das Recht und die Freiheit jedes einzelnen Menschen, jeder staatlich verfassten Gesellschaft sind für mich die entscheidenden Werte politischen Handelns, während die „Währung“ in der Tat – wie der Name verkündet –  nur „während“ ihres Geltungszeitraumes gilt. Währungen sind – im Gegensatz zur Idee des Rechts und der Freiheit –  nichts Ewiges. Währungen kommen und gehen nach dem Willen des Souveräns. Viele römische Kaiser, die Souveräne der Antike, prägten ihre eigenen Währungen, die „Asse“, „Sesterzen“ und „Dinare“, teils ließen sie die Vorgängerwährungen gelten, teils schafften sie sie ab.

Die Währung ist nicht das entscheidende Band der Europäischen Union. Das entscheidende Band der Europäischen Union sind Freiheit und Recht der europäischen Völker. Einige der wenigen, die bereits jetzt so denken (während viele andere in den nächsten Monaten und Jahren folgen werden), scheinen Sahra Wagenknecht, Nigel Lawson (der Finanzminister Margret Thatchers), Bernd Lucke, Oskar Lafontaine, Hans-Werner Sinn, Wolfgang Bosbach und vermutlich auch bereits Bundesbankpräsident Jens Weidmann zu sein. Die genannten europäischen Persönlichkeiten verankern ihr Sinnen und Trachten nicht im Zahlungsmittel als dem Grund allen wirtschaftlichen Handelns, sondern im Bewusstsein dessen, dass die Freiheit, also die Handlungsfähigkeit und Wahlmöglichkeit der Völker und Regierungen wichtiger sind als die Einhaltung eines Währungs-Zwangsverbandes.

Der Souverän der heutigen, demokratischen Zeiten ist in Europa – das Volk. Den europäischen Völkern steht es frei, Währungen einzuführen und Währungen abzuschaffen.

 

 Posted by at 17:41

Braucht die EU-Kommission Durchgriffsrechte gegenüber den Parlamenten der EU-Staaten?

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Mai 032013
 

Steht  uns allen die Selbstaufgabe des Königsrechtes jedes Parlaments gegenüber einer Art europäischer Zentralregierung ins Haus? Die Frage muss erlaubt sein.

Denn die Zeitschrift Focus schreibt am 19.10.2012:

„Deutschland sei dafür, der EU-Kommission bei Verstößen gegen die Haushaltsdisziplin „echte Durchgriffsrechte gegenüber den nationalen Haushalten zu gewähren“, bekannte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede vor dem Bundestag.“

http://www.focus.de/finanzen/news/staatsverschuldung/trauriger-geburtstag-drei-jahre-eurokrise-und-kein-ende-in-sicht_aid_842343.html


Ich meine: Das kann uns alle treffen. Denn vor Verstößen gegen die Haushaltsdisziplin ist niemand gefeit, wie gerade die größten Euro-Teilnehmerländer, etwa Frankreich und Deutschland jahrelang unter Beweis gestellt haben. Die Camera dei deputati, die
Βουλή των Ελλήνων, der Bundestag, das Parlement français usw. usw. sollen also nach dem Willen Deutschlands das Haushaltsrecht, also das berühmte „Königsrecht“ des Parlaments nicht etwa an das übergeordnete, das z.Zt. politisch nahezu macht- und bedeutungslose EU-Parlament, sondern an die im Werden befindliche EU-„Zentralregierung“ mit ihrem benannten (nicht wirklich demokratisch gewählten) neu zu schaffenden „Währungs-Kommissar“, also an die EU-Kommission abgeben?

Hat die deutsche Bundeskanzlerin das 2012 wirklich so im Bundestag gesagt, wie sie der Focus zitiert? Das zu glauben fällt sehr sehr schwer. Man kann und mag das nicht glauben. Nein, es muss sich um ein Fehlzitat, eine arg verkürzende Fehldeutung oder um einen glatten Irrtum halten.

 

 

 Posted by at 10:07

Soll Deutschland die Löhne und Lebenshaltungskosten stärker den Hoch- oder den Niedriglohnländern anpassen? Oder umgekehrt?

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Mai 012013
 

Von einer auch nur in Ansätzen erkennbaren, sinnvoll abgestimmten gemeinsamen Außen-, Verteidigungs-, Finanz- oder Wirtschaftspolitik ist die gegenwärtige EU-Kommission  weiter denn je entfernt, das belegt täglich jeder Blick in die Presse. Die von vielen herbeigewünschte Fiskalunion, ganz zu schweigen von einer erträumten abgestimmten „Sozial-Union“, die etwa Teile der  Linkspartei zu befürworten scheinen,  rückt in weitere Ferne. Zumal eine Sozialunion nur bedeuten kann, dass Länder mit vergleichsweise hohem Sozialsicherheitsniveau wie etwa Deutschland sich deutlich nach unten bewegen müssten, etwa auf das Lohn- und Sozialleistungsniveau von Italien, Frankreich oder Ungarn.

Schlimmer noch ist: Manche derzeit amtierenden EU-Kommissare lassen nicht erkennen, dass sie sich der Ursachen des eklatanten Auseinanderdriftens der EU-Volkswirtschaften überhaupt bewusst wären oder den Mut hätten, die Ursachen dafür offen zu benennen.

Dafür ein beliebiges Beispiel: Die vor zwei Tagen – wie erstmals bereits im September 2012   – erhobene Forderung des EU-Sozialkommissars Andor, die deutsche Politik müsse endlich dafür sorgen, dass die Löhne in Deutschland anstiegen, um so die Nachfrage anzukurbeln. Die Süddeutsche Zeitung berichtete vor zwei Tagen:

 

Andor fordert eine Abkehr vom deutschen Modell, sich auf Export zu konzentrieren und die Löhne moderat zu halten, um international zu konkurrieren. „Die Kommission rät Deutschland, die heimische Nachfrage durch höhere Löhne anzuregen und auf breiter Basis Mindestlöhne einzuführen.“ Belgien und Frankreich beschwerten sich schon über deutsches Lohndumping.

„Angesichts der hohen Exportüberschüsse ist es überhaupt nicht zu rechtfertigen, dass die Deutschen diesen Lohnwettbewerb beibehalten.“ In der Euro-Zone müssten auch die Überschussländer ihre Politik ändern, nicht nur die Krisenstaaten. „Wenn nicht, driftet die Währungsunion auseinander. Der Zusammenhalt ist schon halb verloren.“

via EU-Sozialkommissar – „Sparen allein schafft kein Wachstum“ – Wirtschaft – Süddeutsche.de.

