Kann man sich am Klang der Sprache wie am Klang der Musik erfreuen?

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Aug. 212015
 

Könnte man die Freude an der Musik vielleicht auch mit der Sprache empfinden? Oft frage ich mich das. Wenn ich schöne Musik hören will, dann gehe ich einfach in ein Konzert oder spiele selbst mein Instrument oder singe, allein oder mit anderen.

Wenn ich aber schöne Sprache hören will, kann ich dann einfach so ins Theater oder ins Kino gehen, kann ich dann einfach das Radio oder den Fernseher aufdrehen? Jeder oder doch fast jeder versteht und schätzt die Schönheit einer Beethovenschen Symphonie, fast jede oder doch sehr viele erkennen und schätzen die Schönheit einer Zeichnung von Botticelli oder eines Bildes von Rembrandt.

Aber gibt es in Deutschland noch genug Schauspieler oder überhaupt Menschen, die die Schönheit eines Gorkischen oder Goetheschen Gedichtes, die Schönheit und Macht eines Schillerschen oder Shakespeareschen Monologes zu Gehör bringen können? Nein, ich glaube dies nicht. Ganz wenige können dies heute noch!

Die Kunst des guten Sprechens geht in Deutschland deutlich zurück, vielleicht unter der Vorherrschaft des Films, bei dem von den Schauspielern keine gute, reine und schöne Sprech- und Vortragskunst mehr verlangt wird. Man nehme irgendeinen ARD-„Tatort“, irgendeine Folge etwa von „Alarm für Cobra 11“ (Serien, die ich ansonsten sehr schätze), irgendeine Klassikerinszenierung auf einer deutschen Bühne,  und man wird die Wahrheit dieser Aussage nicht bestreiten können.

Es zählen für die Schauspieler heute gutes Aussehen, physische Präsenz, Charisma im So-Sein und Da-Sein, überzeugende Verkörperung der Rolle im Auftreten – und auch mediale Prominenz – mehr als alles andere. Diese Kriterien bestimmen Marktwert und Bühnenerfolg der Schauspieler.

Das gute, wohlklingende, deutliche, schöne gesprochene Wort ist in Deutschland vom Aussterben bedroht, nach meinen leidvollen Erfahrungen auch im Fernsehen, auch im Kino, ja sogar auch im Theater!

Es fehlt an Sprecherziehung, es fehlt in Deutschland am Wissen um die Wichtigkeit der sorgfältigen, geschulten, bewegenden, der klingenden Rede. In den Grundschulen, ja überhaupt in den Schulen herrscht heute ein heilloses Durcheinander in der Aussprache des Deutschen, mit der Folge, dass sehr viele Schüler die Grundstufe der Schule oder sogar die Schule überhaupt ohne grundlegende Sprechkenntnisse verlassen. Das war früher eindeutig anders.

Mit bedeutender, mehrmonatiger  Verspätung – bedingt durch den Streik der Zusteller – erreichten mich gestern zwei weitere bestellte Exemplare eines Buches, aus dem ich gern immer wieder Anregungen schöpfe und das ich gern in mehr deutschen Lehrerzimmern und deutschen Probebühnen sähe:

Egon Aderhold / Edith Wolf: Sprecherzieherisches Übungsbuch. 16. Auflage, Henschel Verlag, Berlin 2013

Diesem Buch entnehme ich auf S. 105 mit Dankbarkeit folgendes Gedicht „Beherzigung“, das sich sehr gut zum Einüben eines guten Vortrages eignet:

Feiger Gedanken
Bängliches Schwanken,
Weibisches Zagen,
Ängstliches Klagen
Wendet kein Elend,
Macht dich nicht frei.

Allen Gewalten
Zum Trutz sich erhalten,
Nimmer sich beugen,
Kräftig sich zeigen,
Rufet die Arme
Der Götter herbei.

 

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„Ihr seid — SPITZE!“ Konzert der Flüchtlinge in der Notunterkunft

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Mai 172015
 

„Müht euch um das wol der Stad / in die ich euch gefürt / vnd in die ich euch verbannt habe / vnd betet für sie zum Herrn / denn wens jr wol gehet / so gehets euch auch wol.“ Seit 2100 Jahren etwa kennen die Verbannten, die Wanderer, die Schutzflehenden diesen Spruch des Jeremias. Seit 120 Jahren lautet so das Motto der Stadtmission! Das Leitwort empfing uns gestern in der Notunterkunft für Flüchtlinge, die die Stadtmission betreibt. Freunde hatten uns dorthin eingeladen, Freude brachten die Flüchtlinge uns, Freunde fanden wir dort.

Eine Traglufthalle ist aufgespannt. Sie gleicht von außen irgendwie dem Tropical Island bei Brand in der Mark Brandenburg. Eingang und Ausgang werden bewacht. Wir betreten die Halle durch eine Luftdruckschleuse. Alles ist wohlgeordnet, sauber, geregelt.

Es herrscht ein leichter Innendruck, der die sinnreiche Konstruktion, die durch Stahlgurte von außen gehalten wird, aufspannt und sicher trägt. Die Flüchtlinge verbringen in dieser großen Halle gleich nach ihrer Ankunft einige wenige Tage, ehe sie dann weiter geführt werden.

Es herrscht ein stetes Kommen und Gehen. Die Flüchtlinge sitzen, gehen, stehen, spielen Tischtennis oder Kicker, die Kinder der Flüchtlinge rennen umher, staunen uns an.

Wir stellen unser Casio-Keyboard auf, packen unsere beiden Geigen aus. Mascha gibt uns das A, Ira zieht sich das Opernsängerinnenkleid an. Ich begrüße alle in deutscher Sprache, dann geht es auch schon los mit Carl Maria von Webers Jägerchor. Wanja spielt dann den langsamen Satz aus Vivaldis Violinkonzert a-moll, Ira singt Mon cœur s’ouvre à ta voix, und das großartige Почему … Любовь … , dann folgt das Gloria patri et filio et spiritui sancto von Vivaldi. Dann der eine oder andere Tanz.

Die Kinder fangen an zu tanzen und mitzuklatschen. Einige Kinder ahmen unsere Geigenbewegungen mit Stäben und Stöcken nach. Nach und nach fangen die Erwachsenen an mitzuklatschen. Nach jeder Nummer wird der Beifall lauter. Neue Kinder kommen dazu. Der Kickertisch verwaiste, er klackerte nicht mehr, wir zogen die Kickerspieler ab zu uns her, sogar das brummende Gebläse der Traglufthalle hatte sein Brummen eingestellt. Dann spannte der Schwan von Camille Saint-Saëns als Violinsolo seine weiten weißen Flügel aus und flog durch die weite weiße Traglufthalle, als flöge er nachhaus.

