„Wer ist denn noch heutzutage ein Christ, wie Christus ihn haben wollte? Ich allein vielleicht, ob ihr mich gleich für einen Heiden haltet“. So Goethe zu Kanzer Müller am 7. April 1830.
Ein starkes, schroffes Wort des Alten vom Frauenplan. Er sprach viel und trank nicht wenig. Gleichwohl trifft Goethe, der ewige Ungläubige, der ewige credente und ewige non-credente, dessen Faust und dessen Mephisto so oft über die Kirchen ablästerten, den Kern des Christseins.
Ich allein vielleicht.
Die Kraft des Ich! Die Kraft des Alleinseins! Die Kraft des Vielleicht!
Es gibt und muss geben im Grunde des „Ich allein vielleicht“ ebensoviele Spielarten des Christseins, als es Christen gibt. Entscheidend bleibt stets ein Akt des Wählens, eine Tathandlung des „Für-Wahr-Haltens“, ein Schritt des Sich-in-Freiheit-Bindens. Wählen, Für-Wahr-Halten, Sich-Binden-in-Freiheit, das sind die drei Ausfaltungen des alten hebräischen, nur unzureichend ins Griechische, nur unzureichend ins Deutsche übersetzbaren Wortes Glauben.
Ohne diesen persönlichen Glauben ist es alles nichts mit dem gesamten Christentum. Er ist das Alpha und Omega. Die ganze „Dogmatik“, die gesamte „Christologie“, all die „absoluten Wahrheitsansprüche“, ja die gesamte christliche „Theologie“, die „allgemeine Kirche“, verlieren dann ihren Grund. Dann leeren sich die Kirchen. Und zuletzt werden sie gnadenlos gesprengt, und einige Jahrhunderte oder Jahrtausende menschlicher Geschichte werden gewaltsam weggesprengt, wie in Magdeburg oder Potsdam in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts gleich mehrfach geschehen.
Quelle des Zitats:
Wolfgang Klien: „Er sprach viel und trank nicht wenig“. Goethe. Wie berühmte Zeitgenossen ihn erlebten. Mit 22 Abbildungen. Langen Müller, 2. erw. Auflage, München 2000, S. 34
Bild: eine Krippe vor der Petrikirche in Magdeburg.
So, jetzt hört uns mal alle genau zu: „We are the music makers, the dreamers of dreams!“
Das war das TE Deum Anton Bruckners im Berliner Dom am 16. November 2013. Und irgendwo gab es IHN doch, auch wenn man IHN nicht immer hörte und den Kopf drehen musste, um IHN zu sehen. Den kleinen Mann an der Orgel, weit droben! Ja, vielleicht ist ER so etwas wie der kleine Mann auf der Orgelempore. ER hört, was wir unten treiben, ER hört uns, und wir drehen den Kopf und fragen: Hörst DU uns überhaupt?
Oder sind wir lärmende Musikmacher, traurige Traumtänzer, Verzichtbare? –
wandering by lone sea-breakers,
And sitting by desolate streams;
World-losers and world-forsakers,
On whom the pale moon gleams.
Den überströmendsten Traurigkeitsgenuss hat Edward Elgar in dieses Gedicht von Arthur O’Shaughnessy hineingewebt. Noch heute, während ich dies schreibe, höre ich die Klänge in mir weiterklingen. Der Chor erfüllte mich mit dem Anhauch des Unnennbaren.
Und DU? Hast DU uns gehört? Hat es Sinn, sich zu DIR nach oben zu wenden? DU – bist DU der Sense-Maker für uns Music-Makers, the great Listener?
Das Bild zeigt vorne: Die Junge Philharmonie Kreuzberg. Mitten drin der Mann mit umgewandtem Kopf, das ist der hier Schreibende, fotografiert von seiner Schwester.
Hinten: Die studiosi cantandi Berlin, alle geleitet von Norbert Ochmann
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Sep.122013
Ein frisches gelbes Büchlein eines Stuttgarter Verlages aus dem Jahr 2012 schlug soeben der Kreuzberger Hausfreund zum Schall der Glocken von St. Bonifatius (r.-kath. = e‘) – oder war es der Schall der Glocken der ev. Christuskirche in der Hornstraße, die auf a‘ steht? – auf.
„Die Bekehrung„, so lautet die herrliche Schnurrpfeiferei des Erzählers aus dem Jahr 2012. Ein Katholik bekehrt über Fernwirkung einen Lutheraner – und gleichzeitig bekehrt der Lutheraner über Fernwirkung den Katholiken zum Lutheraner. Die beiden sind Brüder aus dem Westfälinger Land.
Der Kreuzberger ist hin- und hergerissen, staunt und fragt: Ja, wat denn nu?
Der schalkhafte Erzähler zieht den Schluss: „Du sollst deines Glaubens leben, und was gerade ist, nicht krumm machen. Es sei denn, dass dich dein Gewissen selber treibt zu schanschieren.“
Quelle:
Johann Peter Hebel: Schatzkästlein. Ausgewählt von Richard Müller-Schmitt. Philipp Reclam jun. Stuttgart 2012, S. 47-49, hier insonderheit S. 49
In sengender Mittagshitze kletterten wir vor drei Tagen die staubige Bahn zu den oberen Rängen des riesigen Amphitheaters in Hierapolis Phrygia nahe Pamukkale hoch. Schon beim Hochgehen beschloss ich, ein paar alte griechische Verse ins Leben zu rufen, die mir eben so in den Sinn kamen. Passend erschien mir das Chorlied Vers 331 ff. aus der Antigone des Sophokles: πολλὰτὰδεινὰκοὐδὲνἀνθρώπουδεινότερονπέλει.
Ein paar Mal setzte ich an, um den Aufnahmeleiter am Samsung-Smartphone, einen elfjährigen Jungen aus Berlin-Kreuzberg, zufriedenzustellen. Meine ersten Versuche fand er zu getragen, zu laut, zu pathetisch: „Warum sprichst du so laut? Warum übertreibst du so?“
Wir einigten uns auf ein herabgestimmtes Pathos. Aber, liebe Kreuzberger Kids, ganz ohne Pathos, also ohne Erschütterung geht es eben nicht ab in der attischen Tragödie. Die attische Tragödie ist Gottesdienst, ist kultischer, alle Sinne ansprechender Vollzug eines Wandlungsprozesses, der den ganzen Menschen mitreißt und beansprucht. Heiß war es damals sicherlich auch, denn die Aufführungen der 3 Tragödien und der einen Komödie an einem Tag hielten die Zuschauer einen ganzen Tag gefangen, Durst hatten die Zuschauer, besser: die Mitfeiernden damals wohl auch.
