Josef, der durchaus moderne Mann, ein dienender Wasserträger der Familie

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März 202013
 

 

 

„Zeige mir das neugeborene Kind Jesus!“
„Es ist nicht zu sehen. Dein Jesus ist gar nicht da!“
„Was siehst du stattdessen?“
„Ich sehe ein baufälliges Fachwerkhaus. Im Hof dieses Hauses kniet ein Mann, der Wasser aus einem Brunnen schöpft.“

Ich zeigte kürzlich einem Kind diesen Kupferstich Dürers. „Dein Jesus ist gar nicht da!“

Wir sehen:

Alte vereinzelte Dachsparren, vom Wind gelockert, ein verkrauteter Turm, ein grasbewachsener Bogen, durch den eine dörfliche Landschaft hereinscheint.

Erst beim zweiten oder dritten Hinsehen wird man eine Art Geburtsszene entdecken. Das Kind nimmt einen unscheinbaren, geringen Platz ein. Dem Kind muss der Betrachter in seinem Blick erst Raum gewähren. Erst durch das genaue Aufmerken gewinnt das Kind die Bedeutung, die der Titel ihm zuspricht.
Der Mann Josef beweist sich als eifriger Wasserschöpfer. Er scheint von der eigentlichen Geburt abgesetzt. Er ist der Dritte, der von außen an Mutter und Kind heranrückt. Mutter und Neugeborenes sind eng zusammengerückt, sie bilden eine Zweiheit. Erst durch den dienenden, den wasserschöpfenden Dritten wird der Innenraum von Mutter und Kind auf die Welt hin geöffnet.

Hier wird eine Auffassung von Väterlichkeit vorgeprägt, die im dienenden Hinzutreten des Dritten aufgeht. Im unscheinbaren, tatkräftigen Wasserschöpfen ordnet sich der dienende Vater dem Hauptgeschehen unter. Er ist der moderne Mann, der das Hauptgeschehen mitträgt und zur Welt hin öffnet.

Josef stellt sich in den Dienst an Mutter und Kind. Er vertritt in dieser Darstellung Albrecht Dürers aus dem Jahr 1504 die Außenwelt. Der Zeichner setzt ihn sogar ins Zentrum dieser Darstellung – eine unerhörte Kühnheit bei einem Kupferstich, der doch den Titel „Die Weihnachten“ trägt.

Öffnen der Mutter-Kind-Dyade zur Welt hin – Versorgen von Frau und Kind mit dem Nötigen, also dem Wasser, das ist genau die überlebensnotwendige Funktion, die auch die moderne Tiefenpsychologie dem Vater zuschreibt.

Quelle:
Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Kupferstiche, Holzschnitte und Bücher. Band I: Die frühen Jahre bis zur zweiten italienischen Reise. Sammlung K. u. U. Schulz. Ausstellungskatalog. Augsburg 11.10.2012-27.01.2013, S. 108-109

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„So ist der Mensch!“ – Das Ecce homo des Daniel Cohn-Bendit

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März 182013
 

2013-03-17 16.16.16

„Manche sagen ja, es gebe nur anständige und unanständige Menschen …“ So reichte die sanfte Moderatorin dem Daniel einen Messstab des Menschlichen hin: „Es gibt eben überall gute und schlechte Menschen!“  Und – Cohn schlug diesen Richterstab  aus! Nein, so einfach lässt sich das nicht sagen. „So ist der Mensch: er kann einmal zutiefst anständig handeln, und Tags darauf dreht er sich um und kann zutiefst unanständig sein.“

Der Mensch kann von einem auf den anderen Tag von Gut zu Böse wechseln. Er ist nie nur gut, nie nur unrettbar böse. „Einer allein ist gut!“ So auch Jesus, Markusevangelium 10,18! Das heißt doch: alle anderen, wir alle sind gut UND böse. Wir sind alle hineingestellt, Tag um Tag in diesen Entscheidungsraum. Selbst Kain, dessen Abkömmlinge wir alle sind, der erste Brudermörder der Menschheitsgeschichte, erhielt das Segenszeichen des neuen Anfangs.

Also kann es auch nicht ein Kainsvolk geben. Die Deutschen sind nicht das Kainsvolk des 20. Jahrhunderts. Das Kainsvolk – das sind wir alle.

Cohns „So ist der Mensch!“ war für mich das große erlösende Wort gestern bei Maybrit Illner.

Schlagt das erste Buch der jüdischen Bibel auf – Buch Bereschit/Buch Genesis, Kapitel 4, Vers 7.: Le péché est à la porte, une bête tapie qui te convoite – der Fehlschritt lauert an deiner Tür, ein tief in dir drin kauerndes Ungetüm, das dich begehrt … und dessen du Herr werden sollst!

