Bu memleket bizim, deshalb: Gefühle der Ausgrenzung durchbrechen! Einstellung ändern!

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Juli 212012
 

Erstaunlich und löblich, dass einzelne Politiker anfangen zuzugestehen, dass mehr Geld nicht bei der Lösung sozialer Probleme hilft. Berlins Sozialsenatorin Kolat gehört zu diesen Politikern.  Eine bis zum Abwinken immer wieder vorgetragene Forderung war ja, dass man an sozialen Brennpunkten kleinere Klassen bilden müsse, um wirklich die schwächeren Schüler besser zu fördern. Ich selbst kenne mehrere vorbildlich, ja überragend ausgestattete Grundschulen an sozialen Brennpunkten. Und die Neuköllner Rütli-Schule toppt sie alle! Sie ist das mit einem Geld-Füllhorn übergossene Matterhorn in der Berliner Schullandschaft!

Und was hat die Senkung der Klassengrößen gebracht?

Fazit der Senatorin laut Interview in der Welt vom 15.07.2012:

„Wir haben bereits die Schülerfrequenz in Klassen mit hohem Migrantenanteil gesenkt und mehr Lehrerinnen und Lehrer eingestellt. Das hat aber nicht zu besseren Bildungsergebnissen geführt.“

 http://www.welt.de/regionales/berlin/article108298405/Gefuehl-der-Ausgrenzung-durchbrechen.html

Beachtlich, dass ein Politiker zugibt, dass mehr Geld, mehr Ressourcen nicht helfen! Im Stadtstaat Berlin ist eigentlich zu viel öffentliches Geld im Umlauf, die armen Benachteiligten, denen es materiell insgesamt sehr gut geht, ertrinken in einem Förderfüllhorn! Denn auch die Politik traute ihnen kaum etwas zu. Und so zahlten die Politiker aus dem verschwenderischen Füllhorn der Ressourcen mal hier, mal da. Flüssiges Geld war in Berlin immer viel zu viel da.

Ein entscheidendes Problem der sogenannten „Migranten“ hat die Politik übrigens selbst erzeugt: Es gibt keinen Grund, sich zugunsten eines guten Bildungsabschlusses anzustrengen, da die sozialen Hilfesysteme auf Lebenszeit und über Generationen hin so üppig sind, dass keinerlei Notwendigkeit besteht, durch eigene Arbeit daraus herauszutreten. Im Gegenteil! Man lebt in Berlin mit Sozialhilfe deutlich besser, deutlich gemütlicher, deutlich sicherer als beispielsweise in der Türkei mit dem gesetzlichen Mindestlohn oder gar ohne jede Arbeit in der Türkei. Denn eine umfassende Sozialhilfe in unserem Sinne gibt es in der Türkei nicht. Es wird vielmehr von jedem Türken in der Türkei erwartet, dass er sich anstrengt, dass er oder sie fleißig ist, für die eigenen Kinder und die eigenen Eltern sorgt, sich zugunsten der Familie abrackert, der Familie Geld gibt und nicht nur an sich selber denkt.

Was liegt also näher, als seinen Lebensmittelpunkt samt Familie in die dichtgewebten Netze der fälschlich „soziale Brennpunkte“ genannten Quartiere zu verlegen? Hier bekommt man für sich und seine Familie auf Dauer alles, was man zum Leben braucht. Der deutsche Staat garantiert eine unerreicht große Stabilität in der Versorgung.

Und deswegen ist es auch falsch, immer noch von Migranten zu sprechen. Der Ausdruck „Migrant“ oder „Gastarbeiter“ traf wohl bis etwa 1973 zu, als ein ständiges Kommen und Gehen je nach Verfügbarkeit von Arbeit und Einkommen herrschte. Bis 1973 „zog man im wesentlichen  der Arbeit hinterher“. Erst mit dem Anwerbestopp, den die Willy-Brandt-Regierung verhängte, wurde für alle türkischen „Gastarbeiter“ der Druck aufgebaut, sich ganz für die Übersiedlung nach Deutschland zu entscheiden.

Ich meine: Bei Familien, die meist seit mehreren Generationen in Deutschland ansässig sind, sollte man nicht von „Menschen mit Migrationshintergrund“ oder gar von „Migranten“ sprechen. Ich spreche vielmehr gerne von oder noch lieber mit den „Türken“, den „Kurden“, den „Russen“, den „Arabern“, den „Pakistanis“, den „Iranern“, den „Rumänen“ – wenn sie es denn so wollen. Und wenn sie sich als Deutsche mit türkischer, arabischer … Vergangenheit oder arabischer, türkischer…  Herkunft sehen, dann ist mir das sehr recht. Und wenn sie sich als „Türken in Deutschland“ sehen, dann ist es mir ebenfalls recht.

Wir Deutschen sind, ja Deutschland ist ein offenes, gastfreundliches Land. Jeder, der sich anstrengt, kann seine Chance ergreifen. Den sogenannten Migranten, die in Wahrheit längst zu Deutschland gehören, stehen hier wirklich alle Türen offen.

Ich traue es ihnen zu, sich durch Lernen, Fleiß, Arbeit etwas aufzubauen.  Die hohen Sozialhilfe- und Arbeitslosenquoten unter den hier geborenen „Türken“ und den hier geborenen „Arabern“ sind allesamt keine Naturgesetzlichkeit, sondern vermeidbares Produkt einer vermeidbaren Fehlsteuerung in den Auswanderungs-, Zuwanderungs- und Sozialsystemen der beteiligten Länder.

Das Gefühl der daraus resultierenden Ausgrenzung kann jeder durchbrechen. Auch wir später in Berlin Zugezogenen, denen fälschlich kein Migrationshintergrund zuerkannt wird, sollten uns öffnen, sollten ein paar Brocken Türkisch, Russisch, Arabisch zu radebrechen anfangen. Warum nicht? Das ist doch unser Land – bu memleket bizim!

Die Einstellung in den Herzen der „Wanderer“ und der „Einheimischen“ muss sich ändern! Dann wird sich auch die Einstellungspraxis in den  Betrieben ändern. Da bin ich sicher.

Ganz entscheidend ist meiner Ansicht nach die Notwendigkeit oder auch der Zwang, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie selbst zu verdienen. Diese Erwartung muss von der Gesellschaft den jungen Menschen wirklich mitgegeben werden. In den – goldenen – Worten der Senatorin Kolat:

„Diese Resignation und das Gefühl der Ausgegrenztheit müssen wir durchbrechen. Da muss in der gesamten Gesellschaft ein Umdenken stattfinden, damit sie signalisiert, wir brauchen euch, wir wollen auf euch aufbauen.

Auch wenn sie Schwierigkeiten haben, dürfen wir sie nicht abschreiben. Wir müssen ihnen auch ganz klar sagen, dass sie sich anstrengen müssen. Und wenn sie sich anstrengen, bekommen sie eine Perspektive.“ Ende des Zitats.

„Wovon willst Du nach der Schule leben? Wie willst du dich und deine Familie ernähren?“ Diese Fragen müssen wir an die Kinder und mehr noch an die Jugendlichen richten!

Öffnet eure Herzen!

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Juli 172012
 

Zum Gelde drängt, am Gelde hängt doch alles bei uns! Rund 115 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr würde die Einhaltung der neuen Hygienestandards an Berliner Schulen kosten, also die tägliche Reinigung der Böden und Toiletten durch den eifrig den Bürgern hinterherwischenden Berliner Senat! Ein Ding der Unmöglichkeit! Alle drängen und bedrängen die Geldkoffer des Staates, die Politik gebärdet sich im Kleinen wie im Großen fast nur noch als Streit ums Geld. Das Geld ist offenkundig die Grundlage und das entscheidende Maß der Politik, dieser Grundlage dient alles andere.

Dabei ist eigentlich genug Geld im System, es fehlt nur an den Regeln, wie heute recht zutreffend Bundestagspräsident Lammert seufzte.