„Ihr seid alle — SPITZE, ihr macht uns große FREUDE“, rufe ich zwischen den Stücken in die Traglufthalle hinein und springe dabei dalli dalli mit beiden Beinen hoch in die Luft, als wollte ich an die Decke der Traglufthalle reichen. Und zum Schluss spielen wir als Violinduett das bekannte Wiegenlied von Johannes Brahms, und dann singe ich zwei Mal mit lauter Stimme in die Traglufthalle hinein das Lied „Guten Abend gut Nacht“ in deutscher Sprache, immer in der Hoffnung, dass schon irgendwann irgendjemand dieses Lied irgendwie mitbrummen, mitsummen, mitsingen wird. „Was redest du da? Was singst du da? Sie können doch kein Wort Deutsch!“, belehrt mich ein Kind. Irrtum, Madjida unterrichtet ja schon Deutsch mit großem Erfolg – ehrenamtlich.

Jetzt verstehen sie die Worte noch nicht, aber sie verstehen doch schon den Geist, der in dieser Traglufthalle weht und bläst.

Größten Wert lege ich auf einige Gespräche mit Flüchtlingen. Ich lasse mir ihre Geschichten erzählen, blicke in dunkle, in helle, in strahlende, in traurige, fragende, zuversichtliche Augen. Augen, immer wieder Augen! Die Augen der Flüchtlinge sind tausend Fenster zum Du.

Wir stellen uns vor: der kleine Jahja, der kleine Mahmoud, der kleine Ivan, der Johannes — na, kuckstu ma hier, drei dieser Namen sind dieselben, einmal auf Arabisch, einmal auf Russisch, einmal auf Deutsch. Denk darüber nach: Übersetzbarkeit der Vornamen! [Bedenke: In der polytheistischen Antike wurden die Namen der vielen Götter ineinander übersetzt, in der monotheistischen Moderne lassen sich die Vornamen fast aller Flüchtlingskinder ineinander übersetzen.]

Großes Händeschütteln, großes Lachen, großes Abschiednehmen. So geht das Konzert der Flüchtlinge in der Traglufthalle im Gefühl großer Freude zuende.

Ich bin zuversichtlich, irgendwann werden sie, diese Kinder, diese Menschen beim Wiegenlied „Guten Abend gut Nacht“ von Johannes Brahms mitbrummen, mitsummen, mitsingen, auf Arabisch, Russisch oder Deutsch. Ist ja eh alles übersetzbar. Es ist zu schaffen. Ja, es ist möglich. Wir schaffen das.

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Den Garten des Paradieses mit den Ohren betreten! Ein Konzert mit Kindern am 16.11.2014

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Nov. 112014
 

„Kinder helfen Kindern“

Wann: Sonntag, 16.11.2014 – 15.00 Uhr

Wo:     Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Berlin – Köpenick, Hofkirche Bahnhofstraße 9

 

Es musizieren:

Schülerinnen und Schüler von

Tamara Prishepenko

(Mutter von Natalia Prishepenko –von 1994 – 2012 Primargeigerin im Artemis Quartett)

 

Es erklingen Werke von:

Mozart, Schumann, Massenet, Tschaikowski, Saint- Saens, Kreisler, Beriot und Sarasate

 

Der Eintritt ist frei – um Spenden wird gebeten!

 

Alle Spenden werden zugunsten der Arbeit des Förderkreises Hilfe für strahlengeschädigte belorussische Kinder verwendet

Spendenkonto 165 352 3375, BLZ 100 500 00 (Berliner Sparkasse) Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Berlin-Köpenick

Kennwort: Benefizkonzert

Für Zuwendungsbestätigung und Danksagung erbitten wir die vollständige Absenderangabe unter Verwendungszweck.

Weitere Informationen unter: www.belarus-projekt.org

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Spring, wenn du dich traust!

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Aug. 162014
 

2014-08-13 17.06.24

Bezaubernde Augenblicke, herrliche Gespräche zwischen Jung und Alt, zwischen Russen, Ukrainern und Deutschen konnte ich wieder bei meinem letzten Aufenthalt am Fluss Moskwa in Russland erleben, der soeben zu Ende gegangen ist! Als unerschöpfliche Quelle von Kontakten und Überraschungen erweist sich wieder einmal die Tarzanka am Fluß  bei uns in Nikolina Gora. Die Kinder springen voller Wonne, voller Selbstvertrauen in den Fluss, einige klettern mit unfassbarer Behendigkeit die Stämme hoch, um das Seil mal höher, mal tiefer zu legen, je nachdem, wer gerade springt, schaukelt oder schwingt!

„Können Sie eigentlich auch springen?“, fragt mich die achtjährige Natascha. Und ihr Blick sagt: „Spring, wenn du dich traust!“  „Ja!“, erwidere ich. Aber meine Springversuche sind viel zu zaghaft, sie rufen eher Belustigung als Bewunderung hervor. Sei’s drum. Für eine Ausbildung zum echten Tarzan bin ich etwas zu alt.

Die Zukunft an der Tarzanka und an allen anderen Orten gehört  den Kindern aus Russland, Ukraine, Deutschland – aus allen europäischen Ländern, ja aus allen Ländern der Welt überhaupt. Vielleicht ist dies eine Botschaft, die ich mit nachhause bringe: Wir Erwachsenen haben kaum eine wichtigere, kaum eine schönere Aufgabe, als den Kindern ein sicheres, geborgenes Hineinwachsen in die Freiheit des Springens zu ermöglichen.

Umgekehrt versuche ich in der Datscha zu punkten beim kleinen Tima, der im Alter von 6 Jahren bereits erste Fremdsprachenkenntnisse erworben hat. Unsere Konversation läuft schon ganz gut, doch bei den Abschiedsgrüßen, die wir auf Russisch, Deutsch und Polnisch austauschen, sieht er mich plötzlich forschend, unverwandten Blicks an und stellt auf Russisch die Frage: „Können Sie eigentlich auch Englisch?!“

Ich war in der Zwickmühle. Was sollte ich antworten? Würden meine Englischkenntnisse ausreichen, um ihm das Wasser zu reichen? Ich gehe das Wagnis ein und sage: да! Und jetzt kommt der ultimative Test für mich!

Tima sagt in hellem, klarstem Englisch zu mir:  „Goodbye!“

Und stellt euch vor: Ich wusste die Antwort darauf. Ich war nicht überfordert! Das also wenigstens konnte ich.

 Posted by at 22:10
Aug. 062014
 

2014-05-01 08.43.28

Familienpolitik beginnt bereits vor der Geburt eines Kindes. Die Reproduktionsmedizin leistet viel. Aber sie ist teuer. Die Erfüllung des Kinderwunsches darf keine Kostenfrage sein.“ Diese Aussage stammt von Manuela Schwesig, der amtierenden Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, zitiert hier nach der Süddeutschen Zeitung, Magazin, Nummer 10, 7. März 2014, S. 40.

Wir dürfen das so verstehen: am Geld darf der Kinderwunsch nicht scheitern. Moderne Familienpolitik erfüllt den Frauen den Kinderwunsch, koste es, was es wolle, denn die moderne Politik wird den Frauen genug Geld geben, damit sie sich ihren Wunsch nach einem Kind erfüllen können.