Da steckt dieses Cohnsche „So ist der Mensch“ wie in einem Schatzkästlein drin. Der hebräische Text ist zwar unrettbar „verderbt“, also unentschieden: Ist es eine Frage, eine Antwort, eine Aufforderung? Selbst die gerühmte „Jerusalemer Bibel“ in den verschiedenen Sprachen bietet widersprechende Übersetzungen, die griechische Septuaginta schlägt wieder etwas anderes vor. Sagen wir er es so: 1. Buch Mose 4,7 enthält die befreiende Friedensformel für alle Völker, alle Zeiten, alle Menschen!

Leszek Kolakowski, der polnische Ex-Kommunist und Philosoph übersetzt diesen selben Vers ohne zu wissen, dass er diesen Vers übersetzt: Das Böse ist in uns – zlo jest w nas.

Diese schlichten 4 oder 5 Worte durchdringen den Eispanzer der eingewinterten Seelen.

Von Kain zu Kohn! Kohn, Cohen, Cohn – das sind alles Varianten des hebräischen Familiennamens der Priester. Ich wünsche Daniel Cohn, dass er diesen Ursprüngen seines Namens, den Ursprüngen dieser Benennung des Menschlichen auf die Spur kommen möge! Das ist zugleich die Spur des Judentums, die 1918-1953 in Europa fast verschüttet zu werden drohte – und folglich auch die Spur des Christentums, das ebenfalls verloren zu gehen drohte.

Die Spuren besagen: Es sind nicht die Verhältnisse, nicht die Staaten, nicht Hitler, Stalin, Mussolini oder Metaxas, nicht der Sozialismus, Faschismus, Bolschewismus, Nationalsozialismus, die über das Handeln des Menschen bestimmen, die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit der Herrschenden bestimmen, sondern – es ist der Mensch, dessen Antlitz in der Signatur des Schreckens aufscheint. Es sind wir alle.

Bild: 4 oder 5  aufkeimende Boten durchdringen Schnee und Eis, Caritas, Wilhelmstraße, Berlin-Kreuzberg, aufgekommen und aufgenommen gestern

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Jan. 162013
 

„Joschka, lieber Joschka mein,
hilf mir wiegen das Kindelein“

Dieses alte Lied sang ich vor 2 Wochen zusammen mit meinem Weib, meinem Kind, meiner Mutter und meinen Freunden im Schatten der nordischen Julka. Joschka, wer ist das? Dieser Joschka, wie er auf Ungarisch heißt, zieht außer Gebären und Stillen des Kindes das volle Programm durch. Er macht alles mit, was der Mann in der frühkindlichen Erziehung leisten kann. Er ordnet sich dem Wohl des Kindes unter, sichert das Wohl der Familie. Dass von ihm weniger geredet wird als von seiner Frau, scheint ihn nicht zu stören. Er spielt die zweite Geige unter den Eltern, die Mutter kommt groß raus im Strahlenkranz. Madonna Mia!

Dieser Joschka oder Yussuf, wie er auf Arabisch heißt, oder Yosip, wie er auf Serbisch heißt,  ist der moderne Mann, wie ihn die heutige Zeit braucht. Arbeitsverhältnisse ändern sich, Geschlechterverhältnisse ändern sich. Deshalb gilt: Oh Mann, werde wesentlich! DIENE der Familie! Bedürfnisse des Wirtschaftens ändern sich.

Die Grundbedürfnisse der kleinsten Kinder ändern sich seit Jahrtausenden hingegen nicht: Wärme, Muttermilch, das Ruhen an der Brust nach dem Stillen, Körperkontakt, Zärtlichkeit, Ansprache, Gesang, Sicherheit vor körperlicher Bedrohung, Schutz vor bösen Tieren und bösen Herrschern. Kinder brauchen den stabilen Rahmen aus Weib und Mann. Wir nennen’s Ehe, nennen’s Familie.

DAS müssen wir in die Köpfe und Herzen auch reinkriegen. Lies den SPIEGEL-Titel von 2013: „Oh Mann.“ Ob nun das Weib oder der Mann die Kohle ranschafft, ob er oder sie das Wasser vom Brunnen holt, ob JOSCHKA oder MIA größer und strahlender rauskommt, ist zweitrangig. Entscheidend ist das Wohl des Kindes. Ihm DIENT die Familie. Das vergessen wir allzu oft.

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Mia und Josh

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Jan. 112013
 

„In dr Schwyz und au in Dütschland isch de Name Mia 2011 ganz obe uf de Liischte vu de beliebtischte Babyvorname z finde gsi“, berichtete mir gestern ein alemannischsprachiger Bekannter, mit dem ich das Thema der beliebtesten Vornamen anschnitt. Der Eidgenosse hatte vollkommen recht:  Mia, eine verkürzte Koseform des Namens Miriam (hebräisch) oder auch Meryem (arabisch) oder auch Mariam (griechisch), steht seit 3 Jahren unangefochten auf Platz 1 der Liste der in Deutschland beliebtesten Baby-Vornamen.