Da flüchte du, im reinen Osten Patriarchenluft zu kosten! Zur Erholung von diesen allzu europäischen Geld-Tönen schlage ich gerne die alten Bücher des Ostens, Homer, Herodot, Aischylos etwa  auf. – Heute wiederum las und rezitierte ich das berühmte Gedicht Einladung (Davet) von Nazim Hikmet. Was für andere Töne! Kraftvoll, leidenschaftlich, – dieser Mann wird noch getragen von einem echten republikanischen Ethos! Die Freiheit steht im Mittelpunkt seines Einsatzes, auf dieser ursprünglichen Einsicht in Freiheit und Gleichheit aller Menschen gründet sein Vertrauen in das gute, das gelingende Wort!

Bu memleket bizim – das ist unser Land.
Bu davet bizim – das ist unsere Einladung.
Bu hasret bizim – das ist unsere Sehnsucht.

In den Zeilen Hikmets wird für mich erfahrbar, wie kostbar die Freiheit – selbstverständlich auch die politische Freiheit – ist. Gelingende Politik stiftet Gemeinschaft im Wort: unser Land.

Gelingende Politik schließt andere Menschen, andere Völker ein statt aus: unsere Einladung.

Wie schwer ist es, sich im Gezänk über Geld dieses Wertes bewusst zu bleiben!

Gelingende Politik strebt erlebten Wünschen nach: unsere Sehnsucht.

Gelingende Politik, gelingendes Zusammenleben beruht darauf, dass alle sich dieser Zugehörigkeit, diesem Streben nach Freiheit und Brüderlichkeit verpflichtet wissen.

Hört selbst:

 Nâzım Hikmet:

DAVET
Dörtnala gelip Uzak Asya’dan
Akdeniz’e bir kısrak başı gibi uzanan
bu memleket bizim.

Bilekler kan içinde, dişler kenetli, ayaklar çıplak
ve ipek bir halıya benzeyen toprak,
bu cehennem, bu cennet bizim.

Kapansın el kapıları, bir daha açılmasın,
yok edin insanın insana kulluğunu,
bu davet bizim.

Yaşamak bir ağaç gibi tek ve hür
ve bir orman gibi kardeşçesine,
bu hasret bizim.

Quelle:

Türkçe Okuma Kitabı. Erste türkische Lesestücke. Herausgegeben von Celal Özcan und Rita Seuß. Illustrationen von Rita Seeberg. Deutscher Taschenbuch Verlag, 2. Auflage, München 2011 [=dtv 9482], S. 76

Ich freue mich auch auf folgende öffentliche Veranstaltung:

„Wir wollen uns an die Abmachungen halten. Das ist das Fundament, auf dem Europa nur gedeihen kann.“  So wird Bundeskanzlerin Merkel 16.06.2012 in der ARD-Tagesschau zitiert.

Abmachungen einhalten, Wahrhaftigkeit, Redlichkeit des Wortes – ist dies das Fundament, auf dem Europa neu gedeihen kann? An diesem Abend wollen wir ein politisches Gedicht über die Freiheit von Nazim Hikmet und eines von Friedrich Hölderlin kennen und lieben lernen.

Zum Mitmachen, Mitsprechen  und Mitwachsen für alle. Anschließend politische Diskussion.

Treffpunkt:  Donnerstag, 19. Juli 2012, 20.00 Uhr, Park am Gleisdreieck, Kreuzberg-West.

Neuer Kiosk am Park-Eingang (von der Hornstraße her)

In Deutsch und Türkisch

Bild: Wurzelscheibe eines Baumes vom Märchenpfad in Bischofswiesen, Berchtesgadener Land

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Was ist besser: direkte Geldzahlungen oder Sachleistungen?

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Juni 202012
 

Soll man den Familien mit Kindern das Geld vertrauensvoll direkt in die Hand drücken, vertrauensvoll direkt Geld aufs Konto überweisen – oder ihnen stattdessen Sachleistungen wie etwa Kita-Betreuung, Bildungsgutscheine, Förderung in Familienzentren, Teilnahme an Sprachkursen und Ausflugsfahrten usw. anbieten?

Heute wie damals eine erregte Debatte, gerade im Zusammenhang mit dem Betreuungsgeld! „Wir müssen den Eltern vertrauen!“, sagen die einen. „Wir müssen vor allem in Sachleistungen, in Bildung und Betreuung investieren!“, sagen die anderen. Wer hat recht?

Gut erinnere ich mich noch an erregte Debatten in den Jahren 1990/1991. Viele Menschen guten Willens, vor allem die Grünen, empörten sich damals, dass an Asylbewerber Gutscheine statt Geld ausgegeben wurden. Das sei diskriminierend. Nicht Unterkunft, Essen, Schulbildung und medizinische Versorgung brauchten die Flüchtlinge, sondern bares Geld, um endlich eigenständig zu wirtschaften.

So kamen damals etwa 200.000 Menschen als Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Durchgangsland Libanon zu uns, viele auch nach Neukölln und  nach Kreuzberg, etwa nach Kreuzberg-West. Es waren die berühmten „Libanesen“. Dies war die Gründungsgemeinde unserer seither auf ein Vielfaches angewachsenen neuen arabischen, kurdischen und palästinensischen Gemeinden. Ein nachträgliches „Willkommen!“ rufe ich ihnen zu.

Sagt an: Haben euch die Gutscheine geschadet? Fühltet ihr euch diskriminiert, als man euch kein Bargeld in die Hand drückte, sondern euch nur Obdach, Kleidung, Essen, Schule für die Kinder und medizinische Versorgung gratis gewährte?

Ich meine: nein, es war nicht diskriminierend. Heute empfangen die damaligen Bürgerkriegsflüchtlinge selbstverständlich keine Gutscheine für Nahrung und Lebensunterhalt, sondern leben überwiegend als Sozialhilfeempfänger in Wohnungen, erhalten vom Staat bares Geld zum menschenwürdigen Leben, haben zu großen Teilen die Staatsbürgerschaft erhalten und werden nicht mehr mit Gutscheinen benachteiligt. Zurückgegangen ins Herkunftsland ist nach dem Ende des Kriegs im Mai 1991 fast niemand von den Flüchtlingen. Doch werden gern Bräute zum Heiraten aus der früheren Heimat nachgeholt.

Das eigenständige, selbstverantwortliche Wirtschaften mit dem in bar bar ausgezahlten Geld des Staates ist längst Realität geworden. Das bedeutet also: Statt das Geld nur für Lebensmittel auszugeben, können die Eltern das Geld für Lesestoff, für Vorlesebücher, für Sportvereine und für Sprachunterricht ausgeben. So wollten es die Benachteiligtenanwälte damals.  Und so ist es gekommen.

Leidenschaftlich fordert auch heute wieder das Deutsche Institut für Menschenrechte, den Flüchtlingen keine Gutscheine, sondern mehr bares Geld auszuzahlen. Denn nur so könnten sie das Geld beispielsweise für Lesestoff für die Kinder statt für Lebensmittel ausgeben. Zitat aus dem Tagesspiegel von heute:

„Das Menschenrechtsinstitut kritisiert neben der geringen Höhe der Zuwendungen – die nicht nur für Asylbewerber, sondern auch für Bürgerkriegsflüchtlinge und in Deutschland nur „Geduldete“ gelten – auch das sogenannte „Sachleistungsprinzip“ als Verstoß gegen Menschenrechte. Das AsylbLG schreibt vor, vorrangig kein Geld, sondern etwa Lebensmittelpakete an die Flüchtlinge zu geben. Damit verhindere es aber, dass sie an Lebensmitteln sparten, um dafür zum Beispiel ihre Kinder mit Lesestoff zu versorgen.“

Die vielen Lesebücher, die man mit dem bar ausgezahlten staatlichen Geld kaufen kann, sprechen nach dem Willen des Instituts für Menschenrechte eindeutig dafür, den Hilfesuchenden nicht Unterkunft, Essen, Sicherheit und medizinische Betreuung anzubieten, sondern bares Geld.

http://www.tagesspiegel.de/politik/fluechtlinge-in-deutschland-selbst-zum-leben-zu-wenig/6772480.html

Ich meine: Das bare Geld ist und bleibt ein Magnet allerersten Ranges für Menschen aus wirtschaftlich schwachen Gebieten, bei uns Wohlstand und Versorgungssicherheit zu suchen.

