Der Weg sucht die Wanderer

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Juni 232013
 

2013-06-22 11.25.18

Via viatores quaerit – Weg sucht Wanderer, oder Der Weg sucht die Wanderer, dieser Spruch des ursprünglich nordafrikanischen, später nach Mailand zugewanderten  Migrationsexperten Augustinus von Thagaste ist für mich seit langem Anstoß für viele Fußwanderungen und auch Radtouren. So auch vorgestern im uralten, heute bei den Franzosen Villepinte genannten Städtchen Villa picta!

Rings um das Flüsschen Sausset haben die Bewohner einen herrlichen Natur- und Erlebnisraum angelegt. Ganz allein war ich, als ich gestern meinen Weg zur Lichtung in der Lichtung, zur Clairière dans la Clairière suchte, oder besser, mich suchen ließ! Hin zur Lichtung in der Lichtung führte der schmale Weg, der Weg, den nur wenige beschreiten – in diesem Augenblick auch nur ein einziger Wanderer. Schau genau hin auf den Wegweiser: Der Weg des Dornbusches, der Chemin de l’Épine, der schmale dornige Pfad, den nur wenige gehen, führt zur Lichtung in der Lichtung!

 

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Wir erinnern uns: Via viatorem quaerit – der Weg sucht den Wanderer, nicht umgekehrt!

Es herrschte Windstille in Villepinte. Der gleichmäßige Fall der Schritte des Wanderers erinnerte an das gleichmäßige Herzpochen in der Begleitstimme des Andante, des Geh-Liedes aus Bachs a-moll-Sonate BWV 1003.

 

 

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Ufam tobie/ich vertraue dir: die Neumark erfahren

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Mai 132013
 

2013-05-09 15.51.38

Ufam tobie/Ich vertraue dir – unter dieses Leitwort der in Polen sehr bekannten, 1938 in Krakau gestorbenen Helena Kowalska seien die kleinen Erzählungen über die viertägige Radtour gestellt, die ich mit dem „Deutschen Kulturforum östliches Europa“ vom vergangenen Donnerstag bis Sonntag unternahm.  Unser Startpunkt war die Station Küstrin-Kietz auf der heutigen deutschen, dem linken Oder-Ufer gelegenen Seite, das wir bequem mit der Heidekrautbahn erreichten. Den Fluss Oder überquerten wir bereits klimaschonend aus eigener Kraft auf dem Rad (siehe Bild oben). Dank des am 01.05.2004 erfolgten Beitritts der Polen zur EU und dank des Schengen-Abkommens sind seit 21.12.2007 die Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Polen entfallen.

Eine kurze Beschreibung der Radtour-Etappen findet sich hier:

Deutsches Kulturforum östliches Europa: die Neumark erfahren

Ufam tobie/ich vertraue dir! Ich, ein Mensch wie du, vertraue dir, einem Menschen wie ich.  Dies war das Grundgefühl, das in Dutzenden von Begegnungen mit den wunderbaren, aufgeschlossenen Menschen der heute polnischen Neumark (so der Name der historischen Landschaft) seinen Niederschlag fand. So meine ich, durch diese Reise selbst für die kommenden etwa 1-2 Wochen ein etwas besserer Mensch geworden zu sein – etwas offener als vorher, etwas bescheidener als vorher, etwas einsichtsvoller, etwas vertrauensvoller als vorher.

Vor diese prägende Einsicht in die Vertrauenswürdigkeit des Menschen hatten die Organisatoren vom deutschen Kulturforum östliches Europa allerdings mit großem Bedacht  den dornenreichen Pfad der Erinnerungs- und Gedächtnisarbeit gestellt.

Wer könnte sich vorstellen, dass an dieser Stelle in der Küstriner Neustadt bis ca. 1948 die Friedenskirche stand, die 1890/1891 nach Plänen des Berliner Architekten Fritz Gottlob errichtet wurde?

