Mai 302009
 

Recht einsilbig berichtet das Neue Deutschland heute auf S. 6, der Bundestag habe einen FDP-Antrag auf Überprüfung aller Bundestagsabgeordneten und Mitarbeiter von Bundesbehörden auf Stasi-Zugehörigkeit abgelehnt. „Die Unkultur der Verdächtigung“ dürfe nicht „noch angeheizt“ werden, so Vizepräsident Wolfgang Thierse. LINKE, Union und SPD stimmten einmütig für die Kultur der Generalamnesie. Denn gestern ist gestern. Irgendwann muss ein Schlussstrich gezogen werden!

Wie ihr euch denken könnt, halte ich es auch bei dieser eilfertigen Entscheidung unserer Volksvertreter mit der Minderheit. Insbesondere mit dem Bundestagsabgeordneten Arnold Vaatz, dessen Einlassungen im heutigen Spiegel online ich für vorbildlich halte. Und noch erstaunlicher: Was Vaatz sagt, stimmt offenkundig. Vaatz trifft den Nagel auf den Kopf.

DDR-Bürgerrechtler Vaatz: „Die Stasi hatte Westdeutschland komplett unterwandert“ – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik
Ich weiß nicht, was noch alles zu Tage kommen muss, damit man West-Deutschland als unterwandert bezeichnen kann. Die Bundesrepublik war es, und zwar durch und durch.

Das Abstimmungsverhalten der Bundestagsfraktionen legt einen Schluss nahe: Die FDP-Fraktion ist von allen fünf Bundestagsfraktionen mutmaßlich am wenigsten betroffen. Mutmaßlich saßen und sitzen in den Reihen der westdeutschen FDP-Abgeordneten und Parlamentsmitarbeiter die wenigsten Spione und Stasi-Mitarbeiter. Vielleicht war die FDP nicht so interessant für die Stasi wie die anderen Parteien.

„Du sollst nicht wissen!“, so lautete das Schlagwort nach 1945, als in beiden deutschen Staaten in großem Umfang die Mörder und Henker in Staatsdiensten bequemen Unterschlupf fanden.

„Du sollst nicht fragen!“, so die bequeme Formel, auf die sich das Kartell der Schlussstrich-Zieher auch gestern im Bundestag geeinigt hat.

„Spekuliert auf Dummheit.“ Unter diese Formel stellt der Politologe Bodo Zeuner seinen Gastkommentar auf S. 1 des heutigen Neuen Deutschlands. Die Schuld an der Erschießung Benno Ohnesorgs weist er bizzarrerweise nicht Karl-Heinz Kurras zu, sondern: „Auftraggeber K.s war der Senat von Berlin, samt Springerpresse und aufgehetzter Bevölkerungsmehrheit.“ Da haben wir’s: Schuld sind immer die anderen! Zeuner liefert damit zugleich den Schlüssel für seine eigene – zutreffende – Vermutung: “ … dann hätte die Stasi genauso in der Springer-Presse und im Senat von Berlin, ja auch im von Walter Sickert geführten DGB tätig gewesen sein müssen, eine Riesenarmee von agents provocateurs steuernd.“

Ja, so war es, Herr Zeuner, Sie vermuten richtig! Allerdings ist das mit dem Steuern so eine Sache, Herr Professor! Sie können eine solche Truppe aus Waffennarren, dogmatischen und undogmatischen Linken, unpolitischen Desperados und geldgierigen Mitläufern eigentlich nicht steuern. Anfüttern ist das bessere Wort, Herr Zeuner. Die Stasi hat bis 1989 in der Bundesrepublik durch erhebliche Geldzahlungen und konspirative Netzwerke eine riesige Zahl an Zuträgern und Agenten angefüttert und unterhalten. Zum Zusammenhalt dieses Netzwerkes dienten auch verbrecherische Methoden wie etwa Verschleppung und gezielter Mord. Viele dieser Agenten dürften weiterhin ihren demnächst zu erwartenden Pensions- und Rentenzahlungen entgegensehen, soweit sie diese nicht bereits jetzt unbehelligt in Anspruch nehmen.

