Um weit mehr als die ursprünglich eingestellten 7% Wachstum werden die Sozialausgaben des Bundeslandes Berlin laut dem neuesten Statusbericht des Finanzsenators Nußbaum ansteigen. Als Hauptursache dafür wurden stark steigende Ausgaben für Jugendhilfe, Hilfen zur Erziehung sowie vor allem Unterbringung straffälliger Kinder und Jugendlicher in Heimen angegeben. Der Staat tritt also für Familien in die Bresche, die offensichtlich mit ihren Kindern nicht zurechtkommen. Was ist Sinn und Zweck dieser staatlich aufgespannten Rettungsnetze? Dieses Thema wollen wir im folgenden erörtern anhand eines Teilproblems, nämlich der Ursachen für Jugendgewalt.
Immer wieder überfliege ich Verhandlungsberichte von Strafprozessen, habe das eine oder andere Mal persönlich mit schwer Straffälligen und Drogensüchtigen gesprochen. Mich reizt es herauszufinden, wie die Menschen – die ich alle als meinesgleichen ansehe – zu so etwas fähig sind, also zu Gewalt, Drogensucht, zum Ausstieg, zu Raub, Mord und Totschlag. Soeben las ich eine Geschichte, in der die ZEIT-Journalistin Susanne Leinemann erzählt, wie sie selbst Opfer eines nächtlichen Raubüberfalls wurde: Drei Jugendliche verprügelten sie, schlugen ihr mit einer Treppengeländersprosse den Schädel ein, so dass sie fast nicht überlebt hätte. Auf bewundernswerte Weise findet Susanne Leinemann den Mut, die ganze Geschichte bis zur Verurteilung der drei Täter zu Ende zu erzählen.Was sind das für Täter?
Alle drei Täter haben etwas gemeinsam, was sie mit den meisten anderen Straffälligen verbindet: zerbrochene Familien und intensive Betreuung und Versorgung durch staatliche Institutionen.
Wir zitieren:
Wenn ich hier kurz ihre Geschichte erzähle, dann nur im Interesse der Allgemeinheit, nicht der Täter – weil ich am eigenen Leib erfahren musste, dass im weiten, von der Öffentlichkeit blickdicht abgeschotteten Feld der Heimerziehung und Intensivpädagogik etwas furchtbar schiefläuft. Es wurden schon viel zu viele mitfühlende Tätergeschichten geschrieben, ich schreibe nicht noch eine. Eine kaputte Kindheit ist kein Freifahrtschein für Mord und Totschlag.
Im Gericht hört man, alle drei wurden früh aus ihren Elternhäusern herausgeholt; mal vom Vater geschlagen, mal fühlte sich die Mutter überfordert. Keine der Elternehen ist intakt. Alle drei sind Brandenburger Nachwendekinder, geboren in Luckenwalde, Lübben, Lauchhammer. Die beiden Haupttäter kommen gleich ins Kinderheim, der dritte lebt ein Jahrzehnt lang in einer Pflegefamilie, bis es dort kracht. Danach ist auch er ein Heimkind.
Jugendgewalt: Der Überfall – Berlin – Tagesspiegel
Im Gericht sind alle im Lauf der Verhandlung immer fassungsloser – die Richter und die Schöffen, die Staatsanwältin, selbst die Verteidiger. Er habe ja schon viel gesehen, sagt der Vorsitzende Richter am Ende des Prozesses, aber so etwas „Desolates“ sei ihm selten untergekommen. Biografien, vollkommen ohne Halt – keine Familie, keine Religion, keine abgeschlossene Schulausbildung, keine Hobbys. Dabei sind die drei das Produkt von lauter gut gemeinten Absichten – einer weitverzweigten Sozial- und Therapieindustrie, von Sozialpädagogen, Psychotherapeuten, Erziehern, Angestellten der Jugendämter. Viele, die in diesen Berufen arbeiten, sind Frauen. Fast alle Opfer der Serie sind Frauen.
Leider sind diese drei Biographien durchaus typisch, durchaus bezeichnend für kriminelle Karrieren. Unter Strafrichtern, Familienhelfern und Psychologen ist es ein offenes Geheimnis, dass nahezu alle schweren Gewalttaten und Suchtkrankheiten ihren angebbaren Ursprung in den Herkunftsfamilien der Täter finden. Denn fast alle Gewalttäter oder Drogenkranken stammen aus zerbrochenen oder zerbrechenden Familien oder aus Heimen.
Die allermeisten Gewaltkriminellen kommen also aus zerbrochenen oder zerbrechenden Familien. Die beste sozialpsychologische Betreuung, die volle Dröhnung an Sozialarbeit, Erziehungshilfe, das fabelhafteste Heim wird eine Familie mit Vater und Mutter nicht ersetzen können. Umgekehrt gilt: Eine intakte, vollständige Familie mit Vater und Mutter ist die allerbeste Prävention gegen Kriminalität, Drogensucht und psychiatrische Störungen.
Es bleibt für mich eine der erstaunlichsten Tatsachen meines gesamten politischen Engagements, dass dieser ebenso offenkundige wie weitreichende Befund keinerlei Eingang in Praxis und Programm der deutschen Parteien gefunden hat. Die Familie kommt zwar noch im Grundgesetz vor, wo sie ausdrücklich unter den Schutz der staatlichen Gemeinschaft gestellt wird. Aber wer könnte diesen GG-Artikel auf Anhieb benennen? Wer weiß, wo dies steht?