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Nicht wahr, dies sich vorzustellen, fällt in der Tat schwer, mehr noch:  Es ist nahezu unmöglich. Die Führung durch das alte deutsche Küstrin gerät hier wie an vielen anderen Stellen zu einem virtuellen Rundgang, zu einer raunenden Beschwörung des Imperfekts, des Unvollkommenen, die nur auf die Kraft des erzählenden Wortes setzt. Nur wer der Kraft des erzählenden Wortes vertraut, wird sich vorstellen können, dass an dieser Stelle, wo wir Wohnblöcke und parkende Autos erblickten,  von  1891 bis etwa 1948 die evangelische Friedenskirche stand.

Die erste Station der Radreise war somit gewissermaßen die schwerste, was kein Zufall ist, sondern so sein muss. Denn, wie meine polnisch-schlesische Urgroßmutter gesagt hätte:

Każdy początek jest trudny/Aller Anfang ist schwer.

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Herr Meister und Frau Meisterin – oder: European „Master“ meets German „meister“

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Apr. 302013
 

2013-04-25 20.56.29

„Herr Meister und Frau Meisterin
Laßt mich in Frieden weiterziehn
und wandern und wandern und wandern.“

Dies verschollene Liedlein aus uralten Zeiten summte ich vor einigen Tagen in meinem Kopf, als ich mit einem Regionalzug durch das herrliche Tal der Fulda glitt. Ich saß beschwingten Mutes in der CANTUS-Bahn Nr. 24217 von Kassel nach Fulda. Cantus heißt ja wohl Gesang, offenbar wird einem tatsächlich in diesen Cantus-Zügen gesanglich oder märchenhaft zumute! Buschige Höhen, sanft geschlängelte Bächlein begleiteten den Zug.  Hier durchzogen Jacob und Wilhelm Grimm die Dörfer, um Sagen und Märchen zu sammeln!

Auch ich nutze weiterhin alle meine Zugfahrten und Fußwanderungen, um von Mitreisenden Geschichten und Stoffe zum weiteren Nachdenken und Nacherzählen zu sammeln. So knüpfte ich gleich ein artiges Gespräch mit einer jungen Mitreisenden an, die neben mir saß. Nach den üblichen Fragen nach dem Woher und Wohin fragte ich sie nach der jetzigen beruflichen Situation.

Was haben Sie im Leben vor?, fragte ich.

„Ich mache jetzt meinen Master in Marburg, nachdem ich schon den Bachelor, den ich in Kassel gemacht habe, in der Tasche habe!“
In welchem Fach?
„In VWL!“

Ich frage weiter: Prima! Und wie finden Sie das neue europäische System mit Bachelor, Master, CreditPoints und pi pa po? Ist das nicht prima, dass jetzt die gesamte höhere Bildung in der EU einheitlich geregelt wird? Ist ein europäischer Mastertitel nicht viel wertvoller als ein deutscher Meistertitel?

„Es ist nicht prima. Diese Titel Bachelor oder Master bedeuten für meine potentiellen Arbeitgeber fast nichts. Sie lassen sich mit einem deutschen Meister oder einem deutschen Dipl.-Ing. in keiner Weise vergleichen und sind auf dem Arbeitsmarkt viel weniger wert als diese überall bekannten und anerkannten Abschlüsse Meister, Dipl.-Kfm. oder Dipl.-Ing.“

So weit das Zeugnis der hessischen VWL-Studentin aus dem Regionalzug. Anlass für unsere heutige Besinnung!

Die nichtdeutsche Presse berichtet es gern: Die Tatsache, dass ausgerechnet Deutschland Ausbildungsplätze in Fülle anzubieten hat, während Spanien oder Italien ihre Schulabsolventen in hellen Scharen an die Uni oder gleich auf die Straße schicken, zieht lernwillige Blicke aus Ländern an, die unter einer exorbitanten Jugendarbeitslosigkeit leiden. Südkorea und Spanien und einige andere Länder versuchen mittlerweile das über Jahrhunderte hin gewachsene duale System der deutschen Berufsbildung nachzuahmen.