Den etwaigen Gegenbeweis, dass es doch nicht so nicht gewesen wäre, könnte man nur dann führen, wenn auf seiten des Deutschen Bundestages und der Birthler-Behörde der erkennbare Wille da wäre, das Ausmaß der Verstrickung und Unterwanderung westdeutscher Behörden, Lehrerkollegien, Pressehäuser, Polizeibehörden, Ministerien und Parlamente offenzulegen. Dieser Wille ist offenkundig nicht vorhanden – wofür wiederum der Beweis dadurch erbracht wurde, dass Karl-Heinz Kurras, der doch den Gang der Geschehnisse erheblich beeinflusst hatte, erst nach so vielen Jahrzehnten „zufällig“ enttarnt werden konnte.  Dies zeigt, wie unverbrüchlich die Mauer des Schweigens auch heute noch hält.

Ich meine: Durch die Ablehnung des FDP-Antrages hat der Deutsche Bundestag genau jenes Klima der allgemeinen Vedächtigung angeheizt, das er zu vermeiden suchte. Warum macht der Deutsche Bundestag das? Meine Vermutung ist: Aus Gründen der Staatsräson. Wenn jetzt trotz aller Nebelkerzen ans Licht kommen sollte, dass im Bundestag und in den Bundesministerien 40, 50, 100 oder 500 ehemalige Stasi-Agenten als Abgeordnete oder Bundestagsmitarbeiter arbeiteten oder arbeiten, und wenn deren Namen öffentlich bekannt würden, dann wäre der soziale Frieden gefährdet. Dann wäre die erfolgreiche Einbindung der DDR-Eliten in das System der Bundesrepublik, wie das Eberhard Diepgen einmal so löblich genannt hat,  gefährdet. Es bestünde die Gefahr der offenen Rebellion, der massiven Sabotage durch die alten Stasi-Seilschaften. Dann stünden uns noch viele weitere Skandale ins Haus wie etwa die gezielte Ausspähung der Bahn-Mitarbeiter, die maßgeblich von intakten Stasi-Seilschaften bewerkstelligt wurde.

Dennoch schlage ich hier mich auf die Seiten der FDP-Fraktion und einiger weniger Aufrechter wie etwa Arnold Vaatz und Vera Lengsfeld: Solange die gesamte Stasi-Verstrickung westdeutscher Eliten unter den Teppich gekehrt bleibt, ist unser Staat erpressbar.  Die Umtriebe in der Deutschen Bahn sind ein Vorgeschmack auf das, was uns blühen kann, wenn wir dem nicht Einhalt gebieten. Das Wegsehen schadet der Demokratie. Ich bin für Aufklärung. Auspacken ist angesagt. Die Zeit ist reif. Viele Zeugen leben noch.

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Festgemauert in der Erden ist sie: die migrantische Mentalität

 Männlichkeit, Migration, Theater, Unter Arabern, Vergangenheitsunterschlagung, Vertreibungen  Kommentare deaktiviert für Festgemauert in der Erden ist sie: die migrantische Mentalität
Apr. 142009
 

Gestern schlugen wir Theaterarbeit vor, um die türkischen, die arabischen Jungmänner aus ihrem selbstgewählten Mentalitätsghetto, das festgemauert in der Erden ist, herauszustoßen. Wir wählten dazu ein deutsches Werk, das in der Ferne liegt: Schillers Räuber. Kräftig schimpfen und fluchen in einem eigens arrangierten Umfeld – das wird helfen. Fast denselben Ansatz verfolgen auch die Schwulen- und Lesbenverbände in ihrer Arbeit mit den türkischen und arabischen jungen Deutschen. Allerdings wählen sie nicht einen fremdartigen Text der deutschen Literatur, sondern sie nehmen unverändert die Ghettomentalität als Material her.