Ich habe Andors Thesen bereits im September 2012 in dem Blog Politikselbermachen einem Faktencheck anhand des Lohnniveaus unterzogen.

Sollen wir Mindestlöhne wie in Höhe der Löhne in Ungarn zahlen?

Hier noch einmal zum Nachlesen mein damaliger, wie ich glaube noch heute zutreffender Befund vom September 2012:

Eine steile These stellt der ungarische EU-Kommissar Laszlo Andor in den Raum. Die Löhne in Deutschland seien zu niedrig, durch jahrelange Lohnzurückhaltung habe Deutschland die anderen EU-Länder in die Enge getrieben. Deutschland müsse unbedingt höhere Mindestlöhne einführen.

www.morgenpost.de/politik/ausland/article109366808/EU-Kommissar-gibt-Deutschen-Schuld-an-Euro-Krise.htmle

Im Klartext: Die Löhne in Deutschland sind zu niedrig. Die anderen Länder leiden, weil Deutschland zu niedrige Löhne zahlt.

Was ist daran? Ein Blick auf die ungarischen Durchschnittslöhne schafft Klarheit. Ein ungelernter Arbeiter verdient in Ungarn monatlich 290 Eur, also etwa den Verdienst von einer Woche, den ein gleichwertiger Arbeiter in Deutschland erhielte.  Ein Akademiker, der in Ungarn seine erste Stelle antritt, verdient monatlich  etwa 465 Euro, also etwa so viel, wie ein deutscher Arbeitsloser erhält. Eine Stellenbörse berichtet folgendes:

Die ungarischen Löhne werden in der hiesigen Währung Forint ausgezahlt. Die Einführung des Euro ist bis heute an der hohen Inflation und den Schulden des Landes gescheitert. Innerhalb der EU werden in Ungarn vergleichsweise niedrige Löhne ausgezahlt. Ein unqualifizierter Arbeitnehmer etwa verdient 69.000 HUF (ungarische Forint), das sind umgerechnet etwa 290 €. Absolventen einer Hochschule dagegen verdienen bereits 110.400 HUF, was in etwa 465 € entspricht.

Das Ungarische Zentralamt für Statistik für regelmäßig Erhebungen über Löhne und Gehälter aus. Sie werden daraufhin auf der Homepage http://portal.ksh.hu veröffentlicht und sind dort kostenlos einsehbar. Sowohl in ungarischer als auch in englischer Sprache können Sie sich dort aktuell informieren.

Wir folgern daraus: Eine Erhöhung des deutschen Lohnniveaus auf das 8- oder 10-fache des ungarischen Durchschnittseinkommens würde Ungarn  und anderen Niedriglohnländern in der Tat Wettbewerbsvorteile verschaffen.

Tatsache ist: Deutschland hat ein weit höheres Lohnkostenniveau und ein weit höheres Sozialleistungsniveau als Ungarn.

Die von den Tarifparteien eingehaltene Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre hat zur Stärkung der Exportkonjunktur in Deutschland beigetragen, hat andererseits die Wettbewerbsfähigkleit Deutschlands auf dem Weltmarkt gestärkt.

Ich meine: Längerfristig wird und soll der Trend eher zu einer Annäherung der Löhne und Kosten in der EU hingehen – wie in anderen Binnenmärkten auch. Eine noch weitere Spreizung der Löhne zwischen Deutschland und anderen EU-Ländern, wie vom EU-Kommissar gewünscht, wäre kontraproduktiv. Denn sie würde zur Verlagerung von Arbeitsplätzen aus Deutschland in Niedriglohnländer beitragen.

 Posted by at 20:33

Herr Meister und Frau Meisterin – oder: European „Master“ meets German „meister“

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Apr. 302013
 

2013-04-25 20.56.29

„Herr Meister und Frau Meisterin
Laßt mich in Frieden weiterziehn
und wandern und wandern und wandern.“

Dies verschollene Liedlein aus uralten Zeiten summte ich vor einigen Tagen in meinem Kopf, als ich mit einem Regionalzug durch das herrliche Tal der Fulda glitt. Ich saß beschwingten Mutes in der CANTUS-Bahn Nr. 24217 von Kassel nach Fulda. Cantus heißt ja wohl Gesang, offenbar wird einem tatsächlich in diesen Cantus-Zügen gesanglich oder märchenhaft zumute! Buschige Höhen, sanft geschlängelte Bächlein begleiteten den Zug.  Hier durchzogen Jacob und Wilhelm Grimm die Dörfer, um Sagen und Märchen zu sammeln!

Auch ich nutze weiterhin alle meine Zugfahrten und Fußwanderungen, um von Mitreisenden Geschichten und Stoffe zum weiteren Nachdenken und Nacherzählen zu sammeln. So knüpfte ich gleich ein artiges Gespräch mit einer jungen Mitreisenden an, die neben mir saß. Nach den üblichen Fragen nach dem Woher und Wohin fragte ich sie nach der jetzigen beruflichen Situation.

Was haben Sie im Leben vor?, fragte ich.

„Ich mache jetzt meinen Master in Marburg, nachdem ich schon den Bachelor, den ich in Kassel gemacht habe, in der Tasche habe!“
In welchem Fach?
„In VWL!“

Ich frage weiter: Prima! Und wie finden Sie das neue europäische System mit Bachelor, Master, CreditPoints und pi pa po? Ist das nicht prima, dass jetzt die gesamte höhere Bildung in der EU einheitlich geregelt wird? Ist ein europäischer Mastertitel nicht viel wertvoller als ein deutscher Meistertitel?

„Es ist nicht prima. Diese Titel Bachelor oder Master bedeuten für meine potentiellen Arbeitgeber fast nichts. Sie lassen sich mit einem deutschen Meister oder einem deutschen Dipl.-Ing. in keiner Weise vergleichen und sind auf dem Arbeitsmarkt viel weniger wert als diese überall bekannten und anerkannten Abschlüsse Meister, Dipl.-Kfm. oder Dipl.-Ing.“

So weit das Zeugnis der hessischen VWL-Studentin aus dem Regionalzug. Anlass für unsere heutige Besinnung!

