„Die Partei gab mir zu verstehen, dass ich mich nicht an die Vergangenheit erinnern und über sie reden darf, wenn ich weiter in Litauen leben und arbeiten will. Meine Eltern soll ich aus der Erinnerung streichen, als ob es sie niemals gegeben hätte.“ So schildert die lettische Ärztin Dalia Grinkeviciute die Aufforderung der KPdSU, nachdem sie ihre Mutter aus einem betonierten Kellerloch in einen sehr schönen Platz am steilen Ufer der Neris umgebettet hatte.
1941 wurde Litauen von der Sowjetunion annektiert. Sofort begannen die Plünderungen und Massendeportationen. Auch Dalia wurde mit ihrer Familie vertrieben, auf die Insel Trofimovsk. Darüber, über diesen Ort schreibt sie: „Hier gibt es nur drei Kategorien: Leichen, Sterbende und Kranke, die vielleicht noch zu retten sind. Wir, die überleben werden, können später Zeugnis für die kommenden Generationen ablegen.“
Lager, Deportierungen, Zwangsarbeit – während das System der tausenden deutschen Lager von 1933-1945 in seiner feinen Verästelung mittlerweile in Umrissen als erforscht gelten kann, herrscht über das im okkupierten Jugoslawien errichtete Lagersystem Italiens und vor allem das der Sowjetunion weitgehend verordnete oder gewollte Unkenntnis. Einer der Gründe mag sein, dass auch nach 1956 weitgehend Totschweigen verordnet wurde. Bis zum Ende der Sowjetunion wurde den Millionen von Opfern des sowjetischen Lagersystems Anerkennung und Ausgleich verwehrt. Die offizielle Version war, Stalin sei an allem schuld gewesen, jetzt müsse man nach vorne schauen. Wer auf der Aufarbeitung der Vergangenheit beharrte, wurde schikaniert, inhaftiert, an den Pranger gestellt und entrechtet.
Es hat gewirkt – von den Verbrechen der Tscheka, des KGB, und der ihnen zuarbeitenden Nomenklatura ist kaum mehr die Rede. Wer die Mauer des Vergessens durchbrechen wollte, der müsste zu Meißel und Axt greifen. Er schüfe ein Buch, das – wie Kafka so schön formuliert hat – zu einer „Axt im Kopf“ wird.
Wem noch nie das Blut in den Adern gefroren ist, der lese heute den großen Artikel über Dalia Grinkeviciute, den Vytene Muschick auf S. 7 der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht. Wir zitieren:
„Mit Meißel und Axt breche ich in den Betonboden ein. Als Papa das Haus baute, dachte er nicht daran, wie schwer sich hier ein Grabplatz für Mama einrichten lässt.“
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