Feb. 062009
 

… das sind die Namen von vier Türken in Deutschland, die in der heutigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf S. 12 aus ihrem Leben plaudern. Ausgerechnet im Wirtschaftsteil, den ich eigentlich gewohnheitsmäßig wegen meiner Neugierde darauf aufschlage, was Vater Staat und Mutter Bundesrepublik nun wieder einfällt, um die unartigen Banken aus ihrem Unglück zu erlösen, welche Opfer der Finanzkrise geworden sind!

A propos Vater und Mutter: Die Politologin Gülden Sahin, die (wie ich) aus Bayern stammt und an einem bayerischen Gymnasium Schülersprecherin war (wie ich), wird mit folgenden Aussagen zitiert: „Die Opfermentalität mancher Landsleute geht mir schon auf die Nerven. Mir kann keiner erzählen, dass es nicht genug Beratungsstellen für türkische Eltern gibt. Es ist doch Aufgabe der Eltern, für die Bildung der Kinder zu kämpfen.“ Den Fettdruck habe ich mir selbst erlaubt.

Dem stimme ich zu. Trotz allem, was unsere Migrantenverbände gerne behaupten: Der Ball liegt bei den türkischen Eltern und bei den Schülern. Das deutsche Schulwesen bietet allen genügend Chancen an. Wir, die Gesellschaft, brauchen den Erfolg, das Glück aller dieser Kinder, der türkischen, der deutschen, der russischen, der arabischen. Aber das wichtigste dabei ist: Individuelle Anstrengung auf beiden Seiten, sowohl bei den Vätern und Müttern einerseits wie bei den Söhnen und Töchtern andererseits. Staatliche Maßnahmen und Angebote sind genug vorhanden.

Was uns zurückbringt zur Frage: Was kann der Staat tun, um die dritte Generation der Migranten aus ihrem Unglück zu erlösen, wie es die bekannte Studie des Berlin-Instituts vor wenigen Tagen dargestellt hat? Ich sage: Die Frage ist falsch gestellt. „Unglück“ ist das falsche Wort, „erlösen“ ist das falsche Wort. Der Staat kann es nicht packen.

Man lese doch die vier Lebensgeschichten von Hüseyin, Sadet, Kaya und Gülden in der heutigen FAZ! Sie haben von Kindesbeinen an gelernt und gearbeitet, haben Rückschläge und Niederlagen weggesteckt, ihnen wurde nichts geschenkt oder in die Wiege gelegt.

Was sagt Kökcü über die dritte Generation? „Was ich von der dritten Generation der Türken sehe, stimmt mich pessimistisch. Man sieht wenig Akademikerpotential, aber man hört viel Gejammer.“

Was macht eigentlich mein Türkisch? Immer wieder bin ich entzückt über den poetischen Reichtum türkischer Namen. Heute also – Gülden. Was bedeutet der Name?  Gül heißt Rose, –den ist das Suffix, welches Herkunft bedeutet. Gülden also – die aus der Rose Stammende – die Rosenentsprungene. Hoffentlich ist meine Deutung richtig. Das ist ein herrlicher Name! Und ein wunderschönes Foto von Gülden bringt die FAZ ebenfalls. Sie trägt diesen Namen zu recht!

Der Name erinnert mich an uralte griechische Namen, wie ich sie an meinem bayerischen Gymnasium kennenlernte – die rosenfingrige Eos etwa aus der Ilias der Homer. Und die Ilias, die versetzt uns ja ebenfalls in das Land, das heute Türkei heißt … Das ist uralter Mutterboden unserer Kultur!

Unser Foto zeigt einen rosigen Schimmer an der Küste der türkischen Ägäis, aufgefangen vom Verfasser im Sommer 2008.

 Posted by at 14:45

Uyum, Leute & Gurbetciler! Denkt dran: Hepimiz insaniz!

 Integration, Migration, Sprachenvielfalt  Kommentare deaktiviert für Uyum, Leute & Gurbetciler! Denkt dran: Hepimiz insaniz!
Feb. 122008
 

Richtige Wellen hat der Besuch des türkischen Ministerpräsidenten in der Bundesrepublik ausgelöst. Da ich fast kein Türkisch kann und bei den Auftritten nicht dabei war, habe ich die deutsche Presse der beiden vergangenen Tage durchforscht. Viel mehr oder minder Gutes und Beherzigenswertes fand ich darin, überwiegend Zustimmenswertes, aber am meisten gelernt habe ich aus drei Kommentaren der FAZ, in denen die Autoren unter Beweis stellen, dass sie den Blick in beide Länder hinein wagen können, dass sie das Eigentümliche des Sprechens und Redens sowohl auf deutsch wie auf türkisch zu erfassen vermögen. „Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, soll Erdogan gesagt haben. Wirklich? Hat er nicht Türkisch geredet? Was hat er damit gemeint? Hier helfen die drei genannten Kommentare weiter. Lesen Sie Auszüge:

Rainer Hermann in der FAZ:

Problematischer ist noch der Umgang mit dem Begriff Integration. Hier zeigen sich Verständigungsschwierigkeiten: Meist gebrauchen dafür die türkischen Medien und Politiker den Begriff „uyum“, Harmonie also. In Harmonie kann man nebeneinander leben, ohne dass man integriert ist. Je konkreter aber die Integrationspolitik der Bundesregierung geworden ist, desto stärker ist auch die türkische Regierung gefordert, es ihr gleichzutun.

