Kein Ereignis der letzten 60 Jahre hat Berlin so unermesslich, so langanhaltend geschadet wie der Bau der Mauer am 13. August 1961.
Dass viele Menschen an der innerdeutschen Grenze ermordet wurden, dass Familien zerrissen wurden, dass Lebensentwürfe vernichtet wurden, wurde oft schon gesagt. Es ist das Schlimmste. Die Mauer war ein Bollwerk der Schande und der persönlichen Tragödien.
Eine nicht unwichtige Wirkung der Mauer ist aber auch die Zementierung der Insellage West-Berlins. Ab dem 13. August 1961 bildete sich immer stärker jene Anomalie der Berliner Stadtpolitik heraus, an der das Bundesland Berlin bis zum heutigen Tag leidet – mehr als alle anderen 15 Bundesländer. „Es ist die Normalität, die in Berlin verloren gegangen ist“, sagt einer der künftigen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister von Berlin, Frank Henkel (CDU), völlig zu Recht.
Seit dem 13. August 1961 hat sich der Abhängigkeits- und Mündelstatus der Stadt Berlin verfestigt. Sowohl die Ost- als auch die Westhälfte genossen unermessliche Privilegien! Geld und Waren wurden auf Kosten der sonstigen Landesteile ohne Ende in die beiden Stadthälften geleitet. Die Landes- und Kommunalpolitik wurde reichlichst mit Posten, Stellen, Behörden und Programmen ausgestattet, um all den Geld- und Mittelfluss zu verteilen und in geregelte Bahnen zu lenken.
Bis zum heutigen Tag, ja bis in den laufenden Wahlkampf hinein, hat sich Berlins Landespolitik noch nicht von den satten Privilegien, die Ost- und West-Berlin genossen, verabschieden können. Man kann dies besonders gut an den Argumenten zur Mietenpolitik, zur Stadtgestaltung usw. nachweisen. Stets nehmen die Berliner Parteien für sich in Anspruch, ihre Klientelgruppen vor den Härten der Freiheit schützen zu müssen. Dem dienen Milieuschutz und soziale Wohnungsbauprogramme, grünes Verbot von Badezimmersanierungen und von Umnutzung ebenso wie der ständige Ruf nach „bezahlbaren Mieten“.
Die Berliner Parteien sind Meisterinnen darin, dem Volk Zusagen zu machen, die aus dem Landeshaushalt nie und nimmer zu bezahlen sind. Die Berliner Parteien sind Meisterinnen darin, dem Volk zu verschweigen, wo sie ihm – dem Volk – wehtun wollen, wo sie ihm weniger staatliches Geld geben wollen, weniger Mittel, weniger Wohltaten. Es gibt Ausnahmen von dieser bequemen Verheißungs- und Zusagenpolitik – und beileibe nicht nur in meiner Partei. Auch einige amtierende Politiker, ob nun ein grüner Bezirksbürgermeister oder ein roter Senator, würden der hier vorgetragenen Analyse mutmaßlich Wort für Wort zustimmen.
Aber laut sagen darf man es nicht. Man kann allenfalls die Schuld auf andere schieben. Die regierenden Bezirksgrünen schieben die Schuld für die Missstände in ihrem Dominion dem Senat und der Bundesregierung zu. Der rot-rote Senat schiebt die Verantwortung der grün-roten Bezirksregierung oder der Bundespolitik zu.
„Die Wahrheit können wir nicht sagen. Dann wählen uns die Leute nicht.“
Ich sage: Die Berliner Parteien haben sich noch nicht aus der jahrzehntelang angezüchteten Selbstisolierung der Berliner Landespolitik befreit. Sie haben den Weg zur Normalität noch nicht zu Ende beschritten.
„Mieten müssen bezahlbar bleiben!“ Alle Parteien buhlen um die Gunst der Wähler mit derartigen Sprüchen. Was ist an diesem bequemen Slogan dran, der runtergeht wie flüssiges Gold? Nun, ich sprach kürzlich mit Menschen, die haben nach dem Krieg einige Jährchen zu acht in einem Zimmer gewohnt. Es gab keinen bezahlbaren Wohnraum. War es eine Schande? Nein! Sie lernten was, arbeiteten, gingen hausieren, plagten sich und plackten sich. Viele mussten wegziehen in andere Städte oder andere Länder. Gut! SO IST DAS im Leben. Heute haben sie alle ihre eigenen Zimmer, ihre Berufe, ihre Familien, ihr Auskommen. Ihnen wurde kein „bezahlbarer Wohnraum in Berlin“ geschenkt – sie mussten ihn sich erarbeiten.
Ich sage: Die harte Schandmauer aus Beton und Stacheldraht ist zu unserem Glück weg! Wir Berliner müssen jetzt noch weg von den geistigen Spätfolgen der Mauer! Wir müssen uns vollständig befreien. Es gilt immer noch, viele innere Mauern abzubauen. Wir müssen erkennen, dass die Freiheit gewisse Härten mit sich bringt. Wir sind frei. Das ist ein Glück, aber auch eine Herausforderung.
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