Apr 232019
 
Blick aus dem Turm der Hochmeisterkirche auf die Westfälische Straße, Ostersonntag 2019

„Was heut müde gehet unter,
Hebt sich morgen neugeboren.
Manches bleibt in Nacht verloren –
Hüte dich, bleib wach und munter!“

Also sprach Eichendorff in seinem durch Schumann ins Unermessliche hineingesteigerten Gedicht Zwielicht. In manchen Augenblicken drohte ihnen, Eichendorff ebenso wie Schumann, dieses grundständige Vertrauen des Kindes verlorenzugehen, das sie sich einzig mit Musik, mit Kunst und Dichtung wieder herstellen konnten. Ja, ihnen mochte es so erscheinen, als stimmte etwas nicht in diesem zerbrechlichen Gefüge der Welt.

Mir kamen die Verse in den Sinn, als ich vor dem Gottesdienst von der Luke oben im Vorwerk der Hochmeisterkirche in Halensee hinunterschaute. Ein älterer Herr zog einen Rollkoffer hinter sich her, vor ihm schaltete die Ampel auf Grün. Das zarte Laub sprießte aus den Bäumen hervor, es entrollte sich freudig in den strahlenden Ostermorgen.

Unten wartete meine Geige auf mich, warteten die beiden anderen Musiker, Kathrin und Christian, auf den Beginn des Gottesdienstes. Wohin ging der ältere Herr jetzt, während ich die Stufen hinunterging, die Geige griff, den Bogen ansetzte, den Bogen springen ließ? In welchen Tag ging er hinein, gingen wir hinein? Schon spielten wir Händels Sonate F-Dur für 2 Flauti dolci, und als gleich danach die Orgel aufrauschte, wurde es mir klar, wie ich Eichendorffs Verse heute an diesem Tag lesen wollte:

Was müd gestern ging hinunter,
Hebt sich heute neugeboren.
Manches geht in Nacht verloren –
Heute lebst du wach und munter!

Quelle: „Zwielicht“, in: Robert Schumann, Liederkreis op. 39, Nr. X.

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