In einer kleinen Gesellschaft von Kunstfreunden warf gestern unter dem breitschattenden Geäst herrlicher alter Bäume beim Gespräch über eine Grafik-Ausstellung jemand die Frage auf:
Woher kommt eigentlich die Redensart „mein Freund und Kupferstecher“? Ich selbst hörte sie mehrfach von Lehrern in meiner Jugend, wenn ich etwas ausgefressen hatte, was nicht ganz astrein war.
Die Frage verhallte gestern ohne Antwort, eine kleine Nachforschung ergab heute folgendes: Die ironisch-tadelnde Redensart „mein Freund und Kupferstecher“, die z.B. in Fontanes „Frau Jenny Treibel“ vorkommt, dürfte darauf zurückgehen, dass der Druckgrafiker oder „Kupferstecher“ das Werk eines anderen, z.B. eines Malers oder Banknotenausgabehauses, ohne schöpferische Eigenleistung reproduzierte und auch wirtschaftlich weidlich ausnutzte. Dafür war Vertrauen oder Freundschaft bitter nötig. Oft genug mochte das Vertrauen auch enttäuscht worden sein. Das Betrugspotenzial in der Branche war groß. Der Kupferstecher war nach heutigen (nicht damaligen) Maßstäben also ein Falschmünzer des Geistes. Und der entwerfende Künstler, dem die „Erfindung“ glückt, muss trachten, dass der Kupferstecher sein „Freund“ bleibt und ihn nicht nach allen Regeln der Kunst über den Tisch zieht.
Erstaunlich, dass es z.B. im Italienischen keine verwandte Redensart gibt, jedenfalls ist mir keine bekannt. Anzi – im Gegenteil! „Sia detto per inciso“ – „Es sei hiermit im Kupferstich bzw. als Radierung gesagt“ bedeutet ja auf gut Deutsch klipp und klar: „nebenbei gesagt“.
Einer der rätselhaftesten Kupferstiche, die ich je sah, vielleicht überhaupt der rätselvollste, scheint diese Erklärung zu bestätigen! Es handelt sich um die „Allegorie der Vertreibung aus dem Paradies und das Opfer Abels“, die nach heutigem Forschungsstand aus der Werkstatt des Agostino Veneziano (ca. 1490-1540) stammt. Selbst nach mehreren Anläufen und Gesprächen mit Kunstkennern ist es mir bisher nicht gelungen, eine stimmige Deutung dieser Darstellung zu erarbeiten. Bereits der Titel dürfte eine spätere Zuschreibung sein. Der kenntnisreiche Kommentator DK, der seinen Namen verschweigt – selbst in dieser Chiffre scheint noch ein Rätsel zu stecken – schreibt, als Erfinder dieser spannungsreichen Darstellung gelte Amico Aspertini, und er fährt fort: „Über den Kupferstecher, der das Blatt schließlich nach Amicos Entwurf ausführte, gab es lange Uneinigkeit in der Forschung […]“
Amico heißt nun aber auf Italienisch der „Freund“!
Wir dürfen schematisch feststellen: Der „Freund/Amico“ hat den kreativen Einfall, der „Kupferstecher“ führt den Einfall des Amicos, des Freundes aus! Könnte diese Tatsache, dass der Einfall des „Freundes“ vom „Kupferstecher“ übersetzt und ausgeführt wird, etwas zur Entstehung der Redensart „Freund und Kupferstecher“ beitragen? Wir wissen es nicht. Die Frage muss für heute und vielleicht auch überhaupt offen bleiben.
Quelle: Arkadien. Paradies auf Papier. Landschaft und Mythos in Italien. Für das Kupferstichkabinett. Staatliche Museen zu Berlin. Ausstellungskatalog hgg. von Dagmar Korbacher mit Beiträgen von Christophe Brouard und Marco Riccòmini. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2014, S. 46-47
Sorry, the comment form is closed at this time.