Zum 1. Mai erinnere ich an den grandiosen Spruch meiner Mit-Europäerinnen und Mit-Europäer aus düsterster Stunde von den Britischen Inseln: „Keep calm and carry on.“ Ruhe bewahren, weitermachen. Lasst euch nicht beirren. Tut das, was richtig ist. Ehrt und achtet die menschliche Arbeit, vor allem die viel zu wenig gewürdigte unbezahlte Haus- und Erziehungsarbeit der Mütter und doch bitte recht schön auch einiger (vieler? der meisten?) Väter, der Helferinnen und Helfer, der Ehrenamtlichen, die unterbezahlte Arbeit der Altenpflegerinnen und Altenpfleger, der Krankenpfleger und Krankenschwestern, der Erzieherinnen und Erzieher. Es ist diese Arbeit der Menschen, die in Tun und Handeln übersetzte Selbst- und Nächstenliebe der Menschen untereinander, die unsere Gesellschaft zusammenhält. Nicht das mächtige GELD. Nicht das gewaltige SCHWERT, nicht der STAAT, sondern das gute, gelingende WORT, die gute redliche TAT des Menschen für den MENSCHEN.
– „Eltern bringen ihren Kindern systematischen Regelverstoß bei! Es ist abenteuerlich, was man unter Berliner Radfahrern sieht!“
.- „Die Eltern sind aber auch nicht besser als die Kinderlosen!“
– „Die Radfahrer sind aber viel schlimmer als wir Autofahrer!“
– „Die Autofahrer sind aber viel schlimmer als wir Radfahrer!“
So fasse ich die mannigfachen Reaktionen auf den letzten Beitrag zum Thema „Für mich!“ zusammen.
Und somit Guten Morgen!
Ich meine: Echt cool wäre es, wenn Radfahrer, Autofahrer und andere Akteure zusammen etwas gegen die Missachtung der Verkehrsregeln und gegen die mitunter haarsträubenden Rücksichtslosigkeiten der Verkehrsteilnehmer täten – Autofahrer und Radfahrer nehmen sich da leider gegenseitig nichts weg, mindestens in Städten mit vergleichsweise nicht ganz schlechter Rad-Infrastruktur wie Berlin, Bonn oder Münster. So habe ich auf tausenden von Radkilometern in den letzten beiden Jahren nur einen einzigen Unfall erlebt: Ein Radfahrer fuhr mir an der roten Ampel volle Kanne in die Gepäcktasche (von mir wiederholt fälschlich als „Satteltasche“ bezeichnet), da ich im Gegensatz zu allen anderen ach so lieben Mit-Radfahrern bei Rotlicht am Fußgängerüberweg Warschauer Brücke anhielt. Man höre und staune: Ein einziger Radfahrer von etwa 20 Radfahrern, der bei regem Fußgängerverkehr an dieser Stelle die rote Ampel beachtete! Und das ist beileibe kein Einzelfall, sondern leider bezeichnend für Berlins Radverkehr.
Die massiven Regelverletzungen einer sehr hohen Zahl von Radfahrern keksen mich an. Wir als Radfahrer verlieren Verbündete in Politik und Gesellschaft, wenn wir das leugnen und in Abrede stellen, was alle anderen außer uns mit Händen greifen können.
Dasselbe sagt ja auch in weitaus gepflegteren Worten Jürgen Trittin aus der zugegebenermaßen privilegierten Sicht der Fahrbereitschaft des Deutschen Bundestages in seinem höchst lesenswerten Interview mit der Berliner Zeitung vom Wochenende: Viele Radfahrer und viele Autofahrer bringen sich selbst und andere durch eklatantes Fehlverhalten in Gefahr. Am eigenen Verhalten können und sollen wir Radfahrer viel mehr arbeiten!
Ich meine: Hier bedarf es eines deutlich differenzierteren Ansatzes. Es reicht nicht aus, immer nur den schwarzen Peter Ramsauer oder den grünen Jürgen Trittin weiterzuschieben. Man muss schon auch vor der eigenen Tür kehren.