Selbstverständlich lasse ich auch die politischen Themen in all den Gesprächen mit den Türken durchaus zu. Warum auch nicht? Das Leben in der Türkei besteht nicht nur aus den Themen Moschee, Kinder, Küche und Kultur! In dem Land, das einen Herodot hervorgebracht hat, liegt doch nichts näher, als die unterschiedlichsten Meinungen und Geschichten auf sich wirken zu lassen, ohne blindlings den Gerüchten und dem Hörensagen zu vertrauen.
„Lesen Sie denn auch die westliche Presse? Was halten Sie denn von dem, was in unseren Zeitungen über Ihr Land berichtet wird?,“ fragten wir gestern einen türkischen Volkswirt und Historiker, mit dem wir ein längeres Gespräch führten. Seine Antwort: Ja, er lese die englischen, französischen und russischen Zeitungen selbstverständlich. Das meiste sei aber – aus der türkischen Binnensicht gesehen – verzerrt, vereinfacht und teilweise auch grob irreführend, was von der europäischen Presse über die aktuellen Entwicklungen berichtet werde. Es wimmle geradezu von Schreckgespenstern, aufgebauschten Sensationshaschereien. Die Normalität des türkischen Alltags jenseits der Politik werde überhaupt nicht abgebildet. Es fehle den meisten Journalisten, die über die Türkei schrieben, an vertieften Sprach- und Landeskenntnissen.
Und wie sieht die türkische Bevölkerung den EU-Beitritt?
„Wir haben den Appetit verloren. Nach Jahren des Hingehaltenwerdens haben wir jetzt das Gefühl, nicht gewollt zu werden, wobei der Hauptgrund in unseren Augen ist, dass man ein islamisch geprägtes Land nicht in den Kreis aufnehmen will, während man bei Bulgarien und Rumänien beseipielsweise alle Augen fest zugedrückt hat, als es um die Erfüllung der Beitrittskriterien ging.“
Meine Bewertung dieser Frage aufgrund meiner reichen Eindrücke, die ich im Lande wieder einmal sammeln konnte:
In der Tat sind die Darstellungen türkischer Entwicklungen in den deutschen Medien – auch in den Qualitätszeitungen, auch in den öffentlich-rechtlichen Medien – oft verzerrt, einseitig, ungerecht bis hin zur Böswilligkeit gegenüber der Türkei. Die Liebesgeschichte zwischen der Europäischen Union und der Türkei neigt sich auch aus diesem Grunde dem Ende entgegen, sofern es je eine war. Die Türkei orientiert sich fundamental um. Sie besinnt sich auf die eigene Stärke, die eigenen Qualitäten, zumal angesichts des schlechten Bildes, das die EU in der tiefen Krise des Währungsverbundes derzeit abgibt, ein EU-Beitritt nicht einmal mehr im materiellen Interesse der Türkei liegen dürfte. Das Bestreben der Türkei scheint sich nunmehr darauf zu richten, die eigene Volkswirtschaft weiterzuentwickeln, mehr kulturelle Vielfalt zuzulassen, das Einheitsgefühl der türkischen Nation, die sich aus den unterschiedlichsten Gruppen zusammensetzt, zu stärken, und den eigenen Einfluss und die eigene Macht im unmittelbaren Umfeld zu mehren.
Als neuer wichtiger Partner in Handel und Wirtschaft scheint Russland nunmehr geradezu prädestiniert.
Den Schaden, auch den kulturellen Schaden einer drohenden Abwendung der Türkei von der EU tragen vor allem die europäischen Länder. Das Gebiet der heutigen Türkei ist immerhin ein Kernland der abendländischen Geistesgeschichte. Das Christentum erblühte als neue Religion in Kleinasien zuerst. Hier im Osten war jahrhundertelang das Zentrum des spätrömischen Reiches, das Griechisch, Lateinisch und Aramäisch sprach.
In zahlreichen Begegnungen zwischen Menschen von hüben und drüben kann es gelingen, den weitgehend verlorenen Wurzelgrund der europäischen Kulturen und Religionen, namentlich des Judentums, des Christentums und des Islams wieder fruchtbar zu machen.
Um so wichtiger ist es, den Türken mit derselben Achtung und Offenheit zu begegnen, die sie auch uns als Menschen unverändert entgegenbringen. Jeder halbwegs freundliche Gruß, den ich einem Türken entbiete, wird mir doppelter Freundlichkeit erwidert.
Bild: Blick in das Theater in der antiken griechischen Stadt Hieropolis Phrygica in Anatolien, nahe dem heutigen Pamukkale. Aufnahme vom gestrigen Tage.
Spannende Kiste, spannende schwarze Komödie, spannende Inszenierung, die jetzt das Europa-Parlament liefert! Ich würde eher so sagen: Ein Stück aus dem Tollhaus. Ein paar patzige, grobe, deplatzierte Äußerungen haben Marine Le Pen die parlamentarische Immunität gekostet. Sie tat etwas Unverzeihliches, sie verletzte ein Tabu der französischen Seele: sie verglich ein Phänomen der Jetztzeit mit einem Phänomen der Jahre 1940-1945. Die Libération zitiert Marine Le Pen mit folgenden Worten:
«Je réitère qu’un certain nombre de territoires, de plus en plus nombreux, sont soumis à des lois religieuses qui se substituent aux lois de la République. Oui il y a occupation et il y a occupation illégale»
Marine Le Pen meint also in Frankreich das Aufkommen einer Art islamischer Parallelgesellschaft zu erkennen, die nach eigenen Gesetzen lebe. Eine Art sanfte Besatzung sei eingezogen, zwar ohne deutsche Panzer und ohne deutsche Soldaten, aber eben doch kraftvoll durchgesetzt, mit demonstrativen öffentlichen Freitagsgebeten auf den Straßen, mit Durchsetzung der islamischen Speisevorschriften, mit Durchsetzung der islamischen Polygamie, mit zunehmenden antisemitischen Gewaltvorfällen usw. usw.
Es gebe also etwas, was – abgesehen von fehlenden Panzern und fehlenden Soldaten – fast so schlimm sei wie die deutsche Besatzung der Jahre 1940-1945. Damit bricht Le Pen ein Tabu des französischen Bewusstseins – die Identifizierung des absoluten Bösen mit den Deutschen der Jahre 1940-1945, die Identifizierung der Franzosen mit dem absoluten Guten in den Jahren 1940-1945. Sie leugnet gewissermaßen die Einzigartigkeit der Verbrechen, die die Deutschen an den Franzosen in den Jahren 1940-1945 begangen haben, indem sie behauptet, dass im heutigen Frankreich erneut eine Art sanftes Besatzungsregime einkehre.