Ich selbst bin übrigens ebenfalls ein Migrantenkind, allerdings nur der zweiten Generation, nicht der dritten und vierten wie die meisten Kinder hier in Kreuzberg. Mein Vater hat es mir erzählt: Mitten im Frieden, es war 1946, kehrte er aus amerikanischer Gefangenschaft in den Staat zurück, als dessen Staatsbürger er geboren und aufgewachsen war. Aber dieser Staat hatte nach Kriegsende beschlossen, dass ein Drittel der eigenen Bevölkerung von heute auf morgen nicht mehr dazugehörte. Sie mussten raus. Und alles, was sie hatten, das gehörte ihnen auch nicht mehr. „Volkseigentum“, stand am Hoftor des Bauernhofes, in dem mein Vater gelebt hatte. In tschechischer Sprache. „Národní majetek“. Hatten sie alles verloren? Nein! 20 kg durften sie mitnehmen. Also, mit 20 kg kamen die Migranten, darunter mein Vater, in den Jahren 1945-1946 zu Millionen nach Deutschland. Sie bekamen eine Starthilfe vom Staat und ab dann mussten sie sich selber eine neue Existenz erarbeiten.

Mach ich jetzt ein großes Gedöns daraus? Verlange ich, dass die Bundesrepublik mir und meinesgleichen eine Sonderstellung zuerkennt, weil ich ein Migrantenkind bin? Nein, mein Vater hat sich assimiliert, er hat die bäuerliche Existenzweise aufgegeben, hat in den USA und Deutschland studiert. Und genau dieser Weg steht allen „Migranten“-Kindern heute ebenfalls offen.

Allerdings sind sie im Nachteil: Der Staat schenkt ihnen zu viel. Sie fahren Autos, haben leichten Zugang zu Drogen, zu schnellem Sex, zu I-Pods und Netbooks. Ein herrliches Leben für das männliche Jungvolk! Es gibt für sie keinen Zwang zur Veränderung. Sie haben ja alles, um ein gottgefälliges Leben zu führen. Materielle Not haben sie in Kreuzberg oder Neukölln nie kennengelernt.

Der Tagesspiegel berichtet heute über das herrliche Theaterspielen, wo man so richtig die Sau rauslassen darf:

„Wie, du bist schwul?“
Die Kinder hören interessiert zu. Blond ist hier nur einer, ein paar Mädchen tragen Kopftuch. Sie stammen alle aus Einwandererfamilien mit Eltern aus dem Libanon, der Türkei, Bosnien und dem Irak. Der Sonderunterricht macht deutlich: Über Sexualität wird bei den meisten zu Hause nicht offen geredet. Über Schwule und Lesben schon gar nicht, das Thema ist tabu oder kommt höchstens als Sünde vor. Wohl deshalb quillt die „Fragebox“ der Trainer über, ein Pappkarton mit Schlitz, in den Zettel mit Fragen eingeworfen werden können. […]

Am Anfang genieren sich die Siebtklässler noch, doch bald tauen sie auf, und es hagelt Schimpfwörter: „Schwuchtel“, „Transe“, „Homo“, „Tunte“ – die Kreuzberger Schüler rufen alle Beleidigungen für Schwule und Lesben durcheinander, die sie kennen. Schließlich haben die drei Besucher danach gefragt. Das Lieblingsschimpfwort der 29 Schüler der Carl-von-Ossietzky-Schule sei derzeit „schwules Opfer“, sagt ihr Lehrer.

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Jan. 212009
 

Die Amtseinführung des neuen amerikanischen Präsidenten war für mich ein Anlass großer Freude. Umso mehr, als ich mich gerade in den letzten Wochen geradezu Tag und Nacht mit der Geschichte Russlands befasst hatte, eines Landes, das mühsam seinen Weg zu den Idealen der Freiheit, des Rechtsstaates und der Demokratie geht. Zu Idealen also, die in den USA seit 1776 anerkannt werden, für die in allen Generationen Männer und Frauen gekämpft haben. Es sind Ideale, auf die man sich immer wieder zurückbesinnen muss.