Wann hätte ein Sozialpolitiker oder eine Politikerin von Rang sich in den letzten Jahren klar, leidenschaftlich und mutig zur Familie bekannt? Ich kann mich nicht erinnern.
Stattdessen wird gebetsmühlenhaft wiederholt: „Der Staat darf sich nicht einmischen in die Fragen des menschlichen Zusammenlebens. Wir leben nicht mehr in den 50er Jahren!“
Darauf erwidere ich: Er tut dies Tag um Tag, der Staat mischt sich massivst in das Leben der Bürger ein – etwa durch seine Mittelvergabe, durch Lehrpläne an Schulen, durch Finanzierung von Projekten. Der Staat verhält sich also keineswegs neutral gegenüber dem Leben der Bürger. So ergreift der Staat gern Partei für die berufstätige Frau und Mutter. Kind und Karriere sollen möglichst unter einen Hut gebracht werden. Dies ist eine klare politische Zielsetzung, für die der Staat erhebliche Mittel bereitstellt. Auch in dieser Woche wird wieder heftig über die Einführung einer Frauenquote in Führungspositionen gestritten.
Niemand fragt, was dies für die Familien bedeuten würde, wenn tatsächlich 40 oder 50 Prozent aller führenden beruflichen Positionen mit Frauen besetzt wären. Das Ziel: möglichst viele Frauen in Führungspositionen! gilt heute nahezu absolut.
„Wir wollen doch alle, dass die Frauenerwerbsquote möglichst hoch ist!“ Dies gilt als eines der obersten Ziel der Sozialpolitik. Einspruch, da gehe ich nicht mit!
Ein weit höheres politisches Ziel als die Steigerung der Frauenerwerbsquote muss es sein, dass möglichst viele oder möglichst alle Kinder in vollständigen, in gelingenden Familien leben, in denen der Lebensunterhalt durch Vater oder Mutter oder durch beide zusammen erwirtschaftet wird.
Selbst bei den heftigst geführten Diskussionen über die Jugendgewalt wird in aller Regel kaum ein Blick auf die Familien geworfen. Geschweige denn, dass eine Partei sich klar und unmissverständlich für den überragenden Rang der Familie einsetzte – Familie verstanden als dauerhaft bestehende Gemeinschaft aus Vater, Mutter und einem oder mehreren Kindern.
Der allbezirkliche, parteienübergreifende Konsens geht dahin, den Familien mehr und mehr von ihren Aufgaben abzunehmen: Sozialstationen, Sozialhilfe, Elterngeld, Ganztagsbetreuung, Kita-Ausbau, Ausbau der Krippen- und Heimplätze, gewollte Erhöhung der Familien mit zwei erwerbstätigen Eltern, staatlich geförderte und gewollte Erhöhung der Frauenquote im Berufsleben – der überragende Trend geht dahin, dem Staat mehr an Leistungen abzuverlangen, den Familien weniger.
Das gleiche Bild bietet sich in der Integrationsdebatte: Auch hier wird den Familien fast nichts zugetraut, den staatlichen Einrichtungen – also vor allem der Schule, dem Arbeitsamt, der Erwachsenenbildung, den berühmten „Integrationsmaßnahmen“, die sich als Endlosschleife dahinziehen – fast alles.
Die soziale Sicherung wird ebenfalls fast ausschließlich unter dem Aspekt der staatlichen Lasten gesehen. Dabei werden die meisten Lasten der sozialen Sicherheit durch die Familien getragen – etwa in der Kinderbetreuung, in der Betreuung der Alten und Kranken. Niemand weiß es der Familie zu Danke, dass sie die Keimzelle der Gesellschaft bildet!
In den Berliner Schulbüchern wird stets das Hohe Lied der einsamen Frauen und Männer gesungen, die Jahr um Jahr an der Selbstverwirklichung des heiligen Egos arbeiten. Die Schule verrät reichlich Tipps und Tricks zur Empfängnisverhütung, aber nichts zu Aufbau und Pflege einer Familie, zu Pflege und Aufbau einer guten Mann-Frau-Beziehung, zu Pflege und Erziehung von Kindern.
Das wird schiefgehen. Und es geht ja bereits schief! Ein Blick auf den explodierenden Sozialhaushalt des Bundeslandes Berlin lehrt dies. Ein-Eltern-Familien sind einer der entscheidenden Risikofaktoren für generationenübergreifende Sozialhilfekarrieren.
Es gilt deshalb, die Familien zu ertüchtigen. Der Staat muss um des eigenen nackten Überlebens willen ein starkes Interesse daran haben, gute, starke, dauerhafte Familien heranzubilden. Falsch: Nicht nur um seiner selbst willen, sondern um der Kinder willen – sie brauchen eigentlich und zunächst einmal eine gute, fürsorgliche Mutter, einen guten, grenzensetzenden Vater. Viele Kinder in Berlin finden dies heute nicht. Damit kann ich mich nicht abfinden.
Die furchtbare Geschichte von Susanne Leinemann war Anlass für diese Betrachtungen. Ihr gebührt Dank dafür, dass sie trotz der Schmerzen uns Lesern ihre Erfahrungen berichtet hat. Diese Berichte könnten ein Umdenken bewirken.
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