Damit tat sie etwas, was viele Französinnen in den Jahren der deutschen Besatzung taten: Sie ließ sich geistig mit dem absoluten Bösen, dem deutschen Besatzer ein. Etwa 80.000 bis 200.000 Kinder der Schande, die verspotteten und geächteten Bâtards de Boche, verdankten diesem Sich-Einlassen mit dem deutschen Teufel ihr Leben. Sie sind ein lebendes Zeugnis für das hohe Maß an Entgegenkommen, das die Mehrheit der französischen Bevölkerung in den Jahren 1940-1945 gegenüber den deutschen Teufeln an den Tag legte.
Die französischen und die internationalen Autoren (z.B. Michel Tournier, Ernst Jünger, Céline, Jonathan Littell), aber auch Geschichtsforscher wie etwa Henry Rousso beschreiben die Besatzungszeit nach dem 22. Juni 1940 mehr oder minder einhellig als schiedlich-friedliches Nebeneinanderherleben. Von den Schrecknissen der Besetzung Polens, wo ein erheblicher Teil der Zivilbevölkerung dem Terror der Deutschen zum Opfer fiel, blieb Frankreich weitgehend verschont. Im Gegenteil: Die französischen Behörden, die französische Polizei, die französische Bevölkerung kollaborierten überwiegend – mit löblichen Ausnahmen – willig und gern mit den deutschen Besatzungstruppen. Die Judenverfolgung der Deutschen konnte sich auf die Kooperation der Franzosen in Frankreich in der Regel verlassen. Panzergerassel und Soldatengewalt wurden nur in Ausnahmefällen zur Durchsetzung des Besatzungsregimes eingesetzt. Zu keinem Zeitpunkt war mehr als 1% der französischen Bevölkerung am aktiven Widerstand gegen die deutschen Besatzer beteiligt. So war es – nach allem, was uns heute noch berichtet wird.
Nach 1945 bildete sich rasch – wider alle Erfahrung der Zeitgenossen – der prägende Konsens, dass Frankreich, oder mindestens eine Mehrheit der Franzosen Widerstand gegen die deutsche Besatzung geleistet habe. Eine glatte Lüge zwar, wie die französische Historiographie wieder und wieder herausgearbeitet hat. Gleichwohl eine unverzichtbare Lüge, ohne die das Frankreich des Generals de Gaulle nicht hätte aufleben können.
Daniel Cohn-Bendit, einer der wenigen wirklich europäisch sozialisierten Politiker, dürfte dies nicht zuletzt im Lichte der eigenen Lebensgeschichte so ähnlich sehen. Und aus diesem Grunde blieb ihm fast keine andere Wahl als gegen die Aufhebung der parlamentarischen Immunität Marine le Pens zu stimmen. Er kennzeichnete die Äußerungen Marine le Pens als abwegig, fern der Wahrheit, „irreführend“, „dumm“ und dergleichen mehr. Aber sie erfüllten eben den Tatbestand der Volksverhetzung, der Aufstachelung zum Hass nicht und seien deshalb vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt.
Dem grünen Europa-Abgeordneten Daniel Cohn-Bendit ist aus dem wahren Multi-Kulti-Bezirk Kreuzberg höchster Respekt zu zollen. Er hat sich in die Nesseln der Wahrheitsliebe gesetzt. Seine Analyse der Argumentationen trifft ins Schwarze.
Ich meine: Die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Marine Le Pen ist ein Bärendienst für die Demokratie, die Meinungsfreiheit, die Bürgerrechte. Eine politische Dummheit, um es diplomatisch auszudrücken. Frankreichs veröffentlichte Meinung dreht mittlerweile frei am Rad durch. Was das Europäische Parlament gemacht hat, wird dem Front National wieder einmal kräftige Stimmenzuwächse bescheren.
Daniel Cohn-Bendit, der Unbeugsame, der Lernende, der Bekennende, hat sich dem Tollhaus im Europäischen Parlament widersetzt. Cohn-Bendit hat recht. Chapeau.
Bild: Ville de Sevran, U-Bahn-Station mit der place Nelson Mandela: eine von zwei muslimischen Metzgereien an diesem Platz, die Lebensmittel nach den islamischen Hallal-Vorschriften anbieten. Eigene Aufnahme vom 23.06.2013
„Das Label Silvio Meier hat kaum noch etwas mit meinem ermordeten Freund zu tun.“
So schreibt Dirk Moldt, ein Freund des Erstochenen, in der taz. In der Tat, Moldt hat recht. Silvio Meier, der kämpferische Unerschrockene, hätte dergleichen ersatzreligiösen Opferkult vermutlich empört zurückgewiesen, wie er ihm nun wider Willen widerfährt. Die Umbennung der Gabelsbergerstraße in Silvio-Meier-Straße ist wirklich autozelebratorische Symbolpolitik vom Allerfeinsten. Man könnte auch sagen: Sie ist ein klarer Triumph der Anti-Hitler-Koalition, ein Sieg des ritualisierten Opfergedenkens im grünroten Friedrichshain-Kreuzberg, einer bundesweit bestens ausgewiesenen Hochburg der politisch maskierten, politisch grundierten Gewalt. Friedrichshain-Kreuzberg ist wirklich ein Saatbeet der zum Rechtsbruch geneigten politischen Extremismen.
Zugleich ist die Straßenumbenennung eine Legitimation für die Fortsetzung des – mitunter gewaltsamen – nachgeholten antifaschistischen Kampfes gegen Mussolini, Hitler, Franco und Metaxas. Was die Deutschen in Deutschland – im Gegensatz etwa zu den Polen – zu Lebzeiten Mussolinis, Lenins, Hitlers, Lenins, Stalins, Maos, Metaxas‘, Francos, also zu Lebzeiten der „großen“ Diktatoren nicht zustande brachten, nämlich eine breit aufgestellte, organisierte Widerstandsbewegung gegen die italienischen Faschisten, deutschen und österreichischen Nationalsozialisten, Rassisten, Hitleristen, Stalinisten, Nationalkommunisten, Bolschewisten … e tutti quanti im eigenen Lande, das holen die Antifaschisten der neuesten Stunde nunmehr nach. Sie alle, die Hitlergegner, die ein paar Jahrzehnte nach Hitler kommen, setzen sich mit der Silvio-Meier-Straße ein Denkmal der eigenen Großartigkeit.