Ich las über die vergangenen Wochen Lenin, Rosa Luxemburg, Stalin, Marx im russischen und deutschen Original. Eine bedrückende Lektüre – nicht zuletzt auch deswegen, weil diese Autoren – neben aller berechtigten Kritik an unhaltbaren Zuständen – für den Terror, für Mord an politischen Gegnern eintreten. Noch bedrückender war es für mich zu erfahren, dass gerade in diesen Tagen wieder zwei politische Morde in Moskau geschehen sind. Die Opfer heißen Stanislaw Markelow und Anastasija Baburowa – beide politisch engagiert, beide auf offener Straße erschossen. Das ist verheerend für die politische Kultur des Landes – so wie es auch verheerend in der Weimarer Republik war, wo ebenfalls tausende politische Morde verübt wurden.

Als um so erhebender und begeisternder empfinde ich das, was in diesen Tagen in den USA geschieht.

Übrigens: In den USA ist Religionsunterricht an staatlichen Schulen gesetzlich verboten. Der Staat soll sich nicht in die freie Religionsausübung einmischen und darf deshalb den Unterricht in Religion nicht überwachen. Dennoch – oder gerade deswegen – spielt Religion im öffentlichen Leben der USA ein weitaus größere Rolle als bei uns in Deutschland. Dies wurde gestern bei der Amtseinführung wieder überdeutlich. Der neue Präsident hat sich wiederholt und ausdrücklich als Christ bekannt. Ob die eifrigen Verfechter von „Pro Reli“ dies wissen? Sollten sie noch einmal über ihren Spruch „Es geht um die Freiheit“ nachdenken?

Heute las ich die ersten Seiten von Obamas Buch „Dreams from my father“. Wie schon bei seinen Reden zeigt sich: Er ist ein Meister des Wortes – sowohl geschrieben wie gesprochen. Einer seiner Berater hat im Fernsehen gesagt: „Er ist ein Worteschmied – bosselt tagelang an seinen Reden herum, etwa wenn er sagt: Da ist noch eine Silbe zuviel, das klingt noch nicht …“

Um so neugieriger wurde ich, als ich das Motto seines ersten Buches las: „For we are strangers before them, and sojourners, as were all our fathers.“ Es ist ein Zitat aus der Jüdischen Bibel (dem „Alten Testament“ der Christen), Erstes Buch Chronik, Kapitel 29, Vers 15: „Denn wir sind Fremde vor dir, Menschen ohne Bürgerrechte wie alle unsere Väter.“ So lässt sich der Vers aus der Septuaginta, der griechischen Fassung der Jüdischen Bibel, übersetzen. In Obamas Buch steht „Fremde vor ihnen„, nicht „Fremde vor dir“ … Ich schlage in meiner englischen Bibel nach: „For we are strangers before thee, and sojourners, as all our fathers were.“

Ob nun „vor dir“ oder „vor ihnen“ – Obama hat den ungeheuren Reichtum der Bibel erkannt, beruft sich mehr oder minder deutlich immer wieder auf Grundsätze seiner Religion. Vor allem scheint ihn zu faszinieren, dass die christliche Bibel die lange Geschichte der Schwachen, der Fremden, der Verlierer aufbewahrt. So waren denn seine Bezugnahmen auf Gott in seiner Antrittsrede vollkommen glaubwürdig, glaubwürdig wie die Bezugnahme auf die vielen amerikanischen „Gründerväter“, die ebenfalls aus der Erfahrung von Unterdrückung und Bevormundung kamen. Die Bibel ermöglicht es auf unvergleichliche Weise, sich in die lange Reihe der Ausgestoßenen, der Verlierer, der Bürger zweiter Klasse hineinzuversetzen.

Obama hat es in seinen Worten gestern noch einmal ausgedrückt: Die USA sind die Heimstätte für all jene geworden, die glauben, dass jede und jeder ein Recht hat dazuzugehören – unter der Voraussetzung, dass die Ideale der Freiheit und der Gleichberechtigung allen zugute kommen. Für diese Voraussetzung gilt es Tag um Tag zu kämpfen.