Allerdings zeugen die Ratschläge des Instituts für Menschenrechte von einer großen, ja fast grotesk zu nennenden Realitätsferne. Wieso sollten Menschen ohne jede deutsche Sprachkenntnisse ihr Geld in Vorlesebüchern für Kinder anlegen? Sie tun es nicht.

Ich sage: Nein. Die Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge brauchen vorrangig kein bares Geld, sondern vorrangig Unterkunft, Kleidung, Essen, medizinische Versorgung, Integrations- und Sprachkurse. Sie brauchen vor allem Sachleistungen. Geldleistungen des Staates in bar zur komplett eigenverantwortlichen Bestreitung des Lebensunterhaltes sind ein Übel, sind kontraproduktiv.

Vor allem aber müssten die Asylbewerber  vom ersten Tag an arbeiten müssen und arbeiten dürfen, ihr Bargeld müssten und sollten sie ausschließlich durch legale Arbeit verdienen dürfen, etwa durch 1-Euro-Jobs.

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Stammkunden erziehen, Stammkunden binden, Stammkunden halten! Die Erfolgsgeschichte der Berliner Job-Center

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Mai 022012
 

Was ist bloß los mit der schreibenden Zunft? Ein ganzer Artikel über die mühselige Existenz der Berliner Job-Center-Kunden, ohne dass auch nur ein einziges Mal das Wort „Armut“ fiele? Das gab’s noch nicht! Lebe ich denn nicht in Kreuzberg, einem der ärmsten Viertel in der Armutshauptstadt der Bundesrepublik, wie ein Blick auf den Sozialatlas lehrt?

Armutshauptstadt Berlin, Transferhauptstadt, Umverteilungsmetropole Berlin, was stimmt?

Autor Hans Evert bringt uns auf Seite 3 der heutigen Berliner Morgenpost der Wahrheit schon näher. Anhand einiger weniger Fallbeispiele mit geänderten Namen schildert er das unendliche Karussell an Maßnahmen, Bewilligungen, Bescheiden, Einsprüchen, Bedürftigkeitsprüfungen, Einzelfallgerechtigkeitserwägungen, in denen die jahrzehntelange Karriere der Stammkunden der Job-Center heutzutage besteht. Derartige Fallgeschichten sind repräsentativ, zumal für die jungen Männer unter 35 mit Schulabschluss und oft gar mit Berufsausbildung. Ich kenne Dutzende solcher Geschichten. Entscheidend für die Verstetigung der Hilfekarrieren ist stets, dass der Bedürftige glaubhaft machen kann und ab einem gewissen Punkt auch selbst darauf vertraut, dass er nicht selbst seinen Lebensunterhalt bestreiten kann.

So erzieht sich das Job-Center Stammkunden, die Beschäftigung von Hunderten neuer Stammkundenberater im Job-Center wird dauerhaft gesichert.

Wir alle wissen: Eben dieser „Bedürftige“, also der gesunde, arbeitsfähige Mann unter 50,  wird sofort an der nächsten Ecke genug Arbeitsangebote finden, mit denen er seine Sozialhilfe verdoppeln oder verdreifachen kann. Ich bin überzeugt: Jeder gesunde junge Mann  könnte von heute auf morgen in Berlin ohne jede staatliche Unterstützung seinen Lebensunterhalt bestreiten.

Und genau das wäre auch das beste für ihn: Keinerlei staatliche Unterstützung nach Ende der Ausbildung für junge, ledige, kinderlose und gesunde Menschen. Es würde sich wie ein Lauffeuer herumsprechen: Mensch, in Deutschland muss man nach Ende der Ausbildung neuerdings arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten – unerhört! Mensch, der deutsche Staat kuckt neuerdings genauer hin.

Letzter überraschender Kunstgriff, den ich vor wenigen Wochen auf der Straße lernte: die Anmeldung von Hunderten und Aberhunderten von Lohnaufstockern in kleinen selbständigen, inhabergeführten Betrieben, zum Beispiel in Spielcasinos, gastronomischen Einrichtungen, Ramsch- oder Handyläden, dem Rückgrat der New Economy in Neukölln und Kreuzberg. Die Papiere sind in Ordnung. Der Staat lässt sich nicht lumpen, legt großzügig etwas auf die ausbeuterischen Hungerlöhne drauf.  Nach wenigen Jahren folgt planmäßig der Konkurs und die Auflösung des kleinen Unternehmens mit den vielen Lohnaufstockern und die gezielte Entlassung der Angestellten in die Arbeitslosigkeit. Durch die wenige Jahre dauernde Beschäftigung als geringverdienender Angestellter hat der Lohnaufstocker planmäßig seinen Anspruch auf jahrzehntelange Sozialhilfe und andere Unterstützungsleistungen für sich und seine Angehörigen erworben. Auch die steigenden Heizkosten werden gern vom Berliner Senat in alter Spendierlaune übernommen. Das Ganze ist vollkommen legal. Es funktioniert, denn die betriebswirtschaftliche Plausibilität derartiger Beschäftigungsverhältnisse wird durch das Amt nicht überprüft. Die Integration ins deutsche Sozialsystem ist perfekt, hurra.

Die heutige Sozialgesetzgebung mit ihrem Gestrüpp an Anspruchsarten, ihren endlosen Bedürftigkeitsprüfungen, ihren Umschulungs- und Eingliederungsmaßnahmen ist eine Einladung zur Verantwortungslosigkeit und zur Schwarzarbeit. Sie entmündigt unsere armen Bedürftigen.

Ich meine: Ein gesunder lediger junger Mann mit Schulabschluss und Berufsausbildung braucht keine Hilfe vom „Job-Center“. Es ist schlicht abenteuerlich, was hier an staatlicher Verwöhnung und Verhätschelung abgeht. Ich kann den Damen und Herren Sozialpolitikern, insbesondere den Bundestagsabgeordneten nur empfehlen, Bekanntschaften mit den Armen und Bedürftigen vom unteren Ende der Erfolgsleiter  zu schließen und sich von ihnen eine Einführung ins deutsche Sozialhilfewesen gewähren zu lassen – oder am besten gleich in ein Armutsviertel zu ziehen. Lasst euch doch die Geschichten erzählen!

Bilanz: Der Stammkundenstatus beim Job-Center ist für die jungen Menschen eine willkommene Ressource, um darauf aufbauend einen bescheidenen, aber durchaus hinreichenden Wohlstand zu begründen.

Nächste Schritte: Die dringend gebotene Reform der deutschen Sozialgesetzgebung muss vom Prinzip der Einzelfallgerechtigkeit wegkommen und sich hinbewegen auf Ermunterung, Ertüchtigung, Entwöhnung vom Mündel-Status. Viele Hilfearten nach dem SGB müssen vereinfacht, viele müssen ersatzlos gestrichen werden. Andernfalls geht die Staatsausplünderung und die Lähmung der Menschen weiter.

http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article106241817/Fuer-viele-Berliner-ist-das-Jobcenter-ein-ewiges-Sozialamt.html

 Posted by at 12:06

ἄργυρος κακὸν νόμισμ᾽ ἔβλαστε, oder: vom Europa des Geldes zum Europa des freien Wortes

 Antike, Europäische Union, Geld, Gemeinschaft im Wort, Sprachenvielfalt, Was ist europäisch?  Kommentare deaktiviert für ἄργυρος κακὸν νόμισμ᾽ ἔβλαστε, oder: vom Europa des Geldes zum Europa des freien Wortes
März 142012
 

Immer wieder tauche ich hinab in die alte, griechisch sprechende Welt, die Europa zu dem werden ließ, was es heute zu werden verspricht. In den attischen Tragödien des 5. und 4.  Jahrhunderts vor Christus werden zahllose Fragen erörtert, die uns bis zum heutigen Tage beschäftigen. Etwa die folgende:

Was hält Europa und die Europäische Union zusammen?