Man darf darauf warten, wann in Kreuzberg auch einer der zahlreichen in den letzten Jahren praktisch vor unseren Augen ermordeten türkischen Kreuzberger Frauen erstmals durch Straßenumbenennungen gedacht wird. Der von der BVV geforderten Frauenquote im Friedrichshain-Kreuzberger Straßenland täte es gut!
Der von mehreren Zeugen eindeutig identifizierte Mörder der Klientin von Seyran Ateş lebt oder lebte nach seinem Freispruch angeblich unbehelligt im schnuckeligen Kreuzberg. Der Mord geschah in Kreuzberg, hier um die Ecke am U-Bahnhof Möckernstraße. Und einige andere Morde an türkischen Frauen, von denen niemand etwas wissen will, ebenfalls.
„Was wird hier an diesem Brunnen erzählt?“ Mit einer russisch-deutschen Fußwandergruppe, deren Teilnehmer hauptsächlich aus Moskau, Berlin und Samara stammten, besuchte ich letzten Sonntag den berühmten Spandauer Eiskeller, den kältesten Punkt ganz Berlins. An jenem Sonntag war es in Spandau aber auch kälter als in Sibirien. Ich verkündete stolz die Werte für Samara, für Moskau, für Wladiwostok, die ich in der U-Bahn noch abgelesen hatte. Wir lagen drunter! Wir Deutschen waren Weltmeister der Kälte!
Beim ev. Johannesstift rätselten wir über die Botschaft des Brunnens. Man sieht wenig an diesem Brunnen: Ein Mann ist von seinem Pferd abgestiegen. Er scheint einem anderen Mann aufzuhelfen. Ein anderer Mann geht vorbei. Wir sind irgendwo zwischen Felsen. Leider war die erklärende Plakette des Brunnens wegen Eisbefalls nicht zu lesen. Es herrschte ja in ganz Europa in jenen Tagen eine große Vereisung und Verpanzerung. Deshalb fehlten an dem Brunnen der Vergangenheit die Erklärschilder. Es fehlte der Erzähler, der die alten Brunnengeschichten erzählen könnte. Die Botschaft des Brunnens war verstummt. Es herrschte Frost und Vereisung.
Einer fasste sich da ein Herz und fing an zu erzählen:
„Ich glaube …“
„Was glaubst du …?“, unterbrachen ihn die Kinder.
„Ich glaube, dass hier erzählt wird, wie ein Mann unter die Straßenräuber fiel. Die Räuber schlugen den Mann zusammen, raubten ihn aus und ließen ihn halbtot liegen. Da kam ein stolzer Moskowiter vorbei, der sagte: „Ach da liegt ja so ein Provinzler. Sicher ein Alkoholiker. Typisch, selber schuld.“ Der Moskowiter ging weiter. Da kam ein Berliner vorbei. Der sagte: „O, ein Kälteopfer. Ach was, es gibt ja die Kältehilfe. Die wird sich um den kümmern.“ Und ging weiter. Zuletzt kam ein Mann aus Samara vorbei. Ihr wisst ja, liebe Kinder, Samara, früher Kuybischew, die Autostadt hart am Ural, die außer Wäldern, Feldern und Langlaufloipen gerade und auch im Bereich Kultur im Vergleich zu Moskau und Berlin nichts zu bieten hat! Der Mann aus Samara blieb stehen und sagte: „Dir muss ich helfen.“ Er verband dem Mann die Wunden, flößte ihm Tee ein und brachte ihn ins nächste Hotel. Dort gab er dem Wirt 200 Euro (in Russland ein inoffiziell anerkanntes Zahlungsmittel). „Kümmer dich um den Mann. Ich komme in ein paar Tagen wieder vorbei. Wenn das Geld nicht reicht, kriegst du noch was von mir.“ –
„Nun frage ich euch, liebe Kinder: Was wurde hier erzählt?“
Wir schwiegen zunächst. Dann sagte einer: „Es wurde die Geschichte von dem Gebot der Ersten Hilfe erzählt. Der Mann aus Samara leistet erste Hilfe, die anderen nicht. Er ist also ein Vorbild. Du hast soeben die Entstehung der Samariterhilfe erzählt – und warum sie so heißt!“
Wir schauten genauer hin. Wie realistisch war die Erzählung? Gab es denn damals, als der Brunnen gebaut wurde, schon den Euro? Glaubte der Erzähler eigentlich selbst das, was er da aufgetischt hatte? Was ist die Wahrheit? Was ist Wahrheit?
Da entdeckten wir die Bestätigung dessen, dass die Samariter-Erzählung des mutigen Erzählers wahr war. Denn das Eis, der Schnee auf der Szene hatte zu tauen begonnen. Die Sonne hatte ein Erbarmen, sie unterstrich die Wahrheit dieser Geschichte von der Barmherzigkeit. Ein Wunder! In ganz Berlin war dies die einzige Stelle, an der die Sonne stark genug war, das Eis zum Schmelzen bringen!
War dies so? Was ist die Wahrheit dieser Erzählung? Hat sich dies so zugetragen? Es könnte sein, es könnte nicht sein. Dass etwa der Arbeiter-Samariter-Bund auf die russische Stadt Samara an der Wolga zurückgeht – wer will das behaupten oder bestreiten?
Vielleicht hat der Erzähler das eine oder andere ergänzt oder umgedreht. Die Botschaft aber dürfte so zutreffen. Die Wahrheit ist: Man darf an die Botschaft glauben und ihr folgen.
Die Sonne brachte den Beweis von der Wahrhaftigkeit der Erzählung vom barmherzigen Samariter.
Ein heikles Thema zum Welttag der Frauen – das allerdings zum vorigen Thema „Platos perfekte Quotierung des Staates“ passt.
ZDF heute brachte einen Beitrag über die zahlreichen durch den Staat erzwungenen oder freiwilligen Abtreibungen in China. Etwa 13 Millionen sollen es pro Jahr sein, bei etwa 18 Millionen Lebendgeburten. Vor allem werden Mädchen abgetrieben, da sie nicht ins Konzept der Familien hineinpassten, wonach die Familie vor allem einen männlichen Stammhalter brauche, und da der Staat die Ein-Kind-Politik durchsetze, komme es zu sehr vielen selektiven Abtreibungen von Mädchen. Die hohe Zahl der in China vorgenommenen Abtreibungen wird im ZDF-Kommentar ausschließlich als schlimmer Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frau gewertet.