Die nichtdeutsche Presse berichtet es gern: Die Tatsache, dass ausgerechnet Deutschland Ausbildungsplätze in Fülle anzubieten hat, während Spanien oder Italien ihre Schulabsolventen in hellen Scharen an die Uni oder gleich auf die Straße schicken, zieht lernwillige Blicke aus Ländern an, die unter einer exorbitanten Jugendarbeitslosigkeit leiden. Südkorea und Spanien und einige andere Länder versuchen mittlerweile das über Jahrhunderte hin gewachsene duale System der deutschen Berufsbildung nachzuahmen.

Wie ein Echo dieses Befundes klingt die Analyse des aktuellen Economist mit seinem Titelthema zum drängenden Thema Jugendarbeitslosigkeit in vielen Industrieländern.
Lest einen Auszug aus dem Economist-Leitartikel „Generation jobless“:

Across the OECD, people who left school at the earliest opportunity are twice as likely to be unemployed as university graduates. But it is unwise to conclude that governments should simply continue with the established policy of boosting the number of people who graduate from university. In both Britain and the United States many people with expensive liberal-arts degrees are finding it impossible to get decent jobs. In north Africa university graduates are twice as likely to be unemployed as non-graduates.

What matters is not just number of years of education people get, but its content. This means expanding the study of science and technology and closing the gap between the world of education and the world of work—for example by upgrading vocational and technical education and by forging closer relations between companies and schools. Germany’s long-established system of vocational schooling and apprenticeships does just that. Other countries are following suit: South Korea has introduced “meister” schools, Singapore has boosted technical colleges, and Britain is expanding apprenticeships and trying to improve technical education.

Was ist also besser: der European „master“ oder der German „meister“? Die Welt hat vorerst  entschieden: Ein klarer Sieg für das ausgefeilte deutsche berufliche Bildungswesen ist zu vermelden! Das duale System der beruflichen Ausbildung ist ein nachahmenswertes Trumpf-As für den Standort Deutschland. Man braucht in Deutschland und anderswo nicht unbedingt zur Universität zu gehen, um ein glückliches, erfülltes und auch ökonomisch höchst einträgliches Berufsleben zu führen.

Die faktische Gleichwertigkeit einerseits der handwerklich gestützten Ausbildungsberufe, die zum Meister führen,  und andererseits der akademischen Abschlüsse, die zum Master führen,  beweist erneut: Eines schickt sich nicht für alle.

Die bloße Erhöhung der Abiturienten- oder Akademikerquote, wie sie etwa als Zahlenwert in den Lissabon-Zielen zwischen den EU-Partnern vereinbart ist (mindestens 40%!), stellt als solche noch kein sinnvolles Ziel dar.

Einmal mehr zeigt sich, dass die von oben herab steuernde, zentrale Quotenvorgabe der EU eher schadet als nutzt. Oder, wie mein katholischer Vater und mein katholischer Großvater (und wohl auch mein Urgroßvater) schon sagten:

„Prüfet alles, das Beste behaltet!“

Quellen:
Das Wandern
. In: Der junge Musikant. Liederbuch für die Bayerischen Volksschulen. Oberstufe. Bearbeitet von Rudolf Kirmeyer. Bayerischer Schulbuch-Verlag. München 1951, Seite 228-230

Generation jobless. The global rise of youth unemployment. In: The Economist, 27th April 2013. Kindle edition (Lead article).
http://www.economist.com/news/leaders/21576663-number-young-people-out-work-globally-nearly-big-population-united

Foto: Im hessischen Fuldatal. Gegend bei Altmorschen. April 2013

 Posted by at 11:31

Der Euro untergäbt das Vertrauen der Bürger in die EU

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Apr. 262013
 

Die Bürger laufen der EU in Scharen davon. Das finde ich niederschmetternd, wenn auch erklärlich.

Schön, dass ausgerechnet das größte EU-Land, das den Euro nicht eingeführt hat, nämlich Polen, der EU noch am meisten Vertrauen entgegenbringt!  Eine neue Umfrage des Eurobarometers, eines Organs der Europäischen Kommission, zeigt: An der Gemeinschaftswährung Euro haftet kein Vertrauen. Ausgerechnet der Euro gilt bei den EU-Bürgern als entscheidender Quell des Misstrauens.

Ich meine: Man muss den Euro als pragmatische Frage sehen. Am Sinn der EU insgesamt werden kaum Zweifel geäußert – ganz im Gegenteil! Die Euro-Politik sät diese Zweifel an der EU insgesamt doch mehr als alles andere. Gerade diejenigen, die die Einheitswährung als sekundär, als prinzipiell verzichtbar betrachten, könnten schon in wenigen Monaten, etwa bei der Bundestagswahl, als die klügsten Befürworter und Stützer der Europäischen Union dastehen!

 

Einziger Lichtblick für EU-Anhänger dürfte Polen darstellen, da es hier mehr Menschen gibt, die der EU vertrauen, als solche, die ihr misstrauen. Und es geben immer noch 48 Prozent der polnischen Befragten an, der EU zu vertrauen. Allerdings waren das vor fünf Jahren noch 68 Prozent.

via Schuldenkrise : Die Europäer verlieren das Vertrauen in die EU – Nachrichten Politik – Ausland – DIE WELT.

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Feb. 072013
 

2013-02-05-152209-1024×768.jpg „Wir können uns nicht eine Haltung leisten wie die britischen Tories, die eine Renationalisierung anstreben. Für England mag das gehen, aber eine Renationalisierung Deutschlands würden unsere Nachbarn als Abkehr von Europa auffassen. Und dann gilt: Wenn Deutschland anti-europäisch wird, wird der Rest Europas antideutsch.“

In diesen Worten wird gerade der EU-Parlamentarier Alexander Graf Lambsdorff in einem sehr klugen, sehr profunden Interview zitiert. Lesenswert!

http://www.welt.de/politik/deutschland/article113434271/Camerons-Rueckabwicklung-waere-brandgefaehrlich.html

Und genau das ist die historische Lebenslüge der allermeisten deutschen Europa-Politiker. Sie wenden sich gegen eine von Kritikern der gegenwärtigen EU-Politik, von Kritikern der gegenwärtigen EU-Kommission angeblich betriebene, angeblich drohende „Renationalisierung Deutschlands“, „Renationalisierung Großbritanniens“. Sie fassen die EU demnach ganz offen  als Projekt zur Einhegung, letztlich zur Entnationalisierung Deutschlands auf. Die unterschwellige Argumentation ist stets dieselbe: Da Deutschland und nur Deutschland ab dem 28. Juni 1914 so viel Leid, Krieg und politisch motivierten Massenmord über den ganzen Kontinent gebracht habe, müsse man Deutschland endlich entnationalisieren. Nur ein entnationalisiertes Deutschland sei ein gutes Deutschland.