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Hilft Reden? Hilft Schweigen?

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Nov. 232008
 

Oft begegne ich Menschen, die mir wieder und wieder dieselbe Geschichte erzählen: Geschichten, die ihr Leben unauslöschlich verändert haben, es in eine andere Richtung drängten, ungewollt und häufig so, dass sie nicht mehr davon loskommen. Man könnte nun meinen, durch häufiges Erzählen würde die Last der Erinnerung leichter. Ich hege mittlerweile Zweifel daran. Ich glaube, nicht immer ist dieses Erzählen-Müssen Zeichen für eine Bewältigung des Erlebten. Es kann auch ein Zeichen dafür sein, dass das Erlebte dauerhaft traumatisierend gewirkt hat: Es ist dann bei solchen Menschen so, als wären sie nie ganz in der Gegenwart angekommen, müssten wieder und wieder hinabsteigen in den Brunnen jener schrecklichen Zeit. Hubertus Knabe schreibt: „Weil sie in der Gegenwart nicht angekommen sind, leben sie weiter in der Vergangenheit.“ Hier dürfte mitunter auch Schweigen angebracht sein. Oder ein konfrontatives Zuhören: „Gut, ich habe deine Geschichte gehört. Du hast sie schon oft und oft erzählt. Nun lass uns überlegen, was wir daraus machen können! Was willst du mir sagen? Was rätst du mir?“

Oft spreche ich mit Zeitzeugen – aus der Nazi-Zeit, aus dem Sowjetkommunismus, aus der DDR … ja, ich werde allmählich selbst zum „Zeitzeugen“, da ich etwas erlebt habe, was der Bundesrepublik nach und nach verlorengeht: ein zutiefst konfessionell geprägtes, durch den Kalten Krieg bestimmtes Umfeld, in dem die Gebote der katholischen Kirche unbefragt an uns Kinder weitergegeben wurden, in dem der Beichtspiegel auswendig gelernt wurde und jeden Abend die Seele froh war, wenn sie nur lässliche Sünden begangen hatte. Und ein Umfeld, in dem schon die Protestanten mit einem Satz wie „Du musst sie achten, denn es sind letztlich auch Christen“ bedacht wurden. Ich war damals, als kleiner Bub, zutiefst überzeugt, dass alle Kommunisten böse Menschen sein mussten. Begegnet bin ich damals allerdings keinem.

Der Münchner Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer schreibt heute im Neuen Deutschland auf S. 22 über die Magie der Erinnerung:  „Wer die Erinnerungen eines Menschen, aber auch eines Volkes beherrscht, beherrscht auch diesen Menschen oder dieses Volk.“

22.11.2008: Flüchtig oder unauslöschlich, kostbar oder qualvoll: Die Magie der Erinnerung (Tageszeitung Neues Deutschland)

Wer mit den inzwischen ins Greisinnen- und Greisenalter tretenden Zeitzeugen von Krieg und Vertreibung sprechen will, wird das am besten tun können, wenn er ihr Schweigen respektiert und sich in ihre Situation einfühlt: Sie verlieren, indem sie sich öffnen, ein Stück gewonnene Sicherheit, ein Gleichgewicht zwischen dem Erlebten und ihrer eigenen Art, es zu verarbeiten oder abzukapseln.

Wenn sie dann doch erzählen, ist es hilfreich, taktvoll mit den Informationen umzugehen und sich mehr oder weniger naseweise Bewertungen zu verkneifen. Nur allzu schnell hört man dann: »Wer nicht dabei war, kann es sowieso nicht verstehen«, und das Gespräch ist zu Ende. Ob es den Kindern und Enkeln der Menschen, welche die real existierende DDR noch erlebt haben, irgendwann einmal ähnlich geht?