„Die Wirtschaft!“ werden die meisten sagen. „Der freie Austausch an Waren und Dienstleistungen sichert den Zusammenhalt!“.

„Der acquis communautaire!“ schallt es aus Brüssel zurück. „Die etwa 100.000 Seiten gemeinsamer Rechtstexte über Ansprüche und Rechte der Mitgliedsstaaten sind eine unlösbare institutionelle Klammer!“

„Der Euro!“, werden wieder andere einwerfen. „Nur durch die Gemeinschaftswährung werden die Schicksale der Staaten so unlösbar verknüpft, dass Wohlstand, Wachstum und soziale Gerechtigkeit gesichert sind.“

Kaum ein Zweifel darf bestehen, dass die Europäische Union und überhaupt europäische Politik auf der Wirtschaft und auf dem Geld begründet ist. Das Geld und die Wirtschaft sind – nach der aktuellen Politik zu urteilen – die eigentlichen Fundamente und der Maßstab der Europäischen Union.

„Lernt doch erst mal griechische Texte lesen“, begehre ich auf, wenn wieder einmal derartige Reden geführt werden. „Habt ihr nicht die Antigone des Sophokles gelesen?“

Erstaunlich etwa, was König Kreon in der Antigone des Sophokles über das Geld sagt:

οὐδὲν γὰρ ἀνθρώποισιν οἷον ἄργυρος

κακὸν νόμισμ᾽ ἔβλαστε. τοῦτο καὶ πόλεις

πορθεῖ, τόδ᾽ ἄνδρας ἐξανίστησιν δόμων·

τόδ᾽ ἐκδιδάσκει καὶ παραλλάσσει φρένας

χρηστὰς πρὸς αἰσχρὰ πράγματ᾽ ἵστασθαι βροτῶν·

Meine deutende Übersetzung in modernes Deutsch lautet:

„Denn keine so schlimme Gesetzesgrundlage erwuchs für Menschen wie das Geld. Es zerstört sogar Städte, es vertreibt Männer aus den Häusern, Geld prägt Mentalitäten um, so dass die an sich richtige Gesinnung zum Niederträchtigen gewendet wird.“

In diesen Versen (295-299), die wohl um das Jahr 442 vor Christus entstanden,  schreibt Kreon dem Geld eine unterminierende, gemeinschaftsszerstörende Kraft zu. Keine schlechtere Grundlage für Gesetze als das Geld gibt es. Fremdes Geld zerstört den Zusammenhalt der Polis, Geldgier führt zu Hader, Zank und Zwietracht in der Stadt, die Gier nach Silber brachte die griechischen Städte gegeneinander auf.
Ich meine: Der Ansatz, die Europäische Union vornehmlich auf dem Geld begründen zu wollen, hat uns alle in die Irre geführt.

Die Europäische Union muss stattdessen auf anderen, auf kulturellen Werten, vor allem auf dem freien Wort stets von neuem begründet werden!

Weit geschmeidiger, weit moderner als der Kreon des 5. Jahrhunderts v. Chr. drückte dies kürzlich ein Schriftsteller, der unter uns lebende Petros Markaris in folgenden Worten aus:

Wir haben mit der Einführung des Euro diese Werte vernachlässigt und Europa mit dem Euro identifiziert. Und jetzt, mit der Rettungsaktion für den Euro, werfen wir die gemeinsamen Werte, die Diversität der europäischen Geschichte, die verschiedenen Kulturen und Traditionen als Ballast über Bord. Europa hat viel in die Wirtschaft investiert, aber zu wenig in die Kultur und die gemeinsamen Werte.

Quellen:

Sophoclis fabulae. Ed. A.C. Pearson, Oxonii 1975, Ant. vv.  295-300

Süddeutsche Zeitung, 26.01.2012:

http://www.sueddeutsche.de/politik/reise-des-schriftstellers-petros-markaris-die-krise-hat-das-letzte-wort-1.1267452 

The Little Sailing: Ancient Greek Texts

 Posted by at 15:34

Dauerkrank wegen zu geringer Bezahlung? Wegen fehlender Verbeamtung?

 Geld, Gute Grundschulen, Kinder, Person, Sündenböcke  Kommentare deaktiviert für Dauerkrank wegen zu geringer Bezahlung? Wegen fehlender Verbeamtung?
Feb. 272012
 

Immer wieder unterhalte ich mich seit 3 Jahrzehnten mit Kreuzberger und Berliner Lehrern über die Belastungen ihres Berufes. Viel zu viele habe ich dauerkrank werden sehen, andere haben eines jener berühmten Umsetzungsgesuche gestellt und verabschieden sich in andere Bezirke oder wechseln an private Schulen über. 5% der Berliner Lehrer sind dauerkrank geschrieben, selbstverständlich kommen dazu noch die üblichen zeitweilig Kranken, so dass sich insgesamt an den Schulen ein Krankenstand von weit über 10 % ergeben kann.

Bei so einem hohen Kankenstand würden in jedem Unternehmen die Alarmglocken schrillen. Etwas stimmt dann im Betrieb nicht.

Mein Haupteindruck:  Die Berliner Lehrer an staatlichen Schulen werden zu wenig gewürdigt, ihnen wird zu wenig zugehört. Ein Recht, sich öffentlich zu melden, haben sie als einzelne nicht. Selbst einen Leserbrief über die Situation an Kreuzberger Schulen dürfen sie nicht schreiben, das wäre eine Verletzung des Dienstgeheimnisses. Ich kenne kaum eine Berufsgruppe, die so viel schlucken muss.

Aber es gibt ja die Gewerkschaften! Wie erklärt GEW-Vorsitzende Sigrid Baumgardt den hohen Krankenstand und die Abwanderung der Lehrer? Ihre Antwort steht heute – passend zu einem Gespräch mit Schulsenatorin Scheeres – in der Morgenpost auf S. 11. Demnach wären die Lehrer durch die vielen Reformen, durch erhöhte Dokumentationspflichten, durch mangelnde Verbeamtung und durch zu geringe Bezahlung unter Druck und würden dadurch krank.

Die GEW fordert also: Weniger Pflichtstunden, mehr Gehalt! So weit die eingängige, gut klingende Lösung der GEW. Ja, darin ist die GEW gut, so etwas zu fordern – zumal, da die Lehrer Schlange stehen, um endlich in Berlin arbeiten zu dürfen, und die Kassen der Stadt prall gefüllt sind! Es fehlt noch die Forderung nach kleineren Klassen, hüstel.

Ich würde die Senatorin Scheeres bitten, erst einmal von innen hinzusehen, hinzuhören und die einzelne Lehrerin, den einzelnen Lehrer zu fragen: „Was macht Sie krank?“

Die Senatorin würde dann andere Antworten bekommen als von der GEW. Weitere zielführende Fragen:

„Würde es Ihnen helfen, wenn Sie mehr Gehalt bekämen?“

Ich vermute: Die zahlreichen Dauererkankungen der Berliner Lehrer entspringen vor allem dem Schulalltag, dem Umgang mit den immer schwieriger werdenden Schülern und den immer schwieriger werdenden Eltern, verbunden mit dem Gefühl, vom Senat und der Schulpolitik verschaukelt zu werden und von den Gewerkschaften ebenfalls nicht vertreten zu werden. Manche Lehrer an den staatlichen Schulen Berlins haben offenkundig das Gefühl, auf verlorenem Posten zu kämpfen, als einzelne Persönlichkeiten einfach nicht wahrgenommen zu werden.

