Apr 252016
 

Eine schwere gedankliche Last stellten die folgenden drei Bücher dar, die mich in den letzten Tagen erneut beschäftigten:

Sonja Margolina: Das Ende der Lügen. Rußland und die Juden im 20. Jahrhundert. Siedler Verlag, Berlin 1992
Ulrich Herbeck: Das Feindbild vom „jüdischen Bolschewiken“. Zur Geschichte des russischen Antisemitismus vor und während der Russischen Revolution. Metropol Verlag, Berlin 2009
Johannes Rogalla von Bieberstein: „Jüdischer Bolschewismus“. Mythos und Realität. Mit einem Vorwort von Ernst Nolte. Ares Verlag, Graz 2010

Ihnen, den drei schwerlastenden Büchern, ist ein großes Thema gemeinsam, nämlich der große Anteil, den Juden (also Menschen jüdischer Abstammung) an der weltweiten marxistischen und kommunistischen Bewegung in Europa, vor allem jedoch an der bolschewistischen Bewegung in Russland  hatten, der nachweisbar besonders hohe Anteil, den Juden (also Sowjetbürger jüdischer Volkszugehörigkeit) an den militärischen und geheimpolizeilichen Terrororganisationen der jungen Sowjetunion, also an Tscheka, GPU, NKWD und Roter Armee hatten, sowie vor allem auch das daraus sich erklärende Feindbild vom „jüdischen Bolschewismus“, das ja später bei den in Polen, den baltischen Gebieten, in Weißrussland und der Ukraine begangenen verheerenden Grausamkeiten und Metzeleien gegen Juden eine so entscheidende Rolle spielte. Wie sind all diese Tatsachen und Umstände, die keiner der drei Autoren bestreitet, zu erklären?

Die Antwort auf diese und verwandte Fragen hat wiederum einen nicht unerheblichen Einfluss auf die staatlich geförderte deutsche Erinnerungskultur, die deutsche Geschichtspolitik, ja sie erstreckt sich bis in die Tabubildungen, bis in strafrechtlich relevante Meinungsäußerungen hinein, sie ist prägend geworden für die offiziöse deutsche Staatsdoktrin von der absoluten Einzigartigkeit und Unvergänglichkeit ewiger deutscher Schuld und unverzeihlicher deutscher Schande.  Hat man diese Fragen vorurteilsfrei, tapfer und unbestechlich durchgearbeitet, dann dringt man bis in die Wurzelgeflechte deutschen Selbsthasses und deutscher Unterwürfigkeit vor.

 

 

 Posted by at 17:41
Feb 042016
 

Zu den wirklich guten europäischen Sendungen zähle ich das studio24 des italienischen Senders RAINews, das ich bei Gelegenheit immer wieder einmal vormittags einschalte. Klug ausgewählte Fachleute aus den Bereichen Wirtschaft, Finanzen, Währung, Politik, ehemalige hochrangige Politiker und auch Fachpolitiker aus der zweiten Reihe kommen dort zu Wort. Keine Schaumschläger, keine Quasselstrippen.

Ich glaube, dass man in den Fachkreisen südlich der Alpen die im Norden der Alpen laufende Debatte durchaus mit wachen, klugen, kritischen Ohren und mit klug abwägendem Sinn verfolgt.

Herrliche Dialoge entspannen sich soeben in der heutigen Folge, an der neben anderen Senator Mario Monti und der stellv. Direktor des Corriere della sera Federico Fubini teilnahmen.

Monti malte die Gefahr an die Wand, es könne bei einer Fortsetzung der gegenwärtigen Politiken der nationalen Regierungen zu einem Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro (was niemand wünsche) und folglich dann zu einem Auseinanderbrechen der Europäischen Union zwischen dem eigentlichen, dem echten Europa, also dem Europa im Norden und in der Mitte Europas einerseits und dem Europa im Mittelmeerraum andererseits kommen. Als „wahres Europa“ (L’Europa vera, la vera Europa) bezeichnete Monti ausdrücklich das Europa des Euro. Gemeint sind damit jene Länder der Europäischen Union, die den Euro eingeführt haben.

Bedarf es noch eines weiteren Beweises? Der Euro, die über alles geliebte Währung, wird wieder einmal, zum hundertsten oder auch zum tausendsten Male als die Sinnklammer, das allesentscheidende, das einzige Kriterium der Zugehörigkeit zum wahren Europa verkündet. Das ist die gängige Lehre.

Die gängige Lehre behauptet – und wir übersetzen die gängige Euro-Ideologie einmal in eine theologische Sprache – dadurch wird manches klarer:

„So wie jemand, der nicht an Jesus Christus glaubt, kein wahrer Christ sein kann, so kann auch jemand, der nicht an den Euro glaubt, kein wahrer Europäer sein.“ Darauf läuft es hinaus. Der Euro ist alternativlos. Ein nominalistischer Taschenspielertrick der Geldfüchse. An den Euro hat die Europäische Union ihr ganzes Sinnen und Trachten, ihre ganze pseudoreligiöse Inbrunst gehängt. Gefordert ist also Zuneigung zum euro, simpatia verso l’euro, idolatria del denaro, Götzendienst am Gelde!

Wir dürfen zweifellos sagen: L’euro è il vitello d’oro dell’Unione europea. Der Euro ist das Goldene Kalb der Europäischen Union. EUROPA = EURO. Ganz Europa tanzt nach der Pfeife des Euros.

„La non-simpatia verso l’Europa, cioè la non-simpatia verso l’euro…“ – die Abneigung gegen Europa, das heißt die Abneigung gegen den Euro, diesen Eindruck gelte es zu vermeiden, so lautete die eindeutige Aufforderung Mario Montis an die amtierende italienische Regierung.

Das vormittägliche studio24 von RAI News ist allen Nordeuropäern sehr zu empfehlen.

http://www.rainews.it/dl/rainews/live/ContentItem-3156f2f2-dc70-4953-8e2f-70d7489d4ce9.html

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Feb 022016
 

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a) „Wir haben nur eine Welt“
b) „Es gibt keinen Planet B“
c) „Scheitert der Euro, scheitert Europa“
d) „Jesus starb am Kreuz“
e) „Die Erde ist eine Kugel“
f) „Die Lichtgeschwindigkeit ist eine Naturkonstante“

Das sind Beispiele ganz unterschiedlicher Aussagentypen. Es sind teils Aussagesätze zu unterschiedlichsten Sachverhalten, teils Werturteile unterschiedlichster Bereiche, denen man unbefragt zustimmen kann oder sogar unbefragt zustimmen muss, wenn man „dazugehören“ will. Zweifel an jeder einzelnen dieser Aussagen würden heutigentags in Teilen einer zufällig besuchten Gesellschaft sofort zu einer Art Ausschließungsmechanismus führen.

Muß sich in unserer Gesellschaft alles der Kritik unterwerfen, oder braucht unsere Gesellschaft strafbewehrte Meinungstabus? Gibt es Bereiche, die jeder Kritik überhoben sein müssen?

Der gestern zitierte Immanuel Kant nennt als solche tabubewehrte Bereiche „Religion“, „Heiligkeit“, „Gesetzgebung“, „Majestät“. Er schreibt in einer Fußnote der Vorrede zur ersten Auflage seiner „Critik der reinen Vernunft“, verlegts Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781:

*) Man hört hin und wieder Klagen über Seichtigkeit der Denkungsart unserer Zeit und den Verfall gründlicher Wissenschaft. Allein ich sehe nicht, daß die, deren Grund gut gelegt ist, als Mathematik, Naturlehre etc., diesen Vorwurf im mindesten verdienen, sondern vielmehr den alten Ruhm der Gründlichkeit behaupten, in der letzteren aber sogar übertreffen. Eben derselbe Geist würde sich nun auch in anderen Arten von Erkenntniß wirksam beweisen, wäre nur allererst für die Berichtigung ihrer Principien gesorgt worden. In Ermangelung derselben sind Gleichgültigkeit und Zweifel und endlich strenge Kritik vielmehr Beweise einer gründlichen Denkungsart. Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muß. Religion durch ihre Heiligkeit und Gesetzgebung durch ihre Majestät wollen sich gemeiniglich derselben entziehen. Aber alsdenn erregen sie gerechten Verdacht wider sich und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen, die die Vernunft nur demjenigen bewilligt, was ihre freie und öffentliche Prüfung hat aushalten können.

