Okt 022008
 

„Was ziehe ich bloß an?“ – kopfschüttelnd nehme ich solche Fragen schon ein Leben lang zur Kenntnis, wenn ich mich mit Gefährtinnen zu irgendeinem Theaterbesuch auf den Weg mache. „Mach dir keinen Kopf – zieh das an, was du gerade trägst!“, erwidere ich meist.  Wir Herren haben es da einfach leichter. Jeans und Pullover – oder Anzug mit Krawatte. Fertig, die Sache ist klar.

Wirklich? Nein! Helft mir! Ich leide furchtbar! Mein Rie-sen-pro-blem ist: Ich bewege mich ständig in verschiedenen Lagern – gehöre also weder eindeutig dem bürgerlichen noch dem linksalternativen Block an. Außerdem bin ich migrantisch belastet, da meine Familie nicht rein deutsch ist. Schlimm! Ich bin folglich Angehöriger verschiedenster Stammesgesellschaften, die hier im Berliner Leben schiedlich-friedlich nebeneinander her leben und sich misstrauisch belauern, zum Glück ohne sich die Schädel einzuschlagen.  Das bedeutet unter anderem, dass ich mich bis zu vier Mal pro Tag umziehen muss, wenn ich verschiedene Termine beruflicher, privater, politischer, sportlicher, gesellschaftlicher oder künstlerischer Art wahrnehmen muss. Denn ich versuche stets, mich dem Anlass und dem Ort entsprechend zu kleiden und nicht unangenehm aufzufallen. Meist geht es gut, manchmal geht es ins Auge. So geschah es mir beispielsweise, als ich am 1. Dezember 2007 durchnässt und verspätet in einen Kreisparteitag der CDU stolperte, mit Jeans und Pullover bekleidet. Obendrein schleppte ich als einziger Mappi ein Kleinkind an. Und dann wollte ich auch noch einige Änderungsanträge durch die Abstimmungen bringen! Mit solchen Klamotten! Vor einem Publikum, das vorwiegend – soweit männlichen Geschlechts – in der „Uniform der Gesittung“, als welchen Thomas Mann den Anzug mit Krawatte bezeichnet, angetreten war! So geht es nicht! Nur 11 meiner 17 Anträge wurden angenommen, die anderen fielen durch. Zum Beispiel einer zur konsequenten Stärkung des Fahrradverkehrs.

Ironie der Geschichte: Genau auf den Tag ein Jahr später, am 1. Dezember 2008, wird die Bundes-CDU auf dem Bundesparteitag einen Antrag des Bundespräsidiums zum Thema „Bewahrung der Schöpfung“ beraten. Und eine der wichtigen Aussagen darin wird genau das verlangen, womit ich am 01.12.2007 so kläglich-grandios gescheitert war: die konsequente Stärkung des Fahrradverkehrs. Ich bin schon gespannt! Bitte, Präsidiumsmitglieder: Nicht in Jeans und Pullover den Antrag vertreten! Kleidet euch stammesgemäß! Tragt die Uniform der Gesittung!

Gestern war wieder so ein Tag, der mich ins Schwitzen brachte. Mittags musste ich zur Kostümprobe für einen historischen Film, bei dem ich in einer Nebenrolle gebraucht werde. Gefragt war staatsmännische Kleidung vom Ende der 80er Jahre. Die hatte ich – außer einem passenden Gürtel, einer passenden Krawatte im Stil der 80er. Aber meine Hugo-Boss-Schuhe aus dem Jahre 2006 sind zeitlos. Abgehakt, Klamotten ok.

