Jan. 302011
 

Wie so viele anderen sozialen Probleme, so deute ich auch die Gewalttaten, die Sachbeschädigungen und Körperverletzungen der Autonomen als Ausfluss einer verhängnisvollen Bündelung von materieller Überversorgung und ideellem Peilungsverlust in unserer ökonomisch übersättigten, moralisch ausgehungerten bürgerlichen Jugend.

Schaut euch das Video an:

YouTube – Liebig14 verteidigen

Ihr seht und hört einen sympathischen jungen Mann, der ein recht beachtliches Bratschensolo hinlegt, dazu mannhaft-markige Sprüche von sich gibt, die in dem Schlusswort gipfeln: „Stürzen wir Berlin ins Chaos!“

Wer so gut und mit sehr guter Bogentechnik – bei gewissen Schwankungen in der Intonation – Viola spielt, muss aus reichem Hause stammen! Das Erlernen eines Streichinstruments bis zu dem hier gezeigten Grad der Spielfertigkeit setzt einen finanziellen Hintergrund voraus, der nur in gut abgesicherten Elternhäusern vorstellbar ist. Das Instrument klingt gut – es ist keine Billigbratsche!

Auch die gepflegte Sprache und der leicht rebellische Gestus des jungen Chaoten verweisen eindeutig auf die Herkunft aus der bürgerlichen Mittelschicht – der nette junge Mann könnte etwa Sohn eines Gymnasiallehrers oder Arztes in Süddeutschland sein.

Die meisten Autonomen scheinen vor allem an ihrer eigenen Herkunft aus dem wohlsituierten Bürgertum zu leiden – wie Rosa Luxemburg, Che Guevara oder Friedrich Engels auch. Sie scheinen verstecken zu wollen, dass sie nie materielle Not gelitten haben, dass sie nie für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten brauchten.

Wie können sie diese Herkunft aus den reichen, übersättigten Wohlstandsfamilien am besten vergessen lassen? Einfach: Indem sie sich mit den hypothetischen Opfern einer hypothetisch unterstellten Verarmung solidarisieren. Da es keine echten Armen mehr gibt, bildet man sich den Popanz einer neuen, prospektiv gefühlten Armut heran: der Popanz der Gentrifizierung ist geboren!

Dadurch, dass die verlorenen Söhne des Bürgertums sich bewusst als arme Proletarier ausgeben – was sie objektiv nicht sind und niemals waren – überwinden sie den Makel ihrer privilegierten Abkunft. Mit den wirklich Armen dieser Erde haben sie nichts, gar nichts gemeinsam. An den wirklich Benachteiligten unserer Gesellschaft – etwa den migrantischen Kindern, den Beamten im unteren Polizeidienst, deren Gesundheit die Autonomen bedenkenlos gefährden – zeigen sie keinerlei Interesse.

Es sind letztlich verlorene Söhne wie die Kiffer, die halbwüchsigen Drogenkuriere, wie die Intensivtäter mit ihren tiefergelegten BMWs, wie die RAF auch. „Wir waren alle verrückt, wir waren nicht zurechnungsfähig“, diesen Satz des Autors Peter Schneider über sich und die 68er-Bewegung habe ich mir gemerkt. Peter Schneider hat recht.

Es geht ihnen, den verrückten Autonomen, letztlich darum, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft zu erringen, sich abzusetzen von  ihren bürgerlichen Elternhäusern, ihren Erlebnishunger zu stillen und durch den bewusst herbeigeführten Gesetzesbruch die Auseinandersetzung mit der nie erlebten und schmerzlich vermissten elterlichen Autorität zu beginnen. Der in Kauf genommene Schädelbruch eines Polizisten, die verletzte Kniescheibe eines Journalisten sind ihnen dabei egal.

Wie sollte der Staat reagieren? Das Falscheste, was überhaupt möglich ist, hat sicherlich jahrelang die Bezirksregierung Friedrichshain-Kreuzberg unter grüner Führung getan: Sie meinte, ein politisches Anliegen fördern zu müssen, das die Autonomen mit großem Geschick und unter Täuschung der Öffentlichkeit auf ihre Fahnen schrieben. Unsere Bezirksgrünen haben immer wieder die Hand hingereicht, haben das Bethanien geöffnet, nur damit die nimmersatten Hausbesetzer eine Bleibe finden konnten.