Was ist davon zu halten? Kant bestreitet, daß es Aussagen geben könne, die von freier und öffentlicher Prüfung auszunehmen seien. Prüfung aller nur erdenklichen Aussagen, dies sei das eigentliche Geschäft der Kritik. Es könne schlechterdings keine Aussage geben, die sich nicht vor den Richterstuhl der Vernunft müsse ziehen lassen können.

Dies sei geradezu das Probstück, also das Merkmal einer wahrhaft freien, wahrhaft aufgeklärten Gesellschaft. Immanuel Kant lehnt also den Begriff des Meinungstabus, des Meinungsverbrechens vehement ab.

Alle Aussagen müssen auf den Prüfstand! An den Gesprächen über jede einzelne Aussage ist jederzeit freier, unbehinderter Widerstreit möglich und nötig. An der von Immanuel Kant geforderten gründlichen Denkungsart fehlt es bei uns in Europa heute vielfach und vielerorten.

Zitat:
Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Riga 1781, Seite XII

Foto: „Es gibt keinen Planet B. Ändern wir die Politik. Nicht das Klima. Bündnis 90 Die Grünen.“ Aufnahme Schöneberg, 01.02.2016

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Jan 152016
 

Wir warn all verdorben
per nostra crimina.

So lautet es lateinisch-deutsch in der dritten, erstmals 1545 bezeugten Strophe des älteren geistlichen Liedes In dulci jubilo, dessen Urfassung und Melodie wohl auf das 15. Jahrhundert zurückgehen. Das neue Gotteslob-Gesangbuch der deutschsprachigen Katholiken bringt das hybrid aus lateinischen und deutschen Teilen geformte Lied als Nummer 253.

Wir waren „verdorben“, corrupti eravamus, wir, das Volk, die Gesellschaft, die „Population“ waren wegen unserer Verbrechen, per nostra crimina, ein heilloses, schuldbeladenes, unrettbar böses Volk. So etwa dürfen wir in heutiger Sprache den Sinn des Weihnachtsliedes wiedergeben.

Gibt es eine Kollektivschuld eines ganzen Volkes? Die heutige deutsche Gesellschaft vertritt in der politischen Elite und den führenden Leitmedien diese Meinung; „dafür, für das und das und das, was das Deutsche Reich in den Jahren 1933-1945 angestellt hat, trägt das deutsche Volk auf ewige Zeiten Schuld und Verantwortung.“ Der Bundestag hat es letztes Jahr in einer Resolution so geschrieben, die junge Generation der Deutschen wird seit etwa 1980 in einem intensiven Schuldgefühl wegen der Verbrechen der Großväter erzogen; die Jahre 1933-1945 werden heute als definierende Momente der deutschen Geschichte gesehen, neben denen nichts anderes Bestand hat. Von Hermann dem Cherusker bis zu den heutigen Tagen gilt die Geschichte der Deutschen als heillos verdorben, Deutschland beeilt sich, seine Eigenständigkeit als Verfassungsstaat endlich aufzugeben, um sich in einen größeren europäischen einheitlichen Volkskörper einzugliedern. Dem dient die schrankenlose Öffnung der Landesgrenzen, die bereitwillige, bedingungslose, unterschiedslose Aufnahme von Hunderttausenden junger kräftiger Männer aus fernen Ländern, die nichts weniger im Sinn haben als Deutsche zu werden.

Von daher erklären sich auch die hartnäckigen Versuche, den deutschen Nationalstaat endlich abzuschaffen, ihn als postklassischen, postnationalen Staat einzuschmelzen in die verherrlichte Währungsgemeinschaft; die Aufgabe der D-Mark wird als sinnfälliger Beweis für die Aufgabe der deutschen Nation gesehen.

„…die Eigenheiten einer Nation sind wie ihre Sprache und ihre Münzsorten, sie erleichtern den Verkehr, ja sie machen ihn erst vollkommen möglich.“ Ein erstaunliches Wort, das Goethe da am 20.07.1827 an Carlyle schreibt! In der Tat, die Sprache ist es, die eine Art geistiges Band der Nation stiftet, so wie die Währung – die „Münzsorte“ – eine wirtschaftliche Einheit der Nation verbürgt und symbolisiert.

„Der Euro darf nicht scheitern! Denn scheitert der Euro, dann scheitert Europa!“ Dieser tiefe, irrationale Glaube an den seligmachenden Euro, an die Währung, die die Deutschen endlich von ihrem Deutschsein erlösen soll, findet sich nur in Deutschland – in keinem anderen europäischen Land – als offizielle Politik, – scheint er doch zu verbürgen, dass die Deutschen endlich nicht mehr Deutsche, sondern glühende Europäer sein wollen, da sie doch die eigene Währung sowie zunehmend auch einen Teil der eigenen Sprache auf dem Altar Europas geopfert haben.

Kein Zweifel: Der Begriff der deutschen Kollektivschuld ist heute in Deutschland mehr denn je gelebte und geglaubte Realität; jeder Verweis darauf, dass auch andere Völker etwas Böses getan haben, wird abgebügelt und abgeschmettert mit dem Hinweis, das gehöre sich nicht, man dürfe die unvergleichliche deutsche Kollektivschuld auf keinen Fall in einen Kausalzusammenhang einbetten oder gar relativieren.

Die Theologie des alten Israel kannte übrigens durchaus den Begriff der Kollektivschuld. „Ein verdorbenes Geschlecht“, ein „abtrünniges Volk“, eine „wilde Rotte“, mit dessen „Messer man nichts zu tun haben will“. Es gibt Hunderte derartiger Anklagen der Propheten Israels gegen das eigene Volk oder auch gegen einen der 12 Stämme Jakobs. Jakob selbst sagt sich ausdrücklich in seiner Abschiedsrede, dem berühmten „Jakobssegen“ – von zwei seiner Söhne los – von Simon und Levi. Bekanntlich hatten Simon und Levi den ersten Genozid der Bibel an einer anderen Kultgemeinschaft verübt – ein strafwürdiges Verbrechen. In der Tat verschwindet nach und nach der Stamm Simon aus dem alten Israel, während der Stamm Levi von allem Streben nach irdischer Herrlichkeit abgesondert wird, da seine Mitglieder fortan zu Trägern des Gotteswortes werden – zu den „Leviten“, die eben dem weniger sündhaft gewesenen Teil des Volkes Israel „die Leviten lesen“ sollen.

Das Weihnachtslied „In dulci jubilo“ räumt nun gewissermaßen mit dem antiken Begriff der Kollektivschuld, der Erbschuld auf. Ja, es war so, ja wir WAREN alle böse. Es war so – aber es ist nicht mehr so. Es gibt keine ewige Schuld, jeder Mensch fängt wieder von vorne an, Schuld wird nicht weitergegeben von Vätern auf Söhne.

Das Weihnachtslied verkündet sehr modern die Endlichkeit der Schuld. Es gibt keine absolute Schuld. Es gibt kein absolutes Böses, das in einem Volk nistet.

Für das vorherrschende deutsche Nationalgefühl meine ich hingegen folgende Sätze formulieren zu dürfen: Der Bundestag und das deutsche Feuilleton verkünden die unermessliche Unendlichkeit der kollektiven Schuld. Es gibt absolute Schuld. Es gibt das absolute Böse, das in einem Volk nistet. Und dieses Volk sind wir, die Deutschen.

Das ist der Subtext, den wir immer wieder und wieder hören und aufs Butterbrot geschmiert bekommen.

Die deutsche Nationalhymne müsste folgenden Satz enthalten:

Wir sind all verdorben
per nostra crimina.

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Dez 122015
 

Am vergangenen Samstag wurde in der Staatsbibliothek zu Berlin für einen Tag lang ein originaler Erstdruck der berühmten 95 Thesen Martin Luthers ausgestellt. Ich eilte hin, las, staunte, sah und schreibe nun diese nachfolgenden Betrachtungen 7 Tage danach nieder. Das Foto habe ich mit Erlaubnis der Saalaufsicht vor einer Woche aufgenommen.

