Hochzeit zwischen Köthen und Cremona

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März 282016
 

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Cremona, den 11. März, abends

Froh empfind ich mich nun auf klassischem Boden begeistert, lieben Freunde! Wie froh bin ich, dass ich weg von dort bin, vom graulichen Norden, wo der dunkel lastende Himmel mich umfing, und hier bin in Cremona, in der Geburtsstadt des Generals Publius Quinctilius Varus, der Amati-Familie, der Guarnieri, der Sängerin Mina, des Claudio Monteverdi sowie  des Antonio Stradivari  mich aufhalte. Des Nachmittags traf ich mit der Corriera, einem echten Schienersatzverkehr – wie man bei euch im Norden sagt – am Bahnhof in Cremona ein; links grüßt ich kurz hinüber nach Roncole, wo Verdi geboren ward und unser Giovannino Guareschi seine herrlichen Schnurrpfeifereien um Don Camillo und Peppone ersann.

Die Landschaft ist ebenmäßig, dabei doch nicht gleichförmig; häufig fielen mir beim Blick aus der Corriera die akkurat im Rechteck gepflanzten gesetzten Pappeln ein, die sich hunderte von Metern längs des Po erstrecken und der Ebene einen mystischen Carréschliff verleihen.

Den Abend spazierten wir fleißig durch Plätze und Gassen. Die von rückwärts erleuchtete Fassade des Domes wirkt leicht, vielfach durch Zierat gebrochen und höchst sinnreich gegliedert, als wäre sie aus Stuck gearbeitet. Länger verharrten wir vor der Auslage des Geigenbaumeisters Valerio Ferron, der dort, nur wenige Schritte vom Dom entfernt, seine Bottega führt. Er ließ uns eintreten. Ich spielte zwei Bratschen zur Probe; wie alle italienischen Meisterinstrumente, sprachen sie leicht an, sie sind im Schnitt kleiner und einige Gramm leichter als deutsche Instrumente.

Denkt euch, vorhin durfte ich dann noch auf einer von diesem Cremoneser Meister Ferron haargenau nachgebauten Kopie der Guarnieri-Violine „Il Cannone“  das Andante aus der a-moll-Solosonate von Bach spielen, ehe diese dann morgen, wohl in nicht mehr als 12 Stunden unwiederbringlich an einen nicht näher genannten Kunden verkauft wird. Was für eine Freude, wie leicht, wie perlend kamen doch die Töne aus dem Inneren der Violine hervor, wie mühelos! 1720 etwa schrieb Bach im sachsen-anhaltischen Köthen diese Musik, es ging uns nichts darüber! 22 Jahre später schuf Guarnieri dies Instrument – es war mir wie eine Hochzeit, eine unio mystica zwischen Norden und Süden, wie die Decke und Boden einer Geige passten in diesem Nu die beiden Hälften Europas zusammen.

Ich sende Euch grüßend diesen herrlich summenden und sagenden Ton der Geige zu, wie sie formgleich bereits Paganini selbst auf seinen Reisen mit sich führte. Ihr erinnert euch vielleicht, dass der spielsüchtige Paganini in Livorno eines Abends seine vortreffliche Amati am Spieltisch verspielt hatte, auf der andern Tages hätte spielen müssen. Livron, der reiche französische Musikfreund, half ihm aus der Klemme und schenkte ihm das Guernieri-Stück mit dem charakteristisch weißen Obersattel und dem prachtvoll gemaserten, aus zwei Stücken zusammengesetzten Boden. Es ging ihm nichts darüber, er nannte es Il Cannone, noch heute befindet es sich in Genua. Nach dem Willen des großherzigen Gönners Livron durfte nur Paganini diese Violine spielen.

Ich bedaure, dass ich zwei oder drei Proben in der nächsten Woche werde ausfallen lassen. Wie überreich werden wir alle belohnt sein, wenn ich euch nach meiner Rückkehr mehr erzählen kann. Die Dom-Herberge hat alle Zimmer benamset und das Zimmer, in dem ich einquartiert bin, heißen sie Paganini.