Ein zentrales Heils- und Glücksversprechen der heutigen Fachpolitiker (hier beispielhaft der Bundesfamilienministerin) ist es, dass jeder Wunsch, auch der sehnlichste Wunsch so manchen Paares – der nach einem Kind – erfüllt werden kann.  Die wohltätige Politik durchdringt von vor der Zeugung an alle Lebensbereiche, der Bürger braucht gewissermaßen nur seine Ansprüche anzumelden und die Hand hinzuhalten. „Ach, wenn wir nur ein Kind hätten“, seufzte die Königin bei den Gebrüdern Grimm noch. Heute dagegen ist dieser Märchenwunsch Wahrheit geworden, denn wir haben ja die Familienpolitik und die Reproduktionsmedizin – und Geld in Hülle und Fülle.

„Sicherheit und ein stabiler Euro. So will ich Europa.“ Mit diesen und verwandten Wahlsprüchen errang die derzeit am erfolgreichsten beworbene Partei, die CDU, einen großartigen Wahlsieg. Betrachte das Bild genau: Du siehst eine junge, selbständige Frau, die voller Tatkraft aus dem Innenraum der Wohnung hinaus ins Berufsleben tritt. Das  Kind hockt wie ein Attribut auf der Hüfte der Frau, hindert sie nicht, erringt aber auch nicht die Aufmerksamkeit der Frau. Die Frau und das Kind wissen sich in Sicherheit. Der stabile Euro sichert den Rahmen. Europa ist sicher, denn der Euro ist stabil. Statt der veralteten Familie früheren Typs, bestehend aus Vater, Mutter, Kindern,  spannt die moderne Politik das zentrale Heils- und Sicherheitsversprechen auf: Europa und der Euro sorgen für euch alle. Der Euro, Europa, die Politik sichern Frieden, Wohlstand, Sorglosigkeit.

Auch hier, bei der äußerst erfolgreichen CDU, trifft die Politik sehr weitreichende, bis ins Privateste hineinreichende Versprechungen. Der Mensch braucht sich kaum mehr anzustrengen, die Politik sichert durch das Geld, durch den Euro, Stabilität und Sicherheit im Leben von Frau und Kind. Das männliche Element der früheren Ikonographie, der Mann, der Familienvater wurde ersetzt durch den Euro. Der Euro ist das Wichtigste, die Währung sichert Einheit und Geborgenheit.

Die Politik – ob nun Familienpolitik oder Finanzpolitik im Zeichen des Euro – hat die interpersonellen Bezüge, das tägliche mühselige Ringen um Einkommen, um Zusammenhalt der Familie, das harte Arbeiten von Weib und Mann für den Lebensunterhalt und die Erziehung der Kinder, wie es jahrtausendelang den Alltag der Familien prägte, ersetzt. Man muss nur das Kreuzchen an der richtigen Stelle machen.

Die Politik und ihre Reklame verspricht die Erfüllung jedes Kinderwunsches, jedes kindlichen Wunsches. Der Euro sichert im Zeichen  des „Ich will es so“ Stabilität, Frieden und Geborgenheit für alle. Ohne Sorge – sei ohne Sorge, wie es in Ingeborg Bachmanns Gedicht „Reklame“ so schön heißt.

Merke auf: Zwei subtile Botschaften, die die Politik Tag um Tag auf uns unmündige Bürger niedergehen lässt. Wir brauchen diesen Botschaften nur zu vertrauen. Ohne Sorge – sei ohne Sorge.

Bild: “Sicherheit und ein stabiler Euro. So will ich Europa.” Wahlplakat in Eisenach am Fuße der Wartburg, aufgenommen am 1. Mai 2014.

 Posted by at 19:13
März 192014
 

Die Politik und die Industrie verlangen immer stärker die Rundum-Verfügbarkeit aller erwerbsfähigen Menschen. Alle namhaften Parteien wollen die Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern steigern, alle wollen vor allem, dass die Wirtschaftsdaten stimmen. Alle wollen vor allem, dass alle Frauen ab 18 und alle Männer ab 18 ein gesundes, zufriedenes Leben führen. Alle Erwachsenen sollen vor allem glücklich und zufrieden sein.

Keine Bundestagspartei traut sich hingegen, für die nicht wahlberechtigten kleinen Kinder und für die nicht mehr wählenden Uralten die Stimme zu erheben. Was wollen die nicht wahlberechtigten kleinen Kinder, was wollen die Uralten, all die Hunderttausenden von Pflegebedürftigen, die Dementen, die Inkontinenten, die „Altersweisen“ (wie ich sie nenne)? Antwort: Sie wollen und brauchen die Familie, das Nest, das Vater und Mutter bauen und sichern. Sie wollen und brauchen quirliges, nachwachsendes Leben, Geschwisterkinder, Enkelkinder, Zärtlichkeit, Fürsorge, wie sie eben auf lange Sicht nicht die Pflegedienste, nicht der Staat, nicht die Pflegeheime, die Kitas und Waisenhäuser, sondern nur die Verwandten leisten können. Die Geschlechterquote in den DAX-Vorständen ist ihnen egal. Equal Pay und  Girls Day geht ihnen so was am Allerwertesten vorbei. Die finanzielle Ausstattung der Pflegeversicherung schert sie nicht.

Die Sehnsucht aller Menschen richtet sich von Natur aus in den ganz frühen und den ganz späten Jahren auf Fürsorge, Verantwortung, Schutz, Geborgenheit, wie sie am besten die durch Vater und Mutter gebildete, durch Mutter und Vater getragene Familie bieten kann.

Es gibt in Deutschland keine einzige namhafte politische Partei, die der vollständigen Familie, die dem Glück der ganz Kleinen und der ganz Alten den Vorrang vor der Erfüllung von „Planzielen“, „Erwerbsquoten“, der „Sicherung des Sozialstaates“ einräumen würde. Keine traut sich das zu sagen. Dabei täte es dringend not. Der Kreuzberger Blogger selber trug dieses Ansinnen bei passenden Gelegenheiten übrigens mehrfach in der CDU vor und erhielt eine Abfuhr nach der anderen: „Wenn wir das sagen, was Sie Kreuzberger da vertreten und was ja auch richtig ist, dann wählen uns die Leute nicht.“ Feige nenne ich das.

Es ist also ein Überbietungs- und Feigheitswettbewerb der Parteien gegenüber dem Wahlvolk in Gang gesetzt. Welche Partei überbietet die andere im Glücksversprechen? Das ist die Gretchenfrage.

Im Mittelpunkt der heutigen Politik steht die femina oeconomica und der homo öconomicus. „Mütterlichkeit“ und „Väterlichkeit“ haben fast völlig ausgedient, der bundesdeutsche Sozialstaat hat sich zum fürsorglichen Leviathan gewandelt, der die Menschen trägt, nährt, sichert, zeugt, gebiert und beerdigt oder dies doch zumindest fälschlich zu leisten behauptet.