Allerdings ist jede Überheblichkeit des Westens wegen einer derartigen selektiven Abtreibungspraxis unangebracht. Gestern wurden vom Statistischen Bundesamt die Zahlen zu den Abtreibungen in Deutschland vorgelegt. 106800 Schwangerschaften wurden 2012 in Deutschland abgebrochen. Knapp drei Viertel der Frauen waren zwischen 18 und 34 Jahre alt. 2012 entfielen auf Tausend Geburten in Deutschland 159 Abbrüche (=15,9%). In drei Prozent der Fälle kam es zum Abbruch aus medizinischen Gründen oder weil die Schwangerschaft auf eine Vergewaltigung zurückzuführen war.
Als Gründe für den Schwangerschaftsabbruch hören und lesen wir immer wieder:
1) „Ich will selbst entscheiden, was mit meinem Körper geschieht. Da hat mir niemand dreinzureden.“
2) „Ein Kind passt überhaupt nicht in meine Lebensplanung. Ich muss erst einmal beruflich auf eigenen Beinen stehen.“
3) „Keine Frau entscheidet sich leichten Herzens für einen Abbruch. Also hat auch niemand dreinzureden, vor allem kein Mann. Das muss jede Frau letztlich ganz allein entscheiden.“
4) „Ein ungeborener Embryo ist kein Mensch, zumal ihm das Bewusstsein und die subjektive Erlebnisdimension fehlt, die wir als Voraussetzung für Menschenwürde anzusehen haben. Er ist nur eine Art Vormensch. Er ist eine Art vorübergehender Körperteil der Frau.“
Das Recht der Frauen auf Abtreibung wird sehr oft als Grundrecht der Frauen auf einen selbstbestimmten Körper und eine selbstbestimmte Sexualität gesehen. Ich habe mir einige aktuelle Ratgeber – sogenannte Aufklärungsbücher – für Jugendliche durchgesehen. In keinem wird Abtreibung als moralisches oder ethisches Problem gesehen. Es wird als ein Problem gesehen, bei dem jede Frau letztlich nur auf sich selbst gestellt ist und die Verantwortung ganz alleine übernehmen muss.
Auch im umfänglichen Integrations-Ratgeber der deutschen Bundesregierung aus dem Jahr 2008 wird Abtreibung ausschließlich als administrativ-finanztechnisches Problem dargestellt. Jeder Hinweis im Sinne von „Jedes Kind ist in Deutschland willkommen!“ wird strengstens vermieden.
[Beleg: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Chancen durch Integration. Ratgeber für Familien. Information, Beratung, Hilfe für Zuwanderinnen und Zuwanderer. forum integration. Wir machen mit. Stand: 2007. (unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 2008)]
Dementsprechend wäre die geschlechts-selektive Abtreibungspraxis in China nur ethisch verwerflich, sofern sie durch den Staat erzwungen wird, nicht aber sofern die Frauen selbst nach Geschlecht für oder gegen Abtreibung optieren. Die Selbstbestimmung der Frau ist das A und O in der westlichen Darstellung.
Dies entspräche etwa der selektiven Annahme oder Ablehnung bzw. Tötung von neugeborenen Kindern, wie sie dem römischen Familienvater – aber nicht der Mutter – als selbstverständliches Recht bis etwa 319 n. Chr. zustand.
Das „Sanctity-of-Life“-Argument, wie es beispielsweise der australische Philosoph Peter Singer darstellt, taucht freilich in keinem aktuellen Sex-Ratgeber für Jugendliche auf. Verkürzt lautet es so:
1) Menschliches Leben ist prinzipiell unverletzlich oder unverfügbar. Das Leben ist etwas „Heiliges“. Der Mensch soll nicht aktiv entscheiden, welches menschliche Leben weitergeht und welches beendet wird.
2) Wir „haben“ unseren Körper nicht wie eine Sache, sondern wir „sind“ der Körper und müssen insofern die Normen einhalten, die wir für den Umgang mit lebendigen Körpern grundsätzlich anerkennen. Genau so argumentiert übrigens Immanuel Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, wenn er sagt, wir sollten in der Sexualität den anderen Menschen nicht als Mittel zum Zweck missbrauchen, nicht als Objekt zur Erreichung der eigenen Befriedigung nutzen.
3) So wie eine Gesellschaft mit dem allerschwächsten und allerwehrlosesten menschlichsten Leben umgeht, so geht sie mit dem menschlichen Leben überhaupt um.
Peter Singer lehnt übrigens dieses Sanctity-of-life-Argument neuerdings entschlossen ab. Es sei rational und philosophisch nicht begründbar, sondern sei aus der jüdisch-christlich-muslimischen, religiös fundierten Mitleidsethik in die europäische Diskussion eingeschleppt worden. Der Trick der Propheten (Mose, Jesus, Mohammed usw.) dabei sei, dass man das Leben als „gottgegeben“ hingestellt habe. Und gegen das Gottesargument sei argumentativ nichts auszurichten. Die Berufung auf einen Gott sei nichts anderes als das Gegenteil eines rationalen Arguments. Die völlig irrationale Annahme, das Leben sei eine Gabe Gottes, sei ebenso sinnvoll oder sinnlos wie alle anderen Aussagen, denen kein sinnvoller Bedeutungsgehalt zugeschrieben werden könne.
Auffallend an der gegenwärtigen Gerechtigkeits- und Familiendebatte in Deutschland ist, dass stets das Leben der einzelnen Erwachsenen, das Leben der „richtigen Menschen“ also, zum Dreh- und Angelpunkt gemacht wird. Ob eine Gesellschaft gerecht oder ungerecht zu den Frauen ist, wird bei uns danach bemessen, ob sie eine angemessene Quote an gesellschaftlicher und finanzieller Macht erringen können oder nicht. Individuelles Verhalten und politische Maßnahmen werden danach beurteilt, ob sie den erstrebten Zweck – etwa Verringerung der Ungleichheit in der Vermögensverteilung – erreichen.
