Nov 232011
 
Enver Şimsek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Yunus Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat, Michele Kiesewetter … die Angehörigen dieser Mordopfer haben unsere besondere Anteilnahme und Trauer verdient. Sie haben alle einen Namen, ein Gesicht.

Wir dürfen aber auch die tausenden von Mordopfern, die im letzten Jahrzehnt in Deutschland ihr Leben verloren, nicht vergessen. Jeder Mord ist einer zuviel! „Wer einen Menschen tötet, tötet die ganze Menschheit“, sagen der jüdische Talmud und die muslimischen Hadithe einmütig.

„Wir sind beschämt, dass die Sicherheitsbehörden der Länder wie des Bundes die über Jahre hinweg geplanten und ausgeführten Verbrechen weder rechtzeitig aufdecken noch verhindern konnten.“ Bundestag und Bundesregierung übernahmen gemeinsam Verantwortung für neun Morde an in Deutschland lebenden Menschen. Ein deutliches, anrührendes Zeichen, mit dem Bundestag und Bundesregierung offen die Mitverantwortung staatlicher Organe an schrecklichen Verbrechen einräumen, noch ehe Täter und Täterschaft, Hergang und Hintergründe eindeutig festgestellt worden sind.

Bundestagspräsident Lammert fügt hinzu: „Wir sind fest entschlossen, alles mit den Mitteln des Rechtsstaates Mögliche zu tun, die Ereignisse und ihre Hintergründe aufzuklären und sicherzustellen, dass der Schutz von Leib und Leben und die von unserer Verfassung garantierten Grundrechte in diesem Land Geltung haben ‑ für jeden, der hier lebt, mit welcher Herkunft, mit welchem Glauben und mit welcher Orientierung auch immer.“

Ein klares Zeichen, mit dem alle Parteien des Bundestages sich gegen jeden aus nazistischen Motiven begangenen Mord aussprechen. Mehr noch: der Bundestag verurteilt jederlei Mord. Jeder Mord ist einer zuviel.

Rechenschaft für jeden Tropfen vergossenen türkischen Blutes fordert folglich der Premierminister Erdogan und empfiehlt auch gleich sein Land als Vorbild für Deutschland. Ja wie, soll jetzt die Bundeswehr nach Jena und Zwickau einrücken und ein paar Häuser plattmachen, in denen die Familien der mutmaßlichen Täter wohnten oder wohnen?

Mord geschieht definitorisch stets „aus Heimtücke“, aus „niedrigen Beweggründen“. Insofern gibt es keine Rangordnung der Morde: Eifersucht, Geldgier, Kränkung, Gefühl verletzter Ehre, Rassismus, Ausländerhass, Hass auf Andersartige, ethnischer Hass, Verdeckung eines anderen Verbrechens usw. Die Motive sind bei der moralischen Bewertung des Mordes zweitrangig, denn für Mord gibt es keine Rechtfertigung. Ein Mord aus Ausländerhass ist ebenso verwerflich wie Mord aus Frauenhass, Mord aus Geldgier oder der sogenannte Ehrenmord, also der Mord aus dem Gefühl verletzter Ehre.

„Der Tod eines Mannes ist eine Tragödie, aber der Tod von Millionen nur eine Statistik„, so drückte es Josef Stalin aus, dem persönlich mehr Morde angelastet werden als fast jedem anderen Menschen des 20. Jahrhunderts.

Beschämend, niederschmetternd ist folgende Statistik: Laut Amedeu-Antonio-Stiftung wurden in Deutschland seit 1990 182 Menschen von Neonazis getötet. Es ist sehr erhellend, die polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes zu lesen: Pro Jahr geschehen in Deutschland etwa 700-1000 Morde, in den 21 Jahren also etwa 14000 bis  20000, von denen Neonazis nach sehr grober Faustrechnung etwa 1% begingen.

Stichwort „Ehrenmord“. Weit mehr sogenannte Ehrenmorde als Neonazi-Morde werden in Deutschland jedes Jahr begangen. Für das Jahr 2010 sind bisher 22 Ehrenmorde in der Presse dokumentiert. Auch bei den Ehrenmorden wird sehr oft türkisches Blut vergossen, in den Adern der Täter fließt ebenfalls sehr oft türkisches Blut. Es ergibt sich ohne jeden Zweifel: Ehrenmorde sind in Deutschland um ein Vielfaches häufiger als Neonazi-Morde. Auch das ist eine Schande für Deutschland. Die meist weiblichen Opfer der Ehrenmorde haben Anspruch auf unser Mitgefühl ebenso wie alle andere der etwa 800 Mordopfer, die in jedem Jahr zu beklagen sind.

Ich meine, wenn schon – denn schon. Dass seit vielen Jahren eine ununterbrochene blutige Spur an Ehrenmorden sich durch Deutschland zieht, ist nicht weniger eine Schande für Deutschland als die 182 rassistischen Morde seit 1990, die die Amedeu-Antonio-Stiftung anführt.

Ehrenmord :: Fragen :: Wieviele Ehrenmorde gibt es?

 Posted by at 17:55

  One Response to “Stichwort Mord: Wieviele Morde gibt es in Deutschland?”

  1. Ein Berliner Leser schreibt uns:

    Die Zahl von 182 Morden ist – aus propagandistischen Gründen, weil es nicht auf die individuelle Tat anzukommen scheint und das individuelle Leid, sondern die Statistik? – in jedem Falle überhöht (sofern man nicht Dunkelziffern hinzunimmt):
    http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Todesopfern_rechtsextremer_Gewalt_in_Deutschland Dort Kritik an zwei dort zitierten Fällen
    Auch ist es natürlich eine Frage der Zuordnung. Nicht jeder Mord von Rechtsextremisten muß ein rechtsextremistischer Mord sein. Sogar bei Silvio Meier wäre das zu hinterfragen. Schließlich hatte er zunächst die Neonazis attakiert. Das Urteil lautet auf Totschlag. Er erscheint zwar sogar in der Bundesliste der Opfer rechtsextremer Gewalt. Aber das Totschlagsurteil legt nahe, daß es eher als Gewalt von Rechtsextremisten, die aber in dem Falle nicht per se extremistisch war, sondern einen Racheakt darstellte, handelte. Bei linksextremistischer, islamistischer oder anders ideologisch motivierter Gewalt werden solche Feinheiten durchaus berücksichtigt, bei rechtsextremistischer ist das Politisch inkorrekt.

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