Jürgen Todenhöfer – “Wir haben in Afghanistan nichts zu suchen“

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Okt. 092008
 

Und wieder bekräftigt Jürgen Todenhöfer (CDU) seine harten Vorwürfe gegen die kriegführenden NATO-Partner in Afghanistan. Der Afghanistan-Krieg wird sicherlich ein Hauptthema im Bundestagswahlkampf werden. Jeder, der für die CDU oder für die SPD antreten will, tut gut daran, sich die Lage unvoreingenommen schildern zu lassen. Auch hier gilt – wie überall: Audiatur et altera pars! Todenhöfers Standpunkt scheint mir sehr nahe an dem von Christian Ströbele zu liegen. Am 6. Oktober lasen wir in der Süddeutschen:

Jürgen Todenhöfer – “Wir haben in Afghanistan nichts zu suchen“ – Politik – sueddeutsche.de

Todenhöfer: In den 14 Tagen Afghanistan und Pakistan habe ich feststellen müssen, dass unsere Bevölkerung über den Afghanistankrieg genauso an der Nase herumgeführt wird wie die amerikanische Bevölkerung über den Irakkrieg. Unsere Soldaten werden in einen Krieg geschickt, der mit dem offiziell verkündeten Kriegsziel nichts zu tun hat. Politiker, die behaupten, wir kämpften am Hindukusch gegen den globalen Terrorismus und für die Sicherheit Deutschlands täuschen nicht nur ihre Wähler, sondern auch unsere Soldaten. Das ist unverantwortlich.sueddeutsche.de: Ein harter Vorwurf.

Todenhöfer: Ich kann einfach nicht verstehen, dass deutsche Politiker nach all den schrecklichen Ereignissen der Vergangenheit unsere Soldaten so leichtfertig in einen Krieg schicken, der mit Sicherheit kein Verteidigungskrieg ist. Nur Verteidigungskriege sind nach unserer Verfassung zulässig – und auch das nur im äußersten Notfall.

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Mit der Sprache fängt es an

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Sep. 032008
 

Ähnlich dem früheren Verteidigungsminister Rühe (CDU) erhebt nun auch der Bundeswehrverband schwere Vorwürfe gegenüber der Bundesregierung. Wir griffen in diesem Blog das Thema am 23. August auf. Dann fiel ein weiterer deutscher Soldat, andere Stimmen folgen nun. Sie schließen sich der Forderung nach Klarheit an. Die Berliner Morgenpost berichtet heute:

Bundeswehrverband – „Regierung verschleiert Wahrheit über Afghanistan“ – Politik – Berliner Morgenpost

Der Bundeswehrverband wirft der Bundesregierung vor, mit „gestelzten Wendungen“ die Wahrheit über den deutschen Einsatz in Afghanistan zu verschleiern. „Wir befinden uns in einem Krieg gegen einen zu allem entschlossenen, fanatischen Gegner“, sagte der Verbandsvorsitzende Bernhard Gertz der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.Der bei Kundus getötete 29-Jährige Soldat aus Zweibrücken sei nicht ums Leben gekommen, wie bei seiner Beisetzung erklärt worden sei. „Richtig ist: Dieser Hauptfeldwebel ist für die Bundesrepublik Deutschland gefallen“, sagte Gertz. Die Regierung wäre gut beraten, dies in aller Klarheit zu sagen. Denn mit der Sprache fange es an: „Da wird schon verschleiert, da wird die Wahrheit verschwiegen.“

Ich meine: Das Thema Afghanistan-Einsatz wird eine wichtige Rolle im Bundestagswahlkampf spielen. Es wird nicht ausreichen, sich Sprachregelungen auszudenken. Ein überzeugendes Gesamtkonzept muss vorgelegt werden. Denn nur wer ein Warum hat, erträgt fast jedes Wie. Wer kein Warum hat, erträgt fast kein Wie. Wieso sollte er? Vor allem gilt dies für die Angehörigen der Bundeswehrsoldaten.

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Aug. 232008
 

Einen harten Vorwurf erhebt der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe gegen die amtierende Bundesregierung. In einem Gespräch über den Afghanistan-Krieg sagte er laut SZ von gestern: „Die Bundesregierung versagt bei der Kommunikation.“ Auslöser des Gesprächs: Der Tod der zehn französischen Soldaten in Afghanistan.

Rühe – Unsere Soldaten hätte es genauso treffen können – Politik – sueddeutsche.de
SZ: Sie sagen, Deutschland wäre auf eine solche Nachricht nicht vorbereitet. Wessen Schuld ist das?