Wie ein Echo dieses Befundes klingt die Analyse des aktuellen Economist mit seinem Titelthema zum drängenden Thema Jugendarbeitslosigkeit in vielen Industrieländern.
Lest einen Auszug aus dem Economist-Leitartikel „Generation jobless“:

Across the OECD, people who left school at the earliest opportunity are twice as likely to be unemployed as university graduates. But it is unwise to conclude that governments should simply continue with the established policy of boosting the number of people who graduate from university. In both Britain and the United States many people with expensive liberal-arts degrees are finding it impossible to get decent jobs. In north Africa university graduates are twice as likely to be unemployed as non-graduates.

What matters is not just number of years of education people get, but its content. This means expanding the study of science and technology and closing the gap between the world of education and the world of work—for example by upgrading vocational and technical education and by forging closer relations between companies and schools. Germany’s long-established system of vocational schooling and apprenticeships does just that. Other countries are following suit: South Korea has introduced “meister” schools, Singapore has boosted technical colleges, and Britain is expanding apprenticeships and trying to improve technical education.

Was ist also besser: der European „master“ oder der German „meister“? Die Welt hat vorerst  entschieden: Ein klarer Sieg für das ausgefeilte deutsche berufliche Bildungswesen ist zu vermelden! Das duale System der beruflichen Ausbildung ist ein nachahmenswertes Trumpf-As für den Standort Deutschland. Man braucht in Deutschland und anderswo nicht unbedingt zur Universität zu gehen, um ein glückliches, erfülltes und auch ökonomisch höchst einträgliches Berufsleben zu führen.

Die faktische Gleichwertigkeit einerseits der handwerklich gestützten Ausbildungsberufe, die zum Meister führen,  und andererseits der akademischen Abschlüsse, die zum Master führen,  beweist erneut: Eines schickt sich nicht für alle.

Die bloße Erhöhung der Abiturienten- oder Akademikerquote, wie sie etwa als Zahlenwert in den Lissabon-Zielen zwischen den EU-Partnern vereinbart ist (mindestens 40%!), stellt als solche noch kein sinnvolles Ziel dar.

Einmal mehr zeigt sich, dass die von oben herab steuernde, zentrale Quotenvorgabe der EU eher schadet als nutzt. Oder, wie mein katholischer Vater und mein katholischer Großvater (und wohl auch mein Urgroßvater) schon sagten:

„Prüfet alles, das Beste behaltet!“

Quellen:
Das Wandern
. In: Der junge Musikant. Liederbuch für die Bayerischen Volksschulen. Oberstufe. Bearbeitet von Rudolf Kirmeyer. Bayerischer Schulbuch-Verlag. München 1951, Seite 228-230

Generation jobless. The global rise of youth unemployment. In: The Economist, 27th April 2013. Kindle edition (Lead article).
http://www.economist.com/news/leaders/21576663-number-young-people-out-work-globally-nearly-big-population-united

Foto: Im hessischen Fuldatal. Gegend bei Altmorschen. April 2013

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Was wird hier an diesem Brunnen erzählt? Was ist die Wahrheit dieses Brunnens?

 Das Gute, Gnade, Kinder, Mündlichkeit, Pflicht, Philosophie, Religionen, Russisches, Samariter, Vorbildlichkeit, Wanderungen  Kommentare deaktiviert für Was wird hier an diesem Brunnen erzählt? Was ist die Wahrheit dieses Brunnens?
März 292013
 

2013-03-24 10.54.58

„Was wird hier an diesem Brunnen erzählt?“ Mit einer russisch-deutschen Fußwandergruppe, deren Teilnehmer hauptsächlich aus Moskau, Berlin und Samara stammten, besuchte ich letzten Sonntag den berühmten Spandauer Eiskeller, den kältesten Punkt ganz Berlins. An jenem Sonntag war es in Spandau aber auch kälter als in Sibirien. Ich verkündete stolz die Werte für Samara, für Moskau, für Wladiwostok, die ich in der U-Bahn noch abgelesen hatte. Wir lagen drunter! Wir Deutschen waren Weltmeister der Kälte!