Nun, ich habe keinerlei Schwierigkeiten, mit Menschen längere Gespräche zu führen, die die Sowjetunion oder die DDR mehrere Jahrzehnte lang erlebt und überlebt haben. In all diesen Gesprächen bin ich bemüht, dieses Gleichgewicht zwischen Erzählen-Müssen und Verschweigen-Können auszubalancieren. Ich will nicht immer alles wissen. Ich versuche sogar bewusst, die eine oder andere Leerstelle zu lassen. Und ich gebe mir Mühe, diese Erinnerungen nicht zu instrumentalisieren, also nicht für meine eigenen Zwecke einzuspannen.

Von einem hartnäckig-genauen, einfühlend-behutsamen Umgang mit persönlichen Erinnerungen scheint mir allerdings die öffentliche deutsche Gedenkkultur noch weit entfernt.

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Verdacht oder Vertrauen? (2)

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Nov. 182008
 

obama.jpgMy failure to clean up the kitchen suddenly became less endearing.“ Diese Unfähigkeit von uns Ehemännern, die Küche aufzuräumen, stört die Ehefrauen, nährt Zweifel an unserem Realitätssinn, führt zu Groll. „You only think about yourself!“ Auch das habe ich selbst bereits öfter gehört.

Seht her – eine winzige Gemeinsamkeit zwischen dem neuen Präsidenten der USA und uns deutschen Ehemännern: wir hinterlassen Chaos nach dem Frühstück.  Wir zitierten eben zwei Sätze aus dem Buch „The Audacity of Hope“ von Barack Obama (S. 340).

Wie schon vor einigen Tagen stellte ich mir heute erneut zwei entgegengesetzte Auffassungen von Politik vor die Augen. In einer Buchhandlung kaufte ich erst das folgende Buch:

knabe20948309n.jpg Hubertus Knabe: Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur. List Taschenbuch, 2008

Und dann auch:

Barack Obama: The Audacity of Hope. Thoughts on Reclaiming the American Dream. Three Rivers Press New York, 2006

Erneut – zwei völlig unterschiedliche Entwürfe von Politik! Zwei wichtige, unerlässliche Bücher, die einem helfen, die deutsche Befindlichkeit und den amerikanischen Traum zu verstehen.

Bei Knabe sprang mich natürlich sofort der Satz an: „Weil sie nicht in der Gegenwart angekommen sind, leben sie weiter in der Vergangenheit“ (S. 14). Wer sind „sie“? Dieses Wörtlein könnte hier so manchen und so manche bezeichnen! Die Verteidiger der DDR ebenso wie diejenigen, deren Hauptaugenmerk heute darin zu bestehen scheint, die alten Seilschaften zu enttarnen. „Das sind ja immer noch die alten Kader! Sie haben nur zum Schein ein paar junge Gesicher vorne hingestellt.“

Der Beschreibende läuft Gefahr, sich dem Objekt seiner Beschreibung anzugleichen. Mir fällt Don Carlos von Schiller ein – jene zwiespältig-gebrochene Gestalten des Inquisitors, des Königs Philipp. Schiller geißelte – wie Hubertus Knabe – das System des Unrechts, der Unfreiheit. Aber Friedrich Schiller sprach nicht allen Vertretern der Unfreiheit jegliches Verantwortungsgefühl ab. Er erklärte sie nicht zu Feinden. Er versuchte, sich in sie hineinzuversetzen.

Um wieviel anders als Hubertus Knabe schreibt Obama! Was für ein meisterhaftes Buch! Erzählend, berichtend, nachdenkend umspannt der Verfasser sein eigenes Leben, die Gründungsmythen der Vereinigten Staaten, liefert eine brillante Einführung in Mechanismen der Parlamentsarbeit. Und er lässt uns teilhaben an seinen Enttäuschungen, seinen Niederlagen, seiner Unvollkommenheit. Obama schreibt ein wunderbar schwebendes, leicht hingespanntes, erzählendes Englisch. Aber seine Erzählungen sind erfahrungs- und theoriegesättigt zugleich. Weder die Schande der Rassentrennung, noch die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft im Bürgerkrieg spart er aus. Aber in allen Schrecknissen der Vergangenheit lässt er seine Hoffnung aufscheinen.