Dass biblische Vornamen derart stark wiederzulegen, spüre ich hier in Kreuzberg besonders! So lobte ich einmal, während unsere Kurzen im Sandkasten buddelten, beim lockeren Geplauder einen Kreuzberger Mitvater, dass er seinen Sohn Joshua genannt habe: „Das finde ich aber gut, dass ihr euren Sohn durch die hebräisch-englische Form seines Vornamens an den jüdischen Wurzelgrund des Christentums erinnert!“ „HÄ?!“ Der Mitvater war baff, er wollte als guter Kreuzberger Internationalist einfach einen Namen wählen, mit dem man als schauspielernder Rookie in Hollywood ebenso wie als Hedgefund-Manager an der New Yorker Börse reüssieren kann. Und vor allem wollte er das Kind nicht mit einem deutschen Namen belasten. Joshua oder auch einfach Josh ist einfach so cool! JOSH! Mit Jesus oder dem Christentum hatte er bei der Namengebung gar nichts im Sinn.

Dennoch stimmt es: Jehoshua ist der hebräische Name von Jesus. Es ist schon so: Seine Eltern, – nennen wir sie heute mal auf gut deutsch Mia und auf gut ungarisch Joschka  – die so viel Kummer seinetwegen litten,  als er ihnen im Alter von 12 davonlief, riefen ihn wohl so: „Jehoshua, Jeschukind, wo bist du denn? Melde dich!“ Und als sie ihn fanden, hielten sie ihm vor: „Wie KONNTEST du uns DAS antun!“ Eine Bitte um Entschuldigung oder auch nur ein Wort des Bedauerns ist von Jesus nicht überliefert, ganz zu schweigen von einem Gelöbnis der Besserung. Er war offenkundig ein nicht steuerbares, nicht immer gehorsames  Kind.

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Dez. 212012
 

„Mit  der Jesus-Geburt kann ich nichts anfangen!“ Das hört man landauf landab. Ist es also möglich, Weihnachten sinnvoll ganz ohne Jesus zu feiern oder es irgendwie zu umgehen? Ich meine – durchaus! Hierzu einige Handreichungen:

1. Ein bis heute besonders erfolgreicher Versuch der Überwindung des Weihnachtsfestes wurde in der Sowjetunion unternommen: das Weihnachtsfest wurde durch die Kommunistische Partei nach und nach völlig aus dem öffentlichen Bewusstsein zurückgedrängt. Stattdessen wurde das Neujahrsfest (im christlichen Festkalender ursprünglich das „Fest der Beschneidung des Herrn“, zu feiern sieben Tage nach dem Geburtsfest) als legitimer Nachfahr und Ersatz des Weihnachtsfestes errichtet und hat diese Rolle bis heute behalten. Der nordische Julbaum („Julka“)  hat in Russland keinerlei Bezug zum Christentum mehr und wird als Gnade des gütigen Staates überall gefeiert und gepriesen.

2.  In Deutschland wurde von 1933-1945 – ebenfalls durch den Staat – das Weihnachtsfest nicht abgeschafft, aber konsequent umgedeutet als „Lichtfest“, „völkische Weihnacht“, „Sonnwendfeier“, „Julfeier“. Der Christbaum heißt jetzt Jultanne (russisch Julka). Insgesamt eine Art natürwüchsig-rauschhaftes Wald-Feld-und-Flur-Weihnachten, ein Öko-Weihnachten, könnte man heute sagen. Beispiel, das ich kürzlich las: „Der alte Hof“, eine Erzählung von Johann von Leers aus dem Jahr 1940. Der Vater eröffnet dem Sohn wenige Tage vor Weihnachten, dass der Bauernhof heillos überschuldet ist. Das internationale Finanzkapital, der Kapitalismus des entfesselten Marktes hat die Bauern systematisch in die Kreditklemme getrieben. Gegen die gierigen Kapitalisten, die ruchlosen Immobilienhaie und andere Brut hilft nur der neue Heiland, der völkische Führer, der die Bauern und die Arbeiter aus dem Griff des Finanzkapitals und der Immobilienspekulation erlösen wird.  Und so geschieht es auch.

3. Das christliche Weihnachten ist eigentlich ein Fest, in dem endlich dem kleinen, unscheinbaren, unerwünschten, dem kommenden und ungeborenen Leben des schwachen Menschen Raum gewährt wird. Exakt eine Woche vor Weihnachten erschien 2012 eine große Studie des Instituts für Bevölkerungsforschung der Bundesregierung, aus der unwiderleglich hervorgeht, dass Kinder etwas sind, das meist nicht in die Lebensplanung passt. Kinder sind erwünscht, sofern und soweit sie das Leben der Erwachsenen nicht durcheinander bringen, sofern und soweit sie keine materiellen Einbußen mit sich bringen und sofern sie der Volkswirtschaft nicht – angesichts des demographischen Wandels dringend benötigtes – Humankapital entziehen. Kinder genießen in der Lebensplanung keine Priorität. Kinder sind – volks- und betriebswirtschaftlich betrachtet – nachrangige Güter. Beruflicher Erfolg, Planungssicherheit, Karriere sind im Bewusstsein der Menschen und überhaupt der Bevölkerung das Wichtigste, wie das Institut des deutschen Staates mit messerscharfer Objektivität und dankenswerterweise ohne jeden kritischen Unterton feststellt.