Beim ev. Johannesstift rätselten wir über die Botschaft des Brunnens. Man sieht wenig an diesem Brunnen: Ein Mann ist von seinem Pferd abgestiegen. Er scheint einem anderen Mann aufzuhelfen. Ein anderer Mann geht vorbei. Wir sind irgendwo zwischen Felsen. Leider war die erklärende Plakette des Brunnens wegen Eisbefalls  nicht zu lesen. Es herrschte ja in ganz Europa in jenen  Tagen eine große Vereisung und Verpanzerung. Deshalb fehlten an dem Brunnen der Vergangenheit die Erklärschilder. Es fehlte der Erzähler, der die alten Brunnengeschichten erzählen könnte. Die Botschaft des Brunnens war verstummt. Es herrschte Frost und Vereisung.

Einer fasste sich da ein Herz und fing an zu erzählen:

„Ich glaube …“

„Was glaubst du …?“, unterbrachen ihn die Kinder.

„Ich glaube, dass hier erzählt wird, wie ein Mann unter die Straßenräuber fiel. Die Räuber schlugen den Mann zusammen, raubten ihn  aus und ließen ihn halbtot liegen. Da kam ein stolzer Moskowiter vorbei, der sagte: „Ach da liegt ja so ein Provinzler. Sicher ein Alkoholiker. Typisch, selber schuld.“ Der Moskowiter ging weiter. Da kam ein Berliner vorbei. Der sagte: „O, ein Kälteopfer. Ach was, es gibt ja die Kältehilfe. Die wird sich um den kümmern.“ Und ging weiter. Zuletzt kam ein Mann aus Samara vorbei. Ihr wisst ja, liebe Kinder, Samara, früher Kuybischew, die Autostadt hart am Ural,  die außer Wäldern, Feldern und Langlaufloipen gerade und auch im Bereich Kultur  im Vergleich zu Moskau und Berlin nichts zu bieten hat! Der Mann aus Samara blieb stehen und sagte: „Dir muss ich helfen.“ Er verband dem Mann die Wunden, flößte ihm Tee ein und brachte ihn ins nächste Hotel. Dort gab er dem Wirt 200 Euro (in Russland ein inoffiziell anerkanntes Zahlungsmittel). „Kümmer dich um den Mann. Ich komme in ein paar Tagen wieder vorbei. Wenn das Geld nicht reicht, kriegst du noch was von mir.“ –

„Nun frage ich euch, liebe Kinder: Was wurde hier erzählt?“

Wir schwiegen zunächst. Dann sagte einer: „Es wurde die Geschichte von dem Gebot der Ersten Hilfe erzählt. Der Mann aus Samara leistet erste Hilfe, die anderen nicht. Er ist also ein Vorbild. Du hast soeben die Entstehung der Samariterhilfe erzählt – und warum sie so heißt!“

Wir schauten genauer hin. Wie realistisch war die Erzählung? Gab es denn damals, als der Brunnen gebaut wurde, schon den Euro? Glaubte der Erzähler eigentlich selbst das, was er da aufgetischt hatte? Was ist die Wahrheit? Was ist Wahrheit?

Da entdeckten wir die Bestätigung dessen, dass die Samariter-Erzählung des mutigen Erzählers wahr war. Denn das Eis, der Schnee auf der Szene hatte zu tauen begonnen. Die Sonne hatte ein Erbarmen, sie unterstrich die Wahrheit dieser Geschichte von der Barmherzigkeit. Ein Wunder! In ganz Berlin war dies die einzige Stelle, an der die Sonne stark genug war, das Eis zum Schmelzen bringen!