„Sind Sie wegen mangelnder Verbeamtung dauerkrank?“ Eine unsinnige Frage. Gerade verbeamtete Lehrer sind häufig dauerkrank.

Und die Situation an Kreuzberger und Neuköllner staatlichen Schulen? Ist und bleibt nicht so rosig, wie sie aus nötigem Zweckoptimismus zu Recht meist dargestellt werden muss. Ich meine: Über weite Strecken ist die Lage unhaltbar. Die wenigen Schüler ohne den richtigen Migrationshintergrund werden vielfach gnadenlos rausgedrängt oder rausgemobbt. Und da dies nicht offen diskutiert werden darf, weil dann sofort der Vorwurf des Rassismus oder der Islamophobie erhoben wird, schweigen viele Lehrer und flüchten in Dauer-Krankheit, oder sie stellen die berühmten Umsetzungsgesuche.  Erst kürzlich hat wieder ein kleines Häufchen von Schülern, die leider Deutsch als Muttersprache haben und dafür nichts können, eine vielgerühmte Kreuzberger Schule, an der nach Presseberichten alles gut läuft, geschlossen verlassen.

Not tut ein offenes Gespräch. An mangelnder Bezahlung werden die Lehrer nicht krank, auch nicht an zu hohen Arbeitszeiten.

Nur vertrauensvolle, nichtöffentliche und unter Datenschutz erfolgende Gespräche mit den kranken Lehrern, – bitte nicht mit der GEW oder sonstigen ihr eigenes Verbandssüppchen kochenden Funktionären –  können der Senatorin ein zutreffendes Bild über die Ursachen der vielen Dauer-Krankschreibungen liefern.

Machen Sie sich ein Bild, Frau Senatorin!

Lehrermangel – GEW fordert mehr Gehalt für Berliner Lehrer – Berlin Aktuell – Berliner Morgenpost – Berlin

 Posted by at 16:38
Jan. 282012
 

Wir brauchen einen offenen Nord-Süd-Dialog im Geiste der Redlichkeit! Eben las ich im Tagesspiegel den folgenden Artikel:

Vier Zahler, zwölf Nehmer: Berlin könnte ein Hauptziel der Angriffe aus dem Süden werden. – Politik – Tagesspiegel
Ein Siebtel des Berliner Haushalts wird aus Bayern finanziert.

Da ich mittlerweile Berliner bin, muss ich meinem Herkunftsstaat Bayern beispringen: Wir haben hier in diesem weithin vulgärsozialistischen Bundesland in der Tat in fast allen Belangen bessere staatliche Versorgung als in Bayern. Es stehen mehr kostenfreie Kita-Plätze bereit, das Schwimmbadwasser ist wärmer, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in Berlin viel viel besser ausgebaut als in Bayern, und auch der neue Senat wird alles tun, um die Mieterschaft der Stadt durch Staatsknete trotz 100.000 leerstehender Wohnungen bei bester Laune zu halten.  Die Arbeitslosigkeit ist dennoch hier drei Mal so hoch wie in Bayern. Warum? Weil: Auch wenn man nicht sozialversicherungspflichtig arbeitet, kann man dank staatlicher Unterstützung und sonstiger unangemeldeter Tätigkeit sehr gut leben. Armut gibt es in Berlin nicht. Obdachlosigkeit und Hunger gibt es nicht, alle haben medizinische Versorgung, ob sie nun von nah oder fern kommen. „Wir haben hier alles, was wir brauchen, wir haben ein Recht hier in unserer Heimat zu sein. Wieso sollen wir dorthin ziehen, wo wir arbeiten müssten um zu leben?“ So denken viele.

Über eine Vielzahl an staatlich finanzierten „Projekten“, „Netzwerken“, „Initiativen“, „Agenturen“, „Programmen“ hat sich das Bundesland Berlin ein kaum mehr überschaubares Netzwerk an staatlich finanzierten Pfründen geschaffen. Das alles trugen die  Südstaaten Bayern, Baden-Württemberg und Hessen weitgehend klaglos mit.

Ich verstehe, wenn sie jetzt mit der Faust auf den Tisch hauen.

Berlin muss lernen, auf eigenen Füßen zu stehen, muss sich abnabeln. Eine Reform, also eine deutliche Abspeckung oder auch Abschaffung des bisherigen Länderfinanzausgleiches wäre eine sehr kluge, gewissermaßen erzieherische Maßnahme, um Berlin aus dem Zustand der selbstgewählten, wie eine lähmende Droge wirkenden  Unmündigkeit zu befreien.

Das bringt gewisse unvermeidliche Härten mit sich. Manche Mieter werden sich mit weniger Wohnraum in weniger attraktiven Lagen begnügen müssen, andere, vor allem Kinder, Jugendliche und jüngere Erwachsene werden es anstreben, durch Lernen, Bildung und Ausbildung einen höheren Lebensstandard zu erarbeiten, um ein besseres Auto kaufen zu können als das jetzige.

Ich sage: Dann ist es eben so. Dann würde sich erweisen, dass kein Staat auf Dauer stets gleichbleibende oder stetig verbesserte Lebensverhältnisse garantieren kann, wenn die Bürger nicht mittun.

Der undurchdringliche Sozialkokon, dieses Gespinst an unerfüllbaren Erwartungen an das Gemeinwesen würde endlich zerplatzen.

 Posted by at 12:28
Dez. 242011
 

καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὁ ἄγγελος· Μὴ φοβεῖσθε· – Und der Bote sagte ihnen: Habt keine Angst (Lukas 2,10).

Dieses gestern aufgenommene Bild zeigt ein paar elektrische Lichter in der Dunkelheit, einen Hinweis auf einen Storchenparkplatz und einen Pfeil, der den Weg zur Brandmeldezentrale weist. Wir sehen: Für Geburten gibt es heute Krankenhäuser mit gut ausgeschilderten Storchenparkplätzen, das Risiko der Feuersbrünste ist gemindert durch Warnmelder, echte Dunkelheit gibt es nicht, da Strom und Licht überall vorhanden sind. Wir dürfen sogar das allgegenwärtige Handy einmal abschalten. Wir könnten uns zu Weihnachten alle entspannen und locker chillen.

Wie haben wir es doch so herrlich weit gebracht in den letzten Jahrzehnten!

Mein aus Ägypten stammender Freund, der die Ereignisse des letzten Jahres am Tahrir-Platz miterlebt hat,  sagt es mir schroff und klar ins Gesicht: „Zu diesem Weihnachten bleiben zwei Zimmer dunkel: meins und das von Jesus.“ Ein großartiges, ein geradezu herzbezwingendes Wort: es führt die Nähe zu Jesus vor Augen. Denn wie sonst könnte Hamed etwas über Jesu dunkles Zimmer sagen?  Und zugleich zeigt diese Aussage die absolute Ferne von Jesus, die schlichte Wahrheit: „Ich kann nichts mit eurem Weihnachtsfest und eurem Jesus-Gebimmel anfangen. Bleibt mir damit vom Leibe!“ Ich muss sagen, ich mag all diese Menschen, die den Weihnachtsrummel in voller Überzeugung oder gar angewidert ablehnen.

Doch meine ich, dass man durchaus hinter die Glitzer- und Rummelfassade hineinleuchten kann. Nicht alles ist schon ein abgekartetes Spiel, nicht alles ist schön aufgeräumt und glühweinselig. Es gibt Zweifel und Unsicherheiten auch im bestausgeschilderten Parkplatz.

Liest man etwa die Beschlüsse des Europäischen Rates vom 09.12.2011 genauer durch, so wird man erkennen, dass sie von mannigfachen Ängsten getrieben sind: Angst vor dem Auseinanderbrechen der Währung, Angst vor dem Staatsbankrott, Angst vor dem Bedeutungsverlust und der Verarmung Europas. Die Staats- und Regierungschefs haben offenkundig den Überblick über das komplizierte Gefüge der Staatsfinanzen verloren. Sie weisen in ihrem Abschlussdokument ausdrücklich die zentral regulierte Währungs- und Wirtschaftspolitik als das entscheidende Fundament der europäischen Integration aus. Gedeih und Verderb der Europäischen Union hingen also am Geld. Politik bestünde also  darin, Geldwerte zu sichern, bestünde darin, den höchsten Wert für sich und seine Schäflein herauszuholen.