Über den überragenden, unersetzlichen  Rang der vollständigen, aus Mutter und Vater gebildeten Familie schreibt der Soziologe Walter Hollstein am 18.03.2014 in der Zeitung:

„Wir wissen empirisch sogar mehr. Wir kennen inzwischen die folgende Gesetzlichkeit: Es gibt einen klaren Zusammenhang von Vater-Präsenz und gesunder Entwicklung des Sohnes auf der einen Seite und von Vater-Absenz und der Gefahr des Scheiterns auf der anderen. Zum Spektrum dieses Scheiterns gehören innere Verwahrlosung, Sucht, Kriminalität, Gewalt, Depression und Suizid der allein gelassenen Söhne. Selbstverständlich brauchen auch die Töchter ihre Väter, etwa für den Erwerb eines realistischen Männerbildes – aber eben – belegterweise – doch weniger.“

via Väter sind wichtig – Nachrichten Print – DIE WELT – Debatte – DIE WELT.

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Doch es geht auch anders: Die Lehre des spannenlangen Hansels

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März 112014
 

Weit ab von den Diktaten des heutigen Jugend- und Schlankheitswahns verbrachte der Kreuzberger Blogger seine Kindheit im Kreise der Geschwister und Nachbarskinder. In Grundschule und Kindergarten wurde damals fleißig von unvollkommenen, gleichwohl liebenswerten Menschen gesungen, etwa vom spannenlangen Hansel, von der nudeldicken Dirn. Vom dummen Ivan und von der faulen Liese. Vom hässlichen Aschenputtel und vom unwirschen Rumpelstilzchen, vom dummen Hans im Glück und vom fleißigen Katerlieschen.

Das war gelebte Inklusion!

Wir alle waren „spannenlange Hanseln“, wir alle waren „nudeldicke Dirnen“. Was war so schlimm daran? Dick und rund, na und? WAS ist SCHLIMM daran?

Nebenbei: Wir lernten mit derartigen lustigen, auch wohl lächerlichen Liedern die Willkommenskultur von Vielfalt (ACCEPTING DIVERSITY, wie man heute hochtrabend auf Denglisch sagt), wir lernten, dass nicht alle gleich sind und auch nicht gleich sein müssen. Wir lernten uns bewegen. Wir lernten singen. Wir lernten Rhythmus nicht über die zugestöpselten Ohren eines I-pod-Anhängsels, sondern durch Singen, Zählen, Tanzen, Spielen.

Wir lernten einwandfreies Deutsch, wir lernten Lachen, wir lernten Schütteln, Rütteln, Hupfen.

Verdient hat an uns singenden, lachenden, tanzenden Kindern niemand. Im Gegenteil, das Singen von Liedern, das Tanzen von Tänzen war kostenlos. Es gab keine Konferenzen und Kongresse zum Thema ACCEPTING DIVERSITY. Das Thema wurde gelebt, gesungen, erzählt und vorgetanzt.

WAS WAR SCHLIMM DARAN?

Spannenlanger Hansel – Kinderlieder und Singspiele | Labbé Verlag.

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Geborgenheit, Wachstum, Orientierung, oder: Was braucht das Kind?

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Feb. 282014
 

Kinder brauchen

– Gemeinschaften, in denen sie sich geborgen fühlen

– Aufgaben, an denen sie wachsen, und

– Vorbilder, an denen sie sich orientieren können.

So hat das Gerald Hüther formuliert; diesen Satz habe ich mehrfach schon von Sozialarbeitern und Psychologen mit einhelliger Zustimmung als Zitat vernommen. Die Psychologen und Sozialarbeiter, mit denen ich sprach, beklagen umgekehrt, dass den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen eben genau dieses schmerzhaft fehle. Ich fasse die Gespräche so zusammen:

Nicht Normensetzung als solche, nicht abstraktes Regelwissen über das Richtige und Falsche – etwa vermittelt im Ethik-Unterricht – brauchen die Kinder. Sie brauchen über einen längeren Zeitraum hin das gelebte Vorbild mindestens einer älteren Person, die verlässliches Leitbild wird. Sie brauchen über einen längeren Zeitraum die Geborgenheit: Da gehöre ich hin. Diesen Rahmen nimmt mir niemand weg. Und sie brauchen das Zutrauen durch Ältere, etwa durch die Eltern, dass die Kinder im Laufe der Jahre immer schwierigere Aufgaben bewältigen werden. Sie brauchen den Zuspruch: Du schaffst das. Ich vertraue dir.

Ich unterstütze diese Einsichten. Sie treffen den Nagel auf den Kopf.

Jetzt bleibt die große Frage: Woher kommen grundsätzlich diese hegenden, fordernden und stützenden Erfahrungen? Welche Institutionen schaffen diese Grunderfahrungen: Krabbelgruppe, Schule, Kindergarten, Sozialarbeiter, Psychologe, Vereine, Jugendzentren?

Meine persönliche Antwort: Keine dieser Institutionen kann im Regelfall genug an diesen Erfahrungen schaffen. Nein, in aller Regel und grundsätzlich soll und wird es die Familie und zunächst einmal  die Familie sein, die dem Kind diese Erfahrungen vermittelt. Und für die Familie ist grundlegend die Eltern-Kind-Beziehung. Was Vater und Mutter angeht, so dürfte die Mutter-Kind-Beziehung der Vater-Kind-Beziehung vorausliegen. Der Vater kommt als notwendiger Dritter zur Mutter-Kind-Beziehung hinzu.

Die Familie, begründet auf dem Eltern-Kind-Verhältnis, legt in aller Regel den Keim des gelingenden Lebens.

Eine Gesellschaft wie unsere hingegen, die so offenkundig das „Ich will’s-so-und-so“-Prinzip verkündet, wird sich nicht halten können.

Politik, Industrie, Schule und Massenmedien lehren heute meist etwas anderes: Als vordringliches Ziel des Wirtschaftens wird größtmöglicher Erfolg des einzelnen im Berufsleben sowie  Wohlstandsmaximierung  angesehen. Als vordringliches Ziel der Politik wird die Herstellung der „idealen Gesellschaft“ angesehen. So wird es als schreiender Miss-Stand herausposaunt, dass Frauen weniger verdienen als Männer, dass Frauen weniger DAX-Führungspositionen innehaben als Männer, dass Sorge für Kinder und Haushalt immer noch meistens von den Frauen geschultert wird, dass die Einkommensunterschiede in Deutschland so groß sind usw. usw.

Aus der Sicht der Kinder ist das alles nicht so schlimm! Es ist ihnen sogar völlig schnuppe. Sie brauchen keine Mutti im DAX-Vorstand, sie brauchen die Mutter oder den Vater verlässlich zuhause. Schlimm ist es aus Sicht der kleinen Kinder, wenn ihnen Geborgenheit fehlt, wenn ihnen das gelebte Vorbild beider Eltern fehlt, wenn der tragende Rahmen der Familie nicht hält. Aus der Sicht des kleinen Kindes spielen materielles Wohlergehen, Handys, Spielkonsolen usw. keine prägende Rolle.

Viel wichtiger sind für Kinder die tagtäglich erlebte Liebe und Fürsorge durch eine bestimmte oder einige wenige bestimmte Personen.  Der Staat, die Politik, die Pädagogik sollten sich nie im mindesten erdreisten oder auch nur den Anschein zu erwecken versuchen, sie könnten den überragenden Rang der Familie für Glück und Wachstum der Kinder ersetzen.