Gelassen und freundlich läuft es besser. Allzeit freundliches Fahren wünscht
der arme Kreuzberger Blogger
Fahrrad und Füße statt Auto, oder: Ist Armut das größte aller Übel?
Feurio, Feurio, unser Wohlstand steht auf dem Spiel!
Zerstochen von den Fliegen des Finanzmarktes, suche ich Zuflucht in den Quellen des europäischen Denkens, das nirgend uns so würdig brennt als in den griechischen Schriften des Altertums! Es gibt ja heute mehr als einen Grund, wieder Griechisch zu lernen. Ja, ach möge doch in Europa wieder mehr Griechisch gelernt werden! Es war jahrhundertelang eine lingua franca des gesamten Mittelmeerraumes. In griechischer Sprache entstand das, was den Geist Europas bis heute prägt.
Kinderarmut, Altersarmut, Bildungsarmut der Übel größtes scheint heute die Armut zu sein.
Doch ich widerspreche: Es ist mehr die Angst vor der Armut, die uns in der Europäischen Union lähmt. Eine gewisse Armut gibt es innerhalb der EU nur noch in wenigen Gegenden Bulgariens und Rumäniens. Aber auch diese wird schon bald der Vergangenheit angehören.
Ich behaupte: der größten Übel eines ist nicht die Armut, sondern die Angst vor Armut.
Umgekehrt gilt vielfach staatliche Mehrung und staatliche Umverteilung des stattlichen Wohlstandes, Sicherung des Geldwertes auf Kosten der nachfolgenden Generationen als die entscheidende Triebkraft der staatlich gesteuerten, von oben herab lenkenden Politik, ja als der Sinn von politischer Lenkung überhaupt.
Μακάριοι οἱ πτωχοὶ τῷ πνεύματι, ὅτι αὐτῶν ἐστιν ἡ βασιλεία τῶν οὐρανῶν.
Ganz anders klingt die reiche orientalische und europäische Tradition der gesuchten und gepriesenen Armut: Sælic sind die armen des geistes, wan daz himelrîche ist ir. So fand ich es übersetzt in einem vor drei Jahren erschienenen brandaktuellen Buch.
„Ein ûzwendigiu armuot, und diu ist guot und ist sêre ze prîsenne an dem menschen, der ez mit willen tuot.“
Meister Eckart ist einer der größten europäischen Sprachpfleger: schöpfend aus der Antike, übersetzend, predigend, anverwandelnd. Vor allem hat er seine deutsche Muttersprache als gleichwertig mit den heiligen Sprachen des Altertums zu beleben gesucht.
Sollte die europäische Politik sich offen wie der von mir so hoch geschätzte Meister Eckart zum erzieherischen Wert der Wohlstandminderung bekennen, statt wie bisher ihren vornehmsten Sinn in der Hebung und Sicherung des Wohlstandes dank defizitfinanzierter Geldgeschenke zu sehen?
Freiwillige Wohlstandsminderung? Treppensteigen statt Aufzug? Fahrrad statt Auto? Müssen wir uns nicht etwas ärmer, etwas ehrlicher, etwas redlicher machen als wir eigentlich sind? Was sagen die Gelehrten, Doktoren und Professoren dazu?
„Nutzen Sie jede Gelegenheit zur Bewegung, das heißt Treppe statt Aufzug, Fahrrad statt Auto.“
Genau dieses Beispiel der freiwilligen Armut verlangt heute von uns Prof. Dr. med. Dr. med. habil . H. Michael Mayer, Orthopäde, Mitglied des Medizinischen Beirates der Versicherungskammer Bayern, Wirbelsäulenzentrum Orthopädische Klinik München-Harlaching
Zitatnachweise:
Meister Eckart. Predigt über Beati pauperes spiritu (P 52), in: Meister Eckart. Werke I. Texte und Übersetzungen von Josef Quint. Herausgegeben und kommentiert von Niklaus Largier. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 2008, S. 550
H. Michael Meyer: Fahrrad und Füße statt Auto, in: gesundheit aktuell. Der Gesundheitsratgeber der Versicherungskammer Bayern. Ausgabe 4/2011, S. 15
Als Berlins größtes politisches Problem benennt die BILD-Zeitung die BILDUNG.