Nicht zufällig erschüttern immer wieder und gerade auch  in den letzten Wochen Geschichten über den falschen oder leichtfertigen Umgang mit dem Geld die Glaubwürdigkeit einzelner Politiker und auch der Politik insgesamt. Politik wird am Umgang mit Geld gemessen, das Geld und die Geld-Gerüchte liefern das Maß für den Wert der Politik.  Mit starrem Blick aufs Geld steigen und fallen die Kurse der Politiker.

Ist Geld alles?

„Fürchtet euch nicht!“ Die Geburt Jesu ereignete sich nach der ausmalenden Schilderung des Lukas  in notdürftigsten Umständen als erlebte Freude unter den Armen und Angstgeplagten des Altertums, den Hirten, die des Nachts ihre Herden hüteten. Für Jesus stand kein Storchenparkplatz bereit. Er wurde vorerst in einen Futtertrog abgelegt, und der Raum, in dem er geboren wurde, war wohl eine Ein-Raum-Wohnung, in der mehrere Menschen und allerlei Vieh den Platz teilen mussten.

Eine Brandmelde-Zentrale gab es nicht: die Hirten, die von einer Licht- und Feuererscheinung in Panik versetzt wurden, konnten keine Notruftaste drücken. Ihnen blieb nichts anderes als dem Wort des Boten zu vertrauen: „Jetzt geratet nicht in Panik. Fürchtet euch nicht.“ Und diese Botschaft wirkte. Das gesprochene Wort war für die Hirten stärker als die begreifliche Angst vor dem Unerwarteten.

In einem Kinderlied heißt es: „Die redlichen Hirten knien betend davor?“ Wieso redliche Hirten? Redlichkeit, das kommt von Rede, dem Reden vertrauen, sein Reden vertrauenswürdig machen. Redlichkeit ist das, was wir von den Hirten lernen können.

Sollen wir vertrauen? Heißt es nicht zu recht: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Ich erwidere: Vertrauen in das redliche Wort ist nicht alles. Aber ohne Vertrauen in die redliche Kraft des Wortes ist alles nichts. Wenn wir dem grundsätzlich nicht mehr vertrauen können, was andere uns sagen, können wir uns alle Staaten und alle Staatenbündnisse oder Bundesstaaten und alle Europäischen und sonstigen Unionen gleich abschminken. Dann nützen auch Rettungsschirme und automatische Kontrollen nichts mehr.

Hat uns materiell unvergleichlich reicheren Europäern des 21. Jahrhunderts die Angst- und Armutsgeschichte des Lukas mit den redlichen Hirten heute noch etwas zu sagen?

Ich meine: ja! Der Evangelist Lukas rahmt die Geburtsgeschichte Jesu in einen staatspolitischen Rahmen höchster Stufe. Eine steuerliche Erfassung der Vermögenswerte aller Bürger war der Anlass der Wanderung von Maria und Josef. Der regierende Kaiser hatte offenkundig – wie die Regierenden in unserer Zeit – den nötigen Überblick über Soll und Haben verloren. In diese Ausnahmesituation fällt die Geburt Jesu. Spannend! Wie verhält sich der Erzähler Lukas zu den drängenden finanzpolitischen Fragen seiner Zeit? Welches Ergebnis brachte die Steuerschätzung? Wir erfahren es nicht.

Es ist enttäuschend: Die großen weltpolitischen Fragen werden ausgeblendet. Statt auf den Kaiser und seine großen Nöte richtet der Erzähler seinen Blick auf das Kleinste, Jämmerlichste, Ärmste und Unscheinbare.

Die Weihnachtsgeschichte spielt in einer Zeit größter Unsicherheit, größter finanzieller Risiken. Aber sie schlägt doch einen deutlich anderen Ton an als den Ton des großen und des kleinen Geldes, der heute unsere Medien und oft auch unser Denken beherrscht. Ich finde, die Weihnachtsgeschichte ist eine unterirdisch wühlende, wenn auch sanftmütige Kritik an der Anbetung des Geldes und der Macht.  Sie bereitet die Umwertung aller Werte vor, welche der Einbruch des Christentums für die damalige Welt und später für ganz Europa bedeutete.

Johannes, der vierte Evangelist, angeblich der Mann des Wortes, legt allergrößten Wert darauf, das Wirken Jesu in Jerusalem mit einer beispiellosen, ja gewaltsamen Tat beginnen zu lassen: mit dem Hinauswurf der Händler und Banker aus dem Tempel, der nicht nur religiöses Zentrum, sondern auch wirtschafts- und finanzpolitische Zentrale war. „Setzt euer Vertrauen nicht ins Geld, sondern in geistig-geistliche Werte!“  So deute ich diese Geschichte.

Die Geschichte von der Geburt Jesu  kann uns klarmachen, worin ein Sinn-Kern der Geschichte Europas besteht. Fürchtet euch nicht, habt keine Angst. Das sind wohltuende Worte in diesen wie wahnsinnig durcheinanderflatternden, viel zu aufgeregten Zeiten!

Wenn man sich heute, im Jahr 2011, in einen Zug setzt und von Moskau nach Lissabon fährt, wird man mehrere Zeitzonen durchmessen und Schlafwagenschaffner in 12 verschiedenen Sprachen Tee anbieten hören. Findet man Zeit auszusteigen und innezuhalten, wird man in allen Städten – ob nun in Moskau, Kiew, Warschau, Wien, Genf, Madrid oder Lissabon – chromstarrende Banken und Paläste finden, prachtvolle Schlösser und tuckernde Omnibusse. Aber man wird auch in allen diesen Städten Kirchen finden. Diese Gebäude sind gebaute Wahrzeichen,  die letztlich auf jene unscheinbare Geschichte in einer gedrängt vollen Einraumwohnung zurückgehen und auf jene Geschichten vom Vertrauen in das Wort verweisen: Fürchtet euch nicht. Diese Geschichte ist eine jener Geschichten, die Europa zusammenhalten könnten, wenn wir bereit wären, auf sie zu hören und einen Augenblick das Handy abzuschalten und innezuhalten.

Ich wünsche uns allen diese Fähigkeit, hinzuhören, Kraft zu schöpfen aus dem einigenden, dem redlichen Wort: Fürchtet euch nicht. Sicher: die weltpolitischen Fragen und Nöte sind nicht gelöst. Hunger, Tod und Krankheit, Krieg und Naturgewalten lauern.

Aber seien wir ehrlich: es geht uns in der Europäischen Union noch oder auf absehbare Zeit unvergleichlich gut. Kein neugeborenes Kind, so ersehnt wie sie alle sind, braucht heute in einem Futtertrog abgelegt zu werden. Der Storchenwagenparkplatz steht doch jederzeit bereit. Nahezu alle Menschen in der Europäischen Union sind dank Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft von Not und Armut befreit. Wir könnten uns eigentlich freuen und versuchen, möglichst viele Menschen außerhalb unserer 27-Länder-Wohlstandsinsel zu ähnlichen demokratisch-rechtsstaatlichen Verhältnissen zu führen, wie wir sie genießen.

Warum haben wir nicht mehr Glauben, mehr Zuversicht? Ich vermute, es hat damit zu tun, dass wir der Angst noch zu viel Platz einräumen. Angst lähmt. Angst um des Geldes willen ist die lähmendste Angst. Für diese Angst besteht kein echter Grund. Denn Angst ängstet sich zuletzt um sich selbst.