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„Zwei Streifen. Schwanger. Panik.“

 Apokalypse, Frau und Mann, Kinder, Mutterschaft, Sexismus  Kommentare deaktiviert für „Zwei Streifen. Schwanger. Panik.“
Feb. 082014
 

„Mach’s. Aber mach’s mit.“ „Gib AIDS keine Chance.“

So der aufmunternde, zupackende Slogan einer großen Präservativwerbungs-Plakataktion der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

AIDS.
Schwangerschaft.
STD  [=Sexually Transmitted Diseases, d.h. Geschlechtskrankheiten].

Geschlechtskrankheiten, Schwangerschaft, HIV – das sind die drei apokalyptischen Reiter der modernen  Sexualität, vor denen auf unseren Straßen klein und groß von Kindesbeinen an gewarnt werden. Die Botschaft, die die staatlichen Stellen verbreiten,  ist klar: Sex ist selbstverständlich und sollte in allen Variationen bedenkenlos zupackend ausgeübt werden, solange und soweit die drei großen Gefahren für das Glück und die Gesundheit der den Sex Ausübenden zuverlässig vermieden werden: Geschlechtskrankheiten, Schwangerschaft und AIDS.

Sex ist gut, soweit und sofern die drei großen Gefahren Schwangerschaft, AIDS und sexuell übertragene Krankheiten zuverlässig vermieden werden. Diese Lehre ist heute zentral verankert  im schulischen Sexualkundeunterricht, auf den Plakaten,  in den Ratgebern und den Broschüren, die reichlich an Kinder und Jugendliche ausgereicht werden.

Neuerdings rückt neben HIV, dem Kindesmissbrauch und den sexuell übertragbaren Krankheiten  die Schwangerschaft wieder als besondere gesundheitliche und soziale Gefährdung der Frau in den Blickpunkt. Lara Fritzsche hat dazu vor wenigen Tagen einen sehr profunden Artikel veröffentlicht. Er fängt so an:

An ihren ersten Gedanken erinnert sich Louisa Bartel noch genau. Sie schämt sich dafür, und doch – das weiß sie – wäre es heute wieder das Erste, was ihr in dem Moment einfiele. Sie hatte den Schwangerschaftstest neben der Toilette auf dem Badewannenrand liegen gelassen und war mit langsamen Schritten einmal die ganze Wohnung abgegangen. Als sie wieder ins Bad zurückkam, waren sicher drei Minuten verstrichen. Das Ergebnis: zwei Streifen, schwanger. Und ihr erstes Gefühl: Panik. Weil sie die vielen alten Ängste alle auf einmal wieder einholen.

Schwangerschaft wird heute in den Medien als etwa Krankmachendes, Angsteinflößendes, die Frau Entstellendes dargestellt. Etwa 10% der Frauen reagieren laut eine Studie der Universität London heutzutage  mit Essstörungen, mit Magersucht, Hungerperioden, Abführmitteln und Darmspülungen auf das medial grundsätzlich abgelehnte  Zustandsbild der Schwangerschaft. Gefragt ist heute die Kaschierung, Verleugnung, Unterbrechung oder ggf. Verkürzung der Schwangerschaft mittels planvollen Kaiserschnitts.

Schwangerschaft – ein unerwünschtes Ereignis. Zwei Streifen=Schwanger=Panik. Eine sehr schöne Erzählung hat zu genau diesem Thema vor wenigen Tagen der junge, in Russland lebende, folglich auf Russisch schreibende Autor Changeant Trapier mit seiner Erzählung Две полоски /Zwei Streifen vorgelegt. Er leuchtet hinein in all die Vorgänge des Erschreckens, des Nicht-Wahrhabenwollens, des Verleugnens, die mit diesem grundsätzlich unerwünschten Zustand der Schwangerschaft einhergehen.  Eine Frau, die ungewollt schwanger geworden ist, sendet dem Erzeuger des Kindes einen Umschlag mit dem Pappträger, auf dem die zwei verhängnisvollen  Streifen zu sehen sind. Wie reagiert nun der Mann? Es lohnt sich, diese sanft und unaufdringlich  auf mehreren Ebenen zugleich spielende Erzählung des französischen Schriftstellers  zu lesen, der für einen Mann eine erstaunliche Einfühlungsgabe in die Psyche einer schwangeren Frau, mehr noch in die Psyche eines ungewollt zum Vater werdenden Mannes  beweist.

Zwei enge Freunde – Reinhard und Gottfried – unterhalten sich von Mann zu Mann über die verräterische Botschaft der zwei Streifen.  Ein Zitat:

Готфрид улыбнулся и вдруг его взгляд упал на картонную полоску, лежащую поверх черновиков статьи, исчирканных пометками Рейнхарда и Вебера. Его рука дрогнула и кофе выплеснулся, обжигая ему пальцы. Готфрид аккуратно поставил чашку между бумагами и ладонь стиснула край стола, так сильно, что костяшки пальцев побелели. Рейнхард знал, что Готфрид не произнесет ни слова, но он прекрасно понимал, что надо спросить, и возможно он сам получит объяснения.

—Марике прислала, ничего не понимаю. Знаешь, что это?

—Да, —через силу трудно проговорил Готфрид, —Знаю.

—И что же? —Рейнхард сделал еще глоток горячего кофе, он знал, что Готфрид не скажет, если не спросить.

Но друг молчал. Рейнхард удивленно поднял глаза, и увидел, что Готфрид бел, как бумажный лист. Не глядя на него, Готфрид отпустил край стола, за который держался так крепко, словно не мог стоять без поддержки, закинул руки за шею и начал наощупь развязывать узел шнура. Развязал.

—Это ребенок, Рейнхард.

Dieser kleine Abschnitt aus der längeren Erzählung zeigt zugleich auch, was hinter der Ablehnung der Schwangerschaft stehen dürfte: die Angst davor, ein Kind in die Welt zu setzen. Ein KIND also! So ein Unfall! Ein vermeidbarer Unfall obendrein. Hinter der Ablehnung der Schwangerschaft dürfte in unseren Gesellschaften  häufig auch die Ablehnung des Kindes stecken. Ein Kind, das bedeutet letztlich das Gefühl, dass etwas ins Leben der Erwachsenen eintreten könnte, das Karriereplanungen, Vorzeigbarkeit und Fitnessprogramme durcheinanderbringt. Hinter dem großen, zu vermeidenden Unfall Schwangerschaft lauert also der größere zu vermeidende Unfall Kind.

Tja, Freunde, so ist das heute. Schwangerschaft ist ein krankheitsähnlicher Zustand, das Kind ein vermeidbarer Zufall oder Unfall. So wird das heute landläufig dargestellt.  So wird es den Kindern und Jugendlichen heute beigebracht.

Ich empfehle den profund schürfenden Essay von Klara Fritzsche über das tausendfach verfestigte Negativ-Image der Schwangerschaft und die subtil fesselnde Erzählung des auf Russisch schreibenden französischen Blog-Autors Changeant Trapier nachdrücklich der Lektüre der unermüdlichen Aufklärer, Warner, Mediziner, Psychologen und Lehrer.