Unter dem Motto BILD DIR DEINE MEINUNG besuchte ich gestern und heute Tage der Offenen Tür an Berliner Schulen in freier Trägerschaft. Denn Schulen in freier Trägerschaft sind offensichtlich ein wichtiger Weg, um aus der gegenwärtigen Misere der senatsgeführten Schulen herauszukommen.
Gestern besuchte ich den Tag der Offenen Tür an der privaten deutsch-russischen Lomonossow-Grundschule.
Eine russische Mutter erhob sich in der Aussprache, nahm das Wort und führte aus, weshalb sie ihr Kind nach zwei Jahren von den staatlichen Schulen Berlins weggezogen habe. Mit schneidender Schärfe führte sie in russischer Sprache – unter dem beifälligen Kopfnicken aller Anwesenden – die Hauptargumente gegen die staatlichen Grundschulen Berlins aus. Ich weiß, dass viele Eltern in Gesprächen genau dieselben Beschwerden vorbringen, und gebe deshalb die folgenden Ausführungen mit Zustimmung Irina Potapenkos wider:
1) Es fehlt in Berlins staatlichen Grundschulen ein erkennbares Programm. Es ist für die Eltern nicht ersichtlich, womit sich die Kinder den lieben langen Tag beschäftigen. Den Kindern selbst ist es auch oft nicht ersichtlich.
2) Es fehlt ein inhaltlicher Kanon an Werten, Grundhaltungen und Tugenden. Den Kindern werden keine persönlichen Vorbilder vermittelt, sondern beliebige Angebote gemacht.
3) Einfache Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben, Rechnen, Singen und Malen werden in den ersten Grundschuljahren nicht ausreichend vermittelt. Die Kinder können beispielsweise am Ende der ersten zwei Grundschuljahre nicht das, was die Kinder in den Herkunftsländern nach zwei Jahren konnten: einfache Texte lesen, einfache Texte schreiben.
4) Die Kinder werden als Experimentierobjekte für pädagogische Neuerungen missbraucht. Dazu gehören das jahrgangsgemischte Lernen, das „Schreiben nach Gehör“, die Ganzwortmethode usw., die Verwischung der Rollendistanz zwischen Schüler und Lehrer, die Testeritis mit VERA usw.
5) Umgekehrt wird alles Bewährte über Bord geworfen. Die Kinder werden in einen kulturell leeren Raum hineinerzogen. Der vorherrschende Kulturrelativismus führt zu einer völligen Entkernung der deutschen Bildung, weshalb die Stärkung der Herkunftsidentität als Ausweg gesucht wird. „Wenn schon die Deutschen nichts von ihrer klassischen Kultur und von sich erwarten, dann erziehen wir die Kinder eben nach türkischen, russischen, französischen, islamischen … Methoden und Werten.“
6) Je länger die Zuwanderer unter dem Berliner Schulsystem leiden, desto stärker klammern sie sich an der Herkunft fest.
7) Es fehlt an der Autorität des Lehrers. Die Kinder werden zuviel sich selbst überlassen. Die Disziplinprobleme überschreiten das erträgliche Maß.
8) Es fehlt an Leistungsanreizen. Die Abschaffung der Noten in den ersten Grundschuljahren bedeutet Laissez-faire ohne Ende, die Kinder werden nicht gefordert. Ihnen wird nichts zugetraut.
9) Es fehlt an Büchern, die durchgearbeitet werden. Deshalb fehlt es auch an Systematik. Der Lernfortschritt erfolgt zufällig. Kinder und Eltern haben oft das Gefühl, „sich im Kreis zu drehen“.
Die vorstehend angeführten Meinungen scheinen mir bei den allermeisten Eltern der Kinder mit Migrationshintergrund, die Berliner staatliche Grundschulen besucht haben und sich enttäuscht abwenden, vorzuherrschen.