Abschaffung, Überwindung, Ersetzung, Umdeutung des Weihnachtsfestes, das waren die probaten Mittel, um die Erinnerung an die Geburt Jesu, des „neuen Königs der Jüden“, wie es in Bachs Weihnachtsoratorium heißt, nach und nach zu beseitigen.

Setzung neuer Prioritäten, Vorrang des beruflichen Erfolges des Einzelmenschen vor der Familiengründung, staatlich verbriefte Planungssicherheit, Elternwahlrecht über das Leben des Kindes, wirtschaftliche Unabhängigkeit des Single-Mannes UND der Single-Frau – das sind mit staatlichem Brief und Siegel die neuen Weichenstellungen, in deren Zeichen man getrost Weihnachten ganz ohne Jesus feiern kann. Das ist der Zug der neuen Zeit! „Mit uns zieht die neue Zeit“, so klang und sang es unter der Jultanne.

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Aug. 262012
 

Zło jest w nas – dies scheint mir eine sehr taugliche Friedensformel für die Aussöhnung zwischen Menschen und Völkern. Ich übernehme sie von dem Polen Leszek Kolakowski, einem marxistischen Philosophen und Professor.

Das Böse ist in uns und lauert jederzeit an der Schwelle. Ungefähr so steht es auch bereits in den alten Büchern, etwa im Buch Genesis der Bibel. Kain, der seinen Bruder aus Neid tötete, wurde zum Stammvater des Menschengeschlechts.

Warum tötete Kain? Nicht weil er verführt wurde, sondern weil das Böse in ihm hervorstieg.

Das Böse, so sagen es Kolakowski und vor ihm bereits das erste Buch der Bibel, wohnt in uns. Es gehört zum Menschen.

Einen Menschen, der das Böse in sich nicht kennt und nicht anerkennt, den würden wir wohl unvollständig nennen.

So fährt ja auch Jesus  – laut Markusevangelium Kap. 10,17-18 – einem Mann recht unwirsch über den Mund, als dieser ihn „guter Meister“ nennt. Jesus weist es ausdrücklich zurück, gut genannt zu werden. Er weiß auch vom Bösen. Nur der Mensch, der auch von Missetaten etwas weiß, kann in vollem Sinne Mensch genannt werden.

Hier das Zitat im Original, entnommen dem Interview  „Kołakowski: Religia nie zginie“ in der Zeitung Dziennik, 21. März 2008:

Prof. Kołakowski dla DZIENNIKA:

O upadku utopii doskonałego społeczeństwa: Zło jest w nas i to jest jeden z powodów, bo nie jedyny, dlaczego świata doskonałego nie można zbudować, dlaczego te nadzieje okazały się próżne. To nie oznacza, że nie można różnych rzeczy ulepszać. Doskonałości jednak nie osiągniemy.

„Über den Zusammenbruch der Utopie/der Utopien der vollkommenen Gesellschaft: Das Böse ist in uns, und das ist einer der Gründe, wenngleich nicht der einzige, weshalb eine vollkommene Welt nicht aufgebaut werden kann, und warum sich diese Hoffnungen als vergeblich erwiesen haben. Das bedeutet nicht, dass nicht Verschiedenes verbessert werden könnte. Die Vollkommenheit werden wir jedoch nicht erreichen.“ Übersetzung aus dem Polnischen: Johannes Hampel
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Die Für-mich-Gesellschaft

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Apr. 062012
 

Heute besuchte ich eine Trauerfeier. Es ging um einen vor Gericht abgeurteilten Menschen, der nicht viel hermachte. Deshalb gibt’s auch keine Fotos. Er, um den es ging, hatte keine schöne und edle Gestalt. Hatte er Freunde? Er hatte zwar einige Freunde, aber als es hart auf hart kam, als es darum gegangen wäre, sich für ihn einzusetzen, ging jeder seiner Wege.

Zitat aus der Berichterstattung: „Ich kenn doch den Menschen gar nicht!“ Ein merkwürdiger Prozess – zu urteilen nach der Berichterstattung – vor einem eigentlich gar nicht zuständigen Gericht entspann sich, geprägt von Missverständnissen und endlosem Aneinander-Vorbeireden. Der Richter zeigte sich heillos überfordert, im Gerichtssaal tobte der aufgehetzte Mob. „Ja, was soll ich denn jetzt noch für wahr halten?“ Selbstaufgabe des Richters!

Ein paar erbauliche Reden wurden gehalten. Beeindruckend fand ich die folgenden Sätze:

Jeder ging für sich seinen Weg.“ Diagnose: Die Menschen kümmerten sich nicht umeinander. Jeder lebte nach dem Motto: Für mich. Die perfekte Jeder-ging-für-sich-seinen-Weg-Gesellschaft! War das die Ursache der endlosen Missverständnisse?

Wer war gemeint? Wir doch nicht etwa? Ich doch nicht etwa?

 

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Darf man Amtsgeschäfte mit dem Fahrrad statt mit Dienst-BMW erledigen?