Die gütige, quasi-elterliche Autorität des Bezirksamtes ließ sich auf die eskalierenden Wünsche der verlorenen Söhne ein, statt ihnen eine Grenze zu setzen. Die feste Grenzsetzung wäre das einzig Richtige gewesen: „Bis hierher – und keinen Zentimeter weiter!“ „Räumung? Ja, aber sofort!“ Stattdessen lässt der Staat, hier mehr schlecht als recht gespielt durch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, mit sich Schlitten fahren. Ein Schaupiel, wie es gerade aus vaterlosen Familien mit tyrannischen Kindern bestens bekannt ist.

Genau so reagierte der Staat zunächst auch auf die Pöbeleien eines Andreas Baader mit beschwichtigenden Therapieversuchen.

Das mütterlich-fürsorgliche Entgegenkommen gegenüber den aufsässigen, verwöhnten Jungmännern ist der Kardinalfehler. Ein verheerender Fehler! Der weiche, der entgegenkommende Staat wird verachtet, wird – wie stets voraussagbar – selbst zum Gegenstand der Angriffe – etwa in Gestalt der Polizisten, etwa in Gestalt des Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksbürgermeisters. Mit beiden, sowohl mit den Polizisten wie auch mit dem Bezirksbürgermeister erklärt sich dieser Blogger hiermit solidarisch!

Die Geister, die sie – die Entgegenkommer und Kümmerer – riefen und heranpäppelten, werden sie nun nicht los!

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Nov. 122010
 

Ein Hauptproblem Berlins ist staatliche Überversorgung. Die Überversorgung mit staatlichen Leistungen behindert oder verhindert Integration, behindert den wirtschaftlichen Aufschwung, behindert räumliche und soziale Mobilität.

Beispiel: Fanny-Hensel-Kiez. Wenn der Staat nicht par ordre du Mufti Billigmieten erzwänge, wenn der Staat einige Wohnblöcke freigäbe, entstünde ein freies Spiel aus Angebot und Nachfrage. Die überall sehnlichst erwarteten selbstverdienenden Menschen mit Familien zögen in den Kiez, Kinder würden Väter erleben, die einer geregelten Arbeit nachgehen, das würde eine Vorbildwirkung entfachen, es käme zu einem Nachhol-Effekt, die Schule verlöre ihren unverdient schlechten Ruf.

Und was geschieht: Statt selbst etwas für ihr Glück zu tun, schreien die Menschen stets nach mehr Förderung, mehr Geld, mehr Fürsorge des Staates. Eine unfassbare, alle Grenzen sprengende soziale Immobilität hat sich – durch den Staat befördert – in Teilen Friedrichshain-Kreuzbergs breitgemacht und verhindert den Wandel.

Das gleiche gilt auch für den Strommarkt. Wir haben tendenziell mit sinkenden Strompreisen zu rechnen. Dank der AKW-Laufzeitenverlängerung wird der Großhandelspreis wohl eher zurückgehen. Der Strompreis wird künstlich hochgerechnet. Lest selbst:

AKW-Laufzeitverlängerung: Solar-Lobby trickst bei Verbraucherkosten – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Wirtschaft
Tatsache ist: Die AKW-Laufzeitverlängerung wurde vom Bundestag beschlossen und kann höchstens noch per Gerichtsurteil gestoppt werden. Bleibt aber die Produktion des billigen Atomstroms erhalten, dürfte der Großhandelspreis für Strom eher nicht steigen. Er könnte sogar sinken, da auch die Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie kräftig ausgebaut wird. Aktuell wächst das Stromangebot eher schneller als die Nachfrage. Das größte Problem ist keine Energieunterversorgung, sondern dass zeitweise zu viel Strom in die Netze gespeist wird.

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Ist fast jedes zweite Berliner Kind arm?

 Armut, Demographie, Familie, Kinder, Kinderarmut, Liebe, Sarrazin, Überversorgung, Verdummungen, Versöhnung  Kommentare deaktiviert für Ist fast jedes zweite Berliner Kind arm?
Sep. 152010
 

Aufsuchende Hilfe, Betreuung und Einführung in die elementaren Fertigkeiten der Kindererziehung und der Hauswirtschaft, persönliche Ansprache für jedes Kind, Sachhilfe statt direkter Zahlungen an die Eltern – das sind die Forderungen des Kinderschutzpräsidenten Heinz Hilgers. Bravo, Heinz Hilgers!