Mangelnde materielle Ausstattung, fehlende Verbeamtung, „marode Turnhallen“, zu große Klassen usw., all die wortreichen Jeremiaden, mit denen die Deutschen und die deutschen Politiker über die staatlichen Schulen ablästern und herfallen, spielen in den Klagen der Eltern mit Migrationshintergrund erstaunlicherweise keine Rolle.
Es befremdet mich immer wieder, dass die Berliner Eltern mit Migrationshintergrund in der bildungspolitischen Debatte nicht erfasst werden. Wer das große Wort führt, das sind die Deutschen und die wohlbesoldeten Standesvertreter der großen deutschen Lobbyverbände, die im wesentlichen ihre eigenen Klientel-Interessen verfolgen, egal ob sie nun GEW, TBB oder sonst irgendwie heißen.
Meinungsforschungsinstitute! Politiker! Ihr könntet ruhig einmal diese 9 oben aufgestellten Thesen der russischen Mutter einer Umfrage bei Eltern mit Migrationshintergund unterziehen. Die Frage müsste lauten: „Inwieweit stimmen Sie diesen Aussagen zu?“ Das Ergebnis wäre sicher überraschend.
Auf die neue Bildungssenatorin wartet jede Menge Arbeit!
Was tun? Zunächst gilt: Schulen in freier Trägerschaft wie etwa die deutsch-russische Lomonossow-Schule, Schulen in kirchlicher Trägerschaft bieten nach Ansicht der Eltern einen echten Ausweg aus dem beschriebenen Dilemma.
Darüber werden wir in den nächsten Beiträgen dieses Blogs berichten.
Wir sagen schon mal danke
Wir sagen schon mal danke.
Wichtige Einsichten der SPIEGEL-Autoren: die Entkopplung von Lernen und materiellen Ressourcen. „Lernen kann man fast überall (S. 74).“ Die Lernkultur des deutschen Südens entsprang aus fortgesetzter Armut, aus der daraus entspringenden Tüchtigkeit, aus dem Fleiß, dem Zusammenhalt der Familien, aus dem Zwang zu sparen, aus der Notwendigkeit, sei „G’raffel“ oder „G’lump“ zusammenzuhalten.
Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Rheinland-Pfalz sind die Bildungssieger, wie der aktuelle SPIEGEL auf S. 71 berichtet. „Bayern und Baden-Württemberg, die Seriensieger in Bildungsvergleichen, schneiden insgesamt hervorragend ab“ (SPIEGEL Nr. 47, 21.11.2011, S. 72).
Woran mag das liegen? Sicher nicht am Geld, auch nicht an der Bildungsinfrastruktur, denn auch mit mehr Geld und besserer Bildungsinfrastruktur schaffen es andere Bundesländer nicht, die beiden Südstaaten einzuholen. Liegt es an der jahrzehntelangen CDU/CSU-Herrschaft in den vier genannten Südstaaten? Oder wählen erfolgreiche Bundesländer CDU/CSU?
Nein, das wäre zu grob vereinfachend. Daran mag aber soviel richtig sein, dass Bildungslandschaften Jahrzehnte und Jahrhunderte brauchen, um einen hohen Stand zu erreichen. Die historisch-geographische Lage ist sicherlich ein Schlüssel für das Verständnis der Süd-Nord-Spaltung der Bildungsrepublik Deutschland.
Denn die genannten vier Bundesländer verbindet, wie ein Blick in jeden Geschichtsatlas lehrt, eines: Sie haben eine jahrhundertelange Tradition der kleinräumigen Eigenständigkeit, sie sind gekennzeichnet durch ein dichtes Netz an konfessionell, kommunal und regional getragenen „Pflanzstätten der Bildung“. Ein typisches Beispiel dafür ist das berühmte Tübinger Stift, aus dem Schelling, Hölderlin und Hegel hervorgingen. Die zahlreichen städtischen Volksschulen Bayerns mit ihrem täglichen gemeinsamen Singen von Schülern und Lehrern sind ebenfalls ein Faktor, der den überragenden Erfolg des bayerischen Schulwesens zu erklären vermag.