Quellenangaben:

Lara Fritzsche:
Unguter Hoffnung. Süddeutsche Zeitung Magazin, Nummer 5, 31. Januar 2014, S. 8-13

nachzulesen hier:
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/41477

Changeant Trapier:
Две полоски  [„Zwei Streifen“]. Post in trapier.livejournal vom 30. Januar 2014

nachzulesen hier:
http://trapier.livejournal.com/263523.html

 Posted by at 18:01

„Ja, ist dir denn gar nichts heilig … nicht einmal …?“ Gegenfrage: „Und was ist DIR heilig?“

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Jan. 282014
 

Immer wieder musste ich mich in politischen Diskussionen heftiger Angriffe erwehren, es sei mir fast nichts heilig, z.B. weder der Euro noch der Länderfinanzausgleich und auch nicht das Recht auf bezahlbaren Wohnraum usw.usw.

Die Frage „Ist Ihnen denn gar nichts heilig, nicht einmal … der Euro/der Länderfinanzausgleich/das Recht auf bezahlbaren Wohnraum  ..  … ?“ hört man immer wieder.

Was ist heilig, unverletzlich, was ist schützenswert, was ist unverletzlich? Ein beliebiges Beispiel aus der Diskussion in Europa! Am letzten Tag des Jahres 2013 führte die Zeitung Le Monde einen sehr kritischen Kommentar zur neuen Debatte über eine mögliche Änderung des Rechts auf Abtreibung in Spanien mit folgenden Worten ein (Hervorhebung durch dieses Blog):

 Si l’Espagne revendique aujourd’hui un rôle pionnier sur les droits des femmes, c’est dans la régression. Le gouvernement conservateur de Mariano Rajoy est en train d‘opérer un virage à 180 degrés sur l’avortement. L’avant-projet de la loi de protection de la vie de l‘être conçu et des droits de la femme enceinte, présenté en conseil des ministres peu avant Noël, supprime purement et simplement le droit des femmes à décider librement d‘interrompre leur grossesse. Ce droit, consacré par une loi entrée en vigueur en 2010, en autorisant l’avortement sans condition de motif jusqu’à la quatorzième semaine de grossesse, avait considérablement libéralisé la législation postfranquiste de 1985.

 

Interessant ist hier die Wortwahl! Das unbeschränkte Recht der schwangeren spanischen Frauen auf Abtreibung wurde 2010  als etwas „Geheiligtes“ (consacré)  ausdrücklich durch Gesetz bekräftigt. Das Recht auf Abtreibung wird im Leitartikel der Monde als absolut schützenswertes Gut gefeiert und mit einer eindeutig religiösen Wortwahl „umschränkt“, also „geheiligt“ (lateinisch sancire = umschränken).  Versuche, das absolute Recht der Frau auf Abtreibung in der spanischen Rechtsordnung  einzuschränken, werden von der Monde als Zivilsationsbruch, als eine Art Rückfall in die Barbarei gebrandmarkt.

Wir schließen daraus: Das Recht auf Abtreibung ist in dieser Wortwahl etwas Heiliges. Auch in säkularen Rechtsordnungen wie der spanischen oder französischen gibt es also oberste, quasi-religiöse Werte, die als absolut schützenswert erachtet, also geheiligt, oder konsekriert werden. Und dazu gehört nach wohl überwiegendem Konsens in Frankreich oder Spanien und wohl auch Deutschland das Recht der Frau, selbst über Geburt oder Nichtgeburt der Leibesfrucht zu entscheiden.

In Deutschland gehört zu den öffentlich sakralisierten Werten die Währung, früher die DM, heute der Euro, der als absolut schützenswerte Grundlage des Wohlstandes durch die Bundestagswahl 2013 erneut konsekriert wurde.

Wir dürfen sagen: Das Recht der Frauen auf Abtreibung, die Erhaltung des Euro wurden diskursiv sakralisiert. Die Selbstbestimmung der Frau über den eigenen Körper, die Erhaltung des Geldes  werden mit einem Tabu belegt, an dem kein Politiker ungestraft rütteln darf.

Was ist heilig? Der Euro, die Feierabendruhe, das Recht der Frauen auf Abtreibung?

Ich sprach vor wenigen Wochen mit einem Freund über das Thema. Er sagte mir nach einem gemeinsamen Besuch eines katholischen Gottesdienstes, in den wir  ein bisschen reingeschnuppert hatten: „Eigentlich hätte ich abgetrieben werden sollen. Mich sollte es nicht geben. Ich lag nicht richtig. Die Ärzte rieten meiner Mutter zur Abtreibung.“ Die Mutter widersetzte sich.  Sie ging zu einem anderen Arzt, der sagte: „Das kriegen wir in der Klinik schon hin.“ Die Mutter folgte dem Rat des zweiten Arztes, die Geburt verlief fast komplikationslos, der Junge wurde zu einem prachtvollen, wider Erwarten gesunden Menschen und ist mittlerweile selber Vater.

Ich kenne viele solche Geschichten. Die Leichtigkeit, mit der Ärztinnen und Ärzte heute in vielen Ländern zur Abtreibung raten, versetzt viele Frauen in eine extreme psychische Notlage. Eine mit mir bekannte  Mutter widersetzte sich einer der zahllosen Untersuchungen, die heute routinemäßig abgespult werden, sobald auch nur eine einzige Risikokategorie erfüllt wird (z.B. hier: Alter der Frau über 35). Die Frauenärztin war empört: „Sie WOLLEN also keine Amniozentese…? Ja,  Ihnen ist es wohl egal, wenn Sie ein behindertes Kind bekommen!? ICH SAG ES IHNEN NUR. Ich muss mich entlasten. Es ist Ihr Risiko.“

Die Frau erzählte mir dies. Wir waren entsetzt. Denn die Komplikationen für Leib und Leben des Embryos, die sich aus einer Amniozentese, also einer Fruchtwasserentnahme, ergeben können, lagen bei der gegebenen „Risikostufe“ statistisch  höher als das Risiko einer schweren Fehlbildung des Embryos. Die Frauenärztin setzte also die eigene „Entlastung“ über die Aussicht des Kindes, ggf. mit einer leichten oder schweren Behinderung geboren zu werden. Bei Vorliegen von Hinweisen auf eine schwere Behinderung hätte die Ärztin zur Abtreibung geraten. Nichts anderes konnte im gegebenen Fall der Sinn der Untersuchung sein. Die Frau widersetzte sich, das Kind der Risikoschwangerschaft kam mit einem APGAR-Index von 10 zur Welt, gehörte also von Geburt an zu den gesündesten überhaupt.

Von den Kindern redet schon gar niemand niemand. Von dem, was die heute übliche Behandlung des ungeborenen menschlichen Lebens als einer Verfügungsmasse der Frau bzw. schlimmer noch der „evidenzbasierten Medizin“ anrichtet, schweigen wir. Viele Kinder wachsen heute im Bewusstsein auf: „Eigentlich könnte es mich auch nicht geben.“

Tja, Freunde, was ist heilig, schützenswert? Das Geld, der Wohlstand, die uneingeschränkte Selbstbestimmung der erwachsenen Menschen über alles das, was mit und im menschlichen Organismus geschieht?