Das sind ebenfalls exakt die Forderungen, die Thilo Sarrazin im lesenswerten Bildungskapitel seines Buches erhebt. Bravo, Thilo Sarrazin! Heinz Hilgers und Thilo Sarrazin hauen in dieselbe Kerbe. Also vertragt euch und haut euch nicht. Seid brav.

Übrigens: Die Kinder sind nicht materiell arm, das ist blanker Unsinn. Es fehlt ihnen nicht an Geld, sondern an Erziehung, Zuwendung, Liebe. Ich weiß das, denn ich lebe mitten im sozialen Brennpunkt. Ich kenne doch meine Familien.

„Ich war noch nie am Kreuzberg.“ So klingt es bei uns. So erzählte es uns ein Kind, das wir einmal zu einem Spaziergang auf diesen zweithöchsten Berg der herrlichen Berliner Bergwelt einluden. Der Kreuzberg ist zu Fuß 1 km entfernt. Dafür braucht man weder Geld noch Bergsteigerausrüstung, um den Kreuzberg zu besteigen.

Wir haben amtlich eine der höchsten „Armutsquoten“ in Kreuzberg, selbst hier in Berlin. Und dennoch ist es nie und nimmer der Mangel an Geld, der diesen Kindern zusetzt! Die Eltern haben alle eine herausragend gute elektronische Ausstattung. Kinder brauchen keine Handys, sie brauchen Zahnbürsten.

Auch in der Zurückweisung des ewigen Geredes von „materieller Armut“  stimme ich Sarrazin zu. Wer von Kinderarmut redet, der sollte einmal nach Rumänien, Russland oder Elfenbeinküste fahren.

Es gibt keine nennenswerte Kinderarmut in Deutschland. Das Wort Kinderarmut ist irreführend und zweideutig. Wir haben zu wenige Kinder. In diesem Sinne herrscht Kinderarmut in Deutschland.

Bericht des Kinderschutzbunds: Fast jedes zweite Berliner Kind ist arm – Berlin – Tagesspiegel
„Jedes Kind braucht eine Chance und deshalb finde ich das Krisenszenario des Herrn Sarrazin verwerflich“, sagt der Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers. Als Bürgermeister von Dormagen zeigte er, dass man „die Eigenkräfte der Menschen wecken kann“, wie er es ausdrückt. Das „Dormagener Modell“ ist heute Inbegriff für eine erfolgreiche vorbeugende Betreuung oder besser gesagt: einer Begrüßung und Begleitung von Familien in Brennpunkten. Es funktioniert so: Jedes Kind wird nach der Geburt vom Bezirkssozialdienst besucht, ein „wertschätzenden“ Brief des Bürgermeisters wird überreicht und kleine Werbegeschenken mit Hintersinn: eine Babyzahnbürste etwa.

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Mai 152010
 

Auf etwa 50 Quadratmetern lebten in den 70er Jahren im Moskau der Sowjetunion etwa 1-2 Familien mit 5-8 Menschen zusammen. Das galt auch für Akademiker, Künstler, Ingenieure. Umzug, Wohnungswechsel gehörten zur Normalität. Niemand murrte darüber. Das Wichtigste war: Man lebte in der Hauptstadt. Dafür war man bereit, mit weniger Wohnraum auszukommen als ein Bauer in Taschkent.

Heute hat in Berlin ein Sozialmieter oft schon ein Drei- bis Vierfaches der gutverdienenden Moskowiter an Wohnraum zur Verfügung. Dies ist ein nachgereichter Beleg für die Überlegenheit der Westberliner Mischform aus  Kapitalismus und Klientelismus! Und was einmal so ist, muss auch immer so bleiben. Die Bau- und Wohnungswirtschaft, die politischen Parteien, die öffentliche Verwaltung und die Sozialstaatsklientel – sie alle lebten prächtig von den Steuermillionen, die die reiche Bundesrepublik aus dem Westen herüberscheffelte. Wenn wieder einmal 500.000 D-Mark fehlten, genügte oft schon ein Griff zum Telefonhörer und ein Gespräch mit dem zuständigen Abgeordneten.

