Jul 292011
 

09122009.jpg Wie jeder andere Mensch suche auch ich immer wieder Erholung. Zerstochen und gequält vom unsäglich fliegenhaften Nivau der lautstarken Populismus-Debatten suchte ich kürzlich  Erquickung in den Erinnerungen eines erfahrenen Politikers, den ich über nahezu alle anderen stellen möchte. Ich schlage immer wieder aufs Geratewohl die eine oder andere Seite aus seinen Erinnerungen auf. Zu den schwierigsten Missionen des ersten Kanzlers gehörte der Besuch in Moskau im September 1955. Hauptthema waren die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland sowie die Freilassung der deutschen Kriegsgefangenen.

Ein erstaunliches Dokument ist der Rechenschaftsbericht Adenauers darüber. Die 60 Seiten, auf denen der Kanzler über all die zunächst unüberwindbar scheinenden Hürden und Fallstricke und den letztlich erzielten Erfolg berichtet, gehören für mich zum spannendsten und belehrendsten Lesestoff dieser Sommerwochen.

„Bulganin verlas eine längere Grundsatzerklärung. Er vermied jede verletzende oder provozierende Äußerung hinsichtlich der Vergangenheit.“ 

Dieser Satz bleibt mir sofort haften. Warum? Hier hat Adenauer ein Grundgebot des diplomatischen Takts formuliert: Wenn man etwa Gemeinsames erreichen will, sollte man nicht wieder und wieder draufschlagen, wieder und wieder alte Zwistigkeiten beleben.

Genau dies aber geschieht allzu oft. „Xy ist ein Verbrecher. Ein Rassist. Das hat mir jemand gesagt. Denn er soll das und das gesagt haben.“

Wir sehen, dass gegen dieses oben formulierte  Grundgebot des politischen Handelns und Verhandelns mit einem schwierigen Gegenüber so oft verstoßen wird!

Ich meine: Wenn man eine Debatte voranbringen will, darf man sein Gegenüber nicht öffentlich beleidigen oder herabsetzen. Man darf nicht immer erneut draufschlagen, wie dies leider heute allzu oft geschieht.

Stattdessen gilt es, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, oder doch zumindest anzuerkennen, dass jemand etwas Gutes oder Richtiges erkennen oder herausfinden wollte.

Genau dies scheint mir beispielsweise der Sinn interreligiöser und interkultureller Arbeit zu sein, wie sie derzeit Sawsan Chebli, die Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten im Berliner Senat, in die Wege leitet. Lest:

Inzwischen hat die Gruppe einen Namen „JUGA“. Das steht für jung, gläubig, aktiv. Das JUGA-Motto lautet „NEIN eleven“.

Gegenwärtig wird ein Musikvideo unter dem Motto „We build a common future“ mit dem Musiker Robert Lee Fardoe erarbeitet. Kinder und Jugendliche sollen den Song, der verschiedene Kulturen miteinander verbindet, singen.

Interreligiöse Aktion zum 11. September – Berlin.de

Das gefällt mir: „Wir schaffen eine gemeinsame Zukunft“.

Gemeinsam singen – das verbindet oft mehr als längere Grundsatzerklärungen. Glaubt mir, – wie sagt doch das alte, aus dem Schwedischen übersetzte Volkslied? Kommt mit und versucht es auch selbst einmal.

Quellenangaben:

Konrad Adenauer: Reise nach Moskau. In: Erinnerungen 1953-1955. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1966, S. 487-556, hier S. 498

Im Frühtau zu Berge, wir zieh’n fallera. In: Die schönsten Volks- und Wanderlieder. Texte und Melodien. Herausgegeben von Günter Beck. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, März 2011, 304 Seiten, € 8.-, hier S. 30

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