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Das Bewusstsein ewiger, unverzeihlicher, unauslöschlicher Schuld, an dem so viele Menschen leiden, führt unweigerlich zum odium sui, zum Selbsthass, wie das Martin Luther 1517 an prominenter Stelle genannt hat. In der vierten seiner Wittenberger Thesen schreibt er:

„Manet itaque pena, donec manet odium sui (id est penitentia Vera intus), scilicet usque ad introitum regni celorum.“

„Die Strafe bleibt also, solange der Selbsthass bleibt (d.h. die wahre Buße im Innern), nämlich bis zum Eintritt des Himmelreiches.“

Ewige Strafe, ewige Pein, ewige Schuld wird in deutschen Landen weitergereicht von Vätern auf Söhne, auf Enkel, auf Urenkel – usque ad introitum regni celorum.

Dieser Selbsthass ist in deutschen Landen bis zum heutigen Tage ein guter, ein geförderter Zustand. „In mir ist nichts Gutes.“ Da man nicht an die verzeihende, versöhnende Kraft des Wortes glaubt, vergräbt man sich in einen Kerker aus Schuldbewusstsein, Schwermut und Selbsthass.

Ein Beleg für den typisch deutschen Selbsthass? Hier kommt er, stellvertretend für viele:

„Und dann gibt es noch die unauslöschliche Großschuld, die Deutschland von 1914 bis 1945 auf sich geladen hat. Die Schuld an zwei Kriegen, die Schuld an Millionen Toten auf Schlachtfeldern und in Konzentrationslagern. Das ist eine Schuld, die nicht vergehen wird, an der es nichts zu rütteln gibt, von der die Zeit nichts abschleift.“

So schreibt es Christoph Schwennicke, Chefredakteur der Zeitschrift Cicero, am 3. März 2015.

Zu Hunderten findet man Derartiges in den meinungsbildenden Reden, Schriften und Kommentaren: diese Berufung auf die deutsche Großschuld, die alles andere überragende, in alle Ewigkeiten fortdauernde, alleinige Schuldigkeit Deutschlands für die beiden Weltkriege und die Massenmorde an Zivilisten in den Jahren 1914-1945.

Alle Völker Europas, insbesondere die Deutschen selbst, bekennen sich stolz und voller Sündengewissheit zu den deutschen Verbrechen, an denen sie allein, die Deutschen, bis in alle Ewigkeiten tragen werden, – du, ich, wir Deutschen alle. Diese deutsche Ur-, Erb- und Großschuld ist gewissermaßen das alles andere überschreibende Erbgut, durch das alles andere – auch alles Gute – überlagert wird.

Mit einem wahren furor teutonicus spürten und spüren deutsche Schriftsteller, deutsche Großintellektuelle diesen verbrecherischen Grundcharakter eines ganzen Volkes wieder und wieder auf, ergötzen sich daran, weiden sich daran.

Schon das kleinste Abweichen von dieser dauernden Selbstzerknischung wird als nationalistisches Gehabe rabiat unterdrückt. Wer erinnert sich nicht daran, wie der damalige CDU-Generalsekretär Herrmann Gröhe am Abend des Wahlsieges ein Fähnchen der Bundesrepublik Deutschland schwenkte und sofort von seiner Herrin sanft, aber nachdrücklich abgestraft wurde?

In der Tat: Das Schwenken eines kleinen Fähnchens der Bundesrepublik Deutschland gilt bereits als unschicklich, als frevelhafter Verstoß gegen die guten Sitten! Und die Franzosen versinken derzeit im nationalen Fahnenmeer so sehr, dass an den Kiosken kaum mehr Trikoloren zu kaufen sind! Russen, US-Amerikaner, Türken, Polen, Dänen, Schweden, Finnen und und und lassen stolz und fröhlich ihre Fahnen flattern, ohne doch zu leugnen, dass ihre leiblichen Vorfahren auch einiges auf dem Kerbholz haben. Das symbolische Bekenntnis zum eigenen Staat, zum eigenen Staatsvolk gilt dort nicht als Sünde.

Das in Deutschland immer noch anzutreffende, im Kern reinrassig völkische Denken, wonach Völker, hier also die Deutschen, zeitenüberdauernd an allem schuldig sind und schuldig bleiben, was ihre biologischen Vorfahren und Urahnen in vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten getan haben, feiert in unseren Jahren fröhliche Urständ. „Nie mehr Deutschland, nie mehr Krieg!“ – mit dieser teutonisch-furiosen Losung sprengten junge Deutsche eine Veranstaltung des Verteidigungsministers de Maizière an der Humboldt-Universität.

Davon ganz abgesehen, dass dieses biologistisch-völkische Denken, wonach die Nachfahren die Schuld der leiblichen Vorfahren erben, kaum von allen Menschen geteilt wird, bestehen aus der Sicht historischer Forschung erhebliche Zweifel an der immer wieder von historischen Laien vorgetragenen Behauptung, Deutschland und nur Deutschland trage die Alleinschuld an den beiden Weltkriegen und an allen Genoziden in den Jahren 1914-1945. Vermutlich ist diese Behauptung sogar falsch.

Schuld, die nicht vergehen kann! Es ist, als hörte man das deutsche Gewissen pochen und klagen: „In mir (in mir, dem deutschen Volk) ist nichts Gutes, das neben der deutschen Großschuld Bestand hätte.“ Oder auch: „Meine Sünde ist grösser / denn das sie mir vergeben werden müge.“ So übersetzte Luther die Selbstbezichtigung Kains im 1. Buch Mose (4,13).

Und was wir heute mehr denn je in Deutschland erleben, ist eine fortwährende Selbstbezichtigung Deutschlands als des Kainsvolkes unter den Völkern Europas.

Not tut jetzt eine Art Rückbesinnung auf den personalen Begriff der Schuld, wie ihn beispielsweise das Strafrecht lehrt: Jeder Mensch trägt nur für eigene Vergehen, für eigene Verbrechen Schuld. Es gibt keine generationenübergreifende Sippenhaftung oder gar so etwas wie Volksschuld.

http://www.rp-online.de/politik/deutschland/kolumnen/berliner-republik/deutschland-ist-nicht-an-allem-schuld-aid-1.4916046

 Posted by at 16:04
Nov 132015
 

„Es ist müßig, mit Leuten zu diskutieren, die keine Fakten akzeptieren“, sagte er demnach. Auf die Behauptung Haverbecks, dass es keine Beweise für den Holocaust gebe, habe der Richter geantwortet: „Ich muss auch nicht beweisen, dass die Erde eine Kugel ist.“

Mit dieser Begründung steckte ein Hamburger Amtsrichter gestern eine 87 Jahre alte Dame für 10 Monate ohne Bewährung ins Gefängnis. Ihre Straftat: Sie leugnete zum wiederholten Male den Holocaust.

Völlig richtig, Herr Richter! Es ist unnötig mit Leuten zu diskutieren, die keine Fakten akzeptieren. Muss man allerdings Leute akzeptieren, die bestreiten, dass die Erde eine Kugel ist? Muss man es hinnehmen, wenn jemand behauptet, dass die Erde keine Kugel sei, sondern ein abgeflachtes Rotationsellipsoid, also ein geometrisch unregelmäßig geformter, leicht abgeplatteter Körper?

Wer hat nun recht: Der Hamburger Amtsrichter, der die Tatsache behauptet, dass die Erde eine Kugel ist, oder der Wissenschaftler, der behauptet, die Erde sei ein abgeflachtes Rotationsellipsoid?

Ich meine: Das Leugnen von Tatsachen, das Lügen lässt sich als solches nicht bestrafen – außer, ja außer bei Tatsachen, die als wesentlich, als unverzichtbar, als im Sinne einer bestimmten Gesellschaft als schlechterdings nicht bezweifelbar gelten.

Unbezweifelbare Tatsachen werden seit Jahrhunderten unter Strafandrohung gestellt.

So galt jahrhundertelang Gotteslästerung oder Gottesleugnung als strafwürdiges Verbrechen; viele hartnäckige Gotteslästerer wurden durch Hinrichtung bestraft, z.B. Jesus, Giordano Bruno, Jan Hus oder Sokrates. Die Existenz Gottes bzw. die Existenz der Götter galten als unumstößliche Tatsache; Zweifel an dieser millionenfach bewiesenen Tatsache wurden bestraft.