Mir wurde das von Berliner Politikern etwa so berichtet: „Kannst du uns mal bitte einen Haushaltsposten für 550.000 D-Mark lockermachen? Ja? Danke, wir laden dich dann zu unserem nächsten Empfang ein.Tschühüß!“ Und die 50.000 D-Mark Überschuss? Die waren Verfügungsmasse, mit denen konnte man sich weitere Klientelgruppen heranzüchten. Hier ein Pöstchen, da ein Mandätchen.

So hat man in Berlin über die Jahrzehnte hin eine satte, üppige Versorgungslandschaft erblühen lassen. Samt passender Versorgungsmentalität und Verteilungs-Ideologie. Ein Schlamm. Ein richtiger Faulschlamm. Dieser Schlamm baute sich über Jahre und Jahrzehnte auf. Das Gute daran ist: Schlamm ist fruchtbar. Im Schlamm gedeihen Geschöpfe, die anderswo nicht überleben würden.

Dann kam 2001. Der Bankenskandal. Die riesige Chance!  Jetzt konnte man den Schlamm richtig ausräumen. Besser: Man hätte den Schlamm ausräumen können. Man konnte die Gatter öffnen, konnte die alte Westberliner Verteilungsmentalität hinausspülen. Die gesamte alte Westberliner Machtelite konnte nach vorne treten und sagen: „Ja, wir sind Teil dieses Systems gewesen. Ja, wir waren dabei. Ja, wir haben uns an dieser Stadt und am Haushalt dieser Stadt versündigt. Die Väter haben Trauben gegessen – und den Söhnen werden die Zähne stumpf! Wir wissen, dass an unseren politischen Sünden die Stadt noch jahrzehntelang zu leiden haben wird. Zum Zeichen der Umkehr ändern wir unsere Politik grundlegend. Wir haben uns versündigt.“

Das alles wäre damals möglich gewesen. Es kam anders, wie wir alle wissen. Teile der Berliner Parteien betreiben Politik weiterhin, als hätte es „2001“ nie gegeben. Die Erfahrungen des Jahres 2001 werden als singuläres traumatisches Ereignis abgetan. Als wäre dieser Skandal der einzige gewesen! Also eine Art Tabubruch, für den man keine Erklärung liefert und aus dem man keine Lehren zieht.

Es wird weiterhin munter Geld verteilt. Jede Partei findet einen eigenen Berechtigungsgrund für das Geldverteilen: Mal sind’s die Investoren, mal sind es die Sozialschwachen, mal die Mieter, mal die Vermieter, mal die Klimaschützer. Dann die Klimaschutzindustrie, dann die Elektro-Auto-Industrie. Dann die Sozialindustrie. Dann die Antifa-Industrie.

Ausnahme: Für Kindererziehung gibt es keine Industrie. Deshalb fehlen in Berlin Lehrer, fehlen Erzieher. Sie sind nicht ausgebildet worden. Ausgerechnet da, wo staatliches Geld am dringendsten benötigt wird, fehlt es – schlimmer noch: Es kann mangels Masse nicht ausgegeben werden. Lehrer und Kita-Erzieher kann man sich in Berlin nicht kaufen. Es gibt sie nicht mehr zu haben.

Man verteilt Geld um an seine Empfängergruppen. Teile aller Parteien machen das so bei uns im Bundesland Berlin, selbstverständlich auch der ehemaligen Alternativ-Partei, der heutigen Grünen. Jeder holt sich vom Staat ab, was er kriegen kann. Auf dass kein Wandel eintrete!