Was haben sie euch Deutschen denn ins Mittagessen gemischt?“ So fragen mich immer wieder entgeistert meine ausländischen Freundinnen und Freunde.

Grotesk verzerrtes Geschichtsbild, das sich da in den Reden der Politiker ausspricht! Ihnen ist zu entgegnen: Nicht Deutschland, sondern der europäische Kolonialismus, der ab den antifranzösischen Kriegen ab 1806 anwachsende europäische Nationalismus, der europäische Kommunismus, der europäische Sozialismus, der europäische Rassismus, der europäische Faschismus, der europäische Nationalsozialismus, der sowjetisch-europäische Bolschewismus, der europäische Antisemitismus haben unendlich viel Leid, Krieg und Massenmord über Europa und die Welt gebracht. Alle europäischen Nationen waren daran beteiligt, alle haben kräftig auf der einen oder anderen Seite und meist auch auf beiden Seiten mitgemischt. Mit dem einen Unterschied, dass 1945 Deutschland und nur Deutschland als Alleinschuldiger für alles Übel, das ab 1914 geschehen war, dastand, während alle Verbündeten Deutschlands, alle einstigen Mitläufer, Kollaborateure und Vasallen Deutschlands wie etwa der Französische Staat, Rumänien, Italien oder Ungarn plötzlich auf Seiten der Sieger standen oder sich – wie etwa Österreich, Finnland, die Slowakei – als Opfer Deutschlands ausgaben.   Die Sowjetunion, alle Verbündeten der Sowjetunion, alle Vasallen der Sowjetunion hingegen nahmen auf der Seite der Sieger Platz. Mit Namen ausgedrückt: Hitler, Pétain, Pater Tiso und Mussolini und alle anderen abgrundtief böse, deshalb: Stalin, Kalinin, Dimitroff und Edvard Benesch e tutti quanti – politische Engel, sehr gute Menschen! Stalin und Lenin und deren Verbündete (und obendrein Mao und Trotzkij) – särr gutt!

Der in Berlin lebende Brite Barnaby Pole drückte das in der letzten Nummer unseres Berliner  Stadtmagazins zitty so aus:

„Hitler und die Nazis sind das perfekte Beispiel für den Kampf Gut gegen Böse.“

Zum Mitschreiben: „Hitler und sein Überfall auf Polen böse.“ Richtig. Das sehe ich auch so. „Lenin und sein Gulag und seine Überfälle auf Nachbarstaaten, Stalin und seine Überfälle auf Nachbarstaaten, auf  Polen und sein Katyn also gut, sehr gut.“ Falsch! Dieser vorherrschenden Einschätzung kann ich mich als überzeugter Europäer nicht anschließen.  Dass die Sowjetunion ab 1921 bis etwa 1980 (Überfall auf das sich islamisierende Afghanistan) eine extrem aggressive, extrem militarisierte Entrechtungs- und Überfallpolitik auf die Nachbarstaaten in Asien und in Osteuropa betrieb, ist außerhalb der Zunft der Osteuropahistoriker unbekannt, wird verleugnet und totgeschwiegen. Ab etwa 1981 jedoch hat die Sowjetunion ihren aggressiven Kurs der militärischen Einhegung der Nachbarstaaten verlassen. Sie konnte ja nicht mehr.

Mit dieser überall aufgetischten Lebenslüge der europäischen Nachkriegsordnung („Deutschland böse, alle Gegner Deutschlands gut, sehr gut“) konnte die kommunistische Sowjetunion ihr riesiges Reich der Unfreiheit über die Ukraine, Polen, Ungarn, Rumänien, Estland, Lettland, Litauen und die Tschechoslowakei hinweg bis ins Herz Europas vorschieben, während der Westen Europas einschließlich der Bundesrepublik Deutschland befreit aufatmete.

Der große Irrtum der Deutschen ist es, wenn die EU als Projekt zur Eindämmung, Einhegung und Entnationalisierung der Deutschen betrieben oder auch nur gedeutet wird. So war es von Schuman, de Gasperi und Adenauer nicht gemeint.

Nirgendwo in den europäischen Bevölkerungen besteht eine ernsthafte Neigung, wesentliche Teile der staatlichen Souveränität an die EU abzutreten – was aber de jure und auch de facto bereits geschehen ist. In keinem anderen Land der Europäischen Union – wirklich in keinem EU-Land – wird die Europäische Union von Vertretern des eigenen politischen Spitzenpersonals als Projekt zur Einhegung oder Entnationalisierung  des eigenen Staates (z.B. Frankreichs, Belgiens, Tschechiens, Polens, Italiens, Estlands …) angesehen oder betrieben. Da steht Deutschland und ein Teil der europäischen Macht- und Führungselite derzeit ganz allein auf weiter Flur. Und wie immer, wenn Deutschland ganz allein auf weiter Flur steht, handelt es sich um einen Irrweg.

Die Entnationalisierung Deutschlands ist ein deutscher Sonderweg, die Selbst-Entnationalisierung Deutschlands ist ein deutscher Irrweg.

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Nationalismus in ganz Europa verbieten? – THINK FIRST! Erschd dengga, dann schwätza bzw. schreiba!