Die vier Bildungssieger widersetzten sich stets dem Gedanken eines starken deutschen Zentralstaates. Sie sind die „Abweichler“ vom starken Zentralstaat, die sich übrigens auch dadurch auszeichneten, dass in ihnen vor 1933 die extrem zentralistische NSDAP nie so stark war wie in den nördlichen und östlichen Teilen des Deutschen Reiches.
Die südlichen Königreiche Bayern (mit Rheinkreis) und Württemberg, das Großherzogtum Baden, das Königreich Sachsen bildeten mehr oder minder vollständig jenes eine Drittel des Deutschen Reiches, das vor 1871 nicht zum Königreich Preußen gehört hatte! Die nördlichen Bundesländer hingegen, die zum stark zentralisierten Preußen gehörten, bilden ausweislich des aktuellen SPIEGEL die untere Häfte des Bertelsmann-Bildungsatlanten. Die stark regional, kommunal und kirchlich geprägten südlichen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg, in geringerem Umfang auch Sachsen segeln seit Jahrzehnten mit vollen Segeln den anderen Bundesländern voran.
Die Verantwortung weg vom Zentralstaat auf die jeweils niedrigste Ebene zu verlagern oder auf ihr zu halten, das ist der Kerngedanke der Subsidiarität.
Der druckfrische SPIEGEL feiert einen großartigen Sieg für die Subsidiarität, er liefert ein klares Votum gegen den Zentralismus in der Bildungspolitik.
SPIEGEL ONLINE Forum – Braucht der Bund mehr Kompetenz in der Bildungspolitik?
Augsburg verstehen
Die Vaterstadt, heut find ich sie wieder! Den größten Teil meiner Jugend wohnten wir im Augsburger Stadtteil Hochzoll-Nord. Gut! In der Tat: Auf meine Augsburger Herkunft bin ich stolz wie auf Bert Brecht und Leopold Mozart, auf Rudolf Diesel und Jakob Fugger. Stolz? Ist Stolz ein schwieriges Wort? Nein. Stolz heißt, dass ich weiß und hochschätze, was in Augsburg an Gutem geschieht und was die Stadt mir an Gutem geschenkt hat! Heute bringt die Süddeutsche Zeitung unter dem Titel „Von wegen Restschule“ auf ihrer Seite 6 eine gedruckte Lobeshymne auf meinen alten Heimatbezirk Augsburg-Hochzoll. Ich kenne alle genannten Schul- und Ortsnamen persönlich, wohnte einen Steinwurf von der Werner-von-Siemens-Grundschule entfernt. Und in den Lobpreis all der Schulrektoren, Bäckermeister, Lehrlinge und ehrenamtlichen Mentoren, von denen ich in Augsburg Hunderte und Aberhunderte erlebt habe, kann ich nur einstimmen, getreu jenen lärmend-unartigen Ghettokids aus dem Faust, die da grölen:
Mein Augsburg lob‘ ich mir!
Es ist ein klein Berlin und bildet seine Leute …
Wahrhaftig: Augsburg bildet seine Kinder, einerlei ob sie nun Fethulla, Serkan, Ivan oder Resa heißen. Darin kommen alle Beobachter überein, die einen Vergleich zwischen anderen Städten und Augsburg anstellen können. Ich traf beispielsweise bei der Wahlkampfveranstaltung Klaus Wowereits am Kreuzberger Mehringplatz am 26.08.2011 einen Augsburger Berufsschullehrer, einen erklärten SPD-Unterstützer, mit dem ich sofort ins Gespräch kam und der mir alle diese Dinge, die ich heute in diesem Post schreibe, mehr oder minder ins Blog einflüstert. Unser heutiges Bild zeigt einen Schnappschuss von jener Veranstaltung.