Keine Partei bringt laut, vernehmlich und überzeugt folgendes Argument, das ich gern mindestens einmal gehört hätte:
„Es ist wichtiger, dass wir als Gesellschaft uns vor allem dem kleinsten und wehrlosesten Leben als barmherzig und hilfreich erweisen. Gerade der unerwünschte Mensch, der kleinste Mensch, der zur falschen Zeit kommt, ist ein Prüfstein für unsere Mitleidsfähigkeit und Barmherzigkeit. Hierfür bedürfen gerade die allerkleinsten Kinder unseres besonderen Schutzes. Denn sie können ja nicht schreien. Es ist wichtiger, dass wir als Gesellschaft das unvollkommene Menschliche achten, hegen und pflegen, als Frauen mit dem Muster einer starren Quotierung in staatliche Erwartungsmuster hineinzupressen. Jedes menschliche Leben ist willkommen. Leben weiterzugeben, Leben zu hegen und zu pflegen ist schöner und besser als der wirtschaftliche Erfolg und der Reichtum. Und dafür – vor allem dafür – ist nach allem, was wir wissen, die Ehe zwischen Mann und Frau, die sich zu Kindern hin erweitern kann und erweitern soll, der seit Jahrtausenden unübertroffene Rahmen. Er hat deswegen – und nur deswegen – die Sonderstellung verdient, die ihm vom Grundgesetz zugesprochen worden ist.“
Die Geschwindigkeit, mit der die politische Mitte sich tatsächlichen oder gefühlten Mehrheiten, die oft nur angezüchtete Bequemlichkeiten sind, anpasst, ist immer wieder herzerfrischend. „Was darf’s denn jetzt wieder sein?“, lautet die Frage nach jeder Meinungsumfrage. Entscheidend ist meines Erachtens, dass die CDU derzeit den Bürgern und vor allem dem Hauptstrom der veröffentlichten Meinung immer mehr Zugeständnisse macht und oft nicht erkennbar ist, wofür sie steht.
Vor allem schreitet die Demontage des Gedankens der Familienverantwortung und die Unterhöhlung der Verantwortung des Einzelnen für andere und für sich selbst in atemberaubenden Tempo voran. In wahrlich nicht nebensächlichen Fragen wie den Anrechten der kleinen und allerkleinsten Kinder auf Leben und auf ihre beiden Eltern, Kritik an der routinemäßig vorgenommenen Abtreibung (etwa 100.000 pro Jahr in Deutschland), Kritik am vorherrschenden Materialismus, Kritik an der „Religion des Geldes“ (wie dies Väterchen Karl Marx nannte) hat die politische Mitte die Fahnen weitestgehend eingezogen. Hier sind es unter den Institutionen nur noch die Religionsgemeinschaften (Christen, Juden, Muslime), die nicht eingeknickt sind.
Allerdings sollte man, wenn man die Mann-Mann-Ehe und die Frau-Frau-Ehe de facto und steuerrechtlich der Mann-Frau-Ehe gleichstellt, dann schon richtig Nägel mit Köpfen machen! Man sollte dann fragen, ob man auch die nach dem Recht der Scharia geschlossene Ehe eines Mannes mit bis zu vier Frauen gleichzeitig (ein häufiger Fall, der im deutschen Sozialrecht routinemäßig anerkannt wird) ebenso zulassen und steuerlich fördern muss wie die Ehe einer Frau mit bis zu vier Männern gleichzeitig (die freilich nach islamischem Recht nicht zulässig ist, aber nach dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes selbstverständlich ebenfalls anerkannt werden muss). Die Diskussion muss geführt werden. Ich bitte darum.
Weitere Beispiele: Die Energiewende ist in der jetzigen Form ein Stück staatsdirigistische Planwirtschaft und droht sogar die Idee der Marktwirtschaft zu beschädigen. – Die plötzliche Abschaffung der Wehrpflicht war unbedacht. – Das viermalige Umschwenken im Atomenergie-Kurs hat viele überfordert, die es zu verstehen suchten. – Die viele Millionen Familien prägende historische Erfahrung der Vertreibungen der Polen, Juden, Ungarn, Slowaken, Tscherkessen, Deutschen, Armenier, Ukrainer, Griechen, Türken usw. von 1917 bis 1949 wird nicht mehr angesprochen, stattdessen wird das nachgeplappert, was ein Meinungskartell über die alleinige Schuld Deutschlands an allem Bösen, das seit 28.06.1914 in Europa geschah, nahezu ausschließlich zu Lasten der Deutschen anschreibt bzw. voneinander abschreibt. Es fehlt demnach der CDU auf Bundesebene empfindlich an einer sinnvollen Geschichts-, Erinnerungs- und Sprachenpolitik. Das Thema „deutsche Nation“ oder „deutsche Sprache“ ist weitgehend unbearbeitet, so überlässt man es lieber fast ausschließlich den Rechtsextremen und einigen Grünen.
Es fehlt der Union an einer breiten inhaltlichen und personellen Aufstellung. Das individualethische Moment – „Es kommt mehr auf das richtige Handeln der Personen an, nicht auf die Verhältnisse“ – ist in der gesamten politischen Öffentlichkeit meines Erachtens nicht mehr so recht erkennbar. Es herrscht eine links-kollektivistische Ethik vor. Deren Credo lautet: „Der Staat, die Politik muss erst einmal die richtigen Rahmenbedingungen setzen, dann werden wir Bürger auch anfangen, uns richtig zu verhalten.“
Die CDU droht sich derzeit zu ihrem eigenen Schaden komplett in der linken Mitte einzunisten und einzuhausen: staatsdirigistisch lenkend, mehr auf die aktuellsten Meinungsumfragen und Massenmedien des Hauptstroms als auf die Bürger und das Volk hörend. Versprechend, lockend, schmeichelnd, verwöhnend! Letztes Beispiel: die Abschaffung der Studiengebühren in den letzten beiden verbleibenden Bundesländern, die sie noch erhoben. Erneut ein Einknicken vor der bequemen Standardformel, mit denen die Bürger von den Politikern eingelullt werden: „Oh Staat, wenn du etwas von willst, musst du uns mehr für das Dasein und das Leisten zahlen! Liebe Politik, Du musst uns das Leben schöner, einfacher, reicher machen!“
Was mir persönlich große Sorgen bereitet, ist genau dieser Populismus der Mitte.
„Scheitert die Energiewende in Deutschland, hätte dies fatale Folgen für die weltweiten Bemühungen gegen den Klimawandel.“ So äußern sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN einhellig in einer Erklärung vom 4. Dezember 2012.
Was für eine grandiose Haltung der deutschen Politik spricht aus diesem Satz! Ich finde es merkwürdig, dass das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sich in den Dienst eines vorerst eher unkonkreten politischen Maßnahmenbündels stellt, „um die WELT zu retten.“
Was maßen sich die HERRschaften eigentlich an – DEUTSCHLAND soll also der Welt den Weg weisen? Soll denn am deutschen Energiewendewesen das Weltklima genesen? Vorsicht, diese deutsche Überheblichkeit hattten wir schon mal. Diese deutsche Überheblichkeit hat der Welt nicht gut getan. Der Zertifikatehandel hat ja bisher auch keineswegs den ersehnten, hoch und heilig versprochenen Wandel gebracht.