In der Bundesrepublik gibt es heute nur ein klassisches Meinungsdelikt, im Grunde wird nur noch eine falsche Meinung, wird eine Lüge unter Strafe gestellt: die Holocaustleugnung. Man darf in Deutschland den ukrainischen Holodomor leugnen, man darf die systematische Ermordung von vielen Millionen sowjetischer Zivilisten während des 2. Weltkrieges schweigend übergehen. Man darf verschweigen oder leugnen, dass Jakow M. Swerdlow die Zarenfamilie erschießen ließ. Man darf verschweigen oder leugnen, dass Leo Trotzkij den systematischen Mord an Zivilisten, die systematische Vernichtung der Klassenfeinde befahl. Man darf die Kolonialgreuel in Belgisch-Kongo ignorieren oder leugnen. Man darf die Massenmorde des Pol Pot und der chinesischen Maoisten übersehen oder leugnen. Nur den Holocaust darf man nicht leugnen. Er ist in der Strafrechtspraxis das Factum absolutum der deutschen Rechtsordnung geworden.

Der israelische Schriftsteller Yitzhak Laor fasst diesen Prozess der Sakralisierung und absoluten Überhöhung des Holocaust im Anschluss an Überlegungen Alain Finkielkrauts so zusammen: „The Holocaust alone can provide the definition of evil.“ „Der Holocaust allein kann die Definition des Bösen liefern.“

Die enormen Vorteile dieser Absolutsetzung, dieser Sakralisierung des Holocausts als des schlechthin Bösen liegen auf der Hand. Es wird im Nu alles so einfach in der Welt!

Erstens, er ist vorbei. Er liegt in der Vergangenheit. Laor schreibt: „The great advantage of this is that the Holocaust took place in the past and is now over; we can congratulate ourselves on having awoken from a nightmare.“ Er ist damit der Nullpunkt der moralischen Argumentation geworden. Das absolute Böse, der Holocaust, ist glücklicherweise vergangen; solange man den Holocaust erinnert und eine Wiederholung des Holocaust verhindert, ist alles andere ja nur halb so schlimm. Das Wichtigste, aber auch das Tolle, das Phantastische, das Herrliche an der Weltgeschichte ist, dass der Holocaust einzigartig ist und sich deshalb nicht wiederholen kann. Es wird also automatisch alles immer besser in der Weltgeschichte, solange man nur verhindert, dass der Holocaust sich wiederholt.

Zweitens, es gibt ein eindeutiges Tätervolk, das dafür „Schuld und Verantwortung trägt“, wie es der Deutsche Bundestag erst kürzlich wieder festgestellt hat: die Deutschen, oder besser gesagt: „wir Deutschen“. Die Vorteile für alle anderen europäischen Staaten, die in den Jahren 1939-1945 vorübergehend oder dauerhaft mit dem Deutschen Reich verbündet waren (Sowjetunion, Finnland, Frankreich, Italien) sind unleugbar: Die Deutschen sind das Tätervolk.

Drittens: Die Holocaustleugnung und die ganze Klasse verwandter Delikte lassen sich problemlos unter Strafe stellen. Holocaustleugnung, aber mittlerweile auch die Historisierung, die historische Einbettung des Holocausts in eine Ereigniskette, die Relativierung, die Vergleichung des Holocausts mit anderen systematischen Ausrottungspolitiken der Weltgeschichte ist ein in der deutschen Öffentlichkeit weithin als solches eingestuftes Meinungsdelikt. Dieses Meinungsdelikt zu begehen erweist sich immer wieder als selbstmörderisch für den eigenen Ruf. Man kann nur davor warnen. Selbst bestens ausgewiesene Historiker wie Ernst Nolte haben wegen dieses Meinungsdelikts ihren früher guten Ruf, Politiker wie Martin Hohmann, Schriftsteller wie Martin Walser haben aufgrund dieses Delikts ihren bis dahin unbescholtenen Leumund eingebüßt. Sie stehen bis heute am Pranger.

Viertens: Unabhängig von Geisteszustand oder Alter des Meinungsverbrechers erreicht die deutsche Justiz und die deutsche Gesellschaft die Gewissheit, auf der Seite des absoluten Guten zu stehen. Denn wer gegen die Leugnung des absoluten Bösen kämpft, muss auf der Seite des Guten stehen.

Fünftens: Das Verbot der Holocaustleugnung hat einen umfassenden, disziplinierenden Effekt auf die öffentliche Meinung. Der gemeine Bürger fängt aus Angst im Unterbewusstsein schon an zu überlegen: „Es gibt also Lügen, die in Deutschland unter staatliche Strafe gestellt werden. Wenn schon eine 87-jährige Frau, eine offenkundig verwirrte oder fanatisch verblendete ältere Dame wegen einer sonnenklaren geschichtlichen Lüge für 10 Monate ins Gefängnis gesteckt wird, hmm, darf ich das oder das dann noch sagen? Darf man noch an unumstößlichen Tatsachen zweifeln, z.B. an der Konstantinischen Schenkung, an der Goldenen Bulle, am Holodomor, an den Stalinschen Säuberungen, an der Sinnhaftigkeit des Euro, an der Legitimität der Rechtsakte der Europäischen Union? Darf man noch am Klimawandel zweifeln, oder wird man dafür irgendwann auch ins Gefängnis gesteckt werden?“

Der Staat bestraft falsche Meinungen, der deutsche Staat bestraft das hartnäckige Lügen, sofern er ihm das Potenzial zur Volksverhetzung beimisst. Das dürfen wir nie vergessen.

Das gestern ergangene Urteil des Hamburger Amtsrichters wirft – trotz aller hier aufgewiesenen strategischen Vorteile, die mit ihm einhergehen – viele Fragen auf.

Belege:
Yitzhak Laor: The Shoah Belongs to Us (Us, the Non-Muslims). In derselbe: The Myths of Liberal Zionism. Verlag Verso, London New York 2009, S. 15-35, hier bsd. S. 32

http://www.stern.de/panorama/stern-crime/nazi-oma–87-jaehrige-ursula-haverbeck-muss-wegen-holocaust-leugnung-in-haft-6551784.html

 Posted by at 13:15
Sep 292015
 

Ein paar Gedanken mögen sich hier anschließen, wie sie mir im Nachklang des Abends in der Katholischen Akademie vom letzten Donnerstag einfallen:

1. Die Sprachlichkeit der Leib-Rede, die Leiblichkeit des gesprochenen Wortes wurde im Vorbeigehen belichtet. Begriffe wie Vergleich, Metapher, Symbol, Sakrament tauchten immer wieder auf.

2. Welche Bedeutung hat das Glauben für die Ein-Leib-Metapher? Die Metapher verlangt als solche keinen Glauben, sondern ein Verstehen. Metaphern sind Stilmittel der Rede, mit denen der Sprechende eine Wirkung erreichen will. „So wie der Körper viele Organe hat, so hat auch das Gemeinwesen viele Organe, deren jedes seine ihm zugewiesene Funktion hat. Der Magen kann nicht sagen: Ich mache nicht mehr mit. Er muss seinen Dienst als Magen verrichten, damit es allen Organen gut geht.“  So überzeugte, oder besser: „überredete“ Menenius Agrippa im Jahr 494 v. Chr. die unzufriedenen Plebejer.  Sie kehrten in die Stadt Rom zurück. Er verwendete die Metapher – „ein gutes Gemeinwesen ist wie ein einziger Leib“ – dieses eine Mal als Mittel im Dienste der Überzeugungsarbeit. Er setzte damit aber kein wiederholbares sinnstiftendes Zeichen, er stiftete kein Sakrament und keinen Ritus.

3. „Das ist mein Leib“ (Mt 26,26), diese Worte sind nicht als Metapher zu verstehen und auch nicht als Symbol. Sie sind vielmehr ein „Zeichen höherer Art“, das durch eine sprachlich verfasste Tathandlung „gesetzt“ wird; der übliche Ausdruck für ein derartiges gesetztes oder „eingesetztes“, „gestiftetes“ Zeichen höherer Art, das im Vollzug des Ritus wiederholbar wird, lautet Sakrament.

4. Sakramente sind im Gegensatz zu Metaphern wiederholbare, stets an den sprachlichen Vollzug gebundene Handlungen, die über die Metapher hinausweisen. Sakramente, „geheiligte Tathandlungen“ also, sind nicht bloß metaphorisch zu verstehen, sondern reichen jenseits der Metapher hinaus. Ihr Reich ist gewissermaßen „nicht nur von dieser Welt“.  Sie sind – sofern man sie glaubt und in ihnen lebt – eine Wirklichkeit jenseits der sprachlich abbildbaren Wirklichkeit, also eine „nur“ geglaubte, „nur“ gelebte Wirklichkeit.

5. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein hat wie Pasolini diesen Schritt über die Grenzen der metaphorischen Rede hinaus versucht, aber – im Gegensatz zum Künstler – vorerst nicht vollzogen. Wenn er einerseits schreibt: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“ und dann weiterschreitet: „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische„, dann entzog sich ihm, als er den Tractatus logico-philosophicus verfasste, noch der Sinn für den Vollzugscharakter des Sprachhandelns, also das „Performative“, wie man modischerweise heute sagt.

6. L’umanità di Cristo è spinta da una tale forza interiore, da una tale irriducibile sete di sapere e di verificare il sapere, senza timore per nessuno scandalo e nessuna contraddizione, che per essa la metafora «divina» è ai limiti della metaforicità, fino a essere idealmente una realtà.

Von den „Grenzen des Metaphorischen“ schreibt Pasolini am 12. Mai 1963 an Alfredo Bini.  Ein großes Zeugnis einer großen Liebe: „… amando così svisceratamente il Cristo di Matteo…“ Irgendwann wird seine Stunde kommen. Wann? Wir wissen es nicht.

Quellen:

Ludwig Wittgenstein: Tracatatus Logico-Philosophicus, o.O., o.J., Sätze 5.6, 6.522
http://tractatus-online.appspot.com/Tractatus/jonathan/D.html

Brief Pier Paolo Pasolinis an Alfredo Bini vom 12. Mai 1963, zitiert nach: Gianni Borgna u.a. (Hrsg.): Pasolini Roma. Verlag Skira, Roma 2014 [Ausstellungskatalog], Seite 167

 

 Posted by at 13:31
Aug 192015
 

„Griechenland gehört zum Euro, weil Griechenland zu Europa gehört.“

Sven Christian Kindler, Bundestagsabgeordneter, hat es soeben wieder einmal in der gerade laufenden Bundestagsdebatte unter großem Beifall des Hohen Hauses gesagt.

Warum sollen wir das glauben?

Europa hat 47 Staaten. Davon gehören 19, also etwa ein gutes Drittel, weniger als die Hälfte aller europäischen Staaten, der Eurozone an.  Woher nehmen die Eurozonenländer das Recht, alle Länder, die nicht der Eurozone angehören oder den Euro nicht wollen, wie etwa Polen, die Slowakei, die Schweiz, Schweden, die Ukraine, Großbritannien, Norwegen,  die Tschechische Republik als nicht zu Europa gehörend zu bezeichnen?

Sind die Polen, die Ukrainer, die Tschechen, die Schweizer und Norweger etwa keine richtigen oder minderwertige Europäer, weil sie den Euro nicht haben?

Die Eurozone, ein Verbund von 19 Staaten beansprucht auf mittlerweile unerträgliche Art die Deutungshoheit darüber, was Europa ist und was nicht.

Extra euro nulla salus? Gibt es kein Heil außerhalb des Euros?  Euro, Euro über alles? Extra monetam unicam nulla Europa? Soll wirklich der Euro das alleinige Kriterium der Zugehörigkeit zu Europa sein?

 

 

 

 Posted by at 11:32
Jun 012015
 

„Sonderfall Ukraine“, unter diesem zutreffenden Titel beschreibt Hugo Portisch in seinem phantastisch reich bebilderten Band über „Aufstieg und Fall des Sowjetkommunismus“ das in der Tat beispiellose Leiden der Ukraine unter der militärischen Bedrohung, der Unterdrückung und Zerstückelung der Ukraine durch Polen, durch das Russische Reich, durch die Sowjetunion und durch das Deutsche Reich in den Jahren 1917-1945. Wir fassen einige Grunddaten ukrainischer Geschichte zusammen:

Starke Bestrebungen, das Land aus russischer Herrschaft in die Unabhängigkeit zu führen, brachen sich nach der russischen Februarrevolution des Jahres 1917 Bahn. Alle ukrainischen Parteien – auch die linken Sozialdemokraten – forderten damals nationale Unabhängigkeit, wobei grundsätzlich der Verbleib innerhalb des Russischen Reiches nicht ausgeschlossen wurde. Nach dem gewaltsamen bolschewistischen Staatsstreich, der „Oktoberrevolution“ des Jahres 1917, verweigerte die ukrainische Rada den Bolschewiki Lenins die Anerkennung und erklärt die staatliche Eigenständigkeit. Die neue Sowjetregierung erklärt der Ukraine umgehend am 17.12.1917 den Krieg.

Am 9. Januar 1918 ruft die Zentralrada in Kiew die „Unabhängige Souveräne Ukrainische Volksrepublik“ aus. Danach marschieren die deutschen sowie die österreichisch-ungarischen Truppen ein. Am 1. November 1918 wird die „Westukrainische Volksrepublik“ proklamiert. Am 6. Februar 1919 marschiert die Rote Armee Trotzkis in Kiew ein, und die Ukraine wird am 8. April 1919 fester Bestandteil der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik. Am 25.04.1920 wiederum erteilt der polnische Diktator, der General Józef Piłsudski, den Befehl, Sowjetrussland entlang der gesamten Grenze anzugreifen.

Allein schon diese wenigen Daten zeigen, dass die Ukraine in der sogenannten „Zwischenkriegszeit“ mehrfach von Polen, Russland und Deutschland angegriffen wurde, ehe sie dann vorerst endgültig Teil der Sowjetunion wurde.

Doch das Schlimmste waren nicht die Kriege, die Russland, Polen und das Deutsche Reich gegen die Ukraine vom Zaun brachen, das Schlimmste war der sowjetisch-nationalsozialistische Doppelschlag aus erstens dem Holodomor und zweitens dem Holocaust. Letzterer, der Holocaust, füllt viele Buchregale, Videotheken und Bibliotheken, der erste, der Holodomor ist nahezu vergessen. Wie kam es dazu?

Im Jahr 1929 fordern die sowjetischen Kommunisten wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage die Vernichtung eines Großteils der ukrainischen Landbevölkerung, der sogenannten Kulaken.

Die bäuerliche Landwirtschaft wird von der kommunistischen Führung im Zuge der Zwangskollektivierung systematisch zerstört. Die Kulaken – also die selbständige ukrainische bäuerliche Bevölkerung – werden teils sofort erschossen, teils in Lager deportiert, aus denen sie meist nicht wiederkehren. Andere Kulaken werden verbannt, die Menschen werden in Viehwaggons eingepfercht, „in eisiger Kälte oder in brütender Hitze ohne Wasser“. Die Ärmsten unter den Kulaken werden obdachlos gemacht, sie vegetieren in den 30er Jahren unter sowjetischer Herrschaft auf den Straßen dahin und sterben wie die Fliegen.

Es gibt Augenzeugenberichte und Fotos darüber, wie hungernde ukrainische Familien in ihrer abgrundtiefen Verzweiflung nach und nach die Schwächsten töteten und danach verspeisten. Kannibalismus, Menschenfresserei aus Hunger – von Trotzki ausdrücklich gutgeheißen – war unter der Herrschaft der sowjetischen Kommunisten in der Ukraine, der einstigen Kornkammer des Russischen Reiches, ein nicht nur vereinzeltes Phänomen.

Berichte über diese Massenmorde, über die Vernichtung eines großen Teils der ukrainischen Bevölkerung erreichten sehr wohl regelmäßig das Ausland. Doch keine ausländische Macht griff ein.

