Dez 272010
 

reichtum0011.jpg  Wer erinnert sich nicht der herrlichen Forderung „Reichtum für alle!“ aus dem Bundestagswahlkampf 2009, die fast entschuldigend als „Wir meinen natürlich geistigen Reichtum“ zurechtgedeutet wurde!

Geistiger Reichtum, geistige Armut – was bedeutet das eigentlich? Dass Gregor Gysi unmittelbar eine biblische Wendung aufgreift, war ihm selbst sicherlich mehr als vielen Wählern bewusst.

Gleich zwei Mal erhielt der arme Kreuzberger Blogger Meister Eckharts Predigt Q 52 „Beati pauperes spiritu“ zu Weihnachten zugedacht. Einmal als Jahresgabe der Meister-Eckhart-Gesellschaft, einmal als Arme-Leute-Ausgabe in Reclams wohlfeiler Volksbibliothek.

„Saelic sint die armen des geistes“: also übersetzt Eckhart von Hochheim Matthäus 5,3. Im Griechischen heißt es:

Μακάριοι οἱ πτωχοὶ τῷ πνεύματι, ὅτι αὐτῶν ἐστιν βασιλεία τῶν οὐρανῶν.
Was bedeutet „die armen des geistes“, pauperes spiritu, οἱ πτωχοὶ τῷ πνεύματι ?

Sprachlich ist der Sinn zunächst klar:  Gepriesen werden hier die, die „an Geist arm sind“, die „wenig oder keinen Geist haben“, die „geistig minderbemittelt sind“. Diese oder ähnliche Wendungen mehr geben den schlichten Sinn der in schlichter Sprache gehaltenen Bergpredigt wider. Die griechische Sprache, der griechische Text ist hier eindeutig und unterliegt keiner variantenreichen Mehrfachüberlieferung.

Die armen des geistes – hier gibt der prädikative Genitiv ebenfalls die Sache wider, an der jemand arm ist. Das belegt nicht zuletzt auch das Grimmsche Wörterbuch:

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm
praedicatives arm, wozu die sache im gen. oder mit der praep. an gesetzt wird: er ist nit arm des guts, aber arm des muts und geists. Keisersb. sch. d. penit. 57; selig sind die da geistlich arm sind. Matth. 5, 3 (ahd. armê sind in geiste);

Pneuma wiederum, „Geist“, hebräisch „ruach“, steht für religiöse Bindung und Bildung, für Hauch, Anhauch Gottes, für das Göttliche, das Geist oder Geistkraft  ist.

Sicher recht weit vom wörtlichen Sinn schweifen ab Übersetzungen, wonach hier diejenigen gemeint seien, die „arm sind vor Gott“, wie es etwa die derzeit übliche Einheitsübersetzung der deutschspachigen Kirchen gerne haben will. Besonders weit ab vom wörtlichen Sinn führt die „Bibel in gerechter Sprache“ des Jahres 2006: „Selig sind die Armen, denen sogar das Gottvertrauen genommen wurde“.

Zunächst einmal gibt der griechische Urtext ebenso wie die lateinische und die mittelhochdeutsche Übersetzung her:

Selig sind die Geistesarmen.

Zu denken ist hier – so meine ich eindeutig aus dem griechischen Text herauszulesen – aus heutiger Sicht auch an religiös Ungebildete, an Analphabeten, an Menschen mit einem niedrigen Intelligenzquotienten, an geistig Behinderte, an geistig Benachteiligte, an bildungsferne Schichten.

Um die geht es Jesus offenbar. Das scheint der Kern der Botschaft zu sein.


 Posted by at 19:15

Sorry, the comment form is closed at this time.