Deutschland erzeugt etwa 2,4% der gesamten weltweit ausgestoßenen Treibhausgase. Das ist viel, aber es ist nicht so viel, dass Deutschland es in der Hand hätte, das Weltklima zu retten. Selbst wenn Deutschland von heute auf morgen die gesamte Emission einstellte, würde sich langfristig nichts ändern.
Ich finde es besser, wenn kirchliche Organe sich der allzu offenen, direkten Einflussnahme in die Tagespolitik zugunsten einer politischen Partei (etwa der GRÜNEN) enthalten. Dem HERRN gehört die Erde, der Erdkreis und seine Bewohner: Der Psalmist meint damit: Der Mensch, noch weniger ein einzelnes Volk wie die Deutschen, sollten sich nicht anmaßen, über Wohl und Wehe der Erde zu verfügen. Achtsamkeit, schonender Umgang mit den Mitmenschen und mit den Schätzen der Erde – ja! Rechthaberei, Aufzwingen des eigenen Willens, Steuerung von oben herab – sind schon weniger zielführend.
Etwas mehr Bescheidenheit tut not. Der Klimawandel ist zweifellos ein Problem, wenn auch keineswegs das drängendste Problem der Weltpolitik. Die deutschen Katholiken und die deutschen Bündnisgrünen sollten jetzt nicht so tun, als hätten ausgerechnet die Deutschen das Ei des Kolumbus gefunden. Es werden wahnsinnig viele Treibhausgase unnötig emittiert. Emissionseinsparungen sind neben Änderungen des Lebensstils ein bisher kaum genutztes Potential.
Kleinere Brötchen backen ist angesagt.
Fahren wir etwas mehr Fahrrad, schaffen wir etwas bessere Bedingungen für den Radverkehr, beginnend im grün regierten Wohnbezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Das wäre mal schon etwas. Man muss nicht immer der WELT vorschreiben wollen, wie es geht.
Da lacht doch das Herz des Kreuzberger Bloggers! Katrin Göring-Eckardt als Spitzenkandidatin der Grünen nebst dem Ex-Kommunisten Jürgen Trittin! Das wirft die Frage auf: Kehrt urplötzlich das Religiös-Demokratische nach Deutschland zurück? Cooler Move!
Ich höre aus der Urwahl folgende Message ans Wahlvolk heraus: „Wenn ihr in der CDU zu wenig Christdemokratisches findet, wenn die CDU euch zu links, zu staatsdirigistisch, zu staatsgläubig ist, dann wählt halt die Partei der Chrismon-Autorin Göring-Eckardt!“ Katrin Göring-Eckardt, deren Gedanken über die „Kultur des Weniger“, über Philipp Melanchthon mich damals – ich las sie in in der Meister-Eckart-Stadt Erfurt – sehr beeindruckt haben!
Nach Gauck, nach Kretschmann, nach Fritz Kuhn, nach Cem Özdemir ist dies der nächste Coup der jungen wilden Neuen Konservativen, die die Linkspartei der Bündnisgrünen systematisch unterwandert haben oder aus der CDU-Familie abgewandert sind, – bzw. der CDU verlorengegangen sind! Gauck, Göring-Eckardt, Özdemir, Kuhn, Kretschmann, Rezzo Schlauch, Matthias Filbinger, der Sohn des ehemaligen Ministerpräsidenten Filbinger, hätten eigentlich in der CDU Platz finden oder wiederfinden müssen, hätten von der CDU demütig bittend ab- und angeworben werden müssen. Das sind doch alles astreine Wertkonservative! Die könnten Bände erzählen, warum sie nicht zur CDU gegangen sind. Die CDU sollte die genannten Persönlichkeiten – nebst Sarah Wagenkecht – zur Beratung bitten, die wäre goldwert! Allerdings kann man die Politik-Beratung auch kostenlos haben, wenn man die öffentlichen Äußerungen dieser Männer und dieser Frauen sorgfältig liest, fleißig bespricht und kundig-demütig deutet. Teure, aufgebrezelte Kommunikationsagenturen sind voll überflüssig.
Wie bitte? Jawohl. Sarah Wagenknecht von der Linkspartei, die sich neuerdings ebenfalls zum Ideal der Nächstenliebe bekennt, die Goethes Faust II zustimmend liest und neu deutet, die ausdrücklich mehr Marktwirtschaft im Geiste Ludwig Erhards einfordert!
Es passt ins Bild, dass neuerdings der Charlottenburger, direkt gewählte grüne Bundestagsabgeordnete von Friedrichshain-Kreuzberg redlich dazu steht, bereits 1967 nach römisch-katholischem Ritus in der Kathedrale Unsere Liebe Frau zu Paris vor Gott und den Menschen den Bund der Ehe geschlossen zu haben, was Ehe auf ewig bindet. Dies ist zu verstehen als ein öffentliches Bekenntnis zum religiösen Ritual, ein verbindliches Eintreten für die geistliche Dimension der Politik und des Privatlebens, ein klares öffentliches Bekenntnis zum europäischen Christentum, das der säkulare Christ (ich würde ihn so nennen) Hans-Christian Ströbele damit vollzieht.
Was den Charlottenburger direkt gewählten grünen Bundestagsabgeordneten allerdings nicht daran hinderte, den Saal des Bundestages zu verlassen, als „unser Heiliger Vater“, wie er sagte, zu reden anhub, denn „unser Heilger Vater“ hatte sich nicht beim grünen Bundestagsabgeordneten entschuldigt für all das, was im Namen der Kirche den Armen und Elenden dieser Welt angetan worden war. Es passt ins Bild, dass er sich redlich zu seinem schönen richtig großen Family-Van Volkswagen Touran bekennt. Auch im grün regierten Friedrichshain-Kreuzberg ist genug Platz für Family-Vans. Kein grüner oder roter oder schwarzer VW Touran muss hier bei uns an den Bezirksgrenzen abgestellt werden. Platz genug für Autos, Autos, Autos, Platz genug für das heilige Blechle der Deutschen ist überall.
