In den USA habe ich als Jugendlicher mehrere Verfassungsfeiern miterlebt, etwa den Independence Day, ich habe die Independence Hall in Philadelphia besucht, ich habe an verschiedenen Bürgerfesten teilgenommen. Mein Eindruck: „I sing thee, Democracy … Dich besinge ich, Demokratie …“ Mit dieser feierlichen Anrufung der Demokratie, entnommen aus den Grashalmen des Dichters Walt Whitman, fange ich jenes getragen-feierliche Hochgefühl ein, das die Amerikaner – und mich auch – erfasst, wenn wir an die stolzen 233 Jahre Verfassungsgeschichte der USA zurückdenken. Der neue Präsident der USA hat es in ergreifender Weise vermocht, diesen Geist wieder und wieder zu beschwören.
Wie kläglich, wie jämmerlich nimmt sich dagegen bisher die Rückbesinnung auf 60 Jahre Grundgesetz aus! Nur ein Beleg: Die geplante dreitägige Feier um den 23. Mai herum ist geplatzt. Abgesagt. Die SPD fühlt sich übergangen, da nur Unionspolitiker sprechen sollten, ich selbst kriege einen Lachanfall (oder doch eher einen Wutanfall?), wenn ich höre, dass geplant war, Deutschland Unter den Linden allen Ernstes als Autoland darzustellen. Das Bundesverfassungsgericht grummelt und grantelt, weil es sich bei den geplanten Feierlichkeiten übergangen fühlte. Was für ein Armutszeugnis, das wir als Bundesrepublik hier abliefern!
Aber die verhagelte Festeslaune ist nur ein Symptom für ein tieferliegendes Unsicherheitsgefühl, das im ganzen Land anzutreffen ist. Es gibt da offenbar zwei Jahre der deutschen Geschichte, mit denen wir nicht zurechtkommen: 1949 – und 1989. Das Grundgesetz und die deutsche Revolution, das sind die beiden großen Erfolge, die zwei großen Errungenschaften, an denen es Tag um Tag weiterzuarbeiten gilt, über die es ein immerwährendes Gespräch geben muss. Dieser Dialog findet kaum jedoch kaum statt. Und deshalb konnte es auch keine angemessene Planung für die Feier geben. Nehmen wir es doch als interessante, ja abenteuerliche Erfahrung, als Krisensignal allerersten Ranges, dass die staatlichen Organe keine würdige Feier zum Thema „60 Jahre Bundesrepublik Deutschland“ gebacken kriegen! Selbst der traurige Rücktritt des Wirtschaftsministers, selbst die vor dem Bundesverfassungsgericht heute verhandelte Klage des Peter Gauweiler (CSU) und der Linksfraktion gegen den Lissaboner Vertrag verblassen angesichts dieser niederschmetternden Absage.
Ich nehme dies ferner zum Anlass, in diesem Blog eine eigene kleine Reihe von Betrachtungen zu eröffnen unter dem unfeierlichen Titel: 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland.
Beginnen wir unsere heutige Betrachtung mit einem Blick auf das Bücherregal in einer großen Berliner Buchhandlung! Was sehen wir? Etwas Erstaunliches! In der Buchhandlung gibt es eine Warengruppe „Geschichte“. Sie umfasst etwa 2 laufende Meter. Und daneben: Die Warengruppe „Nationalsozialismus“. Sie nimmt etwa die doppelte Breite ein.
Was bedeutet dies? Gehört der Nationalsozialismus nicht zur deutschen Geschichte – oder ist er so dominant, dass daneben alle anderen Themen an den Rand gedrängt werden? In den Augen der Buchhändler mag dies so sein: Mit Schriften zur Nazidiktatur lässt sich offenbar mehr Umsatz machen als mit allen anderen Sachgebieten der Geschichte. Zeitgeschichtliche Forschung wird auch weiterhin reichlich Stoff zur feierlichen Empörung ans Tageslicht befördern. So ist etwa alles, was in der größeren, der östlichen Hälfte Europas in den Jahren 1917 bis 1989 geschah, weitgehend unterbelichtet. Hier wird man als Medienmacher noch sehr viel Geld mit neu enthüllten Verbrechen (auch der Deutschen) verdienen können. Ihr könnt schon mal weitere Regalmeter reservieren, oh Buchhändler!
Aus der Sicht des Bloggers und Staatsbürgers ist es aber höchst bedenklich, wenn neben der weiterhin nötigen Befassung mit den großen verbrecherischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts die gesamte sonstige Geschichte Europas – von 800 v. Chr. bis in unser Jahrhundert – vernachlässigt wird.
Und mitleiderregend ist die Unfähigkeit von uns Deutschen, die 60 Jahre Grundgesetz in einem angemessenen Rahmen zu würdigen. Mitleiderregend? – Ja! Aber Leiden an der eigenen Unfähigkeit zu feiern darf nicht alles sein. Wir müssen einen positiven Ton finden.
Einen positiven Ton brauchen wir, um 60 Jahre erkämpfte und geschenkte Freiheit zu feiern. Das Angebot der Staatsorgane vermag bisher keineswegs zu überzeugen. Deshalb werden wir ab heute in diesem widerspenstigen Blog unsere eigenen kleinen Pfade schlagen. Wir springen auf – auf die 60 Jahre Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Wir werden ein eigenes Konzept erarbeiten.
Sponsoren springen ab – Für ein großes Grundgesetz-Fest fehlt Berlin das Geld – Berlin – Berliner Morgenpost
Mit der „Auto-Show“ hatte Heil auf einen Bestandteil des umfassenden Festkonzeptes angespielt. Danach sollte sich Deutschland mit Oldtimern und neuen Modellen als Autoland präsentieren. Doch der mitunter vermittelte Eindruck, zum 60. Grundgesetzjubiläum sei seichtes Schunkeln mit Erbsensuppe und Produkt-PR geplant gewesen, wird dem Konzept tatsächlich nicht gerecht. So führt Agentur-Chef Stephan Vogel in seinem Absagebrief an, „nach einem halben Jahr intensivster Verhandlungen“ sei es gelungen, die Rolling Stones für ein Konzert an der Siegessäule zu gewinnen. Außerdem hätten Alfons Schuhbeck „und weitere 30 Sterne-Köche“ kochen und Till Brönner eine Jazz-Night präsentieren sollen. Am Brandenburger Tor hätte das Orchestre Nationale de France unter Leitung von Kurt Masur die 9. Sinfonie von Beethoven dargeboten. Der Agentur-Chef betont zudem, „nach zahlreichen Sitzungen“ hätten alle Ministerien und Verfassungsorgane dem Programmentwurf zugestimmt.
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