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Feb. 182012
 

„Im Sommer sah man Woelki Amtsgeschäfte mit dem Fahrrad erledigen, er fährt gerne mit U- und S-Bahn …“ – so berichtet es heute der Tagesspiegel auf Seite 19 über den Berliner Erzbischof Rainer Maria Woelki. Diese Haltung gefällt mir. Von Jesus selbst wird ja auch immer wieder berichtet, dass er hinauf „ging“ oder „wanderte“ nach Jerusalem. Die Evangelien sind geradezu geprägt vom Wandern, vom Zu-Fuß-Gehen zwischen der ländlichen Heimat im Norden und der fernen, schwierigen, bis heute so geschichtsgeplagten Großstadt Jerusalem. Hätte Jesus einen PS-starken Dienstwagen benutzt, so hätten sich die Dutzenden von Reisebegegnungen und Pilgergesprächen, aus denen die Evangelien bestehen, nie und nimmer ergeben.  Von Sänften und Tragen, von stolzen PS-starken Mobilen wird nichts berichtet, die waren der reichen Oberschicht vorbehalten. Nur einmal nutzte Jesus in symbolischer Absicht den reisewegerleichternden jungen Esel, der allerdings auch nur – mit zweifelhaftem Rechtsanspruch – entliehen, kein Privatbesitz war.

Und kaum eine Lehre des Jesus ist so eindeutig bezeugt wie die Warnung vor dem Reichtum: „Eher geht ein Reicher durch ein Nadelöhr …!

Dass eine Frau oder ein Mann heute alle ihre Amtsgeschäfte zu Fuß erledigt, ist kaum denkbar, selbst heute, wo die braven BVG-MitarbeiterInnen für bessere Bezahlung streiken und uns sanft zum Wandern und Radfahren, auf den rechten Pfad der Demut also zwingen. Aber das Fahrrad, die Busse und die Bahnen, die Eisenbahn und die Economy-Klasse des Flugzeugs reichen doch während der streikfreien Zeiten in den allermeisten Fällen für einen povero cristiano vollkommen aus.

Ich sehe im Verzicht auf den Privat-PKW, in der Bevorzugung von Fahrrad, Bussen und Bahnen ein kleines, wenn auch untrügliches Zeichen der Öffnung des Menschen zu den Menschen hin. Ich selbst bin dankbar, dass wir – meine Familie und ich – kein Auto mehr haben. Das Fahrrad, Busse und Bahnen ermöglichten mir schon tausende von kleinen und kleinsten Gesprächen, aus denen sich in meinem Geist nach und nach ein lebendiges Bild der Stadt ergibt.

Ein lebendiges Bild der Menschen in unserer Stadt! Genau das wünsche ich von Herzen auch dem Berliner Erzbischof, der heute in einer Messe in der fernen, schwierigen, geschichtsbeladenen Großstadt Rom zum Kardinal erhoben wird. Er sei immer auf gutem Wege!

Berliner Erzbischof : Woelki wird von Papst Benedikt zum Kardinal ernannt – Berlin – Tagesspiegel
Er wohnt mittendrin im Kiez, in einer Dachgeschosswohnung in der Osloer Straße in Wedding. Im Sommer sah man Woelki Amtsgeschäfte mit dem Fahrrad erledigen, er fährt gerne mit U- und S-Bahn und für Fernreisen lieber mit dem Zug als mit Chauffeur und Dienstwagen. Seine Bescheidenheit und Offenheit hat sich bis nach Polen herumgesprochen, wo ihn Zeitungen dafür loben, dass er die Brötchen beim türkischen Bäcker kauft.

Quellenverzeichnis:
Claudia Keller: Der Kardinal aus der Osloer Straße, in: Der Tagesspiegel, 18.02.2012, S. 19

Hier geht’s zum Live-Ticker zum BVG-Streik!

Hier geht’s zur Geschichte mit dem entliehenen Esel!
Neue Jerusalemer Bibel. Einheitsübersetzung mit dem Kommentar der Jersualemer Bibel. Neu bearbeitete und erweiterte Ausgabe. Deutsch herausgegeben von Alfons Deissler und Anton Vögtle. In Verbindung mit Johannes M. Nützel. Herder Verlag, Freiburg, Basel, Wien 2007, S. 1447 (=Markus 11, 1-11)

Warnung vor dem Reichtum:
Neue Jersualemer Bibel, ebenda, S. 1412 (=Matthäus 19, 21-26)

Bild:

Das Fahrradparkhaus am Bahnhof Brandenburg/Havel, gesehen am 15.02.2012 (so etwas bräuchten wir in Friedrichshain-Kreuzberg aber auch … !)

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Brauchen wir mehr Meister Eckart oder mehr Hirnforschung in der Pädagogik?