Rühe: Die Bundesregierung versagt bei der Kommunikation. In Deutschland herrscht der Eindruck, wir leisten dort bewaffnete Entwicklungshilfe. Tatsächlich sind wir im Krieg gegen aufständische Taliban, und unsere Soldaten sind Kämpfer in diesem Krieg. Der Tod der zehn französischen Soldaten sollte Anlass sein, dies endlich auch in Deutschland offen zu sagen.

Blogger Johannes Hampel meint: Volker Rühe, Jürgen Todenhöfer, Helmut Schmidt – das sind alles ehemalige hochrangige Politiker, denen niemand einen Mangel an Sachkunde unterstellen kann. Sie sind in ihrer Wortwahl erfrischend undiplomatisch. Sie kennen nämlich den Laden von innen, und deswegen haben sie das Recht, Tacheles zu reden. Sie haben sich in der Presse und ihren eigenen Veröffentlichungen in den letzten Monaten wiederholt zum Thema Irak/Afghanistan zu Wort gemeldet. Ihre Aussagen lassen sich so zusammenfassen:

1. Die Länder Irak, Iran, Afghanistan und Pakistan bilden – entscheidend begünstigt durch den zweiten Irak-Krieg – nunmehr einen uneinheitlichen, tief gestaffelten, schwer überschaubaren Kriegsschauplatz, in dem mehrere bewaffnete Konflikte ineinander verschränkt ablaufen.

2. Guerilla-Kämpfer, reguläre Truppen, Truppen unter nationalem Oberkommando, ISAF-geführte Verbände, darunter auch die Bundeswehr, operieren in diesem Kriegsschauplatz; die Frage der effizienten Koordination ist ungelöst.

3. Es existiert kein politisches Konzept für eine Lösung der Konflikte.

4. Für Afghanistan gilt: Die Aufteilung in Operationsgebiet Nord und Operationsgebiet Süd ist auf längere Sicht unhaltbar.

5. Es existiert nicht einmal im Ansatz ein politisches Konzept für die Zeit nach Beendigung der militärischen Operationen.

Was ist von Rühes Vorwurf des kommunikativen Versagens zu halten? Ich meine: Es gibt wohl zu jedem Zeitpunkt Politikfelder, in denen es keine praktikable Lösung gibt. Dann sollte man das auch so eingestehen: „Wir wissen nicht weiter.“ Der Afghanistan-Krieg ist nur ein Beispiel dafür. Wir Bürger haben ein Recht darauf, dass man uns reinen Wein einschenkt. Wenn wir als Bundesrepublik Deutschland im Krieg sind, dann sollte man das so benennen.

Hier ist das Parlament dringend gefordert! Der Bundestag ist die Vertretung des Volkes gegenüber der Regierung. Das deutsche Parlament muss seinen Beaufsichtigungs- und Kontrollfunktionen gegenüber der Bundesregierung in größerem Umfang nachkommen. Die Fraktionen, namentlich die Unions- und die SPD-Fraktion, müssen unbequeme Fragen stellen. Denn die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Das öffentliche Gelöbnis vor dem Bundestagsgebäude hat dies eindrucksvoll unterstrichen. Ich befürworte deshalb nachdrücklich weitere öffentliche Gelöbnisse im Angesicht des Deutschen Bundestages.

Es geht nicht darum, der Bundesregierung den einen oder anderen Fehler in der Außendarstellung anzukreiden. Jeder Akteur in der politischen Arena wird immer bemüht sein, das eigene Handeln in möglichst günstigem Licht erscheinen zu lassen. Nein, die Frage lautet: Was geht in Afghanistan vor? Was plant ihr? Welche Schritte unternehmt ihr, um ein dringend benötigtes Konzept auszuarbeiten?

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind gefordert, sich dieser Aufgabe zu stellen. Spätestens nach den US-Präsidentenwahlen im November wird Deutschland eine Antwort geben müssen. Denn Obama hat bereits angekündigt, dass er einen stärkeren militärischen Beitrag der Europäer in Afghanistan fordern wird, um die Haushaltslage in den USA zu verbessern. McCain dürfte dies ähnlich sehen.

Hohes Haus, meine Damen und Herren Abgeordneten! Kaufen Sie in Ihrer Freizeit auf eigene Kosten Schuhe in Kalifornien oder sonstwo, aber sprechen Sie bitte an Ihrem Arbeitsplatz zuhause in Deutschland auf Augenhöhe mit der Bundesregierung!

