Sep 092010
 

Philipp Melanchthon, der rastlose, vielschreibende Freund und Gefährte Martin Luthers, beabsichtigte eine lateinische Übersetzung des Koran. Denn er überlegte immerhin, „ob möglicherweise die Mahometaner eine Abspaltung von der Kirche Gottes seien“.

Erstaunlich: Noch zu Luthers Zeit standen Islam und Christentum in echtem Kontakt, an Melanchthons Tisch soll oft „Latein und Griechisch, Hebräisch und Ungarisch, ja sogar Türkisch und Arabisch“ zu hören gewesen sein.

Wittenberg – das war damals für wenige Jahrzehnte eine Art multikulturelle Elite-Universität des Abendlandes, ehe ihm das sächsische Halle dann den Rang ablief.

Ich selbst kann nur die ersten Zahlen Arabisch – das reicht bei weitem nicht aus, um den Koran zu verstehen. Aber ich vergleiche mitunter verschiedene Übersetzungen und suche bei muslimischen Freunden um Auskunft zum Sinn dieser oder jener Stelle.

Hier zum Beispiel:

Eine Frage zu Lamya Kaddors  deutscher Übersetzung der Sure 70, Vers 19: „Der Mensch ist von Natur aus ängstlich“  vs. „Der Mensch ist kleinmütig erschaffen“ (Khoury). Was sagt der Vers im Arabischen aus? Dass der Mensch grundsätzlich Angst hat – und nur durch einen weiteren Schritt Mut fasst? Wollte Gott den Menschen von Angst befreien oder ihn in Angst belassen?

Wir gelangen zu folgender Antwort:

Erklärungen aus dem Tafsir von Qutb und Muhammad Asad:

Dies ist die Verhaltensweise eines Kindes, die auch dem erwachsenen Menschen weiter anhaftet, wenn er nicht durch das Gebet zu besserem Verhalten geführt wird. (Qutb)

Der Mensch hat eine Neigung zur Rastlosigkeit, die ihn entweder zu fruchtbarer Vollendung oder zu chronischer Unzufriedenheit und Frustration treiben kann. Es ist mit anderen Worten die Art und Weise, mit der er diese gottgegebene Fähigkeit nutzt, die bestimmt, ob ein positives oder negatives Ergebnis dabei herauskommt. Die folgenden beiden Verse spielen auf letzteres an, während die Ajas 22-25 zeigen, dass ein wahres geistiges und moralisches Bewusstsein die angeborene Rastlosigkeit in eine positive Kraft verwandeln und damit innere Stabilität und Zufriedenheit herbeiführen kann. (Asad)

Ergebnis der Koran-Befragung:

Gott schenkte den Menschen verschiedene Fähigkeiten. Es kommt auf den einzelnen Menschen an, was er aus diesen Fähigkeiten macht. Rechter Gebrauch der Fähigkeiten erlaubt es dem Menschen, sich aus dem Urzustand der Angst, der Rastlosigkeit, der Hilflosigkeit hervorzuarbeiten.

Den rechten Gebrauch der geschenkten Fähigkeiten, der „Talente“, nennen wir von alters her in allen Sprachen Tugenden.

Ich meine also: Die Entfaltung der Tugenden ist ein zentrales Gebot muslimischer Ethik.

Quellenhinweis:

Petra Bahr: „Europäer und Weltbürger“. In: Melanchthon. Das Magazin zu seinem 450. Todesjahr. EKD, S. 70-74.

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