Ein ganz entscheidender Standortvorteil in Augsburg sind aus der Sicht der Jugendlichen vor allem die vielen, vielen tüchtigen und ehrlichen Lehrer und Meister, die vielen Leiter der kleinen und mittelgroßen Ausbildungsbetriebe. Zwei von ihnen werden durch den Journalisten Johann Osel vorgestellt: Gerhard Steiner, Rektor der Hochzoller Werner-von-Siemens-Mittelschule, und Hansjörg Knoll, Bäckermeister, der in der Schulküche bäckt. Die enge Verzahnung von Hauptschule und Handwerksbetrieben hilft dabei, dass jedes Kind das beste persönliche Potenzial entfalten kann. Und so kommt es, dass ein Schüler namens Serkan oder Josef an bayerischen Hauptschulen nachweislich mindestens ebenso gut oder sogar besser abschneidet, besser bäckt und schreibt, rechnet und redet, mehr beruflichen und persönlichen Erfolg hat als ein Gymnasiast namens Serkan oder Joseph an Gymnasien anderer Städte. Noch einmal: Klare, fleißige, „kantige“ redliche männliche Vorbilder wie etwa Gerhard Steiner und Hansjörg Knoll habe ich damals als Jugendlicher zu Hunderten in Augsburg erlebt.
Noch etwas: Es wird von den Meistern und Bäckern kein geziertes Hochdeutsch, sondern gepflegtes Schwäbisch geschwätzt. Na und? Dem Teig tut’s nicht weh.
Gute, ausführliche Debattte gestern in der Wirtschaft Stresemann! Thema des Vortrags von Björn Funk vom Hauptverband der Papier- und Kunststoffverarbeitung waren die Situation auf dem beruflichen Ausbildungsmarkt zum 30. September, das duale Bildungswesen, die „Bildungsrepublik Deutschland“. Die neuesten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit werden vorgelegt und besprochen. Ich habe viel gelernt. Auszubildende, Fachkräfte und Facharbeiter werden überall gesucht, es beginnt in Deutschland ein Arbeitskräftemangel einzuziehen. Die berufliche Bildung ist das Trumpf-As der deutschen Wirtschaft. Die deutschen Unternehmen beginnen in anderen Ländern nach Zuwanderern für Ausbildung und für ihren steigenden Fachkräftebedarf zu suchen. Auch zum Thema Mindestlohn wurde diskutiert. Einhellige Meinung: Der Mindestlohn wird keine Auszubildenden und keine Fachkräfte herbeizaubern, eher im Gegenteil. In Spanien haben sie einen Mindestlohn und fast 50% der Jugendlichen sind arbeitslos.
Sprechen wir weniger über Pläne und Lernziele, über Systeme und Curricula, über Integrationshindernisse und Integationsverweigerung!
Sprechen wir über Vorbilder!
„Meine Mutter war mein Vorbild, sie hat mir gezeigt, dass man sich nie hängenlassen darf“, sagt der Tempelhofer Klaus Wowereit, dem wir nicht zur Wiederwahl ins Abgeordnetenhaus gratulieren können. „Mein Lehrer Türk war ein richtiges Vorbild …“, sagt der Kreuzberger Özcan Mutlu, dem wir zur Wiederwahl ins Abgeordnetenhaus gratulieren.
In Familie und Schule scheint nichts so wichtig zu sein wie das persönliche Vorbild.
Erziehung ist Beziehung! Wir haben es geahnt.
Ich meine darüber hinaus: kulturelle Vorbilder können genau so wichtig werden wie persönlich erlebte Vorbilder, je älter die Kinder werden. Vom Drachentöter Siegfried, Dornröschen, Fanny Hensel, dem einen, der auszog, um das Fürchten zu lernen, über Odysseus, die heilige Hildegard von Bingen, Achilles, Jesus von Nazareth, Sokrates von Athen, die heilige Elisabeth von Thüringen, Parzival bis hin zu Harry Potter: Kinder brauchen klare, greifbare Menschen, an denen sie sich abarbeiten können.
Kulturelle Vorbilder sind Leitbilder, an denen sich Gesellschaften über Jahrzehnte und Jahrhunderte hin orientieren können.
