In the beginning were the words … so leitet der aktuelle Economist seine sehr kluge, sehr bedachte Umschau über die kritische Erforschung des Korans ein (S. 42-43). Lesenswert!
Also: Am Anfang waren die Worte. In der Tat, ausgerechnet am 27. Dezember kamen wir wieder jene vielzitierten Einleitungssätze des Johannes-Evangeliums in den Sinn, an denen sich der arme Faust schon abmühte:
Geschrieben steht: >>im Anfang war das W o r t!<<
Hier stock‘ ich schon! Wer hilft mir weiter fort!
Ich kann das W o r t so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen, […]
Eine kleine Übersicht in wichtigen europäischen Sprachen der Jetztzeit ergab, dass alle das griechische Logos mit Wort (verbum, parola, слово, …) übersetzen. Es ist eine ur-europäische Tradition: das schaffende, das gesprochene, das zeugende Wort rückt im Johannes-Prolog in die höchste Wertigkeit auf.
Wie geht der Text weiter? „Sie können doch Griechisch – zitieren Sie doch mal bitte!“ So fragte mich kürzlich eine Runde an Fragenden. Ich ließ mich nicht bitten und antwortete:
καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν
… und merkwürdig, da fiel mir zum ersten Mal auf, wie seltsam dieses pros ton theon klingt. Ja, wer da mit den Augen hören, mit den Ohren denken möchte! Wer griechische Texte nicht nur stumm liest, sondern sie gelegentlich auch laut rezitiert, dem muss dieses πρὸς τὸν θεόν hart aufstoßen. Es klingt irgendwie falsch. Denn diese Präposition pros drückt zusammen mit dem Akkusativ stets eine Richtung, eine Bewegung aus, fast niemals aber einen ruhenden Ort – pros mit Akkusativ bedeutet motus ad locum, nicht situs in loco. Dies gilt unverrückbar für die gesamte griechische Sprache bis weit über die Zeitwende hinaus – es gilt ohne Ausnahme auch für den Sprachgebrauch des Evangelisten Johannes.
Ich meine aus diesem Grund, dass die übliche vulgärsprachliche Übersetzung nach der Vulgata „et verbum erat apud deum“ – „und das Wort war bei Gott“ den Sinn des zweifelsfrei überlieferten originalen griechischen Wortlautes nicht treffend wiedergibt.
Denn die Präpositionen bei oder auch lateinisch apud drücken keine Bewegung, sondern einen festen Ort aus. Ihr seht: Wie der arme Faust bin ich unzufrieden mit den jahrtausendealten verehrten Übersetzungen. Sie sind mir zu statisch, nicht dynamisch genug!
Es gibt jedoch eine Übersetzungsmöglichkeit, die das im griechischen Text Angelegte besser verstehbar macht, nämlich das lateinische „ad“ bzw. das deutsche „zu“.
Ich meine somit, als Übersetzung des griechischen
καὶ ὁ Λόγος ἦν πρὸς τὸν Θεόν
folgende Möglichkeiten vorschlagen zu dürfen:
lateinisch: et verbum erat ad deum
deutsch: und das Wort war zu Gott
Dieser deutsche Satz klingt ungewöhnlich, klingt gewagt – und genau so klingt auch das griechische Original, wie jeder gute Kenner des Griechischen bestätigen wird.
Wagnis – Ungewöhnliches – Regelverletzung!
Diese beiden Übersetzungen sind grammatisch zweifellos näher am griechischen Wort, sie eröffnen darüber hinaus ein räumlich-bildliches Verständnis des Prologs, das geeignet ist, auch die nachfolgenden Texte und Gleichnisreden besser, nämlich körperlicher zu begreifen. Man braucht dann viel weniger Theologie, viel weniger Kommentar, viel weniger Regalmeter Sekundärliteratur, wenn man mithilfe guter, freilich unerlässlicher Vertrautheit mit dem Griechischen versucht, diesen Grundtext, wie ihn der arme Faust nennt, besser zu verstehen.
Johannes sagt also:
Das Wort war zu Gott.
Es war nicht ortsfest, nicht am festen Ort angekommen, es war am Anfang nicht bei Gott, sondern es war unterwegs, es war gerichtet auf denjenigen, den keiner je gesehen hat.
Quellen:
Johann Wolfgang Goethe: Faust. Texte. Herausgegeben von Albrecht Schöne. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main, 1999, S. 61
Nestle-Aland: Novum testamentum graece, ed. vicesima septima, Deutsche Bibelgesellschaft, Suttgart 1999, S. 247
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