Als Beispiel für diese Großmut nenne ich hier eine Auseinandersetzung mit einem militanten Abtreibungsgegner, der Obama eine E-mail schrieb. Obama lässt sich beeinflussen. Er denkt um. Er zweifelt: Vielleicht haben unsere Gegner ja doch irgendwo auch recht? Er leitet die E-mail an alle Mitarbeiter weiter. Und er schließt diese Begegnung  mit den Worten ab: „Ich bat darum, dass ich bei anderen denselben guten Glauben voraussetzen möge, den sie mir entgegengebracht haben.“

Zitieren wir aus dem Original, S. 198:

„And that night, before I went to bed, I said a prayer of my own – that I might extend the same presumption of good faith to others that the doctor had extended to me.“

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Juni 262008
 

Mit meiner ADFC-Stadtteilgruppe unternahm ich am 21. Juni 2008 eine halbtägige Rundfahrt durch den Bezirksteil Friedrichshain.

Die Route führte von dem bunten Band der East Side Gallery längs dem äußerst suggestiven Osthafengelände zum verträumten Ortskern von Alt-Stralau. Ich konnte es nicht lassen, ich musste ein Bad in der Stralauer Bucht nehmen, am Übergang, da wo Schlick und Schlamm aus Jahrzehnten industrieller Fertigung sich mit dem anflutenden Spreewasser vermengen! Beim Herausklettern aus dem schlickgetränkten Gestade riss ich mir das Knie blutig – meine Taufe mit Stralauer Spreewasser! Das war die Stelle:

Tom, danke für die Fotoverwendungsrechte! „Wohnen am Wasser“, dieses Motto der neuen Bürgerlichkeit stand im Kontrast zu einer Demonstration unter dem kämpferischen Motto „Wir bleiben“ in der Nähe des Boxhagener Platzes. Sogar einen echten Bundestagsabgeordneten könnt ihr auf diesem Bild entdecken!


Die Karl-Marx-Allee wiederum verweist auf die Verflechtung von Architektur und Politik – eine echte Absage an die nur funktionale Moderne. Erfahrbar wurde: Die moderne, vorsorgende Kommunalpolitik entfaltet sich im 19. Jahrhundert im ehemaligen Arbeiterviertel Friedrichshain – etwa durch den Märchenbrunnen. Der ist Volksbelustigung pur!

Einen nachdenklichen Schlusspunkt setzte schließlich der Friedhof der Märzgefallenen im Volkspark. „Wissen wir eigentlich, was damals geschah?“, fragte eine Teilnehmerin. Ich finde: Die ganze Anlage mit den Gräbern der Aufständischen vom 18./19. März 1848 ist unserer modernen deutschen Demokratie unwürdig! Sie zählen zu den Ahnen unseres Grundgesetzes, sie forderten das, was erst 70 Jahre später Wirklichkeit wurde: eine parlamentarische Demokratie ohne feudales Oberhaupt! Sie haben Besseres verdient, als missachtet in irgendeinem Winkel hinzudämmern, zumal dies kein Mahnmal ist, sondern eine echte Gräberstätte. Sie bedarf einer sorgfältigen Pflege und Betreuung.

Ein Teilnehmer fasste so zusammen: „Vieles war neu für mich, manches war unbeschreiblich suggestiv, manches war einfach schön hässlich – aber alles immer lohnend, immer verlockend! Friedrichshain, das ist ja eine kleine Welt für sich. Hab ich so nicht gewusst. Danke für die hervorragende Vorbereitung und kundige Führung!“ Ich meine: Um mit der Realität einer Großstadt ins Gespräch zu kommen, gibt es kein besseres Mittel als eine Fahrradtour! Auf Dörfern oder im Gebirge sollte man zu Fuß wandern, aber unsere Berliner Bezirke sind zu groß, als dass man sie zu Fuß einigermaßen umfassend an einem halben Tag erwandern könnte. Fährt man aber mit dem Auto oder dem Bus, kriegt man einfach nichts mit und man kommt mit den Leuten nie und nimmer ins Gespräch.

 Posted by at 18:03