 Europäische Union, Rechtsordnung, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Nationalismus in ganz Europa verbieten? – THINK FIRST! Erschd dengga, dann schwätza bzw. schreiba!
Jan. 242013
 

Der Nationalismus blüht und gedeiht allenthalben und aller Lande außerhalb Deutschlands, siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung heute, S. 5 (linker und rechter katalanischer Nationalismus), S. 6 (linker und rechter tschechischer Nationalismus sowie linker und rechter türkischer Nationalismus). Der Nationalismus – häufig unterfüttert mit antideutschen oder antiamerikanischen Ressentiments – verbindet ganz elementar leider einen großen Teil aller politischen Parteien außerhalb Deutschlands, namentlich in Tschechien, in der Türkei, in Katalonien. Um dies zu begreifen, muss man sich aber erst einmal ernsthaft für unsere befreundeten und verbündeten Partnerländer und ihre Menschen interessieren, sie als einfacher Mensch bereisen und auch deren Sprachen erlernen, z.B. Tschechisch, Polnisch, Türkisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Russisch, Griechisch. Überall denken und sagen die meisten Politiker außerhalb Deutschlands: „Zuerst und zuvörderst kommen die Interessen unseres Vaterlandes, dann die der EU!“ Fazit: Die geistige Auseinandersetzung mit dem gesetzestreuen Nationalismus der Parlamentsparteien und die Überwindung des radikalen, verbrecherischen Nationalismus der Terroristen bleibt eine der großen Herausforderungen für die Europäische Union. Ein Verbot des nationalstaatlichen Denkens, ein Ausschluss aller nationalistischen Politiker hülfe nichts – dann würden sich sich sofort die Parlamentssäle und Kabinettstische leeren und Deutschland mit seinen Ministerpräsidenten von SPD, CDU und neuerdings Grünen stünde weitgehend allein da. Außerdem: Wer jetzt die NPD verbieten will, hätte mit weit größerem Fug und Recht vor 30 Jahren die AL bzw. die Grünen verbieten müssen, denn die Verbindungen der Grünen ins linksterroristische Milieu der RAF hinein waren und sind weit deutlicher, weit klarer als die Verbindungen der NPD ins rechtsterroristische Milieu hinein, wie sie Michael Bertrams, Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs umstandslos nachweisen zu können behauptet (FAZ heute, S. 5).Die Rote Armee Fraktion (RAF) – ihrerseits ebenso mörderisch, menschenverachtend, verlogen wie der Nationalsozialistische Untergrund (NSU), aber weit effizienter, schlagkräftiger aufgestellt und obendrein quantitativ, also nach Menschenopferzahlen, viel verheerender als der NSU – war nachweisbar bestens vernetzt in die DDR-Ämter und DDR-Behörden hinein, sie hatte meiner deutlichen Erinnerung nach massenhaft Unterstützer im gesamten linken zivilgesellschaftlichen Spektrum Westdeutschlands, sie konnte ihr „rotes Gift“ ungehemmt in der Mitte der Gesellschaft verbreiten, unterstützt von namhaften, hochintelligenten, brillanten Dummköpfen und hochmögenden Arbeitern der Stirn und der Faust wie Jean-Paul Sartre, Daniel Cohn-Bendit MdEUP und Hans-Christian Ströbele MdB.

Die RAF hatte nachweisbar einen massiven Unterstützerkreis, der bis in den Deutschen Bundestag hineinreichte bzw. hineinreicht. Die beispiellos menschenverachtenden Verlautbarungen, Flugblätter und Aufrufe der RAF waren das Schlimmste, was ich bis dahin in der Bundesrepublik Deutschland zu lesen bekam. Allenfalls die Verlautbarungen, Videos und Aufrufe des NSU reichen in ihrer Brutalität und Niedertracht in etwa an die RAF heran. Es steht außer Frage: RAF und NSU waren und sind eine Schande für die gesamte Bundesrepublik Deutschland und für die gesamte damalige bzw. ehemalige Deutsche Demokratische Republik. Schlimm ist auch: Die RAF konnte ihr „rotes Gift“ mit größter Leichtigkeit in der Mitte der Geselllschaft verbreiten, wie es heute – in den Worten von Michael Bertrams – die NPD mit ihrem „braunen Gift“ tut.

Man lese doch nur einmal sorgfältigst das 10-Punkte-Programm der NPD von 2010, ehe man einen Verbotsantrag stellt! Vieles darin ist voll anschlussfähig ans Programm der Grünen! Grüne (Tübingens Bürgermeister Boris Palmer etwa) wie NPD (10-Punkte-Programm von 2010) berufen sich ausdrücklich auf die deutsche Romantik, auf den deutschen Idealismus als ihren Ursprung (Johann Gottlieb Fichte, Stuttgarts Georg W.F. Hegel, Tübingens Friedrich Hölderlin) – die grünen Ökosozialisten sind gewissermaßen die Linksromantiker, so wie die braunen Nationalsozialisten der NSDAP und die Nationaldemokraten der NPD  gewissermaßen die Rechtsromantiker in der urdeutschen nationalen Parteienlandschaft sind.Nebenbei und zu guter Letzt: „Rotes Gift“, „braunes Gift“, „Vergiftung (des gesunden Volkskörpers) durch den Keim des Bolschewismus bzw. des Nationalismus“ – das ist reinrassige Sprache der Nationalsozialisten der 30er und 40er jahre bzw. der reinrassigen Kommunisten der 30er und 40er Jahre. Watch your language, Mr. Bertrams! Das ist O-Ton der 30er Jahre! READ STALIN, READ HITLER, READ LENIN, READ ROSENBERG, READ MUSSOLINI! Then: THINK IT OVER, OR, as we say in glückselig Suevia: „Erscht denga, dann schwätza bzw. schreiba!“

Quellenangaben:
„Karlsruhe hat NPD verharmlost“, FAZ, 24.01.2013, S. 5
„Abstimmung über die Freiheit. Regionalparlament will Kataloniens Souveränität“, FAZ, 24.01.2013, S. 6
„Das alte Spiel mit dem tschechischen Nationalismus. Warum der neoliberale Präsident Klaus für den Linkspopulisten Zeman kämpft.“ Von Karl-Peter Schwarz, FAZ, 24.01.2013, S. 6
„Land und Meute. Den Angriff auf die deutschen Soldaten in Iskenderun haben wohl radikale Nationalisten verübt.“ Von Michael Martens. FAZ, 24.01.2013, S. 6

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„Wir Schwaben sind ein stolzes Volk!“ oder: Sollte man Nationalstolz einfach verbieten?

 Deutschstunde, Europäische Union, Konservativ, Leitkulturen, Vergangenheitsunterschlagung, Was ist deutsch?  Kommentare deaktiviert für „Wir Schwaben sind ein stolzes Volk!“ oder: Sollte man Nationalstolz einfach verbieten?
Jan. 092013
 

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2012-12-08-134636.jpgWir Schwaben sind ein stolzes Volk„, so konnte man es in den 80er Jahren im Temeschwarer Heimatblatt der in in Rumänien lebenden Deutschen, der „Donauschwaben“ immer wieder lesen. „Wir lassen uns unseren guten Namen nicht zerstören“.