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Okt. 142011
 

Recht treffend fand ich die Einwände, die Bildungsministerin Schavan vor wenigen Tagen im Konrad-Adenauer-Haus gegenüber den bildungspolitischen Grundsatzdebatten in die Runde warf. Sie sagte nämlich,

– es gebe viel zu wenig Debatten über Sinn und Inhalt von Bildung

– dabei hätten wir in Deutschland seit Meister Eckart eine reiche Tradition des Bildungsdenkens

– wir müssten und sollten also auch über den Kanon und Kanonbildung nachdenken.

Alle drei Einwände treffen meines Erachtens noch weit stärker zu, als eine aktive Politikerin dies aussprechen darf. In dem ganzen Gerede und Gestreite über Strukturen, Curricula, Quantensprünge der Didaktik, „gehirngerechtes Lernen“ ist in der Tat fast völlig aus dem Blick geraten, wohin wir die Kinder „ziehen“ oder erziehen wollen.

Es fehlt ein Leitbild der Erziehung. Es ist durch normgerechte „Kompetenzen“ ersetzt.

Es fehlt in Deutschland ein Kanon. Deshalb wachsen viele Kinder in der kulturellen Steppe auf. Gerade bei uns in Kreuzberg ist dieses kulturelle Niemandsland mit Händen greifbar.

Die reiche, prägende, vorbildhaft weisende Tradition des europäischen Bildungsdenkens seit den Tagen eines homerischen Achilles, eines Odysseus, eines platonischen Sokrates, eines Jesus Christus, eines Cicero droht verlorenzugehen. Diese kulturellen Tragwerke Europas drohen vergessen zu werden. Die Wüste wächst!

Armes Kreuzberger Blog » Blog Archive » Stop the war!

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Gefangenenbefreiung: Barrabas und Andreas Baader

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Mai 032011
 

„Er wollte ein Buch über bessere Erziehung schreiben.“ So wird es über Andreas Baader berichtet. Nochmal kam mir kürzlich dieser  Mann in den Sinn in der Osterpredigt des Kreuzberger Pfarrers: Aus dem neuen Buch meines römischen compatriota bavarese gab der Pfarrer einige Erläuterungen zu einem politischen Gefangenen, zu Barrabas. Barrabas war – so dämmerte mir – im Grunde der Andreas Baader zu Zeiten des Pilatus. Ein politisch motivierter „Aufrührer“, „Mörder“ und „Räuber“, ein Revoluzzer. Merkwürdig ist schon der Gleichklang der Namen: Andreas – Barrabas! Die Herzen des Volkes flogen beiden zu. Beide wurden aus der Gefangenschaft befreit. Beide waren Revoluzzer.

Nach der Ostermette, nachdem ich die Osterglocken hatte läuten hören, las ich doch mitten in der Nacht tatsächlich die vier Barrabas-Geschichten der Evangelisten in meinem schon zerlesenen Nestle-Aland und übersetzte mir den einen oder anderen Satz in mein geliebtes Deutsch. Noch etwa überraschte mich: Bei Matthäus wird von einigen Codices  – tatsächlich! – der Personenname des Barrabas überliefert: Jesus. Es schien ein verschwiegenes Einverständnis zwischen den beiden zu herrschen.

Bild: Giovanni Antonio Boltraffio, Auferstehung, Gemäldegalerie, Kulturforum Berlin-Tiergarten

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Feb. 122011
 

Etwa 2000 Jahre gelebte Multikulturalität birgt das Christentum mit sich. Das Neue Testament ist durchtränkt mit Erfahrungen der Fremdheit zwischen Sprachen, Kulturen, ethnischen Gruppen, religiösen Fundamentalismen. Es gibt Hinweise darauf, dass etwa der Prozess gegen Jesus vor Pilatus eine Kette interkultureller Missverständnisse war.

Jesus selbst, dieser alle überragende Mensch, war allerdings stets bereit, diese kulturbedingten Barrieren zu überwinden, und er verlangte dies auch von anderen.

Für ihn stand letztlich der einzelne Mensch, der ihm begegnete, im Mittelpunkt seiner Fürsorge und Zuwendung. Diesen Menschen, der ihm begegnete, nannte er „den Nächsten“. „Wer ist denn mein Nächster?“, wurde er gefragt.  „Jeder Beliebige!“ Ausdrücklich verstand er unter „dem Nächsten“ nicht den Angehörigen der jeweiligen Sippe oder Nation, sondern den räumlich oder emotional Begegnenden. So mag Jesus und die auf ihn sich berufende Religion, das Christentum, als fundamentaler Zeuge gegen jede Art der ethnischen oder kulturellen Verhärtung gelten.

Soeben lese ich im Corriere della sera von gestern auf S. 11 einen Reflex eben dieses beständigen Grenzen-Überschreitens. Kardinal Gianfranco Ravasi spricht sich für einen Übergang vom Multikulturalismus zur Interkulturalität aus: „Ciò che dobbiamo fare è passare dalla multiculturalità alla interculturalità, von der bloßen Koexistenz von Kulturen, die nicht miteinander reden, müssen wir zur Erfahrung des Dialogs übergehen. Wir brauchen eine Art kulturelle convivenza, ein Zusammenleben, das freilich schwer und kompliziert ist.“

Ravasi verlangt nicht das Aufgeben der eigenen Kultur, sondern das Wahrnehmen der Andersartigkeit. Als Ursache für das Scheitern des Multikulturalismus sieht er eine Verleugnung der eigenen kulturellen Herkunft Europas, eine tiefe Selbst-Unsicherheit auf Seiten der Europäer, die neben anderen kulturellen Errungenschaften vor allem das Christentum buchstäblich verlernt hätten.