Zu Weihnachten bietet sich uns nun die große Chance, diese Grundlosigkeit der Angst zu durchbrechen. Wir werden die Ängste nicht los, ebenso wenig wie wir unsere Not und unsere realen Schulden schnell loswerden. Aber wir dürfen erkennen, dass es etwas Größeres, etwa anderes als die Angst gibt: Vertrauen in das Wort, Vertrauen in den Nächsten, Hoffnung auf unsere Veränderbarkeit, Hoffnung, dass die Wanderung zu einem sinnvollen Ziel findet.

Wir setzen also der kalten Faust der Angst unser unerschütterliches Vertrauen in die Kraft des befreienden Wortes, in die Tüchtigkeit der europäischen Bürger, in den unverwüstlichen Friedenswunsch der Völker entgegen.

Das Glockengeläute, das man in Moskau, Kiew, Wien, Madrid oder Lissabon hören kann, ist nicht das lärmende Jesusgebimmel, vor dem mein ägyptischer Freund vom Tahrir-Platz sich zu recht scheut. Es ist ein Zeichen für das andere der Angst, ein Weck- und Merkzeichen der Freude. Das Glockengeläute sagt:  „Freut euch vorläufig, mindestens solange diese Glocke läutet. Lasst sie hineinläuten ins dunkle Zimmer.

Mit einer Wendung, die ich einem ergreifenden Choral im Weihnachtsoratorium Johann Sebastian Bachs entnehme, rufe ich Euch und Ihnen  zu:

„Seid froh dieweil!“

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Fahrrad und Füße statt Auto, oder: Ist Armut das größte aller Übel?

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Dez. 152011
 

Feurio, Feurio, unser Wohlstand steht auf dem Spiel!

Zerstochen von den Fliegen des Finanzmarktes, suche ich Zuflucht in den Quellen des europäischen Denkens, das nirgend uns so würdig brennt als in den griechischen Schriften des Altertums! Es gibt ja heute mehr als einen Grund, wieder Griechisch zu lernen. Ja, ach möge doch in Europa wieder mehr Griechisch gelernt werden! Es war jahrhundertelang eine lingua franca des gesamten Mittelmeerraumes. In griechischer Sprache entstand das, was den Geist Europas bis heute prägt.

Kinderarmut, Altersarmut, Bildungsarmut … der Übel größtes scheint heute die Armut zu sein.

Doch ich widerspreche: Es ist mehr die Angst vor der Armut, die uns in der Europäischen Union lähmt. Eine gewisse Armut gibt es innerhalb der EU nur noch in wenigen Gegenden Bulgariens und Rumäniens. Aber auch diese wird schon bald der Vergangenheit angehören.

Ich behaupte: der größten Übel eines ist nicht die Armut, sondern die Angst vor Armut.

Umgekehrt gilt vielfach staatliche Mehrung und staatliche Umverteilung des stattlichen Wohlstandes, Sicherung des Geldwertes auf Kosten der nachfolgenden Generationen als die entscheidende Triebkraft der staatlich gesteuerten, von oben herab lenkenden Politik, ja als der Sinn von politischer Lenkung überhaupt.

Μακάριοι οἱ πτωχοὶ τῷ πνεύματι, ὅτι αὐτῶν ἐστιν βασιλεία τῶν οὐρανῶν. 

Ganz anders klingt die reiche orientalische und europäische Tradition der gesuchten und gepriesenen Armut: „Sælic sind die armen des geistes, wan daz himelrîche ist ir.“ So fand ich es übersetzt in einem vor drei Jahren erschienenen brandaktuellen Buch.

„Ein ûzwendigiu armuot, und diu ist guot und ist sêre ze prîsenne an dem menschen, der ez mit willen tuot.“

Meister Eckart ist einer der größten europäischen Sprachpfleger: schöpfend aus der Antike, übersetzend, predigend, anverwandelnd. Vor allem hat er seine deutsche Muttersprache als gleichwertig mit den heiligen Sprachen des Altertums zu beleben gesucht.

Sollte die europäische Politik sich offen wie der von mir so hoch geschätzte Meister Eckart zum erzieherischen Wert der Wohlstandminderung bekennen, statt wie bisher ihren vornehmsten Sinn in der Hebung und Sicherung des Wohlstandes dank defizitfinanzierter Geldgeschenke zu sehen?

Freiwillige Wohlstandsminderung? Treppensteigen statt Aufzug? Fahrrad statt Auto? Müssen wir uns nicht etwas ärmer, etwas ehrlicher, etwas redlicher machen als wir eigentlich sind? Was sagen die Gelehrten, Doktoren und Professoren dazu?

„Nutzen Sie jede Gelegenheit zur Bewegung, das heißt Treppe statt Aufzug, Fahrrad statt Auto.“

Genau dieses Beispiel der freiwilligen Armut verlangt heute von uns Prof. Dr. med. Dr. med. habil . H. Michael Mayer, Orthopäde, Mitglied des Medizinischen Beirates der Versicherungskammer Bayern, Wirbelsäulenzentrum Orthopädische Klinik München-Harlaching

Zitatnachweise:

Meister Eckart. Predigt über Beati pauperes spiritu (P 52), in: Meister Eckart. Werke I. Texte und Übersetzungen von Josef Quint. Herausgegeben und kommentiert von Niklaus Largier. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 2008, S. 550

H. Michael Meyer: Fahrrad und Füße statt Auto, in: gesundheit aktuell. Der Gesundheitsratgeber der Versicherungskammer Bayern. Ausgabe 4/2011, S. 15

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Dez. 112011
 
Ich warne vor oberflächlichen, vorschnellen Urteilen! „Robert Harris ist doch nur ein oberflächlicher Krimi-Autor. Ihm fehlt Tiefgang“, hielt mir bei einem Gläschen Trollinger jemand vor, als ich empfahl, Robert Harris‘ Buch The Fear Index unter den Weihnachtsbaum zu legen. Ich erwiderte trocken: „Er ist auch ein bestechender Krimi-Autor, aber er kann wie kein zweiter erzählen, wie die Finanzmärkte heute arbeiten! Große Klasse! Und bedenkt“, fuhr ich fort, während ich dem Abgang des Trollingers nachspürte, „die EU-Staatshaushalte und die EU-Staaten werden dank selbstverschuldeter Staats-Schulden an den Börsen weiterhin ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Also verschenkt und lest zu Weihnachten The FEAR INDEX von Robert Harris. Bitte habt Mut zur Oberflächlichkeit!“

Unter einer schillernden Oberfläche lauern so manche lachenden Ungeheuer. Das Meer ist tiefer als so mancher Tiefsinnige gedacht!

Robert Harris: The Fear Index. Hutchinson, London 2011, 323 Seiten, 15.00 Euro

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„Softly she began singing a baby’s lullaby.“

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Nov. 222011
 

„She laid her head on the pillow next to his. She felt strangely content, despite everything, to have him beside her at last. Beyond the barred window a church clock was striking midnight. Softly she began singing to him a baby’s lullaby.“

So endet der großartige Roman The Fear Index von Robert Harris, den ich in diesen Minuten mit größter Spannung und größter Erleichterung zu Ende las.

Diese letzten, fermatenhaft innehaltenden  Sätze des aufwühlenden Buches über Hedge Fonds und die Gier der Finanzmärkte schließen nahtlos an die schönen Erfahrungen an, die ich heute mit der russischen Sängerin Irina Potapenko in der Grundschule machte: Gemeinsam versuchen wir es jeden Montag, den russischen und deutschen Kindern die alten deutschen Lieder beizubringen. Den Kindern unserer Zeit, die schon lange nicht mehr das Singen lernen, genau diese Erfahrung des gemeinsamen Singens zu eröffnen, ist für mich die schönste und größte pädagogische Herausforderung, die ich mir stellen konnte. Die Geige hilft uns allen dabei.