Gibt es Ausnahmen? Ja. Selbstverständlich. In allen Parteien gibt es Zeichen des Umdenkens. Umstiege, Ausstiege aus satten, faulmachenden Verteilungssystemen. Der jetzige Finanzsenator und auch sein Amtsvorgänger bemühen sich redlich, die alte Versorgungsmentalität zu brechen. Sie haben oder hatten es schwer. Was Sarrazin über Migranten vom Stapel gelassen hat, lag daneben. Aber als Fachpolitiker hat er sich kein X für ein U vormachen lassen. Absolut untypisch für Berlins Parteienlandschaft! Ein Fremdling, ein migrantisch-erratischer Block. Gleiches gilt für den jetzigen Amtsinhaber Nußbaum. Ebenfalls erratisch, von außen eingeflogen und obendrein parteilos. Dass stets migrantische Politiker zu Finanzsenatoren werden, lässt tief blicken. Es ist doch offenkundig, dass eine solide Haushaltspolitik von denen, die vor 2001 ihr politisches Handwerk in Bundesland Berlin erlernt haben, vorerst nicht unbedingt zu erwarten ist. Also müssen Migranten aus anderen Bundesländern ran.

Es beweist, dass das jahrzehntelang angezüchtete finanzpolitische  Versorgungsdenken in Berlins Parteien noch keineswegs überwunden ist.

Letzter Beleg: Das inständige Flehen um eine Wiedereinführung der staatlichen Mieterförderung im großen Stil. Es darf sich nichts ändern! Die alten Kartelle sollen über die Hintertür wieder entstehen. Es soll ja alles so bleiben, wie es immer war. Hauptargument neuerdings gegen das Umziehen: „Wir haben hier unser gewachsenes Umfeld.“ Und das gewachsene Umfeld, die herrlichen Sozialkieze, der Traum jedes Moskowiters,  – das alles muss der Staat hegen und pflegen.

Wie in den guten alten Zeiten vor 2001. Zurück ins alte West-Berlin!

Post für den Problemmieter – 15.05.2010 – Berliner Zeitung

Man verfolge schließlich dasselbe Ziel: „Wenn die Politik auf massiven Druck oder per Richterspruch die Förderung wieder einführt, hilft das ja auch uns Eigentümern.“ Mit der Erhöhung hat Fitzke seinem Problemmieter sogar ein Wohnungsangebot der Konkurrenz aus der Nachbarschaft mitgeschickt: „Die Wohnung dort wäre billiger, dafür sogar größer“, sagte er.

 Posted by at 12:34
Mai 072010
 

Woher kommt die Apathie, die Achtlosigkeit, die Schlurfigkeit, das Sich-Hängenlassen, die Faulheit, die Schlafmützigkeit?

Diese Frage lege ich nimmer wieder Sozialarbeitern, Erziehern,  Ärztinnen, Beratern und Lehrern vor.

Oft bekomme ich von diesen Fachkräften die Antwort: Es ist die Sozialhilfe, die das Engagement für das eigene Fortkommen, aber auch das gesellschaftliche Engagement  tötet. Der Staat hält die Menschen aus und es gibt keinen Anreiz, mindestens den Lebensunterhalt selbst zu verdienen.

Es ist ein Übermaß an Sicherheit. Die soziale Sicherheit führt zu einer maßlos übersteigerten Anspruchshaltung bereits von Kindesbeinen an.

Jeder kennt bei uns im Kiez Dutzende Beispiele  dafür.

Nur laut sagen darf man es nicht.

Ich meine: Sozialhilfe in der heutigen Form lähmt und tötet das Engagement. Sie macht häufig krank. Unsere berühmten Sozialkieze in Berlin sind ein Monument für die Richtigkeit dieser Aussage.

 Posted by at 14:07
Juli 232009
 

Viel zu wenig beleuchtet im Tagesgespräch wurde leider eine große, vielsagende Studie über: Die Unzufriedenheit der Ostdeutschen mit der Bundesrepublik. Also – eine Unzufriedenheitsstudie! Na, das soll uns Deutschen erst einmal einer nachmachen! Auftraggeber: die Volkssolidarität, der führende Wohlfahrtsverband in den östlichen Bundesländern, der seit 60 Jahren dort besteht. Was soll die wichtigste Aufgabe des Staates sein? Darauf antworten die meisten unter allen Befragten, nämlich 47%: Die soziale Sicherheit ist der wichtigste Wert staatlichen Handelns!