Oder gibt es da noch etwas anderes, was wir als heilig, als unantastbar, als absolut schützenswert erachten?

 Quellennachweis: Avortement: le régression espagnole. Le Monde, Mardi, 31 décembre 2013, Seite 1

http://www.lemonde.fr/a-la-une/article/2013/12/30/avortement-la-regression-espagnole_4341313_3208.html

 

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„Wo warst du, Vater?“ Undine Zimmer am Fenster, Sunkist als Statussymbol betrachtend

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Aug. 212013
 

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Analı-babalı büyüsün. Mit Mutter UND Vater möchten die Kinder aufwachsen, sagt die Türkin. Die Geschichte der Undine Zimmer ist eine vortreffliche Bestätigung dieser jahrtausendalten Wahrheit. Der Vater Undines hat Mutter und Kind alleine gelassen und Mutter und Tochter der Obhut des Sozialstaates anvertraut. Und genau so machen das auch hier in Berlin Zehntausende von Vätern und nochmal zehntausende von Vätern aus aller Herrren Länder.

Abhauende Väter, überforderte, alleingelassene  Mütter – das ist der entscheidende Knackpunkt in Millionen und Millionen von Sozialhilfeexistenzen in Deutschland, in Frankreich und auch in den USA. Wenn Vater und Mutter hingegen auch in schwierigsten Verhältnissen zusammenbleiben und sich gemeinsam um das seelische Wohl und den materiellen Lebensunterhalt der Kinder kümmern, kann wenig schiefgehen – wenigstens so viel kann nicht schiefgehen, wie es in Undines Leben schiefgegangen ist.

Und eine törichte französische Gesellschaft lässt sich in eine Diskussion über gesetzlich anerkannte Homo-Eltern hineintreiben! Genau denselben gefährlichen Unsinn hatten wir schon vor 30 Jahren, als zahllose Frauen erklärten: „ICH WILL EIN KIND! Ob mit oder ohne Vater, ist doch egal.“ Dreißig Jahre später sagen fast alle Frauen: „Ein Kind ohne Vater, ohne schützende Familie in die Welt zu setzen, ist eine riesige Herausforderung, an der ich fast zerbrochen wäre. Ich würde es keiner Frau zur Nachahmung empfehlen.“ Sie haben alle ein Kind gemacht, ohne an die Folgen des Kindermachens, ohne an einen Vater, den das Kind fast so nötig braucht wie die Mutter, zu denken, so dass einem zuletzt die kecken Verse Wagners über das vaterlose Kinderkriegen in den Sinn kommen:

WAGNER:
Es wird ein Kind gemacht!

DIABOLISCHE RÜCKFRAGE:
Ein Kind! Und welch verliebtes Paar
Habt ihr ins Rauchloch eingeschlossen?

WAGNER:
Behüte Gott! wie sonst das Zeugen Mode war,
Erklären wir für eitel Possen.

Fragt doch die Kinder, was sie wollen, fragt Undine Zimmer, was sie als Kind gebraucht und gewollt hätte!

Sunkist als Statusssymbol? – Ja, ein echtes Sunkist  war auch für uns Kinder in Augsburg damals das größte der Gefühle, wenn Vater oder Mutter uns ein Sunkist oder eine Flasche  Tri Top oder gar ein Cappy oder gar ein Fix-und-Foxi-Heftle spendierten. Sunkist, das gab’s nur am Sonntag. Dennoch fehlte es uns in der Kindheit an nichts wesentlichem. Wir hatten Mama, die sich kümmerte und auch ein bisschen Geld verdiente, Papa, der sich kümmerte und vor allem Geld verdiente, ein Dach über dem Kopf, ein Bett zum Schlafen, kostenlose Schulbildung, gesicherte medizinische Versorgung und jeden Tag grünes Gemüse (Veggies, wie die deutschen Grünen heute sagen), Quark und Milch und Schwarzbrot, das die Wangen rot macht, und Pfefferminztee so viel wir wollten.

So aber stand Undine sehnsüchtig am Fenster, wartend, fragend: Wo bist du, Vater?

Ich bleibe dabei! Was Kinder in Deutschland und überall brauchen, ist folgendes:

Mama, die sich kümmert und bei Bedarf auch Geld verdient, Papa, der sich kümmert und bei Bedarf Geld verdient, ein Dach über dem Kopf, ein Bett zum Schlafen, kostenlose Schulbildung, gesicherte medizinische Versorgung und jeden Tag Gemüse (Veggies, wie die deutschen Grünen sagen), Quark und Milch und Schwarzbrot und Pfefferminztee so viel sie wollen.

Sunkist ist nicht nötig. Sunkist ist entbehrlich. Auch ohne Sunkist können Kinder glücklich sein. Analı-babalı büyüsün.

http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article119215809/Armut-ist-hungrig-gierig-mitleiderregend.html

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Das zählt vor allem für gute Erziehung: eine gute Mutter – ein guter Vater – und auch gute Lehrer, lebendige Vorbilder

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Aug. 122013
 

 

2013-08-11 11.53.32

„Das Kind soll mit Mutter und Vater groß werden.“ So ein altes türkisches Sprichwort, das sich der Kreuzberger Hausfreund immer wieder zu eigen macht. Der Türke und die Türkin weiß es seit Jahrtausenden, der Jude und die Jüdin weiß es seit Jahrtausenden, der Christ und die Christin weiß es seit Jahrtausenden,  und die Familienpsychologen wie etwa Horst-Eberhard Richter werden seit Jahrzehnten nicht müde es zu erzählen:  Nichts ist wichtiger für das Gedeihen und das glückliche Aufwachsen der kleinen Kinder als mit einer guten Mutter und einem guten Vater zusammen aufzuwachsen. Dies gilt sicherlich nahezu uneingeschränkt  in den ersten 6 Lebensjahren. Wie viel Geld die Eltern haben, ob sie Urlaub machen können, ob sie ein Auto haben oder nur Fahrrad fahren, ist für das Glück der Kinder unerheblich. Das Kind wünscht sich und braucht vor allem eine gute Mutter, seine leibliche Mutter, und einen guten Vater, seinen leiblichen Vater.

Der sozioökonomische Status der Familie ist als solcher für das Glück des Kindes absolut unerheblich. „Mein Vater war Schmied, wir waren 11 Kinder, wir mussten uns nach der Decke strecken, und trotzdem war es eine gute Kindheit“, erzählt Jupp Heynckes.

In der Schulzeit treten neue Anforderungen an das Kind  heran. Jetzt zählen nicht nur gute Eltern, sondern immer wichtiger werden gute Lehrer. Auch hier, auch in der schulischen Bildung ist das A und die O nicht das System, sondern die Person, die Qualität der Beziehungen zwischen den Personen. Die Ressourcenausstattung, das Geld, das ganze System hingegen ist – entgegen den meisten Äußerungen in der aktuellen Bildungsdebatte – meist zweitrangig. Das System kann suboptimal sein – und ist selbstverständlich aus Sicht der Eltern immer suboptimal. Entscheidend ist die Person des Lehrers oder der Lehrerin. Das Geld als solches, das System als solches ist zweitrangig.