Manche Töne kommen schräg, unsicher-tastend, aber die großen Augen der Kinder sind immer fragend auf uns gerichtet.  Heute holten wir wieder Guten Abend, gut Nacht, mit Rosen bedacht hervor. Was für ein unsterbliches Lied des Johannes Brahms! Es wartet darauf, wieder und wieder geweckt zu werden.

Robert Harris: The Fear Index. Hutchinson, London 2011, 323 Seiten, hier S. 322-323

The Fear Index Hörbuch Hörprobe

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Okt. 262011
 

So hört man es immer wieder bei Sonntagsreden: Frieden und Wohlstand sind die großen Errungenschaften der Europäischen Union.

Eine falsche Akzentsetzung, wie ich meine. Ein Missverständnis. Frank-Walter Steinmeier brachte sie soeben wieder im Bundestag. Ich meine: Die EU ist – entgegen den Erwartungen der egoistischen Nationalstaaten – vorrangig keine Veranstaltung zur Mehrung des Wohlstandes. Sehr wohl soll sie zwar der Friedenssicherung dienen. Und das hat sie bisher mehr schlecht als recht geschafft. Denn die EU ist militärisch zahnlos, und sie konnte weder die Kriege in Jugoslawien noch die jahrzehntelange Gewalt am eigenen Südsaum, also in den Mittelmeerländern verhindern.

Neben das Ziel des Friedens tritt aber für die EU gleichberechtigt nicht der Wohlstand, sondern das Ziel der Freiheit. Nur in Freiheit ist der Frieden sinnvoll und dauerhaft zu sichern.

Der große Irrtum der EU-Politik ist die Verengung auf das Wirtschaftliche, auf das Monetäre und das Finanzielle. Niemand – außer vielleicht Beethovens Hymne „An die Freude“ und einzelnen Stimmen wie etwa Navid Kermani  – vermag heute einen starken, leidenschaftlichen Sturm zum Sinn der Europäischen Union zu entfachen.

Geld regiert die Welt der EU. Dadurch wird die Freiheit der künftigen Generationen bedroht, und der Frieden ist zumindest in Griechenland bereits jetzt gefährdet.

Regierungserklärung im Live-Ticker – Steinmeier sieht Europas Zukunft in höchster Gefahr – Inland – Berliner Morgenpost – Berlin

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Unser aller Perle: der neue Park am Gleisdreieck

 Das Gute, Friedrichshain-Kreuzberg, Geld, Gleisdreieck, Görlitzer Park, Nahe Räume, Rechtsordnung, Verwöhnt  Kommentare deaktiviert für Unser aller Perle: der neue Park am Gleisdreieck
Sep. 262011
 

Die Investoren vom Potsdamer Platz schenkten uns Bürgern einen neuen Park. Wie schön! Etwa 8 Millionen haben sie für den ersten Teil hingeblättert. Ich bleibe zutiefst begeistert von dieser neuen Anlage und nutze sie fast täglich, um meine Familie und mich zu erholen, zu kräftigen und zu erquicken, dass der Turnvater Jahn oder auch Jane Fonda ihre helle Freude an uns gehabt hätten.

Breite Wege schaffen Sichtachsen, Inseln der wildwuchernden Natur bewahren des Gedächtnis vergangener Nutzungen.  Die gesamte Ausstattung wirkt außerordentlich zweckmäßig, solide, strapazierfähig und bis ins kleinste Detail sorgfältig bedacht, beredet, beplant. SEHR GUT GEMACHT, GRÜN BERLIN!

Einen Gewissenskonflikt erlebte ich vor drei Tagen im neuen Park, als ich beobachtete, wie einige jugendliche Skater mit ihren scharfkantigen Roll-Gleitern auf die roh gezimmerten, starkbohligen Bänke des neuen Parks aufsprangen, sie mit ihren klotzigen Fußhobeln aufraspelten und an ihnen entlangschabten.

Ist das Skaten auf Parkbänken verboten? Ich weiß es nicht. Sachbeschädigungen gelten hier in Kreuzberg als normal. Ich enthielt mich tunlichst eines Zwischenrufs. Mit öffentlichem Gut wird hier im herrlich linken, herrlich toleranten Friedrichshain-Kreuzberg oft besonders rücksichtslos umgegangen. Die anderen Bezirke, die anderen Bundesländer zahlen alles treusorgend. Zur Not schickt der tolerante Bürgermeister den Putztrupp – wie am Görlitzer Park – ein drittes Mal. Motto: Der verwöhnte Bürger in der Hauptstadt der Armut müllt, der reiche Staat räumt auf.

Nicht erwünscht ist im neuen Park am Gleisdreieck nur dreierlei: das Freilaufenlassen der Hunde, das Grillen und das Müll-Liegenlassen.

Das Graffiti-Sprühen ist offenkundig nicht verboten. Schon am ersten Tag war die Skate-Anlage umgestaltet:

Erste Negativberichte erreichen mich über die Presse:

Vandalismus, Müll, Drogenhandel: Neuer Park am Gleisdreieck verkommt – Berlin – Tagesspiegel

Ich habe den Bericht im Tagesspiegel gelesen, halte ihn aber zum jetzigen Zeitpunkt für übertrieben. Man gewinnt den Eindruck, als sähe es hier schon so aus wie in der Hasenheide oder im Görlitzer Park. Diese beiden Parks sind in der Tat in der Hand des Mülls und der Drogenhändler. Sie sind in der warmen Jahreszeit durch die typische Verwahrlosung weitgehend zu Unorten ohne echte Aufenthaltsqualität geworden.

Aber hier am Gleisdreieck konnte ich bisher nur einen Drogenhändler sehen, die meisten Bänke sind noch weitgehend im Originalzustand, die kreuzbergtypischen Schmierereien haben den Park noch nicht im Griff! Glasscherbensalate, ganze Batterien von leergesoffenen Schnapsflaschen sah ich bisher nur auf den Yorckbrücken am „Flaschenhals“ (sic!), glassplitterübersät waren nur geringe Teile der Wiese! Danke an die Säuberer und Reiniger!

Weder entdeckte ich auf Spielplätzen bisher Drogenverstecke oder Spritzbestecke wie an anderen Spielplätzen in Kreuzberg-West noch über und über besprühte Naturschutztafeln wie im Viktoriapark.

Die Hunde laufen hier im Park eigentlich immer frei herum. Heute sah und hörte ich, wie zwei in freundlichem Schwarz gekleidete Parkbetreuer zwei Hundehalter darum baten, doch bitte ihren – wie beobachten konnte – seit 20 Minuten frei herumspringenden Pitbull anzuleinen. „Den haben wir grade erst losgelassen!“, logen die Hundehalter. „Kaum läuft er ein paar Meter frei herum, wird man gleich angemacht …!“, maulten sie. Dennoch blieben die freundlichen Parkschützer (aus Stuttgart?) freundlich-kooperativ wie eh und je. Sie schienen sich entschuldigen zu wollen dafür, dass sie heute die Parkordnung durchzusetzen sich bemühten.  Man lachte und einigte sich darauf, den Pitbull diesmal ein paar Meter anzuleinen.

Na bitte, es geht doch!

Bürgerinnen und Bürger! Wollen wir versuchen, uns dieses großartigen Geschenkes der westdeutschen Investoren, der stets zahlungswilligen, braven Kapitalisten vom Potsdamer Platz würdig zu erweisen?

Ich hege Zweifel. Wir Berliner sind ein verwöhntes Pack. Was uns nichts kostet, wird nicht wertgeschätzt.

Ich meine, dieses Juwel gilt es zu hegen und zu pflegen. Es darf nicht den Weg des Görlitzer Parks oder der Hasenheide gehen.

Es liegt in unserer Hand. Den Sinn für die Verantwortung für öffentliches Gut müssen wir in Kindern bereits wecken, bei Jugendlichen in Erinnerung rufen, und als Erwachsene vorleben.

Wie wäre es mit einem Aufsatzwettbewerb: „Was mir an unserem neuen Park gefällt“?

Für Kinder bis 80 Jahre!

 Posted by at 22:38