Jul 082009
 

Bäh, bäh, bäh – so könnte man meinen, so könnte man weinen! Denn weiterhin nimmt die überregionale deutsche Tagespresse unser kleines Bundesländchen Berlin nicht ernst. Das war schon so bei den Volksentscheiden, das ist so, wenn sie über unsere kuscheligen, kungeligen Berliner Parteien SPD, CDU, Grüne, Linke und FDP berichtet. Und das ist auch so, wenn sie sich trefflich über unsere Bildungsmisere belustigt. Neuestes Beispiel ist der Kommentar von Regina Mönch in der heutigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Lest doch, was sie auf Seite N5 über den neuesten Bildungsreformversuch unseres Senats schreibt:

Schulreform Nr. 24: Gleich behandelt, aber ungerecht – Forschung und Lehre – Feuilleton – FAZ.NET
Jeder weiß, dass so zwar die Hauptschule abgeschafft wird, aber natürlich nicht ihre Schüler. Und jeder könnte wissen, dass der Etikettenwechsel kaum eines der gravierenden Defizite der Risikogruppen lösen wird. Die Lust, dem eigenen Kind die Versäumnisse der Migrationspolitik zuzumuten, sie wider besseres Wissen – in Anlehnung an Hannah Arendt – zu „Lokomotiven der Integration“ zu machen, ist gerade unter bürgerlichen Eltern gering.

Ein hübsches Wort: Integrationslokomotive. Wo steht es bei der von mir verehrten Hannah Arendt? Wisst ihr es?

Dies erheischt natürlich eine Gewissenserforschung beim hier schreibenden Blogger! Bin ich eher ein Bremsklotz oder eine Lokomotive der Integration?

Das sind die Fakten: Ich bin mit einer Ausländerin, einer Russin, verheiratet. Ich lebe in Kreuzberg. Ich habe zwei Söhne, der eine ist Deutscher, der andere hat derzeit noch die doppelte Staatsbürgerschaft deutsch-russisch. Obwohl ich von Herkunft nur ein Mann und ein echter Südstaatler bin, unterstütze ich als dilettantischer Hobbypolitiker zwei namhafte Politikerinnen, die in der DDR aufgewachsen sind (eine davon ist Vera Lengsfeld). Mein jüngerer Sohn besucht die Kreuzberger Regelschule, in die wir von unserem grün regierten Bezirksamt eingewiesen worden sind. Der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund in seiner Klasse beträgt – glaube ich – 100%. In dieser Klasse bin ich noch keinem deutschen Vater, keiner deutschen Mutter begegnet. Ich suche jeden denkbaren Kontakt zu den türkischen und libanesischen Kindern und Eltern in meiner Grundschule.

Das ist noch nicht alles: Ganz oft bin ich der einzige Deutsche unter vielen Ausländern, der einzige Wessi unter vielen Ossis, der einzige umweltbewegte ADFC-ler unter vielen CDU-lern, der einzige freiheitsliebende CDU-ler unter vielen ADFC-lern. Also, ihr könnt mir sehr vieles vorwerfen – aber ganz sicher nicht, dass ich keine Ahnung hätte von den Themen, die man lässig unter dem Stichwort Integration zusammenfasst. Die fortwährende Integration, das Zusammenführen völlig auseinanderklaffender Milieus, das hartnäckige Bemühen um Gespräch, um Begegnung, um Verbindung zwischen Bereichen, die taub und stumm nebeneinander herleben, das ist mittlerweile geradezu meine Lebensaufgabe geworden. Denn das erschreckende Auseinanderfallen unserer Lebenswelten halte ich für ungut. Wir brauchen mehr Wanderschaften zwischen den Welten, mehr Grenzgänger, mehr Mut!

Zurück zum FAZ-Artikel von Regina Mönch. Mir gefällt er, obwohl sie die Nase über uns Berliner Bürger rümpft. Ich bin ein solcher Berliner Bürger und habe das auszubaden, was die verfehlte, oder besser die versäumte  Einwanderungspolitik der vergangenen Jahrzehnte angerichtet hat.

Alle reden von Integration. Wir sollten sie anpacken!
Auf dass irgendwann die überregionale deutsche Presse unser kleines Bundesländchen Berlin nicht belächle und – wer weiß? – vielleicht sogar wieder ernst nehme!

 Posted by at 14:02

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