War dies so? Was ist die Wahrheit dieser Erzählung? Hat sich dies so zugetragen? Es könnte sein, es könnte nicht sein. Dass etwa der Arbeiter-Samariter-Bund auf die russische Stadt Samara an der Wolga zurückgeht – wer will das behaupten oder bestreiten?

Vielleicht hat der Erzähler das eine oder andere ergänzt oder umgedreht. Die Botschaft aber dürfte so zutreffen. Die Wahrheit ist: Man darf an die Botschaft glauben und ihr folgen.

Die Sonne brachte den Beweis von der Wahrhaftigkeit der Erzählung vom barmherzigen Samariter.

 

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Fischland! O schmale Landzunge, hineingestreckt ins Ungewisse …

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Aug. 152012
 

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O herrliche Tage am Fischland! Sehr anregend, es gab sogar einige warme, fast heiße, durchsonnte Tage. Und das Wasser der See übte wie sonst auch einen unglaublich belebenden Einfluss auf Haut und Haar, Herz und Sinne! Ich mag die schmale Landzunge zwischen Meer und Bodden – ein vortreffliches Bild für das Zwischenreich zwischen nicht mehr ganz hier und noch nicht ganz dort, in dem auch die fabelhafte Amélie zu schweben scheint.

Oben seht ihr die kleine Dorfkirche von Wustrow. Diesen Kirchturm erlebte ich als einen Zeiger auf das Ferne, als ein Freiheitszeichen in einem Land zwischen dem gleisnerisch, endlos verspielt-spielenden Wasser der Ostsee und dem trüben, lauernden, träge schwappenden Wasser des Boddens. Wie die Landzunge hineinragt ins Ungewisse, so ragt das Türmchen hinauf ins Ungefähre, von uns zu Ahnende.

 

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Eine herrliche alte Kopfweide an der Allee zwischen Wustrow und Dierhagen. Was könnte sie erzählen?

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Vom Wasser haben sie’s gelernt, vom Wasser!

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Feb. 042012
 
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Kurzer Aufenthalt des armen Kreuzberger Wanderers  in Venedig! Die Nebensaison eröffnete ungeahntes, trautes Beisammensein mit zahlreichen Schätzen und kühnen Geistern: Tizian, Calatrava, Markus, Leonardo, um nur einige zu nennen. Nicht schlecht. Ich fand’s wahnsinnig faszinierend zu sehen, wie Venedig mit dem Wasser umgeht! Produktive Einbindung der Wasserstraßen ins hochverdichtete städtische Umfeld – und das über ein Jahrtausend lang! Die gesamte Lagunenstadt ist autofrei. Folge: Der Mensch lebt auf, die Menschen aus aller Welt lieben das, zu sehr vielleicht. Gäbe es mehr Städte, die wie Venedig wären, nähme dies etwas vom Touristendruck weg.

Man HÖRT Gespräche, man HÖRT den Glockenschlag. Und nachts? Es quillt und zittert in goldenen Tropfen über die Fläche weg! Zauberhaft.

Moderne Stadtplanung eifert seit ca. 3 Jahrzehnten solchen Grundeinsichten nach, z.B. in Augsburg, in Freiburg i. Br., in und um Dresden, in Amsterdam. Hinterdrein dümpelnd im internationalen Umfeld wie üblich: unser aller Friedrichshain-Kreuzberg, gelobt sei dein verstaubter Charme. Aber du wirst schon noch auf den Trichter kommen.

Im Bild: der Fußgängersteig des berühmten Baumeisters Calatrava. Kuckstu ma hier: Hochwertige Anmutung, organisch wachsend, verbindungschaffend zwischen Hauptbahnhof und Stadtteil S. Polo.   Vorbildlich.