Abends dann – hoch in den dritten Stock der Deutschen Bank. Adresse: Unter den Linden. Eine gute Gesellschaft hat sich versammelt. Thema der Konversation: Berlins CDU – Krise und Neubeginn in einer dysfunktionalen Organisation. Man steht in lockeren Gesprächen um weißgedeckte Tische herum, die Stimmung ist gut. Ich schüttle viele Hände, stelle mich artig bei Leuten vor, die ich bisher nur aus der Zeitung kannte. Ich verteile zwei Exemplare der Radzeit. Und sogar eine Mutter mit Kleinkind ist erschienen. Großartig, die weiß, wie ich mich damals gefühlt habe! Gleich als dritter Debattenredner ergreife ich das Mikrophon und sage: „Eine solche dysfunktionale Organisation muss sich als beständig lernende, im beständigen Wandel zeigen. Dabei sind gute Prozesse wichtiger als konkrete Resultate, als vorschnelle Festlegung auf konkrete Persönlichkeiten. Diese Organisation darf kein geschlossenes System sein. Sie muss sich nach außen öffnen. Sie muss klar nach außen das Signal senden: Wir hören zu, wir stehen mitten in der Öffentlichkeit.“ So – oder so ähnlich – rede ich. Na immerhin, das Mikrophon reicht man mir danach wieder. Deswegen heißt es ja: „Das Wort ergreifen“ – es müsste eher heißen: „Das Mikrophon ergreifen.“ Wer das Mikrophon hat, hat die Macht. Das gilt in jeder Veranstaltung.

So weit, so gut. Alles erledigt, im dunklen Anzug mit Krawatte. Aber es gab auch Abweichler – Männer, die sich dem Dresskode entzogen, mit Jeans und offenem Hemd erschienen waren. Auch gut so!

Dann weiter zur ADFC-Vorstandssitzung. Und hier ist man mit dunklem Anzug einfach deplatziert. Sollte man meinen. Die Herren tragen Pullover, Jeans und Schuhe, die erkennbar nicht von Hugo Boss sind. Die Damen – sind sportlich-elegant gekleidet. Was kann ich da machen? Nichts – ich nehme nur die Krawatte ab. Und dann gibt es lange anregende Gespräche. Über wichtige Sachthemen wird gesprochen, manchmal streitig, manchmal im Konsens. Über Sicherheit im Straßenverkehr, über andere Themen. So muss es sein! Es ist Zeichen einer guten Organisation, dass Meinungsverschiedenheiten offen und freundschaftlich ausgetragen werden. Alle Gremiensitzungen des ADFC sind öffentlich, es sei denn, es geht um Personalien oder einige wenige vertrauliche Themen. Gut so!

Alle politischen Parteien könnten sich ein Beispiel am ADFC nehmen. Es ist eine gesunde Organisation. Ruhm und Macht kann man dort nicht erlangen. Aber wenn man dort mitarbeitet, hat man das Gefühl: Die tun was! Und dabei kriegen sie nicht einmal Geld. Die kennen sich aus. Denen geht es um die Sache. Ich selber bin übrigens erst seit Dezember 2007 beim ADFC dabei. Wär ich doch mal früher eingetreten!

So beschließe ich denn den Tag in dem Gefühl, beim ADFC an der richtigen Stelle zu sein. Egal ob in Anzug oder Jeans. Die akzeptieren mich so wie ich bin. Und deswegen fühle ich mich bei denen wohl. Ich schwinge mich frohgemut auf das Rad und fahre zurück vom Wedding nachhause. In mein heimatliches Stammesgebiet, in das nette Dorf Kreuzberg.

Dann lese ich noch mal die Lokalzeitungen mit den neuesten Rauchsignalen verschiedener Stämme. Hier eines dieser zahlosen widersprüchlichen Trommelsignale über einen anstehenden Machtwechsel in einer Stammesorganisation. Da wird ein neuer Häuptling gesucht. Arbeitslose, Hartz-IV-Empfänger, ihr alle, die ihr die Straße liebt und auf ihr lebt! Meldet euch auf folgende Stellenausschreibung:

taz.de – Kommentar: Wechsel an der Berliner CDU-Spitze: Wenig Hoffnung auf Veränderung

All das fehlt der Berliner Union. Hier gibt es eben keinen charismatischen unverbrauchten Hoffnungsträger auf Abruf. Es gibt keinen Seehofer, der schon vor einem Jahr an die Spitze wollte und bis jetzt nur darauf wartete, dass die anderen es nicht packen. Es gibt bis jetzt keinen, der nicht nur krittelt, sondern nach der Macht greift, wenn sie wie jetzt auf der Straße liegt.

 Posted by at 11:45

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