Denn wie heißt es doch so schön unter den Abgeordneten: „Wir legen schon Wert auf Augenhöhe!“

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Mai 232008
 

Immer wieder überfällt mich die Sucht nach Stoff, ich muss dann zum nächsten Händler gehen, niste mich unbemerkt irgendwo ein, greife mir aus dem Angebot die beste Ware ab und fange an zu konsumieren, zu genießen, ich schnüffle den unnachahmlichen Geruch frischgeschnittenen Blatts und zieh mir dann ein Blatt nach dem nächsten rein. Bin ich ein Junkie? So geschah es mir gestern wieder. Irgendwo in Berlin-Mitte. Das Angebot, das mich verführte, seht ihr auf dem Foto hier oben.

Am besten gefiel mir allein schon die Auswahl der Titel. Diese sechs Bücher, zusammengelesen, werfen höchst aufschlussreiche Lichter auf die Befindlichkeit unseres Landes, auch die Tatsache, dass sie es alle auf die Bestsellerliste geschafft haben.

Platz 1 unter den sechs Büchern hat für mich übrigens inne das Buch: Warum tötest du, Zaid? Von Jürgen Todenhöfer, C. Bertelsmann Verlag, München 2008

Der Mann hat das gemacht, was ich mir immer schon gewünscht habe: Er hat intensiv zugehört, hat das Vertrauen der Menschen im Irak, im Iran, in Afghanistan gewonnen. Sein Buch bringt viele fröhliche Begegnungen mit kickenden Kindern in Irak, mit einem Märchenerzähler in Damaskus, aber auch viele traurige Geschichten von zerstörten Leben. Diese Erzählungen machen etwa ein Drittel des Buches aus. Der Autor hat „auf der Suche nach Wahrheit“ Dutzende von Interviews mit Widerstandskämpfern geführt. Etwa mit Rami, einem Geschichtsstudenten in Bagdad. Rami kämpft für einen islamischen Irak. Mit Al-Qaida. Todenhöfer bemüht sich, den Mann zu verstehen. Er berichtet auf S. 100:

Auch Deutschland, das sich im Irakkrieg so geradlinig verhalten habe, spiele inzwischen eine traurige Rolle – vor allem in Afghanistan. Er fragt mich, ob ich mir eigentlich keine Gedanken darüber mache, dass die NATO mit deutscher Unterstützung in Afghanistan mehr Zivilisten getötet habe als die Taliban.

Ich erwidere, selbst wenn diese bekannte Propagandabehauptung von Al-Qaida stimme – was ich nicht beurteilen könne -, sei das kein Grund, sich einer Terrororganisation wie Al-Qaida anzuschließen. Das Gespräch wird heftiger.

Todenhöfer lässt Meinungen ungefiltert zu Wort kommen, die in den westlichen Medien – so seine Behauptung – systematisch unterschlagen werden. Es ergibt sich so in unseren Medien „ein völlig verzerrtes Bild der Lage im Irak“ (S. 177). Den Medien in unserem Land wirft er eine verfälschte, einseitige Darstellung der Vorgänge im Orient vor, die letztlich nur als Bemäntelung einer ganzen Reihe von verbrecherischen Angriffskriegen westlicher Länder gegen islamisch geprägte Staaten diene. Das militärische Vorgehen mit Kampftruppen in Afghanistan verurteilt er als nicht zielführend. „Westliche Kampftruppen (und deutsche Tornados) haben im Irak, in Afghanistan oder in Somalia nichts verloren“ (S. 198).

Und so kommen wir zum zweiten, eher systematisch-historischen Stück seines Buches. Todenhöfer arbeitet die etwa 200-jährige Geschichte kolonialer Kriege und kolonialer Ausplünderung in den arabischen Ländern, in Irak, Iran und Afghanistan nach. Seine Bilanz ist aufrüttelnd, S. 163: „Der Westen ist viel gewalttätiger als die muslimische Welt. Über vier Millionen arabische Zivilisten wurden seit Beginn der Kolonialisierung getötet.“

Das Buch enthält auch eine Reihe schlimmer Bilder aus den Zeiten der französischen und italienischen Kolonialherrschaft, ebenso wie Bilder von verstümmelten Kindern und Zivilisten aus den letzten Kriegen, die einige westliche Staaten rechtswidrig entfesselt haben. Das Buch ist eine erschütternde Anklage gegen Ignoranz, Brutalität und hemmungslose Machtausübung. „Die Hauptverantwortlichen des Irakkriegs, George W. Bush und Tony Blair, erfreuen sich bester Gesundheit und genießen ihr Leben. […] Den Preis für ihren mörderischen Krieg bezahlen andere“ (S. 215).

Eine ausführliche, kommentierte Zitatensammlung aus Bibel und Koran erstreckt sich von S. 217 bis S. 277. Befund des Autors: Die beiden Bücher haben die wesentlichen Aussagen gemeinsam. Zusammen mit einer Reihe von Thesen zum zutiefst gestörten Verhältnis des Westens zur islamischen Welt bildet sie den dritten Teil des höchst empfehlenswerten Buches. Es sollte auf dem Nachttisch keines Abgeordneten fehlen.