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Nov. 072011
 

Wohl im Jahr 2007 oder 2008 verbrachte ich einige Stunden auf einer Reise nach Kappadokien in der Hacı-Veyiszade-Moschee und im Mevlana-Museum in Konya, dem Ort wo Maulānā Ǧalāl ad-Dīn Muḥammad-e Rūmī starb: heute eine staubige, von Touristen, Dolmuşlar und sonstigen Otobüslar überquellende Stadt, und doch umfing mich sofort beim Eintreten in die Moschee, beim Betrachten der Brunnen und Rinnsale der uralte Anhauch des Sufismus, jener in Versenkung, in Entweltlichung aufgehenden Spielart des Islam, die heute allzu wenig Beachtung findet, verdrängt und übermalt vom politisierten, mehr und mehr wahabbitisch geprägten Islam, wie er uns auch in Kreuzberg und Berlin stärker und stärker begegnet.

Eine große Freude und Ehre wurde mir vor wenigen Tagen in der Katholischen Akademie Berlin zuteil: Bei einem öffentlichen Vortrag unter dem Thema Translating Religion baten mich der Religionswissenschaftler Alan Williams und Akademie-Referent Martin Knechtges, in deutscher Sprache einige berühmte Verse Rumis vorzutragen.    

Von einem Oboenspieler habe ich mir einmal erzählen lassen, welche Mühe es kostet, dem Doppelrohrblatt dieses Instruments den klaren, eindringlich-singenden Ton zu entlocken, der die Oboe zu so einem unvergleichlichen Instrument der Klage macht, insbesondere in der Langform, dem Englischhorn.

Mit klarer, deutlicher, leicht schwebend-singender, gewissermaßen oboenartiger  Stimme versuchte ich die Verse in der Übersetzung Hellmut Ritters vorzutragen, wobei ich um jeden Laut rang, ihn formte und losfliegen ließ:

Hör dieses Rohr, wie es klagt,

             wie es von den Trennungen erzählt:

Seit man mich aus dem Röhricht schnitt,

            haben Mann und Weib ob meines Tönens geklagt und geweint.

Nur selten habe ich bisher persische Dichtung im Original vortragen hören, und doch meine ich, den eigentümlichen Klang des Persischen, der Sprache des Zarathustra, der Sprache der Parsen aus tausend Sprachen heraushören zu können: Klar, deutlich, schlicht, klangvoll, mitunter verhüllt-näselnd, oboenartig, dann wieder stolz, rein, mit großen, dunkeln weitgeöffneten Augen der Welt zugewandt. Und so erlebte ich auch den persischen Vortrag durch Aida, die ihre Muttersprache wunderbar zum Erklingen brachte.

In der Vielfalt der Sprachen scheinen mir die Worte und die Sprache, das Original und die Übersetzung  einander zuzurufen wie das Doppelrohrblatt der Oboe dem hörenden Herzen zuruft, um das König Salomon vor seiner Thronbesteigung gebeten hat. Es ereignet sich in dieser Art Übersetzung ein unvergleichliches Da der Dichtung, ein unvordenkliches Du.

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Sep. 202011
 

Satt Schulfrust fangen wir das Singen an! An der Grundschule sammle ich eine Gruppe von Schülern zur Interessengemeinschaft „Singen“. Denn das Singen hat eine lernend-lehrende, gemeinschaftsbildende Kraft ohnegleichen.

Kosten des Singens: 0. Materialaufwand des Singens: 0.

Jeder, der eine Stimme hat, soll und kann singen.

Das erste Lied ist: Das Wandern ist des Müllers Lust. Ein sehr bekanntes Lied in Deutschland, etwa 180 Jahre lang wurde es von jung und alt in allen Schichten Deutschlands gesungen. Erst seit etwa 20 Jahren lernen es die Kinder nicht mehr. Denn Müller gibt es nicht mehr, gewandert wird auch nicht mehr so viel, gesungen wird in Familie und Schule auch nicht mehr. Der vorangestellte Genitiv „des Müllers“ existiert noch und wird wohl nur noch einige Jahre existieren. Also wozu noch?

„Was ist denn ein Müller?“, frage ich, um neben der Melodie auch das Textverständnis zu sichern.