Die interpersonelle Lehrer-Kind-Beziehung ist nach der Eltern-Kind-Beziehung der wichtigste Dreh- und Angelpunkt in Bildungsverläufen, das bestätigen mindestens mir persönlich die meisten Erzählungen über scheiternde Schulverläufe an Berliner oder überhaupt an deutschen Schulen. Wenn etwas gründlich schiefgeht, dann liegt der Wurm fast immer an einem bösen, kalten, entmutigenden Wort der Eltern oder der Lehrer – „Das schaffst du sowieso nicht!“ ist der Klassiker -,dann liegt der Wurm auch häufig darin, dass persönliche Vorbilder in Familie oder der Schule fehlen.  Der Wurm liegt fast nie im Schulsystem!

Wenn Mütter und Väter ehrlich in ihr Herz blicken, werden sie dem zustimmen, was eine typische Berliner Mutter, Hatice Akyün, so ausdrückt:

Meine Hoffnung ist, dass die Kinder Lehrer finden, die für sie Vorbild werden, den kleinen Menschen und ihren Besonderheiten Wertschätzung entgegenbringen, damit sie sich entwickeln können.“

http://www.tagesspiegel.de/berlin/kolumne-meine-heimat-warten-auf-die-bildungsrevolution/8624790.html

Dieser Hoffnung schließt sich der Kreuzberger Hausfreund an. Die Einsicht in den fundamentalen Rang der Person und der zwischenmenschlichen Liebe ermöglicht endlich jene vielen kleinen Bildungsrevolutionen, jene vielen kleinen Weltrevolutionen, von denen die Menschheit schon seit einigen Jahrtausenden spricht und die ganz sicher nicht dadurch bewirkt werden, dass man bei Bundestagswahlen das Kreuz an der richtigen Stelle macht.

„Das Kind soll mit guten Lehrerinnen und Lehrern größer werden!“

Bild:

Großbeerenstraße Kreuzberg, gestern: So sehen idealtypisch eine gute Mutter und ein guter Vater aus der Sicht des Kindes aus:

Die gute Mutter ist warmherzig, zugewandt, unterstützend, sie lächelt.
Der gute Vater ist ehrlich, fleißig, anständig, zwar freundlich, aber auch streng und seriös.

 

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Juli 222013
 

2013-07-21 10.11.06

Was für eine schöne Überraschung. Mit dem Lied „Wer recht in Freuden wandern will“ auf den Lippen wanderte ich gestern von Kadıkalesi nach Turgutreis. Zwei Dinge erfreuten mich: Ich sah erstmals auf türkischen Straßen mehrere Radfahrer innerhalb weniger Minuten – und seitab der Straße lachte ein nachhaltig bewirtschafteter Öko-Bauernhof mich an. Ich trat durch das Hoftor, begrüßte den Bauern: „Euch gab es aber vor 5 Jahren noch nicht, als ich das letzte Mal hier entlang wanderte …!“, begann ich. „Ja, wir sind erst seit 1 Monat hier. Der Hof ist ganz neu! Du kannst dich ruhig umschauen!“

Ich schaute mich um: Überall sind Obstbäume gepflanzt, Gemüsebeete angelegt, Bäume, Büsche und Beete scheinen klug aufeinander abgestimmt. Nachhaltige, ressourcenschonende Landwirtschaft! Schafe weiden und blöken in einem Gatter, einige Kühe äsen im Schatten der Bäume, Hühner scharren an der Erde. Eine Art Paradies für den Wanderer, der sich bekanntlich dort nicht im Schweiße des Angesichts den Rücken krumm schuften muss!

2013-07-21 10.55.02

„Euer Hauptproblem ist wohl die Bewässerung?“, fragte ich Cem, den Besitzer des Bauernhofes nach einem Blick auf die vielen verlegten Wasserschläuche.  „Nein, im Gegenteil! Es gibt in 25 m Tiefe hier reichlich bestes Grundwasser, zumal es im Winter fast zu viel geregnet hat. Wir pumpen unser eigenes Grundwasser und leiten es über eine Bewässerungsanlage auf die Beete und Felder. Wasser ist da! Aber es gibt noch sehr sehr viel Arbeit zu leisten!“

2013-07-21 10.55.41

Bei einem Glas selbstgemachter Limonade genoss ich den herrrlichen Anblick des Öko-Paradieses, zu dem ich von Herzen Ja sagte.

Da hörte ich ein lautes „Hayir“.  Hayir heißt nein. Was war geschehen? Ein kleines Mädchen, etwa drei Jahre alt, hatte einen Stein aufgenommen und schickte sich an, ihn auf eine Beleuchtungsanlage zu werfen. Die Mutter des Kindes saß wachsamen Auges daneben, der Stein in der wurfbereiten Hand des Mädchens gefiel ihr nicht. Sie verbot dem Kind freundlich, aber bestimmt mit einem Hayir das Werfen des Steines. Hayir heißt nein.

Da fiel mir ein, was ich damals als Jugendlicher aus dem Buch „Eltern, Kind und Neurose“ von Horst-Eberhard Richter mitgenommen hatte: Die Kinder müssen das Nein lernen. Ohne das Nein der Eltern kann das Kind nicht wachsen. Vor der Geburt holt sich das Kind alles, was es braucht, aus dem Körper der Mutter – auch auf Kosten der Mutter.  Es lebt gewissermaßen in einem Paradies nach dem Motto. Hol dir was du brauchst.

Jede Schwangerschaft kostet die Mutter  einen Zahn, sagte man früher.

Anders spielt die Musik nach der Geburt, diesem ersten großen, überwältigenden Erlebnis jedes Menschen. Das Kind kann nicht alles haben, vor allem nicht  sofort haben. Von Anfang an muss das Kind nach der Geburt das aufschiebende, verbietende, grenzensetzende Nein lernen:  „Du darfst nicht Steine auf Lampen werfen. Du darfst nicht ins tiefe Wasser springen, wenn du nicht schwimmen kannst. Du darfst nicht lügen. Du darfst schwächeren Geschwistern nicht das Essen stehlen, du darfst nicht sitzenbleiben, wenn Ältere und Schwächere deinen Sitzplatz benötigen … “ Usw. usw., eine ganze Batterie an Verboten, Mahnungen, Zurechtweisungen!

Das feste Nein lernen. Das müssen wir Eltern den Kindern ermöglichen.

Ich war dankbar. Wieder hatte ich etwas einsehen gelernt, was allzu leicht vergessen wird: es gibt das Paradies nicht. Das Nein, die Mühe, der Fleiß, die Arbeit sind unerlässlich, um zusammenzuleben und gut zu leben.

Ich bot an, die Limonade zu bezahlen, aber Cem lehnte ab: „Du bist mein Gast. Komm wieder, bring deine Familie mit, wir sind immer da.“

„Ich sehe eine große Zukunft für euch. Cem, ihr habt ein riesiges Potenzial. Ich komme gerne wieder!“ So verabschiedete ich mich und wanderte weiter in der heißen Landstraße zwischen Turgutreis und Kadıkalesi, ein deutsches Wanderlied auf den Lippen.

 Posted by at 11:00