Nicht Freiheit, nicht Gerechtigkeit, nicht Wohlstand, nicht “soziokulturelle Teilhabe”, sondern schlicht dies: soziale Sicherheit. Ach Vera, ach Halina, hättet ihr euch das gedacht bei eurer denkwürdigen Diskussion im Café Sybille im Februar 2009, an die ich noch gerne zurückdenke? Continue reading »

 Posted by at 23:36
Apr. 102009
 

Immer wieder lerne ich neue Wörter in meiner Muttersprache. So insbesondere dann, wenn ich mich, eingedenk des herannahenden Osterfestes, der religiösen Überlieferung zuwende. In der Zeitschrift FUGE. Journal für Religion & Moderne, Band 4, 2009, lese ich auf S. 28 folgende Sätze:

Die Bibel ist das meist-erforschte Buch der Welt. Vielleicht ist es auch der „überforschteste“ Gegenstand der Welt.

Gut, so sei die Bibel ein Kandidat für den Titel „Am meisten überforschter Gegenstand“. Ich schlage aber einen anderen Kandidaten vor: die Schule.  Was uns zu meinen Erlebnissen vom vergangenen Montag bringt.

Der kommunalpolitische Arbeitskreis der CDU Friedrichshain-Kreuzberg hatte ins Rathaus Kreuzberg eingeladen. Als Redner konnte gewonnen werden Oberschulrat Gerhard Schmid, der in der Schulverwaltung für unseren Bezirk zuständig ist.

Eine kleine Nachforschung im Internet ergibt: Schmid stammt aus meiner Heimatstadt Augsburg, er war damals einer der Wortführer der linken Protestbewegung, er wurde in der Augsburger Allgemeinen neulich sogar als der „Augsburger Rudi Dutschke“ bezeichnet! Er war also einer jener Aufrührer, vor denen meine Eltern mich besorgt warnten! Wir zitieren aus der Augsburger Allgemeinen vom 22.04.2008:

Im Frühjahr 1968 ist Schmid ein bekanntes Gesicht in der überschaubar kleinen linken Szene in Augsburg. Er organisiert die Ostermärsche, hält Vorträge über die Arbeiterbewegung und engagiert sich im Kritischen Seminar, einer Art Volkshochschule für Freidenker. Ein Kurs diskutiert über „Sexualökonomie und Orgasmustheorie“, ein anderer über die „sozialökonomische Struktur Südvietnams“.

Schmid ist so etwas wie der Augsburger APO-Chef. Dazu hat ihn zwar nie jemand gewählt, doch irgendwie, sagt er, habe er „das Ganze zusammengehalten“. Die Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze und den Krieg in Vietnam, die Schulstreiks und Sitzblockaden, die quälend langen Debatten mit Jungsozialisten und Jungdemokraten. „Heuchler und kalte Krieger“ sind sie 1968 für ihn, den Unangepassten. Wenige Wochen nach dem Happening in der Sporthalle schließt die SPD Schmid wegen „groben Verstoßes gegen die Parteigrundsätze“ aus. Heute sagt er: „Wir waren völlig verblendet.“

Was ihn aber heute nicht daran hindert, in der Schulverwaltung als Vertreter der Staatsmacht zu agieren. So sieht also der Marsch durch die Institutionen aus. Die CDU lädt einen Rudi Dutschke zu sich ein – und er stößt auf waches Interesse. So muss es sein!

Was sagt nun die Forschung zum gegenwärtigen Zustand unserer Schulen? Laut Schmid besteht keinerlei Anlass zu einer Strukturdebatte. Es gebe laut neuesten Forschungsergebnissen keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen Schulform und Lernerfolg. Ein hochgradig gegliedertes Schulsystem könne ebensowohl sehr gut als auch weit unterdurchschnittlich abschneiden, wie ein Vergleich zwischen Bayern und Berlin lehre. Die gleiche Variationsbreite herrsche bei Einheitssystemen – hier fällt mir der überlegene Stand der Schulbildung in der früheren Sowjetunion im Vergleich zu den USA ein. Entscheidend sei, fuhr Schmid fort, die Qualität des Unterrichts, nicht die Schulstruktur.

