Feb 172011
 

Einen unauslöschlichen Eindruck hinterließen mir gestern Theodor Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Da wir am Wochenende die Bahn nach Küstrin besteigen werden, las ich mich in dem Abschnitt über Küstrin fest, und hier fesselte mich insbesondere die Katte-Tragödie, welcher der Autor nicht weniger als 40 Seiten widmet. Kronprinz Friedrich versuchte 1730 vor dem herrischen, gewalttätigen und jähzornigen Vater, dem König Friedrich Wilhelm I., zu fliehen. Hier ein Ausschnitt der packenden Schilderungen Fontanes:

Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Die Reise ging nun rheinabwärts. Am 10. war man in Bonn, am 11. in Wesel. Der »Arrestant« ward am Ufer von dem Oberstlieutenant von Borcke mit einem starken Kommando in Empfang genommen und in die Festung gebracht. Am anderen Morgen, den 12., erfolgte seine Vorführung vor den König.

»Warum habt Ihr entweichen wollen?«

»Weil Sie mich nicht wie Ihren Sohn, sondern wie einen gemeinen Sklaven behandelt haben.«

»Ihr seid nichts als ein feiger Deserteur, der keine Ehre hat.«

»Ich habe soviel Ehre wie Sie, und ich habe nichts getan, was Sie an meiner Stelle nicht auch getan hätten.«

Bei diesen Worten zog der König den Degen und wollte den Prinzen erstechen. Aber der tapfere Kommandant, Generalmajor von der Mosel, warf sich dazwischen und sagte: »Sire, durchbohren Sie mich, aber schonen Sie Ihres Sohnes.«

Was war das für ein Mensch, dieser König Friedrich Wilhelm? Wie konnte es dazu kommen, dass er sich so oft an seiner Umgebung verging? Selbst ihm wohlgesonnene Schriftsteller  wie Theodor Fontane oder Jochen Klepper, die seine großen, unbestreitbaren Verdienste um die innere Festigung des Landes und die Sanierung der bei seinem Regierungsantritt heillos zerrütteten Staatsfinanzen rühmen, verfehlen nicht, seine häufigen Wutanfälle, sein rohes Treten, Schlagen und Einprügeln auf Diener, auf den Sohn, auf Offiziere und Angehörige zu erwähnen.

Als häufigste Erklärung für Rohheit, für Gewaltdelikte bei Männern wird meist Gewalt und Prügeln in der Herkunftsfamilie angegeben. Auch der jüngste, unfassbare Gewaltvorfall am U-Bahnhof Lichtenberg wirft viele Fragen auf. 4 männliche Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren haben einen Maler schwer zusammenschlagen, getreten und fast zu Tode zugerichtet. „Die Hauptursache von Gewalt unter Jugendlichen“ sieht die Präventionsbeauftragte der Polizei, Susanne Bauer, „in der häuslichen Gewalt“. So berichtet es heute die Berliner Zeitung auf S. 23. „Wer groß werde mit Schlägen in der Familie, für den gehöre Gewalt zum Leben. Dies betreffe vor allem Migrantenfamilien aus Kriegsgebieten.“

Das geschlagene Kind wird selber zum Schläger. So behaupten es immer wieder manche Psychologen, manche Sozialarbeiter und eben auch manche Präventionsbeauftragten. Die Legende von der Kriegstraumatisierung hält sich hartnäckig – auch dann, wenn die Kinder gar nicht aus Kriegsgebieten stammen, sondern aus Wedding, Lichtenberg oder Neukölln.

Ich kann dem so einfach nicht zustimmen. Denn – und hier schließt sich der Kreis zu zahlreichen anderen Einträgen dieses Blogs – die Gewaltkriminellen kommen häufig nicht aus Prügler-Familien, sondern ganz im Gegenteil aus verwöhnenden Familien. Sehr viele dieser Gewalttäter wuchsen ohne männlichen Einfluss auf, wurden verhätschelt und betüttelt. Auch die vier Gewalttäter von Lichtenberg bilden da offenbar keine Ausnahme. Lest selbst, Berliner Zeitung heute, S. 23:

Er gilt als schwieriger Schüler, so wie viele in der Schule Am Rathaus. Sie liegt in einem Kiez, wo die meisten Kinder aus zerrütteten Familienverhältnissen kommen. Jeffrey W. wird als unruhig beschrieben, von einigen auch als hyperaktiv. Lehrer bescheinigen ihm, er sei „durchaus in der Lage, Leistung zu zeigen“, etwa in Biologie und Physik. Die Mutter, die alleinerziehend ist, habe sich kooperativ gezeigt und an den Elterngesprächen und Versammlungen teilgenommen. Schulleiterin Petra Jäger sagt nur: „Für den Schüler haben wir uns alle erdenkliche Mühe gegeben, dass er seinen Hauptschulabschluss macht.“

Also: Viele Frauen geben sich alle erdenkliche Mühe um Jeffrey. Dass er von den Frauen – der Mutter, der Rektorin, den Lehrerinnen – geprügelt wird, halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Der Vater fehlt.