In ihrem Lebensgefühl trennen die Türken in der Türkei und in Deutschland aber Welten. „Begriffe verraten das Denken“, sagt der türkische Dramaturg Aydin Engin, der nach dem Militärputsch von 1980 einige Jahre in Frankfurt im politischen Exil gelebt hatte. Auch am Montag schrieben die türkischen Zeitungen wieder von den „gurbetciler“, vor denen in Köln Erdogan gesprochen habe: Die regierungsnahe Zeitung „Zaman“ ebenso wie das Massenblatt „Hürriyet“. Erstmals tauchte der Begriff des „gurbetci“, des in der Fremde Lebenden, in den sechziger Jahren auf, erinnert sich Engin, als ungebildete Männer aus ihren ostanatolischen Dörfern aufbrachen, einige Monate in den Großstädten auf dem Bau arbeiteten und dann mit vollen Taschen in ihre Heimat zurückkehrten.

Volker Zastrow in der FAZ:

Hepimiz insaniz – das heißt: Wir alle sind Menschen. Diese Worte hat der türkische Ministerpräsident Erdogan in Ludwigshafen den zumeist türkischen Zuhörern zugerufen, über das Fernsehen haben sie Millionen weitere Türken und Deutsche erreicht. Seither hat Erdogan bei den Deutschen vermutlich einen Stein im Brett – und wenn er nicht Türke wäre, sondern Amerikaner oder Franzose, würde man seinen Namen in einem Atemzug mit dem Kennedys und de Gaulles nennen, die es einst auch vermocht hatten, das richtige Wort zum richtigen Zeitpunkt zu finden.

Zastrow meint darüber hinaus, Erdogan sei ein Staatsmann, dem kaum jemand das Wasser reichen könne, obwohl man den „Tag nicht vor dem Abend loben solle“. Erdogans gemäßigter Islamismus sei das Gegenteil des gewaltbereiten Fundamentalismus. Nun, mit ganz ähnlichen Worten habe ich mich schon im Herbst letzten Jahres geäußert, öffentlich, in der Blogosphäre, und auch privat. Damals erntete ich keine Zustimmung. Das könnte sich ändern. In jedem Fall bleibe ich dabei: Wir Europäer müssen uns „natürliche Verbündete“ schaffen, wo immer dies möglich ist – gerade in der Türkei. Dort sind Erdogan und mehr noch der Staatspräsident Gül gute Kandidaten.

Berthold Kohler in der FAZ:

Doch muss die Republik sich inzwischen eine noch unbequemere Frage stellen: Was, wenn die Mehrheit der Türken sich gar nicht integrieren will, und zwar nach unserem, ohnehin ausgesprochen liberalen Verständnis? Wenn sie, wie von Erdogan dazu angespornt, türkische Schulen und Universitäten in Deutschland verlangt? Wenn sie eigene Parteien fordert und das Türkische als Amtssprache in Berlin-Kreuzberg? Noch meiden es alle, von einer eingewanderten ethnischen Minderheit zu sprechen. Doch weit entfernt davon sind wir nicht mehr.

Dieser letzte Kommentar schließt also mit der Frage, ob wir nicht mancherorts in Deutschland eine echte, mittlerweile autochthone ethnische Minderheit hätten, der dann – so füge ich hinzu – natürlich nicht die Rechte einer anerkannten Minderheit zu verweigern wären, wie z.B. den Deutschsprachigen Italiens im heutigen Südtirol/Alto Adige, den Deutschen in der früheren CSR bis 1939. Dazu würde etwa Türkisch als Amts- und Schulsprache gehören. Kohler meint: Wir stehen nahe davor.

Und was meint ihr?

 Posted by at 12:33
Jan. 292008
 

Leider lassen mir dienstliche Pflichten keine Zeit, die schulärztliche Pflichtuntersuchung meines Wanja zusammen mit meiner Frau zu besuchen. Aber sie berichtet mir am Abend davon. Die Reifeuntersuchung beginnt pünktlich um 8.30 Uhr morgens. Erste Frage der Schulärztin: „Na, hast du beute schon ferngesehen?“ Wanja enttäuscht sie, denn – er hat nicht!

Nein, Frau Doktor – so früh steht er nicht auf!

Alle anderen Aufgaben löst er mit Bravour und ohne Zögern, außer dem Hörtest. Da hat er Mühe, die Richtung zu benennen, aus der ein Geräusch kommt. Jetzt bekommt die Ärztin Oberwasser: „Das ist ja alles falsch, alles falsch!“

Erstaunlich bleibt für mich, dass die Amtsärztin annimmt, er habe schon vor 8 Uhr morgens ferngesehen. Weil er Migrationshintergrund hat? Welche Erfahrungen haben sie im Amt mit migrantischen Familien wie der unsrigen? Dass wir Tag und Nacht vor der Glotze hängen?