Dass unsere Kinder aus dem reichen Schatz europäischer und deutscher Vorbilder in Familie und Schule, in Medienwelt und Alltag fast nichts mehr erfahren, ist ein unverzeihliches, ein fast nicht gutzumachendes „Integrationshindernis“.
Erstaunlich ist es nicht, dass ausgerechnet eine ehemalige Erzieherin, die englische Autorin J.K.Rowling, mit einer Romanserie zum Thema „An Vorbildern reifen“ so riesigen Erfolg weltweit hatte: Harry Potter. Es zeigt nur zum tausendsten Mal, dass Kinder hungrig nach Vorbildern sind.
Karriere eines Gastarbeiterkindes: Der Türke und Herr Türk – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik
„Türk war ein richtiges Vorbild, er war nicht autoritär und trotzdem streng, wenn es darauf ankam. Und das Wichtigste: Er hatte immer eine Linie, ein Konzept.“
Brauchen wir mehr Meister Eckart oder mehr Hirnforschung in der Pädagogik?
Recht treffend fand ich die Einwände, die Bildungsministerin Schavan vor wenigen Tagen im Konrad-Adenauer-Haus gegenüber den bildungspolitischen Grundsatzdebatten in die Runde warf. Sie sagte nämlich,
– es gebe viel zu wenig Debatten über Sinn und Inhalt von Bildung
– dabei hätten wir in Deutschland seit Meister Eckart eine reiche Tradition des Bildungsdenkens
– wir müssten und sollten also auch über den Kanon und Kanonbildung nachdenken.
Alle drei Einwände treffen meines Erachtens noch weit stärker zu, als eine aktive Politikerin dies aussprechen darf. In dem ganzen Gerede und Gestreite über Strukturen, Curricula, Quantensprünge der Didaktik, „gehirngerechtes Lernen“ ist in der Tat fast völlig aus dem Blick geraten, wohin wir die Kinder „ziehen“ oder erziehen wollen.
Es fehlt ein Leitbild der Erziehung. Es ist durch normgerechte „Kompetenzen“ ersetzt.
Es fehlt in Deutschland ein Kanon. Deshalb wachsen viele Kinder in der kulturellen Steppe auf. Gerade bei uns in Kreuzberg ist dieses kulturelle Niemandsland mit Händen greifbar.
Die reiche, prägende, vorbildhaft weisende Tradition des europäischen Bildungsdenkens seit den Tagen eines homerischen Achilles, eines Odysseus, eines platonischen Sokrates, eines Jesus Christus, eines Cicero droht verlorenzugehen. Diese kulturellen Tragwerke Europas drohen vergessen zu werden. Die Wüste wächst!
Das unübertroffene Muster und Urbild eines ganzheitlichen, alle Sinne, alle Fähigkeiten, alle Kräfte des Kindes ansprechenden Liedes ist vielleicht „Wer will fleißige Handwerker sehn, der muss zu uns Kindern gehn.“
Ich selbst singe und spiele es gerne in Kitas und Schulen. Ist es noch aktuell? Ich denke schon. Es ist sogar aktueller denn je! Grundschullehrer und Bildungsforscher beklagen seit Jahren den deutlichen Verfall der Körper-Koordination, der Körperbewusstheit, des Raumgefühls unserer Kinder. Jetzt kommt noch erschwerend hinzu, dass viele Kinder etwa in Kreuzberg in all den zehntausenden von Stunden, in all den 15 Jahren, die sie bis zum Abitur in Kreuzberger Kitas und Schulen verbringen, kein brauchbares Deutsch lernen. Und singen lernen sie auch nicht mehr.
Und die Handwerke? Nehmen wir die hier besungenen Gewerke Maurer, Glaser, Maler, Tischler, Schuster, Schneider, Bäcker. Diese Berufe bestehen heute – im Gegensatz zum Müller – noch als Lehrberufe. Sie haben sich verändert, aber die im Lied besungenen Grundfertigkeiten werden heute noch verlangt!