Es sei so, als wollte man ein Duett singen, und einer der Partner wüßte nicht, was seine Melodie ist.

Den Betrachtungen Gianfranco Ravasis kann ich meine lebhafteste Zustimmung nicht verweigern.
Multiculturalismo.pdf (application/pdf-Objekt)

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Jan. 192011
 

„Ich bin christlich geprägt, obwohl Agnostiker“. Mit dieser Aussage wird in der WELT ein Zeuge zitiert, der damit sicherlich repräsentativ für die Mehrheit der Deutschen spricht. Sein Name? Spielt zunächst keine Rolle. Nennen wir ihn G.W.

„Ich bin christlich geprägt, obwohl Agnostiker“. Ein bemerkenswerter Satz. Er erinnert an die Rede des Apostels Paulus auf dem Areopag in Athen, wo er den agnostos theos, den unbekannten, den nicht zu erkennenden Gott verkündet (Apostelgeschichte 17,23).

Christlich geprägt“ und deshalb beseelt vom Glauben an die unveräußerliche Würde, die unveräußerlichen Rechte auf Leben und Freiheit jedes einzelnen Menschen. Und zugleich „Agnostiker“ – na, ich würde fast sagen, das ist eigentlich eine Art säkulares Christentum. Das WELT-Christentum. Die säkularen Christen sagen: „Wir sind christlich geprägt, aber über Gott können wir nichts Bestimmtes erkennen und nichts Bestimmtes aussagen noch können wir überhaupt mit nachprüfbarer Gewissheit sagen, ob es einen Gott gibt.“ Und genau derartige Aussagen finden sich in der Geschichte des Christentums auf Schritt und Tritt – auch bei jenen, die sich offen als Christen bekannten. Darunter der unvergleichliche Angelus Silesius oder der einzigartige Pascal.

Ein beliebiges Beispiel für dieses säkulare Christentum, für dieses Christentum der Agnostiker ist folgender Satz: „Keiner hat Gott je gesehen.“ An diesen Satz können die säkularen, christlich geprägten Nicht-Christen und Christen mit ihren schwer navigierbaren, ortlosen WELT-Raumschiffen andocken. Es ist der Kernsatz der WELT-Christen, denn er bedeutet: „Wir huldigen einem unbekannten, einem nicht zu erkennenden, einem unerforschlichen Gott, von dem wir nicht einmal sinnvollerweise sagen können, ob es ihn gibt.“

Dieser Satz findet sich im Johannesevangelium, erstes Kapitel, Vers 18.

Die Zeugenaussage des christlich geprägten Agnostikers G.W. berichtete die WELT am 10.12.2010:

G. W. über Islam, Linke und Moral – Nachrichten Print – DIE WELT – Kultur – WELT ONLINE
Die Welt: Woher kommt Ihr Idealismus?

G. W.: Ich bin christlich geprägt, obwohl Agnostiker. Es gibt gewisse humane Werte, die allen Weltreligionen und den großen Philosophien eigen sind, und an denen sich die UN-Menschenrechtscharta orientiert.

 Posted by at 12:16
Dez. 292010
 

28122010191.jpg La famiglia cristiana – dieses erbauliche Familienblatt der italienischen Bischöfe sah ich während meiner 3 italienischen Gastarbeiterjahre immer wieder an den Schriftenständen katholischer Kirchen stehen. Ich griff nie dazu. „Die christliche Familie“ – das klang mir etwas altbacken und muffig. Zu unrecht. Viele meiner italienischen Freunde rümpften wie ich ebenfalls die Nase bei der Wendung „La famiglia cristiana“. Zu unrecht, wie ein Blick auf den Internetauftritt des Blattes sofort belegt. Familie und Christentum scheinen unverbrüchlich zusammenzupassen wie Schloss und Riegel, wie Wald und Wiese, Kind und Kegel.

Eine bohrende Frage drängt sich dennoch auf: Ist das Christentum ursprünglich wirklich die Religion der Familie?

Hans Conrad Zander stellte in einem Hörfunkgespräch am Fest der Hl. Familie zu recht heraus, dass das Christentum, im Gegensatz etwa zum Judentum oder dem Islam, gerade nicht die Familienreligion schlechthin ist.

Deutschlandradio Kultur – Thema – Jesus, der überzeugte Single
Kassel: Wie weit ist denn das gegangen? Im Untertitel nennen Sie Ihr Buch ja tatsächlich auch „Jesus, der Familienfeind“. Hatte er nur Probleme mit seiner eigenen Familie, oder war er wirklich so, wie Sie das herauslesen aus der Bibel, ein Gegner der ganzen Institution Familie?