Etwa 10 Millionen Ukrainer wurden in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts durch die sowjetische Führung planmäßig durch Massenerschießungen, durch Vertreibungen und Zwangsarbeit sowie durch gezieltes Verhungernlassen vernichtet. Massenerschießungen, Deportationen, häufig zum Tod führende Zwangsarbeit in der Sowjetunion: Es handelt sich zusammen mit den Kolonialgreueln in Kongo unter dem belgischen König Leopold und zusammen mit dem nationalsozialistischen Holocaust an den europäischen Juden wohl um den schrecklichsten Genozid im Europa des 20. Jahrhunderts. Je nach Bewertungsmaßstab übertrifft der Holodomor am ukrainischen Kulakentum den Holocaust an den europäischen Juden in Grausamkeit und Brutalität sogar noch oder kommt ihm nahe. Der Holodomor ist zweifellos grausamer und schrecklicher gewesen selbst noch als die auf ihn folgenden „Säuberungen“ des sowjetkommunistischen Systems der späten 30er Jahre. Denn der Holodomor dauerte länger als die Säuberungen, der Holodomor forderte nach Schätzungen 8 bis 10 Mal so viele Menschenleben, er betraf eine gesamte Bevölkerung. Und es gab fast keine Überlebenden. Selbst heute ist dieser Genozid am ukrainischen Volk, der ungesühnt und kaum erinnert dem ebenso schrecklichen Holocaust vorausging, selten Gegenstand der öffentlichen Erinnerung außerhalb der Ukraine.

Der Bildband von Hugo Portisch (ich kaufte ihn gestern auf dem Flohmarkt am Rathaus Schöneberg für € 1.-) sei allen empfohlen, die sich für eine vollständige Schreckensgeschichte des 20. Jahrhunderts im Zeitalter der Weltkriege interessieren und insbesondere das militärisch-politische Zusammenspiel zwischen der kommunistischen Sowjetunion und dem Deutschen Reich in den Jahren 1924 bis 1941 näher erkunden möchten.

Hinweis:
Hugo Portisch: „Sonderfall Ukraine“, „Die Vernichtung der Kulaken“, in:
Hugo Portisch: Hört die Signale. Aufstieg und Fall des Sowjetkommunismus. Mit einem Nachwort zur Taschenbuchausgabe. Mit zahlreichen Schwarzweißfotos. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1993, S. 124-131 sowie S. 220-223

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Mai 052015
 

„Bitte etwas weniger Religion!“ Flehentlich höre ich immer wieder dieses Stoßgebet der säkularen Bevölkerungsmehrheit. In der Tat, die Diskurse, die sich um den 8./9. Mai 2015 ranken, quellen geradezu über von mystischen, halb- oder vierteltheologischen Aussagen.

DAS muss man sagen and bekennen, JENES darf man nicht sagen. So ist es unter den Deutschen in öffentlicher Rede stehender Ritus geworden, die absolute Unvergleichlichkeit der deutschen Verbrechen herauszustreichen, ebenso gilt es heute weithin unter Deutschen als Tabu, die von Angehörigen anderer Nationen im 20. Jahrhundert an Deutschen begangenen Verbrechen aktiv anzusprechen.

Die zahllosen deutschen Verbrechen der Jahre 1884 (Berliner Kongo-Konferenz) bis zum 8. Mai 1945 sollen weithin sichtbar in all ihrer absoluten Einzigartigkeit strahlen und funkeln. Es ist, als hörte man es überall erschallen: Wir Deutschen sind Weltmeister des Bösen. Und wir sind Weltmeister der Schuldbekenntnisse.

Es gilt als Tabubruch, als „Todsünde“, wenn ein deutscher Historiker von sich aus konkurrierende Verbrechenslisten eröffnet, z.B. die Kolonialgräuel in Belgisch-Kongo, die Ausmerzung der Indianderkulturen in den beiden Amerikas, die Gemetzel der Russen unter den slawischen und sozialistischen Brudervölkern anspricht, ohne doch zugleich die unvergleichliche, die überragende Qualität der deutschen Verbrechen in dem großen Völkergemetzel der Jahre 1939-1945, wahlweise auch 1933-1945 hervorzuheben. „Wir Deutschen sind die absolut Schuldigsten in der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts.“

Wo sind eigentlich all die guten oder weniger guten alten Faschismustheorien eines Reinhard Kühnl, eines Ernst Nolte geblieben? Ist ihnen denn etwas Schlimmes passiert? Wo bleiben in der deutschen Historiographie die ökonomischen oder die strukturellen Analysen, wie sie etwa Timothy Snyder oder kürzlich etwa Adam Tooze erneut vorgelegt haben? Wer arbeitet sich noch durch die Originalquellen eines Mussolini, eines Rosenberg, eines Trotzkij, eines Lenin, Ehrenburg oder Stalin durch – und zwar in den Originalsprachen?

Wer spricht heute noch von den faschistischen Regimen Italiens, Spaniens, Griechenlands, Österreichs, Ungarns, der Slowakei, Rumäniens? Einige von ihnen, also das Italien Mussolinis, das Ungarn Horthys, die Slowakei Tisos, das Rumänien Antonescus waren doch Verbündete und Mitstreiter des Deutschen Reiches im 2. Weltkrieg. Sie nahmen bereitwillig als Partner und Spießgesellen an den verbrecherischen Unterwerfungs-, Vernichtungs- und Beutekriegen Hitlers teil. Sie saßen doch – ebenso wie der ehemalige Verbündete Finnland – noch bei der Pariser Friedenskonferenz 1946/47 als Verlierer, als schuldige Kriegsauslöser am Verhandlungstisch, sie mussten als Schuldige und Schuldner des Weltkrieges Reparationen an ihre Kriegsfeinde zahlen. Alles vergessen?

Es ist auffällig, dass nahezu die gesamte rituelle, in Deutschland um sich selbst kreisende Debatte über den 2. Weltkrieg fast komplett unter das Vorzeichen erstens des Nationalen, zweitens des moralisch Bösen, ja des absoluten Bösen geraten ist, als dessen einzige Verkörperung heutzutage weithin das Deutsche Reich in den Jahren 1933-1945 gilt: Nur die Deutschen waren böse, alle anderen waren also gut. Auch Stalin und der Stalinismus waren gut, denn sie kämpften gegen das absolute Böse.

Das Deutsche Reich der Jahre 1933-1945 und nur Deutschland gilt nunmehr und auf alle Ewigkeit in der Geschichte der Neuzeit als „Inkarnation des Bösen“ schlechthin (so der dem Freiburger Historiker Ulrich Herbert zugeschriebene Ausspruch).

Nicht anders wird dies heute auch im sich eifrig rechristianisierenden Russland gesehen. Dies berichtet heute erneut Friedrich Schmidt in der FAZ auf S. 3 unter dem Titel „Unter jeder Beere eine Leiche“. Die Russen sehen sich offiziell heute als „Nation der ewigen Sieger“. Ich selbst las den Spruch noch vor wenigen Monaten breit auf Häuserwänden in den Vorstädten Moskaus: „WIR SIND EIN VOLK VON SIEGERN.“ Und der größte Sieg der Russen, das war der nach russischer Auffassung alleine und ausschließlich durch Russland erfochtene „Sieg über den Faschismus und das nationalsozialistische Deutschland als das absolute Böse“. So gibt Arsenij Roginski – völlig korrekt, wie ich meine – die offizielle Staatsdoktrin wieder.

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Apr 222015
 

Der Mönch Adso von Melk berichtet in dem Namen der Rose von dem einzigen Ereignis, das unbestreitbar und unleugbar sei – die unumkehrbare Wahrheit, la verità incontrovertibile, von dem das süße Psalmodieren der Mönche im Kloster summt und singt. Welches ist nun dieses Ereignis, die einzige ereignete Wahrheit, auf der der Glaube dieser Mönche in der Erzählung Umberto Ecos gründet?

Wir vermuten: Es ist die Botschaft von Gottes eingeborenem Sohn, der filius unigenitus, Jesus Christus, dieses für die Christen aller Zeiten so einzigartige Ereignis, die Geschichte von Leben, Leiden, Sterben und Auferstehung Jesu Christi, welche nach den Worten des Geschichtsphilosophen Hegel die Weltgeschichte in ein Vorher und ein Nachher trennt.

Für die gläubigen Christen aller Zeiten (sie sind stets eine Minderheit gewesen und sind es in Deutschland heute mehr denn je) gibt es dieses eine, einzigartige große Ereignis – die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, die Menschwerdung Gottes in jedem einzelnen Menschen, der heute und morgen geboren wird: Weihnachten.

Die Kreuzigung Jesu ist für die Christen das exemplarische Menschheitsverbrechen schlechthin: schuldlos und grundlos hingerichtet wegen seines So-Seins, wegen seines Anders-Seins: Karfreitag.

Christus ist auferstanden: Die Auferstehung Jesu Christi ist das einzige einzigartige Ereignis für den Adso von Melk, für Johannes den Evangelisten, ja sogar für den Apostel Petrus: Ostern.