Mein Lieblingsbild in dem Buch ist Nr. 67. Es zeigt den Sängerwettstreit unter der 33-Bogen-Brücke in Isfahan. Jürgen Todenhöfer hatte sich über die strengsten Ermahnungen seiner offenbar hochmusikalischen Tochter Valérie hinweggesetzt und ohne deren Einwilligung an einem gemeinschaftlichen Singen teilgenommen. Auf Deutsch gab er das Wolgalied aus der Operette Zarewitsch zum besten. „Am Ende des Liedes summten die meisten iranischen Zuhörer mit. Ich bekam tosenden Beifall“ (S. 19).

Aber mein Lieblingszitat aus dem Buch ist das Zitat eines Zitates. Es steht auf S. 188 und stammt aus Lessings „Nathan“. Angela Merkel bezeichnete diese drei Worte als „die schönste Stelle des Stücks“. Sie lauten:

Sei mein Freund!

Soll ich jetzt auch nach Irak fahren? O nein! Wir sind hier in Kreuzberg in einer äußerst privilegierten Lage. Es kostet keinen Cent, mit Menschen aus moslemischen Ländern, mit deutschen Muslimen ins Gespräch zu kommen, den Dialog der Kulturen in unserem persönlichen Umfeld zu beginnen, wie Todenhöfer selbst auf S. 188 fordert. Danke, Jürgen!

 Posted by at 15:29

Historiker-Scharmützel: die Farbe Rot

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Apr. 012008
 

Nach einem Besuch in einem deutschen Konzentrationslager in der Nähe Berlins gerate ich ungeplant in Begriffs-Scharmützel zwischen zwei Historikern: Wie lange hieß die Rote Armee eigentlich Rote Armee? Hieß die Armee der Sowjetunion bis zum Ende der Sowjetunion Rote Armee? Einer der Historiker vertritt die Auffassung, bereits 1943 habe Stalin den Befehl erteilt, die Rote Armee nur noch Sowjetarmee zu nennen, da die von Trotzkij geprägte Bezeichnung „Rote Arbeiter- und Bauern-Armee“ – im Gegensatz zur konterrevolutionären „Weißen Armee“ – nicht mehr zeitgemäß sei. Ab sofort, so Stalin, gehe es nicht mehr um die Ausbreitung des Kommunismus mithilfe der Bajonette, sondern um die Verteidigung des Vaterlands im Großen Vaterländischen Krieg. Deshalb müsse die Armee ab sofort Sowjetarmee genannt werden.

Am Abend ergibt eine Rücksprache bei einer Russin und eine Konsultation des Internet folgendes Bild: Ab Februar 1946 verlor die sowjetische Armee tatsächlich offiziell den Namen Rote Armee und wurde fortan Sowjetische Armee genannt. Die Bezeichnung Rote Armee ist im Bewusstsein der Russen unlösbar mit dem besonders verheerenden Russischen Bürgerkrieg 1918-1920 verbunden, der ja etwa 8 Millionen Tote forderte. Um den Anspruch der Armee, für das ganze Land aufzutreten, zu unterstützen, wurde die Bezeichnung Rote Armee aus dem amtlichen Verkehr gezogen, zumal ja viele Zehntausende Offiziere der Weißen Armee in die Rote Armee übernommen worden waren und dort ihren Dienst taten.

Gleichwohl wird weiterhin landläufig in Deutschland außerhalb der Fachkreise die Bezeichnung Rote Armee bis zum Ende der Sowjetunion verwendet, owohl dies fachlich gesehen nicht astrein ist.

Mit diesem Ergebnis können, so meine ich, beide Historiker zufrieden sein und sich die Hand zum Friedensschluss reichen.

Und das schreibt übrigens die Wikipedia:

РККА, Рабоче-Крестьянская Красная Армия (Красная Армия) — официальное наименование Сухопутных войск и ВВС, которые вместе с ВМФ, Пограничными войсками, Войсками внутренней охраны и Государственной конвойной стражей составляли Вооружённые Силы СССР с 15 января 1918 года по февраль 1946 года. Днём рождения РККА считается 23 февраля 1918 года — день, когда было прекращено немецкое наступление на Петроград и подписано перемирие (см. День защитника Отечества). Первым руководителем Красной Армии был Лев Троцкий.

С февраля 1946 года — Советская Армия, под термином «Советская Армия» подразумевались все виды Вооружённых Сил СССР, кроме Военно-морского флота.

 Posted by at 23:05