 

 Posted by at 22:26

Per l’UE si va nella città dolente, oder: wo in der EU wirkliches Weh herrscht (1)

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März 162016
 

20160313_100941Zahlreiche heitere, gelassene, kluge und fröhliche Gespräche führte ich aus privatem Anlass in Cremona bei meinem letzten Italienbesuch. Besonders gefiel mir der Ratschlag des in Italien viel gelesenen Dichters und Liedermachers Isaia aus der wunderschönen Region Giuda des Belpaese. „Nu macht euch doch keinen Kopf über die Vergangenheit. Kuckt in die Zukunft, lasst es mal kräftig durchlüften. Ich fang wieder von vorn an mit euch.“  So sinngemäß seine aus dem  Italienischen rezitierten Tipps („Il Libro di Isaia„, Lied Nr. 43, Vers 18).

Das kleine Reiselied von gestern stammt übrigens aus der Feder Hugo von Hofmannsthals.

Die oben umschriebene Lesung des Jesaja (Jes 43, 18-19) trug ich aus dem sonntäglichen Gottesdienst im Dom zu Cremona.

Weniger erbaulich hingegen das allerletzte Gespräch, das ich kurz vor der Weiterreise mit einem Cremoneser Kioskbetreiber führte: „Cremona sta un po‘ morendo. C’è poco lavoro, i giovani se ne vanno, anche molti laureati se ne vanno.“ Das ist zu deutsch:  „Cremona stirbt gerade ein bisschen. Es gibt wenig Arbeit, die jungen Leute ziehen weg, auch viele ausgebildete Akademiker gehen weg.“

Und das bringt uns zur aktuellen wirtschaftlichen Lage Italiens und derjenigen der Eurozone. Doch davon mehr im nächsten Beitrag!

 

Bild: so schön sind die Straßen Cremonas!

 Posted by at 18:09

Marmorstirn. Cremona. In aller Frühe

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März 152016
 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Singst du mir ein Lied zum heutigen Geburtstag?“
Ja, ich singe Dir ein Lied zu deinem heutigen Geburtstag, – ein Reiselied, das ein anderer geschrieben hat!

Hier ist es:

Wasser stürzt, uns zu verschlingen,
Rollt der Fels, uns zu erschlagen,
Kommen schon auf starken Schwingen
Vögel her, uns fortzutragen.

Aber unten liegt ein Land,
Früchte spiegelnd ohne Ende
In den alterslosen Seen.

Marmorstirn und Brunnenrand
Steigt aus blumigem Gelände,
Und die leichten Winde wehn.

Marmorstirn, Marmorstirn? Was steckt hinter diesem Wort? Zweifellos – die Fassade. Marmorstirn ist ein anderes Wort für Fassade. Fassaden sind Stirnseiten von Gebäuden aus Marmor, wie hier diese Fassade des Domes in Cremona.

Marmorstirn und Brunnenrand, in diesen beiden Worten fügte Hugo sein Italien-Erlebnis zusammen. Siehst du es? Der Stein wird so leicht, dass Vögel ihn forttragen könnten.

Wir besuchten ihn am vergangenen Sonntag in aller Frühe in voller Nüchternheit. Die Marmorstirn lächelte uns entgegen. Sie war geöffnet. Die Türen standen offen und wir traten ein.

„Non ricordate più le cose passate,
Non pensate più alle cose antiche!
Ecco, faccio una cosa nuova:
proprio ora germoglia, non ve ne accorgerete?“

scholl die Stimme uns laut und deutlich aus den alten geöffneten, ewig jungen Mauern  entgegen.  Schaut nicht in die Vergangenheit, sondern blickt nach vorne! Diese alte Fassade lädt dazu ein, mutig und froh nach vorne zu schauen.

Ja! Schau hier, ich mach was Neues! Wir dürfen aufschauen, dürfen und sollen nach vorne schauen. Jeder Tag mit dieser Wahrheit ist ein Geburtstag, ein ganz schöner wie der deine heute, hier und jetzt. Das bedeutet kein Vergessen oder Verleugnen dessen, was vergangen ist. Wie könnten wir all das Schöne, all das Schreckliche der Vergangenheit vergessen?

Aber wir lassen das Licht des Kommenden herein, das gerade jetzt aufkeimt, wir erwarten, wir eilen, wir gehen nach vorne!

Bemerkt ihr dies nicht?

 Posted by at 14:58