Ganz ähnlich bekennt sich der säkulare deutsche Grünen-Politiker Cem Özdemir öffentlich zum uralten, abrahamitisch-jüdisch-muslimischen schmerzensreichen religiösen Ritus der Knabenbeschneidung, dem er selbst unterworfen wurde und den er als Kirve – Kirve bedeutet Gevatter – auch weiterhin mitträgt und an die nachwachsende Generation weitergibt.
Somit dürfen wir ausrufen: 2013 wird sehr spannend für die CDU und ihre drei direkten Konkurrenzparteien (Grüne, FDP, Linke), die ihr neuerdings versuchen, das christlich-demokratische Wasser abzugraben – und sehr eng für die SPD!
Ich empfinde es als einen Segen, wenn sich die Linkspartei und die Grünen mit der CDU um die Erbschaft der Gründungs-CDU (aus dem sehr fernen Jahr 1946) streiten, wenn sie gemeinsam um die rechte Auslegung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland aus dem furchtbar fernen Jahr 1949, gemeinsam um Maß und Mitte im Leben des Menschen ringen!
Es lebe die deregulierte, liberalisierte Marktwirtschaft des freien Wortes! Konkurrenz um das Christlich-Demokratische, bzw. das Religiös-Demokratische, um das Wertkonservative belebt das Geschäft, macht müde Männer munter!
Weiterführendes Schrifttum:
http://www.taz.de/Ergebnis-Gruenen-Urwahl/!105276/
„Ich bin nicht müde“. DER SPIEGEL 38/2012, S. 42-44
Cem Özdemir: „Ein schmerzhaftes Ritual“. In: ders.: Die Türkei. Politik, Religion, Kultur. Weinheim 2008, S. 237-239
Ungeschickt zum Löschen ist
Wer da Öl gießt, wo es brennt;
Noch ist drum kein guter Christ,
Der zu Mahom sich bekennt.
Scheut die Eule gleich das Licht,
Fährt sichs doch vorm Winde gut,
Besser noch mit Wind und Flut
Aber gegen beide nicht.
Soweit die Stimme des Dichters Adalbert von Chamisso. Ein klarer, mutiger, wegweisender Reisender, ein Migrant reinsten Wassers! Es macht Freude, bei diesem Namensgeber unseres Kreuzberger Chamissoplatzes nachzulesen, was er über das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen sagt.
Wenig Freude habe ich an den Reaktionen des Westens auf den ganzen Schmäh (wie der Wiener sagt), auf die Morde, auf die Plünderungen und Ausschreitungen in muslimischen Ländern, wenig Freude habe ich an den Reaktionen einiger Muslime auf den üblen Schmäh und den üblen Spott. Ich vermisse bei den Verlautbarungen der Politiker das Mitgefühl für all die vom Mob Ermordeten, für die Ausgeplünderten und Verprügelten!
Das Schlimmste, was jetzt in diesem Zusammenhang geschieht, sind zweifellos die Morde und Plünderungen, die Brandstiftungen, die Straßenschlachten in einigen Ländern der muslimischen Welt.
Die Reaktion der deutschen Politik erinnert in mancherlei Hinsicht an die Reaktion nach dem Tsunami-Unglück in Japan. Statt der 20.000 Toten zu gedenken und den 100.000 Obdachlosen zu helfen, die durch die Flutwelle in Japan ins Leid gestürzt worden waren, wurde ohne zwingende Not in Deutschland eine Kernenergiedebatte losgetreten. Und so wird auch jetzt in Deutschland ohne zwingende Not eine Verbotsdebatte losgetreten, statt der Ermordeten und Geprügelten zu gedenken.
Islambeleidigende Filme und Machwerke gibt es leider seit Jahren zuhauf, christentumsbeleidigende Filme und Machwerke gibt es leider seit Jahren zuhauf, judentumsbeleidigende Filme und Machwerke gibt es leider seit Jahren zuhauf. Dazu empfehle ich nachdrücklich, die bunte Welt der Videos und Filme der islamischen Länder nicht zu vernachlässigen. Das müssen wir Abendländer schon aushalten, als blutrünstige Monster dargestellt zu werden.
Keine Beleidigung rechtfertigt aber, dass man Leben und körperliche Unversehrtheit anderer Menschen angreift. Ich vermisse bei den deutschen Politikern eine klare Verurteilung der Ausschreitungen, der Plünderungen, der Morde, für die der Film nur der absichtlich gesuchte Auslöser, nicht der Grund war. Es kann doch keinem Zweifel unterliegen, dass dieser Film nicht ursächlich war für das gehäufte Auftreten von Randalierern und Hetzern, von Mördern und Terroristen in einigen islamischen Ländern. Der Konflikt, der Hass ist bewusst geschürt worden, er hätte auch anhand anderer Werke geschürt werden können. Die Randale werden gezielt gesteuert. Verbietet man diesen einen Film, wird sicherlich binnen kurzem der nächste Anlass gefunden werden, um gezielt loszuschlagen.
Es stimmt zweifellos: Mehr Respekt vor den Religionen stünde uns allen gut an. Entscheidend ist bei dieser Selbstprüfung: Kann man es verantworten, Menschen in ihren religiösen Gefühlen so mutwillig zu beleidigen? Nein. Man sollte Menschen wegen ihres Glaubens nicht beleidigen oder verletzen.
Aber kein verletztes Gefühl, keine Kränkung rechtfertigt Mord, Totschlag, Plünderung, maßlose Hetze in Sudan, Libyen, Pakistan – oder in der Europäischen Union!
Eine klare Distanzierung vom Terror, von Mord und Totschlag tut not. Ich wünsche mir eine klare Aussage der EU: „Wir schützen die Freiheit des religiösen Bekenntnisses. Wir achten die Religionen. Jeder EU-Bürger darf seinen Glauben leben, solange er nicht die Gesetze unserer Staaten verletzt. Aber Terror, Mord, Totschlag, Plünderungen und Prügeleien werden wir in der Europäischen Union als Reaktion auf Gotteslästerung keinesfalls hinnehmen. Wir lassen uns nicht erpressen und bedrohen. Da sind wir felsenfest.“
Und eine klare Distanzierung von diesem und anderen Filmen – den ich allerdings nicht gesehen habe – kann und sollte man ruhig wiederholen, das haben die Politiker ja auch brav gemacht. Gut gemacht.
Ich wünsche mir folgende Ansage: Nein zu Terror und Gewalt! Nein zu mutwilliger Beleidigung der Menschen und Religionen! Ja zum Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, ja zum Grundrecht der Meinungsäußerung!
Diese Doppelbotschaft muss jetzt von der europäischen Politik kommen.