Damit stellte sich Schmid sozusagen von Anfang an windschief zu den verschiedenen Konzepten der Berliner Parteien. Die Parteien bosseln eifrig an Schulreformen und  Strukturdebatten, an Test-Ergebnissen, und üben sich in Unkenrufen. Als Mitglied der Schulverwaltung sieht Schmid hingegen seine Aufgabe eher darin, Erfahrungen  aus dem Schulalltag in Empfehlungen umzumünzen. Die Fachleute aus der Bildungsverwaltung, zu denen Schmid gehört, bereiten sich jetzt bereits darauf vor, die zu erwartenden Vorgaben der Berliner Landespolitik möglichst sinnvoll umzusetzen. Ideologie und Parteienbindung spielt dabei keine Rolle mehr. Das finde ich höchst erfreulich, denn seit meiner eigenen Schulzeit sind die Bildungseinrichtungen ein hart umkämpftes Feld für Weltverbesserer und Abendlandsretter geworden. Diese Streiterei ist ihnen insgesamt nicht gut bekommen.

Ich habe nicht den Eindruck, dass der rot-rote Senat und die drei Oppositionsparteien mit ihren Gegenentwürfen tatsächlich das angesammelte Wissen aus den Schulämtern abrufen. Mein Eindruck bestätigte sich auch an diesem Abend.

Einigkeit schien zu herrschen: Alle Schulformen, alle Schüler müssen in dem gestärkt werden, worin sie gut sind – oder gut sein können. Praktische Begabungen sollen stärker zur Geltung kommen, etwa in dem neuen geplanten P-Zweig. Schmid berichtet anschaulich und überzeugend von Planungen, wonach in den P-Zweigen (den Nachfolgern der jetzigen Hauptschulen), Werkstätten eingerichtet werden sollen, in denen die jungen Leute mit ihrer eigenen Hände Arbeit Erfolg und sogar ein kleines Einkommen erzielen sollen.

Die gesamte zweite Hälfte des Abends und die Aussprache kreisten mehr um die Menschen, die in der Schule aufeinandertreffen. Welche Haltungen sind bei Schülern und Lehrern nötig, damit Schule gelingt? Welche Rolle spielen Fleiß, Konzentrationsfähigkeit, Sprachkenntnisse, Tugenden wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Pflichtgefühl, Höflichkeit?

Recht ketzerisch und spielverderberisch meldete ich mich zu Wort und wagte den Einwand: Wenn Fleiß, Konzentrationsfähigkeit, gute Sprachkenntnisse, Tugenden wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Pflichtgefühl, Höflichkeit zusammenkommen – könnten wir uns dann die gesamte Debatte über Schul- und Unterrichtsformen sparen? Brauchen wir nicht eine andere Grundhaltung? Brauchen wir nicht – mehr als alles andere – einen Mentalitätswandel? Sind die endlosen Berliner Diskussionen um die Bildungspolitik im Grunde Schaukämpfe, die vom eigentlichen Problem ablenken? Ich schlug vor, ganz massiv an die Eltern heranzutreten und sie mit gezielter Mentalitätsbeeinflussung zu einer lernfreundlichen Haltung umzuorientieren. Die Kinder brauchen eine Umgebung, die sie zum Lernen ermuntert. Dazu gehört eine Abrüstung beim exzessiven Medienkonsum, frühe und bevorzugte Befassung mit der deutschen Sprache, Aufbrechen des „Migranten-„Ghettos, Selbstbefreiung aus dem Gestrüpp der Vorurteile. Es regte sich – kein Widerspruch. Ich hege die Vermutung, dass ein Großteil der Versammlung dieser Ansicht zuneigte.

Beim Nachdenken über diesen hochgelungenen Abend fällt mir noch ein Bericht über Michelle Obama ein. Im Gespräch mit französischen und deutschen Schülern, das im ZDF wiedergegeben wurde, erklärte sie vor wenigen Tagen sinngemäß:

„Ich hab mir immer Mühe gegeben, etwas zu lernen. Viele schwarze Mitschüler  haben mich damals schief angekuckt und gesagt: Du redest ja wie eine Weiße! Das hab ich auf mich genommen. Ich war eine Streberin. Das war voll uncool. Ich wollte gut sein in der Schule.“

Und genau diese Haltung brauchen wir auch in Berlin. An der Art der Schule liegt es sicher nicht, wenn Bildungsgänge scheitern. Keiner ist Opfer seiner Herkunft – niemand ist durch seinen Migrationshintergrund daran gehindert, in der Schule und im Leben Erfolg zu haben. Jede und jeder kann es schaffen. Evet, we can.

 Posted by at 22:27