Alle anderen Ereignisse erscheinen im Spiegel dieses Heilsgeschehens wie ein Reflex, wie eine Steigerung, Wiederholung, Abwandlung oder Anverwandlung dieser einzigartigen biblischen Geschichte. Abwendung von Jesus Christus bedeutet Leugnung der Einzigartigkeit dieses Ereignisses. Die Einzigartigkeit Jesu Christi wurde im Christentum hunderttausendfach besungen, bebildert, verankert, seine Botschaft der Einheit und Einzigartigkeit von Gottes- und Menschenliebe wurde von früh bis spät gesungen, gepredigt, vorgelebt und nachgeahmt. Das ganzkörperliche Opfer Christi (im Judengriechisch also der Holokaust Jesu Christi) wird gedeutet als Vorspiel und Nachspiel jeder anderen Hinmetzelung von Menschen.

Genau diese Einzigartigkeit eines Ereignisse wollen nun die Fraktionen von CDU und SPD vereinnahmen für ein Ereignis des 20. Jahrhunderts: den Holokaust, besser die vielen, vielleicht 6 Millionen Holokausts der europäischen Juden in den Jahren 1942-1945. Diese 6 Millionen Holokausts werden durch diese neuartige pseudopolitische Ersatztheologie des Bundestages zum Substitut des früheren Glaubens der Christen an die Einzigartigkeit von Kreuzestod und Auferstehung!

Die Holokausts (der Holokaust) werden zum begründungslosen, nicht befragbaren, unhintergehbaren Kristallisationspunkt deutscher Identität. Der Holokaust wird in Deutschland immer stärker zum übergeschichtlichen Ereignis verklärt, wird tausend- und abertausendfach beschworen, bebildert, wiederholt und rituell verteidigt, durch strafrechtliche Leugnungsverbote eingehegt.

Wir zitieren beispielhaft aus dem neuesten Beschlussentwurf des Bundestages (Hervorhebung durch uns):

In dem neuen Text von Union und SPD im Bundestag steht nun, 1915 habe das damalige türkische Regime mit der planmäßigen Vernichtung von mehr als einer Million Armenier begonnen. Wörtlich heißt es: „Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen und der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist. Dabei wissen wir um die Einzigartigkeit des Holocaust, für den Deutschland Schuld und Verantwortung trägt.“

Auffallend: Nicht Nazi-Deutschland, nicht die deutschen oder besser europäischen Mörder von damals trugen nach Meinung des Bundestags individuelle Schuld, sondern ganz Deutschland trug damals und trägt auch heute und fürderhin weiterhin Schuld. So sehen das die Fraktionen von CDU und SPD im Deutschen Bundestag. Also tragen alle Deutschen Schuld am Holokaust – auch Thomas Mann, auch Paul Gerhardt, auch Albert Einstein, auch die deutschen Juden von damals und heute, auch Margot Käßmann, alle alle alle Deutschen sind schuldig in alle Ewigkeit.

Es ist eine reizvolle Aufgabe nachzuvollziehen, wie der ehemals verstandene Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes nunmehr in der deutschen Gesellschaft und im Deutschen Bundestag durch einen universal durchgesetzten, nicht mehr bezweifelbaren Holokaust-Bezug ersetzt werden soll.

Eine Gesellschaft wie die unsrige, die mit dem Gedanken der Einzigartigkeit der Menschwerdung Gottes nichts mehr anfangen kann, hat sich eine felsenfeste Ersatzgewissheit gesucht und gefunden und schickt sich an, an diesem Freitag durch den deutschen Bundestag die Einzigartigkeit deutscher Schuld, die Unvergänglichkeit der Schuld Deutschlands auf alle Zeiten in Stein zu meißeln.

Während das Judentum und das Christentum Religionen des Lebens sind, möchte der Deutsche Bundestag offenbar eine absolute Religion des Bösen, eine dauerhafte Fixierung an die Gewissheit kollektiver, völkischer Schuld verkünden: die Holokaustbindung der Bundesrepublik Deutschland wird so zur leibhaftigen Religion des Todes.

Es ist reizvoll zu erkennen, dass der Bundestag ein zutiefst reliöses Wort aus dem alexandrinischen Judengriechisch übernimmt, um dem Holokaust eine abgründige, sakrale Würde zu verleihen. Diese Sakralisierung des abgrundtief Bösen ist spiegelbildlich verkehrt zur Banalität des Bösen, von der Hannah Arendt sprach.

Für den Deutschen Bundestag tritt wohl am Freitag der Holokaust des europäischen Judentums als Ersatzmythos an die Stelle des weithin verdrängten und vergessenen früheren Glaubens an den Menschen Jesus Christus. Statt an den auferstandenen Menschen Jesus Christus glauben sie an den immer zu besiegenden Teufel, sie glauben, dass Deutschland die Inkarnation des Bösen darstellt.

via Genozid: Merkel nennt Massaker an Armeniern nun doch Völkermord – DIE WELT.

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Apr 092015
 

Die Antwort auf diese Frage wird Hinz und Kunz leichtfallen! Selbstverständlich Deutschland!
Das abrufbare Schulwissen im Fach Geschichte dürfen wir zwanglos so wiedergeben:

„Das Deutsche Reich begann am 1. September 1939 mit dem Angriff auf Polen den 2. Weltkrieg. Der Zweite Weltkrieg endete am 8. Mai 1945 mit der Unterzeichnung der deutschen Kapitulation.“

So wird es heute wohl in den allermeisten Ländern überall in der Welt (außer in Russland) gelehrt.

Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg entfesselt; das ist in der Rückschau unumstritten; siehe hierzu etwa:

„Von den größeren Staaten Europas war keiner den USA ebenbürtig. Deutschland, das den Zweiten Weltkrieg entfesselt hatte, war besiegt und wurde von den Siegermächten geteilt. Großbritannien war eine Siegermacht, aber durch den Krieg materiell so geschwächt, dass es 1945 fraglich war, wie lange es sein überseeisches Kolonialreich noch würde behaupten können.“

Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens. Vom Kalten Krieg zum Mauerfall, C.H.Beck, München 2014, digitale Ausgabe, Pos. 183, Fettdruck durch dieses Blog

Abweichend äußert sich hingegen der heute an der Universität Trier lehrende Neuzeithistoriker Christan Jansen. Er bezeichnet Deutschland und Italien als „die beiden Verursacher“ des Zweiten Weltkriegs:

Von den beiden Verursachern des Zweiten Weltkriegs erhielt Italien bereits im Februar 1947 – von geringen Einschränkungen abgesehen – die Souveränität zurück, die Bundesrepublik erst 1990. Allerdings empfanden die Italiener den Friedensvertrag überwiegend als >>Diktat<< und >>Schmach<<„.

Christian Jansen, Italien seit 1945, Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen 2007, S. 24, Hervorhebung durch dieses Blog

Wiederum abweichend äußert sich der britische, zuletzt an der University of London lehrende Neuzeithistoriker Norman Davies; er weist darauf hin, dass ein wesentlicher Bestandteil des Zweiten Weltkriegs, nämlich der japanisch-chinesische Kriegsschauplatz, bereits 1931 eröffnet worden sei:

„In any number of European history books, 1939 is the year when ‚the world went again to war‘, or words to that effect. In all chronologies except those once published in the USSR, it marks the ‚outbreak of the Second World War‘. This only proves how self-centered Europeans can be. War had been on the march in the world for eight years past. The Japanese had invaded Manchuria in 1931, and had been warring in central China since 1937.“

Norman Davies, Europe. A History. Pimlico, reprinted with corrections London 1997, S. 991, Hervorhebung durch dieses Blog

Und wiederum ein neues Licht auf die Verursachungskette, die zum Zweiten Weltkrieg führte, wirft der bereits mehrfach zitierte Heinrich August Winkler; er behauptet nämlich, die Sowjetunion habe einen Beitrag zur Entfesselung des Zweiten Weltkriegs geleistet:

Im Hitler-Stalin-Pakt hatten die beiden Diktatoren die Aufteilung Mitteleuropas in ihre Einflussbereiche besiegelt. Winkler, der aus seiner Kritik der russischen Politik gegenüber der Ukraine nie einen Hehl gemacht hat, wirft Putin vor, er rechtfertige indirekt die Annektion des damaligen Ostpolens und des Baltikums als „Gebot der sowjetischen Realpolitik“ – damit aber auch „den sowjetischen Beitrag zur Entfesselung des Zweiten Weltkrieges“