„Ich weiß es: Der Müller bringt den Müll weg!“, antwortet ein 11-jähriges Mädchen. Wirklich?, frage ich zurück. Gemeinsam erarbeiten wir im Gespräch eine mögliche Antwort auf die Frage, was ein Müller ist.

Sollen die Kinder heute noch deutsche Wander- und Volkslieder lernen? Sollen sie noch singen lernen? Sollen sie noch wandern? Sollen sie noch wissen, was ein Müller ist? Ist Wort und Beruf nicht ausgestorben?

Ich meine: Die Kinder sollten noch singen, noch wandern, noch erfahren, was ein Müller ist.

Denn der Beruf Müller ist nicht ausgestorben. Es gibt ja zum Beispiel den Windmüller. Alternative, regenerative Energien sind im Kommen. Kinder sollten noch wissen, was ein Müller ist. Sie sollten noch wandern. Zwar ist es ein deutsches Volkslied, aber dagegen ist zunächst einmal nichts einzuwenden. An der türkischen Musikschule in Kreuzberg wird türkische Volksmusik gelehrt, warum sollte man an Berliner Schulen mit 98% Wandernden („Migranten“) nicht deutsche Migrationslieder singen?

Sie sollen noch den Genitiv lernen.  Sie sollen und können noch singen.

Wanderlieder bewahren einen riesigen Schatz an Erfahrungen der Migration, der kulturellen Differenz auf! Migration heißt ja Wanderung.

Deutsche Volkslieder sind ein wichtiges Mittel der Integration in die deutsche Gesellschaft, die ihr kulturelles Gedächtnis und ihre Sprache schon fast verloren hat.

 Posted by at 11:44
Sep. 012011
 

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Bin schon gespannt auf heute Abend. Ich hoffe, dass viele Menschen zusammenkommen, um auf neuen Pfaden zu wandeln!

 Donnerstag, 1. September 2011, 18 Uhr, Wirtschaft Stresemann, Stresemannstraße 48: Kreuzberger Pfade zum sanften Tourismus – das Beispiel der SCUBES. Mit Tanja Rathmann, Geschäftsführerin der SCUBE Parks Berlin GmbH

 Posted by at 10:43

„Und ihr seid wirklich mit dem Fahrrad aus Berlin gekommen?“

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Juli 272011
 

04072011814.jpg Immer wieder ernteten wir von den Kindern erstaunt-ungläubige Blicke, wenn sie bemerkten, dass wir weder mit dem Auto noch mit dem Flugzeug auf den Campingplatz angereist waren.

Dabei war es in Mecklenburg-Pommern zu DDR-Zeiten gang und gäbe, dass man ohne Auto und ohne Flugzeug in den Urlaub fuhr. Nur, für die heutigen Kinder sind das längst vergangene Zeiten! Viele heutige Kinder kennen die Erfahrung gar nicht mehr, dass sie sich über mehrere Stunden aus eigener Kraft auf ein Ziel hin bewegen müssen. Sie wissen nicht mehr, wie sich das anfühlt, wenn einen ein Regenschauer überrascht und durchnässt. Sie kennen die tiefe Erschöpfung nach einem durchwanderten Tag nicht. „Wozu wandern? Es gibt doch Autos!“

Ich meine: Es tut Kindern gut, wenn sie einmal erkennen, dass man ein Ziel auch zu Fuß oder mit eigenen Kräften erreichen kann.

Andererseits: Zum ersten Mal nach langer Zeit hörte ich auf dem Campingplatz einige Kinder in aller Frühe zusammen singen. Es waren die Kinder unserer Zeltnachbarn, Buben im Alter von 5 und 7 Jahren. Soll ich euch was verraten? Dies war eines meiner schönsten Urlaubserlebnisse.

Bild: Omnia nostra nobiscum portamus – „Alle Habe tragen wir mit uns“. Unsere glorreiche Anreise im Regen, vor dem Klärwerk in Körkwitz.