Jeffrey ist kein Geprügelter. Er ist eher der Prinz, der sich alles erlauben darf.

Wie schaut’s beim echten Prinzen aus, beim jungen Friedrich Wilhelm? Er wurde ebenfalls in früher Kindheit nur von Frauen erzogen, zunächst von seiner Großmutter, anschließend von der Hugenottin Marthe de Montbail, der späteren Madame de Roucoulle. Wie war er als Junge?  Hierzu las ich gestern die große Biographie des Berliner Autors Jochen Klepper.

Der junge Prinz schlief während des Unterrichts auf der Couch, rauchte Tabak, fluchte in einem fort, lärmte mit Hunden durch die Gemächer, ging statt der Türen durch die Fenster ins Freie. Jochen Klepper notiert: „Alle Frauen, auch die eigene Stiefschwester, nannte er Huren.

Wikipedia sagt lakonisch zum Betragen des jungen Prinzen:

„Seine Mutter verwöhnte ihn. […] So vertrug er sich nur schlecht mit seinem fünf Jahre älteren Cousin und Spielgefährten, Georg August, dem späteren Georg II., König von Großbritannien, den er des öfteren verprügelte. Die beiden entwickelten aufgrund dessen eine lebenslange persönliche Feindschaft.“

Der Hohenzollernprinz zeigt also alle Anzeichen eines systematisch verwöhnten, nicht an Grenzen herangeführten Jugendlichen, der alle Merkmale eines gewalttätigen Jugendlichen unserer Tage aufweist: Jähzorn, Neigung zur Gewalt, Unbeherrschtheit, Verachtung des Weiblichen, des „Effeminierten“, wie es der junge Prinz Friedrich Wilhelm verspottete.

Von irgendwelchen Prügelexzessen seines Vaters ist nichts bekannt. Im Gegenteil!

Gerade aus verwöhnten, verhätschelten, weitgehend unter Frauen aufwachsenden Jungen werden oftmals die brutalsten Schläger und Gewalttäter – so wie etwa Jeffrey W., Friedrich Wilhelm I. oder auch der in diesem Blog mehrfach erwähnte verwöhnte RAF-Prinz Andreas Baader, über den Andreas Veiel ja gerade in diesen Minuten seinen neuen Film zeigt.

„Der Geschlagene wird selber zum Schläger“ – so einfach ist es nicht! Zum Schläger wird oft der verzogene, der launische Prinz.

Ich hatte als einfacher Kreuzberger Bürger ebenfalls Gelegenheit, den einen oder anderen wirklich schwer gewalttätigen Jungen kennenzulernen. Auch in diesen Fällen bemerkte ich stets eine alleingelassene, hoffnungslos überforderte Mutter und viele, viele wohlmeinende Frauen. Der Vater fehlt. Dieses Setting kann Gift für das Sozialverhalten unserer Prinzen werden. Die Sozialkosten dieser verwöhnenden, grenzenlos verhätschelnden Erziehung sind unermesslich hoch. Das Lichtenberger Opfer, der 30-jährige, ins Koma getretene und verprügelte Malermeister, aber ebenso auch das traurige Schicksal des Hans Hermann von Katte belegen dies zur Genüge.

Gute Präventionsarbeit scheint übrigens die Berliner Polizei zu liefern. Denn die Polizisten leisten genau das, was den Jungen fehlt: feste, durch einen erwachsenen Mann gezogene Grenzen. Nur reicht es oft nicht aus.

Quellen:

Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Zweiter Teil. Das Oderland. Barnim-Lebus. Küstrin. Die Katte-Tragödie. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1997, S. 299-339, hier: S. 302-303

Andreas Kopietz: Hätten die Schläger gestoppt werden können?, in: Berliner Zeitung, 17.02.2011

Lutz Schnedelbach: Gewalt beginnt zu Hause, in: Berliner Zeitung, 17.02.2011

Jochen Klepper: Der Vater. Roman eines Königs. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1986, insbesondere S. 16 (Erstausgabe 1937)

heute Magazin, 17.02.2011

Bild: Schloss Sans-Souci in Potsdam, aufgenommen am 28.12.2010

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