Quelle: Süddeutsche Zeitung, Internet-Ausgabe vom 04.04.2015

Was oder wem sollen wir historischen Laien nun glauben, gerade wir Deutschen, wir „Nachkommen der Täter“, wie es so schön immer heißt, wir hier in Deutschland! Wir wissen doch, von wo die Zerstörung der ganzen Welt ausging! Wir sind doch am Zweiten Weltkrieg mit all seinen Schrecknissen und überhaupt an dem allen schuld, das wird man doch nicht ernsthaft bestreiten können! Das eint doch auch alle anderen Länder wie etwa Griechenland und Russland, dass wir Deutschen und nur wir Deutschen alle anderen Länder ins Verderben gezogen haben. Das haben Präsident Putin und Präsident Tsipras doch erst gestern wieder hervorgehoben: „Griechenland und Russland haben mehr als alle anderen mit ihrem Blut für den Kampf gegen den Faschismus bezahlt … Unsere Völker haben brüderliche Beziehungen geschmiedet, weil sie in kritischen Zeiten einen gemeinsamen Kampf geführt haben“, so wird Tsipras heute in der FAZ auf S. 2 zitiert.

Der heroische, letztlich siegreiche Kampf gegen den deutschen Faschismus und gegen Deutschland hält seit dem 8. Mai 1945 bis zum heutigen Tage – und heute mehr denn je – die europäischen Völker zusammen. Der Antifaschismus ist mehr denn je ein starkes Band!

Oder ist es etwa nicht so? Diesen Konsens darf man doch nicht in Frage stellen! Was machen denn die Historiker da?

Wir enthalten uns des letzten Urteils! Ich meine jedoch: eine gehörige Portion Skepsis gegenüber den heutigen Antifaschisten ist angebracht, insbesondere dann, wenn man immer wieder sieht, wie schnell in den Jahren 1943-1949 ein und dieselbe Person erst jahrelang fascista war und dann über Nacht antifascista wurde. Erst unterstützten sie – bis 1943 – Mussolini und Hitler, dann unterstützten dieselben Leute Stalin, Ho Tschi Minh und Chruschtschow.

Und die Sowjetunion unterstützte ab August 1939 bis zum 21. Juni 1941 das nationalsozialistische Deutschland militärisch und wirtschaftlich. Bis zum 21.06.1941 waren das nationalsozialistische Deutschland und die kommunistische Sowjetunion darüber hinaus enge militärische Bündnispartner, dafür gibt es viele Zeugnisse in Wort, Bild und Ton. Das wird leider sehr oft unterschlagen.

Und das alles zu Zeiten, als der GULAG längst bekannt war, als die grauenhaften „Säuberungen“ der Tschekisten auch im Westen öffentlich genannt wurden.

Es bleibt erstaunlich: Drei anerkannte, habilitierte, an Universitäten lehrende Professoren für Neuzeitgeschichte setzen vier einander widersprechende Meinungen zur Auslösung des Zweiten Weltkrieges in die Welt. Nur eine Sicht kann doch die richtige sein, oder? Irgendwann muss doch die Wahrheit endgültig ermittelt sein, oder täuschen wir uns?

 Posted by at 12:59
Apr 042015
 

Die gegenwärtige Passionszeit bringt eine erhöhte Häufigkeit an theologischen, pseudotheologischen und kryptotheologischen Aussagen an den unvermutetsten Stellen mit sich. Was Nietzsche seinerzeit einem Hegel, einem Schelling vorwarf, dass sie nämlich keine echten Philosophen, sondern eigentlich „noch“ Theologen oder nur „Halbpriester“ seien, – was freilich Hegel und Schelling nicht als Vorwurf verstanden hätten, – das gilt in noch stärkerem Maße mitunter von den heutigen Historikern.

Was soll man etwa von folgendem Satz halten:
Nazi-Deutschland war tatsächlich die Inkarnation des Bösen.

Ich meine: Dies ist ein rein theologischer Glaubenssatz, der nur vor dem Hintergrund des Johannes-Evangeliums sinnvoll zu verstehen ist (Joh 1,14). So wie in Jesus Christus Gott Fleisch geworden ist, also inkarniert ward, so ward in Deutschland und nur in Deutschland das absolute Böse inkarniert, also „eingekörpert“. Das ist der Dreh- und Angelpunkt so mancher Debatte, die sich damit von jeder Wissenschaftlichkeit entfernt. In solchen Sätzen entspringt die negative antideutsche Ideologie, die Germanophobie, die gerade in diesen Tagen wieder lebhaft beschworen wird.

„Nazi-Deutschland war tatsächlich die Inkarnation des Bösen.“ Mit diesem „Credo in unum malum“ wurde jüngst ein namhafter, bestens ausgewiesener Neuzeit-Historiker von der Universität Freiburg zitiert (SZ, 20.03.2015). Hat er es wirklich so gesagt? Dies zu glauben fällt allerdings schwer. Aber der Satz wird ihm so zugeschrieben.

Wie auch immer: Es wimmelt in den zeitgeschichtlichen und politischen Debatten von derartigen Glaubenssätzen, es werden auf Schritt und Tritt Frageverbote, Tabus und Anathemata aufgestellt, es werden Bannflüche gegen Häretiker und Zweifler erlassen und Einzigartigkeitsthesen in den Raum gestellt, wie sie zu gottgläubigen Zeiten allenfalls an den theologischen Fakultäten noch denkbar waren.

Der deutsche Historikerstreit der Jahre 1986/1987 etwa, der ja um den Begriff der Einzigartigkeit kreiste, war im Grunde eine Art kryptotheologischer Debattierklub, bei dem umfassende Quellenaufarbeitung, vorurteilslose Beiziehung aller verfügbaren historischen Zeugnisse in den 10 oder 12 wichtigsten europäischen Sprachen (darunter auch Italienisch, darunter auch Russisch) fast keine Rolle spielten. Eine wissenschaftliche Bankrotterklärung. Ein Verzicht des historischen Begreifens auf jede Historisierung, ein Verzicht auf Motivationsforschung! Und dafür, für diese Selbstaufgabe der Wissenschaft, kann man bis in unsere Tage wahrlich zahllose Beispiele anbringen.

Wie steht es nun mit der logischen bzw. theo-logischen Kategorie der Einzigartigkeit? Das Eine, das Einzige, gibt es das? Falls ja, welche Aussagen kann man über das Eine sinnvollerweise machen? Ein uraltes philosophisches Problem, das Platon in seinem „Parmenides“ in vortrefflicher, später nicht mehr oder allenfalls bei Hegel erreichter Komplexität durchdenkt und in letztlich nicht auflösbare begriffliche Aporien hineinführt.

Der nicht logische, sondern theo-logische Ausweg aus diesen Aporien, den die berühmten drei monotheistischen Religionen suchten, lautete in etwa: „Es gibt nur eine einzige einzigartige Wesenheit – wir nennen diese singuläre Wesenheit Gott.“ Es gibt nur einen Gott. Ein Gott! Und wenn es nur Einen Gott gibt, so gibt es in der Zeitgeschichte nur Einen Teufel – eben Nazi-Deutschland. So einfach ist das. Sancta Simplicitas! Man kann es aus lauter Verzweiflung nur noch ins Lateinische übersetzen, um sich den versteckten theologischen Hintergrund der aktuellen zeitgeschichtlichen Debatten verständlich zu machen: „Germania nationalis-socialista vere incarnatio diaboli erat.“

Deutschland als Inkarnation des Bösen! Das ist natürlich keine Theologie, keine Historie, es ist keine Wissenschaft, sondern … es ist ein unbeweisbarer und auch unwiderlegbarer Glaube an das absolute Böse, das in Deutschland Fleisch geworden sein und unter uns gewohnt haben soll.

Quelle:
Johannes Wilms: Krieger, Sieger und Besiegte. Elmau, die Tagung: Historiker untersuchen Europas gefährdeten Frieden [=Tagungsbericht zur Elmauer Tagung „A peace to end all peace“]. Süddeutsche Zeitung, 20. März 2015, S. 12

 Posted by at 20:30