Zander: Er hat auf die Familienbindungen seiner Jünger nicht die geringste Rücksicht genommen und das in einer Weise, die überaus schockierend war für seine Zeit. Da ist ein Jünger, der ihm nachfolgen will, der ihm aber sagt: Mein Vater ist gerade gestorben, ich möchte meinen Vater begraben. Und bedenken Sie, das ist nicht, wie wenn heute ein junger Deutscher seinen Vater rasch einäschert, das war fürs jüdische Empfinden die wichtigste Verpflichtung gegenüber den Eltern, dass er ihn begräbt. Und Jesus sagt voller Verachtung: „Lass die Toten die Toten begraben.“

Ich selbst sprach öfters mit christlichen Ordensleuten, die selbstverständlich bei jeder, auch bei wichtigen Familienfeiern zuerst die Erlaubnis der Oberen einholen mussten, ehe sie ihre Herkunftsfamilie besuchen und mit ihr feiern durften.

Zanders Belege sind mächtig – und wenn dem Christentum der Titel Familienreligion aberkannt werden muss, welcher Titel ist es dann, der ihm eher zukommt?

Ich sehe das so: Das Christentum ist wohl eher die Religion des Kindes als die der Familie, mehr die Religion des Nächsten als des Fernsten, mehr die Religion der freien Entscheidung als der Institutionen, mehr die Religion der Gemeinde als der Familie. Gemeinde ist fast noch wichtiger als Familie, die freie Entscheidung des Individuums ist wichtiger als die Institutionen. Freie Entscheidung wird geboten, nicht Unterwerfung. Das Wohlergehen des Kindes ist wichtiger als der Zusammenhalt der Familie.

Familie ist gut und gerechtfertigt, weil und solange sie auf unvergleichliche, unübertroffene Weise dem Wohl des Kindes dienen kann. Institutionen sind wichtig, weil und solange sie dem lernenden, wachsenden Individuum ermöglichen, freie Entscheidungen zu treffen – dies gilt etwa für die Schule.

Institutionen „dienen“ dem Einzelnen. Die Familie mit Vater und Mutter „dient“ dem Kinde. Die Einrichtungen der bürgerlichen Gesellschaft  haben „stützende“, nicht aber letztbegründende Aufgaben, wie dies etwa der Soziologe Arnold Gehlen sagte.

Woher kommt aber nun der überragende Siegeszug der Familie? Hierzu meine ich: Die Familie ist das stabilste Modell für das Aufwachsen von Kindern. Es gibt nur sehr wenige Gesellschaftsmodelle, die wirklich die frühe Herauslösung der Kinder aus den Familien verlangen und verkünden. Dazu gehört die staatliche Kleinkind-Erziehung im antiken Sparta und in der Utopie Platons, die osmanische Knabenlese, der Lebensborn der NS-Ordensburgen. Keines dieser Beispiel ist erstrebenswert. Im Gegenteil. Sie sind abschreckend.

Das teure gesellschaftspolitische Ziel eines möglichst flächendeckend vorgehaltenen staatlichen Kleinstkindbetreuungsangebotes für möglichst viele, möglichst immer jüngere und immer kleinere und kleinste Kinder muss hinterfragt werden. Unsere Kommunen ächzen jetzt schon unter drohender Zahlungs- und Handlungsunfähigkeit, muss ihnen dann noch die Last der Kleinstkinderziehung aufgebürdet werden?

Uneingeschränkt befürworten würde ich aber den Grundgedanken einer weitgehenden Zusammenarbeit der Familien und der staatlichen Institutionen. Die Familien und die Schulen sollten viel enger ineinandergreifen, gerade hier in Berlin. Stets unter der einen großen Leitfrage:

Was dient dem Kind? Wie werden die Kinder, unsere geliebten „Zwerge“, zu selbstbewussten, fröhlichen, klugen und glücksfähigen Erwachsenen? Die Familie hat dabei sicherlich nicht ausgedient. Sie bedarf im Gegenteil heute mehr denn früher der Stärkung und der Festigung.

So meine ich, dass die grundlegende Erziehung, das Erlernen der Landessprache, die Einübung von grundlegenden Verhaltensmustern, Erziehung zu Respekt, liebevollem Umgang, das Erlernen von Gehen, Sitzen, Laufen, Springen und Singen weiterhin im Wesentlichen eine Aufgabe der Familien ist und bleiben sollte.

Je älter das Kind wird, desto mehr treten andere, stützende Einrichtungen oder besser „Gemeinden“ hinzu. Familie ist nichts Starres, sie öffnet sich zum unmittelbaren Umfeld, tritt zu anderen Familien, zu anderen Institutionen in Kontakt.

Dazu sollte auch die Gesellschaftspolitik ihr Scherflein beisteuern. „Einbeziehen – nicht ausgliedern!“ lautet das Zauberwort.

Bild: Schlosspark Sanssouci, Potsdam, Blick auf das Chinesische Haus, heute

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