„Fleiß“, wie bei „fleißige“ Handwerker: Diese Grundtugend ist zwar heute recht gering angesehen, dennoch kann keine Gesellschaft auf Arbeitsamkeit, Leistungsbereitschaft und Bereitschaft zum Ertragen von Unlust verzichten. Bei uns in Berlin fehlt es am Fleiß gewaltig, man chillt lieber auf dem Trottoir bei einer Wasserpfeife, hängt herum, zischt sich ein Bierchen rein und geht zur Abwechslung zur Demo für kleinere Klassen, mehr Lehrer, bessere Schulen und geringere Arbeitszeiten. Dennoch vertrete ich die Ansicht, dass man Fleiß von Kindern einfordern und belohnen sollte. Die Türkei verlangt sogar jeden Morgen ein klares Bekenntnis zu Ehrlichkeit und Fleiß von ihren Kindern („Türküm, doğruyum, çalışkanım“), sodass gegen das Gebot des Fleißes und der Ehrlichkeit kein Einspruch von Seiten der selbsternannten Schutzmacht und Nebenregierung unserer türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu gewärtigen ist.
Gegen mehr Lehrer habe ich auch nichts, im Gegenteil, nur sind sie derzeit für Geld und gute Worte nicht zu haben.
Das Mauern „Stein auf Stein“, also insbesondere in Ziegelmauerwerk, hat eine prachtvolle Renaissance erfahren! Es gibt bautechnisch kaum etwas Nachhaltigeres als die gemauerte Wand! Die überdauert mindestens 300-400 Jahre, während Beton häufig schon nach 30 oder 40 Jahren sichtbar „altert“ und Qualität einbüßt!
Der Glaserberuf hat ebenfalls kräftig an Bedeutung zugelegt. Glas wird immer vielfältiger verwendet, großflächig verglaste Fassaden spielen eine entscheidende Rolle beim ökologisch sinnvollen Bauen. Mit neuartigen Klebstoffen eingeklebte Scheiben sind aus Hochgeschwindigkeitszügen und aus PKW nicht wegzudenken.
Der Beruf des Malers und Lackierers steht ebenfalls voll im Saft. Gebäudesanierung, Gebäudeerhaltung, Neubau, energetische Sanierung, Fahrzeugbau – die Einsatzbereiche der sich ständig weiterentwickelnden Arbeitsfelder des Malers und Lackierers sind vielfältig und verlangen eine gründliche Ausbildung.
Die im Liede besungenen Fertigkeiten, nämlich das Schichten, das Hämmern, das Pochen, Heben, Kleben, Rühren, Hobeln und Feilen sind derart grundlegend, dass sie in vielen Lebensbereichen und Berufen nützlich werden können.
Kurzum:
Das Lied „Wer will fleißige Handwerker sehn“ verdient es, wieder in den Kitas und Grundschulen gelernt und gespielt zu werden. Es ist ein immergrüner Klassiker.
„Üb immer Treu und Redlichkeit!“, oder: Europa gelingt gemeinsam
Sehr gute, hochklassige Debatte im Bundestag zu Euro-Abstimmung! Gut, dass auch die Abweichler reden durften. Gut aber auch, dass die führenden Unionspolitiker seit Tagen die Tonlage heruntergenommen haben! Die deutschen Unternehmen haben volle Auftragsbücher, die Griechen, Väter und Mütter der europäischen Ratio, sind doch überwiegend vernünftige Menschen.
„Wir schaffen das, wir packen das, wir steuern das.“ Das muss die Grundlinie sein.
Die Finanzpolitik muss in die Vorhand gehen, darf sich nicht so viel von den Medien und den Finanzmärkten treiben lassen.
Erneut ist zu sehen: die Menschen – und auch Politiker sind Menschen – verlangen Redlichkeit und Beständigkeit, Sparsamkeit und Anstand.
Im Extrem führt dies dazu, dass Prinzipien mehr zählen als Resultate politischen Handelns. Und das wäre gefährlich. Denn was zuletzt zählt, sind die Ergebnisse. Hat das politische Handeln eine Verbesserung bewirkt oder nicht? Gute Absichten allein reichen nicht aus.