Die Berliner sollten uns Schwaben dankbar sein!„, so äußerte sich vor wenigen Tagen der Bundesvorsitzende einer politischen Partei, ein stolzer Landwehrkanalschwabe in der BILD gegenüber dem alteingesessenen Pankower Wolfgang Thierse.

Wir sind mit Stolz Deutsche geworden„, berichtet heute auf Seite 3 der Süddeutschen Zeitung die aus Syrien stammende Deutsche Hajat Abdullah.

Jetzt bin ich wieder stolz, Deutscher zu sein„, so Konrad Adenauer im Jahr 1946.

Ich liebe die deutsche Sprache„, schrieb Kübra Gümüsay einmal in der taz.

Für viele unter uns Deutschen, die wir eigentlich kein Verhältnis mehr zur eigenen Nation und zur eigenen Sprache haben oder sie im Euro-Taumel und im Kult der ewig lastenden Schuld eher als etwas zu Überwindendes betrachten, sind derartige Sätze befremdlich.  Für viele Deutsche ist deshalb aber auch der polnische, tschechische, österreichische, Schweizer, französische, der holländische, dänische, der russische und vor allem der türkische Nationalstolz eine fremde Welt. Selbst die schlimmsten Massenverbrechen, die diese Völker begangen, mitbegangen oder begünstigt haben, sind kein Grund, den Stolz auf die eigene Nation in Frage zu stellen. Und obwohl es in allen unseren Nachbarländern einen wieder und wieder bezeugten Nationalstolz und auch einen konsolidierten Nationalismus gibt, lösen bei uns Sätze wie etwa „Ich liebe die deutsche Sprache“, „ich bin stolz, Deutsche geworden zu sein“, „ich freue mich, Deutscher zu sein“ bei vielen Deutschen Widerwillen und Abscheu aus. „Wie kann man denn als Neudeutscher eine private Einbürgerungsfeier machen!“

Gerade in Friedrichshain-Kreuzberg gibt es einen rabiaten, gewalttätigen, schwaben- oder besser deutschenfeindlichen Antinationalismus, der in der Revaler Straße seine 50 m lang lesbare Ausprägung gefunden hat. Träger der antideutschen Hetze sind ausnahmslos Deutsche. Sie würden gerne Deutschland auflösen, Deutsch verbieten, alle Deutschlandfahnen verbrennen und eine Art wabernden Internationalismus, mutmaßlich mit Vorrang des Englischen, der alten Sprache des weltumspannenden Kolonialismus einführen. – Man hört heraus:  „Nach allem, was die Bundesrepublik Deutschland seit 1949 verbrochen hat, muss dieser Staat bekämpft werden.“  „Abschiebung ist Mord!“, konnte man deutlich bei den deutschen Platz-Besetzern am Mariannenplatz lesen. Ein Staat, der Abschiebungen vornimmt und nicht alle Menschen, die sagen: „Hoppla hier bin ich!“  auf seinem Territorium beherbergt und beköstigt, ist also ein „Mörderstaat“.  So lautet ein typischer Spruch dieser antideutschen Bewegung.

Dieser ideologisch verbohrte deutsche Antinationalismus ist etwas zutiefst Deutsches. Er findet sich schon gut belegt seit dem 18. Jahrhundert in Deutschland. Alles, was deutsch ist und deutsch redet, ist in den Augen der deutschen Antinationalisten schlechter als alles andere. Gottfried August Bürger spießt diese Haltung trefflich auf, indem er vorgibt, seine Münchhausen-Abenteuer aus dem Englischen übersetzt zu haben, weil „Deutschland gegen eigene Verdienste ungerecht ist“.

Die reiche Kultur in deutscher Sprache aus den verschiedenen deutschen Landen, ja die deutsche Sprache selbst wird hier in Deutschland meist unter den Teppich gekehrt oder mehr wie ein abgestelltes Möbelstück vergessen. Doch müsssen wir Deutsche unser Ohr für diese fremde Welt des nationalen Denkens öffnen, wenn wir unsere Nachbarvölker verstehen und annehmen wollen.  Einfach alle Nationalisten zu Idioten zu erklären, oder einfach alle national orientierten  Parteien wie etwa den Front National, die Neuen Finnen, die NPD, den Vlaams Belang oder die Jobbik-Partei zu verbieten, löst das Problem nicht. Diese Ausmerzung des nationalen Fühlens oder des nationalistischen Denkens kann man in Deutschland versuchen, in Polen, in Rumänien, in Tschechien, in Ungarn, in Griechenland, in England und vor allem in der Türkei wäre es aussichtslos. Man hätte sofort die Mehrheit der Bevölkerung gegen sich, wenn man das nationale Denken verböte und austriebe. In Polen wird auch da ungerührt von uraltem polnischen Boden gesprochen, wo Jahrhunderte lang nur Sorben und Deutsche lebten. Für die Türken gab’s im Gebiet der heutigen Türkei laut offizieller Lehre eigentlich sowieso immer nur Türken, und Türkisch ist die Muttersprache aller anderen Sprachen. Griechenland, diese stolze Nation, sieht sich von aller Welt verraten und verkauft.

Ich meine: Das nationale Denken wird sich nicht, weder durch deutsches Dekret noch durch EU-Verordnung oder durch Förderung der deutschen antideutschen Volksverhetzer beseitigen lassen. Alle EU-Staaten mit Ausnahme Deutschlands definieren sich in den Köpfen und Herzen der allermeisten Bürger auf absehbare Zeit als Nationalstaaten. Nirgendwo außerhalb Deutschlands sind die Menschen auch nur ansatzweise bereit, den Gedanken der vor allem sprachlich definierten Kulturnation zugunsten einer vorrangigen EU-Identität aufzugeben. Ausschließlich in Deutschland stellen sich Politiker hin und sagen: „Der Europäischen Union geht es schlecht. Wir brauchen deshalb mehr Europäische Union.“ Das wäre im Binnendiskurs aller anderen EU-Länder nahezu undenkbar! Dazu muss man nur die landestypische Presse in einer beliebigen anderen europäischen Sprache lesen oder besser noch einfach mit den Leuten auf der Straße oder im Zug reden.