 Posted by at 17:45

Wer recht mit Freuden wandern will

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Juli 202011
 

200720111016.jpg Der nur kurz unterbrochene Urlaub geht heute zu Ende. Fast 3 Wochen verbrachte ich mit der Familie im Fischland, stromernd im Landkreis Ribnitz-Damgarten, stets die Nasen kühn in den Wind gestellt. Unsere ganze Habe führten wir mit uns: 3 Fahrräder, ein kleines Zelt, Kleidung, Zeit, 30 gesunde Zehen an den gesunden Füßen, eine unbändige Entdeckerfreude! Der Regen, die Menschen, der Wind, die Tiere, das Flüstern des Rohrs, das Peitschen der Stürme – sie alle wirkten zusammen, boten uns eine tüchtige Tracht Zerzausung, Durchrüttelung, – und das Zelt: ES HIELT!

Im Regionalexpress zurück nach Berlin erkannt ich doch auch gleich die Melodie, mit der die Ansagen eingeleitet werden: Wer recht in Freuden wandern will, der zieh der Sonn entgegen. Wie passend!

„Unser nächster Halt ist Berlin Potsdamer Platz.“

So. Und da sind wir wieder. Zeit Rückschau zu halten.

 Posted by at 21:04

80.000 leerstehende Mietwohnungen in Berlin suchen verzweifelt Menschen

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Juli 122011
 

02072011794.jpg10 Tage lebte der Blogger in Mecklenburg-Vorpommern mit seiner Familie auf 6 Quadratmeter Wohnfläche! Das eigene Heim ist halt doch Gold wert! Es ging schon einigermaßen, zumal das Außenzelt uns nachts zuverlässig vor dem pladdernden Dauerregen schützte. Mit wie wenig kann der Mensch doch auskommen! Gebadet wird in der Ostsee, Essen und Trinken findet im Freien statt, Körperpflege in den Gemeinschaftsduschen.

Nur nachts dachte ich manchmal bei Blitz und Donnerschlag: Um wieviel besser wäre es jetzt, eine Mietwohnung am Stadtrand Berlins zu haben! Weiterhin verschenken die städtischen Wohnungsbaugesellschaften Boni und Anreize, damit die Menschen aus den beliebten Innenstadtquartieren in die grünen Randbezirke ziehen. Das berichtet die BZ heute auf S. 14.  80.000 Wohnungen stehen in Berlin leer! Aus Steuergeldern finanziert werden 300-Euro-Starter-Boni, mietfreies Kinderzimmer, 500-Euro-Gutschein und und und …

Aus Berichten von Freunden und Bekannten weiß ich: Die Wohnqualität in den Großsiedlungen ist gut, sie bieten gerade für junge Familien jede Menge bezahlbaren Wohnraum. Den öden Hype um den Bergmannkiez und den Caffe-Latte-Prenzl-Berg sollte man nicht mitmachen! Was nicht durchgentrifiziert wird, fällt eh dem Spielhallenvirus zum Opfer. Konsequent: Bei meiner Rückkehr nach Kreuzberg entdeckte ich vor wenigen Stunden die erste Spielhalle in der Stresemannstraße. Meine Kinder können also jetzt wählen zwischen 2 Spielcasinos am Mehringdamm und einem in der Stresemannstraße.

Der Berliner Hätschel- und Verwöhnstaat schüttet über seine landeseigenen Wohnungsgesellschaften weiterhin sein Füllhorn aus. Buen provecho!  Eine Quadratmetermiete von 3 Euro, wie sie die GSW anbietet, kann niemals kostendeckend sein.

Dauerjammerer und Schlechtwettervögel: Greift zu – statt zu klagen!

Bild: So trübe sah es vor unserem 6-qm-Eigenheim tagelang aus.

Schnäppchen: Sonderangebote für Berliner Platten – B.Z. Berlin – Plattenbau, Sonderangebote, Sanierung

 Posted by at 13:41