 Posted by at 22:32
Jan. 092008
 

csr900.gif Die britische Zeitschrift „The Economist“ widmet in ihrer aktuellen gedruckten Ausgabe (January 5th-11th 2008) mehr als 14 Seiten dem Thema Einwanderung. Das Fazit sei vorweggenommen: Die Volkswirtschaften der westlichen Länder brauchen sowohl quantitativ wie qualitativ noch weit stärkere Einwanderung, wenn sie ihren Wohlstand sichern wollen. Zu diesen Volkswirtschaften gehören ohne jede Einschränkung die Bundesrepublik Deutschland und die anderen EU-Staaten. Der Economist wirft den Politikern fast aller westlicher Länder eine grundsätzlich viel zu zögerliche Haltung bei der Öffnung der Grenzen und eine zu geringe Bemühung bei der Integration der Zuwanderer vor.

Es lohnt sich, diese Positionen des Magazins mit den Stellungnahmen der Spitzenverbände der deutschen Industrie, also etwa des BDI, zu vergleichen. Ergebnis: Weitgehend identisch mit den Empfehlungen des Economist! Die deutsche Wirtschaft hat sich stets für eine weitestgehende Öffnung der Grenzen, sowohl für Menschen als auch für Kapital, ausgeprochen. So fordert sie seit langem ein flexibleres Zuwanderungsrecht. So lehnt sie aber auch den jüngsten Beschluss des CDU-Parteitags zur Beschränkung ausländischer Investoren ausdrücklich ab. Es tut (mir mindestens) gut, derartige vernünftige Stimmen in aufgeregten Wahlkampfzeiten, wo viele wild durcheinander gestikulieren und aufeinander einschlagen, zur Kenntnis zu nehmen.

Lesen Sie nachstehend Auszüge aus dem Leitartikel des Economist im Original. Ich halte ihn nach Inhalt, Stil und sprachlicher Gestalt für vorbildlich.

Jan 3rd 2008
From The Economist print edition

Keep the borders open!

The backlash against immigrants in the rich world is a threat to prosperity everywhere

ITALIANS blame gypsies from Romania for a spate of crime. British politicians of all stripes promise to curb the rapid immigration of recent years. Voters in France, Switzerland and Denmark last year rewarded politicians who promised to keep out strangers. In America, too, huddled masses are less welcome as many presidential candidates promise to fence off Mexico. And around the rich world, immigration has been rising to the top of voters‘ lists of concerns—which, for those who believe that migration greatly benefits both recipient and donor countries, is a worry in itself.

As our special report this week argues, immigration takes many forms. […]

History has shown that immigration encourages prosperity. Tens of millions of Europeans who made it to the New World in the 19th and 20th centuries improved their lot, just as the near 40m foreign-born are doing in America today. […] Letting in migrants does vastly more good for the world’s poor than stuffing any number of notes into Oxfam tins.

The movement of people also helps the rich world. Prosperous countries with greying workforces rely ever more on young foreigners. Indeed, advanced economies compete vigorously for outsiders‘ skills. […] It is no coincidence that countries that welcome immigrants—such as Sweden, Ireland, America and Britain—have better economic records than those that shun them.

Face the fears

Given all these gains, why the backlash? Partly because politicians prefer to pander to xenophobic fears than to explain immigration’s benefits. But not all fear of foreigners is irrational. Voters have genuine concerns. Large numbers of incomers may be unsettling; economic gloom makes natives fear for their jobs; sharp disparities of income across borders threaten rich countries with floods of foreigners; outsiders who look and sound notably different from their hosts may find it hard to integrate. To keep borders open, such fears have to be acknowledged and dealt with, not swept under the carpet.

[…]
Politicians in rich countries should also be honest about, and quicker to raise spending to deal with, the strains that immigrants place on public services.

It is not all about money, however. As the London Tube bombers and Paris’s burning banlieues have shown, the social integration of new arrivals is also crucial. The advent of Islamist terrorism has sharpened old fears that incoming foreigners may fail to adopt the basic values of the host country. Tackling this threat will never be simple. But nor would blocking migration do much to stop the dedicated terrorist. Better to seek ways to isolate the extremist fringe, by making a greater effort to inculcate common values of citizenship where these are lacking, and through a flexible labour market to provide the disaffected with rewarding jobs.

Above all, perspective is needed. The vast population movements of the past four decades have not brought the social strife the scaremongers predicted. On the contrary, they have offered a better life for millions of migrants and enriched the receiving countries both culturally and materially. But to preserve these great benefits in the future, politicians need the courage not only to speak up against the populist tide in favour of the gains immigration can bring, but also to deal honestly with the problems it can sometimes cause.

 Posted by at 13:32