Dass ausgerechnet die Bundesrepublik Deutschland unter allen EU-Staaten mit großem Abstand das am schwächsten entwickelte, ein von nagenden Selbstzweifeln angekränkeltes  Nationalgefühl hat und deshalb keine Führungsrolle haben will, ist eine, wenn auch keineswegs die wesentliche Ursache dafür, dass in der Europäischen Union so vieles im argen liegt.

Lernen wir von Kübra Gümüsay, von Cem Özdemir, von Konrad Adenauer, von Hajat Abdullah, von den redlichen Donauschwaben, von den kreuzbraven Landwehrkanalschwaben, den Neuen Deutschen und den deutschen Spätaussiedlern, dass wir ein grundsätzliches Ja zu Deutschland sagen dürfen!

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„Co zburzył ogień Twego gniewu, Boże, łaska Twa odbudować pomoże“, oder: Wo sind eigentlich die Sorben von Žarow geblieben?

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Dez. 122012
 

„Ich bin die Tochter einer aus dem Osten vertriebenen polnischen Mutter“ – „Und ich bin der Sohn eines aus dem Osten vertriebenen deutschen Vaters“. So entspann sich kürzlich ein Gespräch unter strahlend blauem Himmel inmitten der fröhlich zwitschernden Tierwelt eines Zoos, das ich standesgemäß mit einigen polnisch vorgetragenen Zitaten der Satire „Der Elefant“ von Sławomir Mrożek würzte:

Kierownik ogrodu zoologicznego okazał się karierowiczem. Zwierzęta traktował tylko jako szczebel do wybicia się. Nie dbał także o należytą rolę swojej placówki w wychowaniu młodzieży.

Dieses Gespräch mit einer Polin kam mir gestern wieder in den Sinn, als ich las, wie Deutschland mal wieder treuherzig und einfältig damit beschäftigt ist nachzuweisen, dass – so wie in allen Parteien von CDU bis SPD/SED, in Gerichten, in Schulkollegien, in Berufsverbänden – eine bedeutende Zahl von Verbandsfunktionären des BdV auch durch frühere Mitgliedschaften belastet war. Bundestagsvizepräsident Thierse beeilt sich mit seiner Forderung nach einer „nachhaltigen und gründlichen Aufarbeitung der eigenen Geschichte“. Zum wievielten Mal wird diese Forderung erhoben? Und was kann eigentlich an substantiellen Erkenntnissen noch daraus hervorgehen?

„Co zburzył ogień Twego gniewu, Boże, łaska Twa odbudować pomoże„. In der alten Stadt Sorau, dem alten Sorbenstädtchen ŽŽarow in der Niederlausitz,  lasen wir diesen Spruch in deutscher Sprache hoch oben in der Wölbung der Pfarrkirche. In alten Postkarten, auf alten Bildern ist die Vergangenheit Soraus noch fassbar, etwa in den deutsch geschriebenen Worten einer Postkarte von 1908: „Mit herzlichen Grüßen von Kirchplatz 7“.

Im offiziellen Kirchenführer der Pfarrkirche, dessen Kosten auch die Europäische Union großzügig mitträgt, findet sich weder im polnischen noch im deutschen Teil ein Verweis auf den alten sorbischen Ortsnamen  ŽŽarow, geschweige denn auf den deutschen Namen Sorau. Żary, der nach dem Krieg und nach den Vertreibungen der Sorben und Deutschen verordnete neue polnische Name, wird ausschließlich verwendetganz im Sinne des Mythos, dass dies uralter polnischer Boden sei.

Es ist hier in Żary genauso wie in Kappadokien in der Türkei, wo ebenfalls nirgendwo an die vertriebenen Griechen erinnert wird und nur noch die griechischen Inschriften in den Felsenkirchen davon erzählen, dass hier im Herzen der heutigen Türkei einst jahrhundertelang blühendes griechisches Leben herrschte.

Ich habe das wieder und wieder bei allen meinen Reisen nach Polen und in die Tschechische Republik erlebt: die ehemals deutsch besiedelten Gebiete erinnern sich offiziell noch fast nicht ihrer früheren Bewohner. Die gewaltsamen Vertreibungen der Sorben, der Juden, der Deutschen, der Polen  kommen nicht vor, sind noch kein Bestandteil des Gedächtnisses. Die jahrhundertealte deutsche zivile Vergangenheit in Städten wie Breslau, Troppau, Sorau, Stettin,  Königsberg, Riga usw. wird in der deutschen, der polnischen und der tschechischen Öffentlichkeit fast  völlig abgedunkelt. In den Städten des ehemaligen deutschen Ostens werden heute von den Nachfolgegesellschaften einige Jahrhunderte deutscher Geschichte nahezu komplett verleugnet. Das entstehende, höchst unvollständige Geschichtsbild ist geprägt von falschem nationalistischem Pathos und Illusionen. Das wird jeder bestätigen, der  imstande ist, Polnisch und Tschechisch zu lesen und zu verstehen. Dass hier in den Städten der Niederlausitz bis 1946 einmal Sorben und Deutsche lebten, dass die Mehrheit der Bevölkerung bis 1946 Sorben und Deutsche waren und fast ausschließlich Deutsch sprachen, wird versteckt und verheimlicht. Von den millionenfachen Ausbürgerungen und den Vertreibungen der Bevölkerung in den Jahren 1939 – 1946 wird nicht geredet, sehr viel aber von der angeblichen „Wiedergewinnung des polnischen Bodens“, der vorübergehend, gewissermaßen irrtümlich, „eingedeutscht“ worden sei.

Ich habe mich oft gefragt, warum gerade die deutsche Gesellschaft so unempfindlich ist gegenüber dem Leid, das den polnischen, deutschen, sorbischen Vertriebenen in den Jahren 1939-1946 widerfahren ist, unempfindlich mindestens soweit es die Deutschen betrifft. Warum die Deutschen so gar nichts mehr wissen wollen von den städtischen Zentren in Schlesien, in der Lausitz, in Böhmen und Mähren, die jahrhundertelang deutsch sprachen, deutsch geprägt waren? Wohl etwa deshalb, weil diese heute so lästigen Vertriebenen fast ausschließlich Kinder, Alte und Frauen waren und der ständigen Revanchismus-Beschuldigungen und der wütenden, oft wahnhaft verzerrten Reaktionen der deutschen Öffentlichkeit überdrüssig sind?

Die heute noch lebenden Vertriebenen, diese damals minderjährigen Kinder, die heute noch lebenden Frauen wollen nichts anderes als in ihren Gefühlen und Erfahrungen angenommen werden. Genau das fehlt, genau das wird ihnen wieder und wieder von maßgeblichen Politikern der deutschen und der polnischen Seite wie etwa Wolfgang Thierse verweigert. Es herrscht ein unausgesprochenes Schweigegelöbnis: Du sollst nicht fragen. Du sollst nicht wissen. DU SOLLST NICHT MITTRAUERN.

Diese nahezu komplette Auslöschung der Erinnerung an die frühere deutsche und sorbische und jüdische Bevölkerung  im heutigen Westpolen und auch in Tschechien beginnt schon bei der fast völligen Auslöschung der alten sorbischen, schlesischen und deutschen Ortsnamen.

Es ist insgesamt ein trauriger Befund. Der im Jahr 2004 verstorbene Pfarrer Tadeusz Kleszcz, der den Wiederaufbau der Sorauer Pfarrkirche – freilich ohne Wiederherstellung der originalen deutschen Inschriften – bewirkte, findet einfach keine Ruhe, wie uns die heutigen Bewohner von Żary raunend erzählen: sie berichten, dass er des Nachts umgehe, als wollte er eine Botschaft verkünden.

Ich meine: Solange in Deutschland, Polen und Tschechien eine derartig lückenhafte Erinnerungsunkultur gepflegt wird, kann der Pfarrer Kleszcz keine Ruhe finden. Und darauf, auf dieser Unkultur des Lückengedächtnisses, kann auch keine von den Herzen getragene Europäische Union erwachsen. Der Euro wird es auch nicht schaffen, die Europäer zusammenzuführen. Polen leistet doch ohnehin Hervorragendes in seinem marktwirtschaftlichen Wiederaufbau, der innerhalb des Euro sicher nicht möglich gewesen wäre.

Die echte Versöhnung zwischen Völkern kann nur über das freie, erlösende Wort erfolgen. Sie setzt Ehrlichkeit und Eingeständnis nicht nur der von Deutschen verübten Verbrechen, sondern auch der von anderen Staaten und anderen Völkern verübten und gedeckten Verbrechen voraus. Und dazu gehören die grausamen Vertreibungen von etwa 12 Millionen Deutschen nach dem Ende des 2. Weltkrieges.

Erst kürzlich brachte der amerikanische Historiker R. M. Douglas das Thema in seinem Buch „Orderly and Humane“ wieder auf die Tagesordnung, das Thema der Vertreibungen der Deutschen und Ungarn nach dem 2. Weltkrieg, das er das am besten versteckte Geheimnis der Geschichte des 20. Jahrhunderts nannte.

Wir Deutschen müssen einsehen lernen, dass wir nicht die absolut zu setzenden Urheber aller Verbrechen in der qualvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts sind, wie es leider von Deutschen selbst, darunter dem Bundestagsvizepräsidenten  Thierse, allzu oft stillschweigend unterstellt wird.  Die Deutschen waren und sind  nicht allein die erste Ursache des Bösen. Die Geschichte ist ein Elephant! Sie vergisst nicht so leicht, auch wenn betrügerische Zoodirektoren wie der Kierownik  in der Satire von Sławomir Mrożek alles tun, um den Zuschauern und der unreifen Jugend etwas vorzugaukeln. Aber dieser Zoodirektor benutzt die Tiere, das Unfertige, Ungebärdige, Umtriebige der Erinnerung nur, um sich selbst seine Karriereaussichten zu verbessern!

Wie lautet nun der verlorene, ursprünglich  deutsche Spruch im Gewölbebogen des Lettners der Pfarrkirche von Sorau?

Wie Dein Zornfeur  reißet nieder
Deine Gnade bauet wieder
was gebauet/walte drüber

2. Maii: 1684

Literatur:

Stanisław Kowalski: Kościół Farny w Żarach, Żary 2007, hier bsd. S. 23 und 29
Sławomir Mrożek: Słoń. In: Norbert Damerau: Langenscheidts Praktisches Lehrbuch Polnisch, Berlin und München 1967, S. 134ff. [=Lektionen 26-30]

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Okt. 122012
 

2012-08-26-154831.jpg

Große Freude und Genugtuung empfinde ich bei der Erklärung des Nobelkomitees, mit der es seine Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU begründet.

Es lobt an der EU die machtvolle Friedens- und Versöhnungsbotschaft, stützt den Einsatz für Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Beilegung ethnischer Konflikte. DAS hält die EU zusammen. Und das ist in der Tat  eine beispiellose Erfolgsgeschichte.

Das Wort „Wohlstand“ kommt in der Erklärung des Komitees gar nicht vor! Die Europäische Union ist ja auch wirklich keine Veranstaltung zur Mehrung des Reichtums. Sie dient nicht der Umverteilung von Hab und Gut. Das geht mir runter wie Öl! Endlich einmal erkennt eine politische Körperschaft, dass der gesamte Bereich der Wirtschaft, des Handels und der Währungsunion ausschließlich in dienender, in nachrangiger Funktion zu sehen ist! Die Europäische Union hängt doch nicht am Geld! Dass dies noch jemand so deutlich ausspricht, war ich mir gar nicht mehr vermutend!

Endlich! Mir kamen spontan die Worte Paul Gerhardts aus seinem Danklied für die Verkündigung des Friedens in den Sinn:

Gott Lob! Nun ist erschollen
Das edle Fried- und Freudenwort,
Daß nunmehr ruhen sollen
Die Spieß und Schwerter und ihr Mord.

Wer dich betrübt und kränket,
Der drückt sich selbst den Pfeil
Des Herzleids in das Herze
Und löscht aus Unverstand
Die gülden Freudenkerze
Mit seiner eignen Hand.

Gelobt sei das Loben!

Bild: Ölweiden – uralte Symbole des Friedens vor dem Jüdischen Museum in Kreuzberg.

http://www.spiegel.de/politik/ausland/nobelpreis-fuer-eu-erklaerung-des-komitees-im-wortlaut-a-860952.html

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